Studium bleibt Armutsfalle: Ampel serviert nächste BAföG-Kleckerreform

Studium bleibt Armutsfalle: Ampel serviert nächste BAföG-Kleckerreform

Studium bleibt Armutsfalle: Ampel serviert nächste BAföG-Kleckerreform

Ein Artikel von Ralf Wurzbacher

Nun also doch: Nach massiver Kritik und einem würdelosen Gewürge will die Bundesregierung die Regelleistungen bei der Bundesausbildungsförderung entgegen früheren Planungen erhöhen. Die durch Ministerin Stark-Watzinger versprochene „große Strukturreform“ fällt aus, eine echte Entlastung der Studierenden sowieso. Fünf Prozent Zuschlag beim Bedarfssatz bedeuten 23 Euro mehr, fürs Wohnen soll es 20 Euro extra geben. Das ist nicht großzügig, sondern eine Frechheit, findet Ralf Wurzbacher.

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Einen schlechten Regierungsstil kann man der Ampel nun wirklich nicht absprechen. Am Mittwoch um die Mittagszeit tagte der Bildungsausschuss des Bundestages. Geladen waren Verbandsvertreter, die sich zur geplanten 29. Novelle des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) einlassen durften. Das Gros der Sachverständigen hatte wenig übrig für den Entwurf von Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), der trotz anhaltender Hochinflationsphase kein Plus bei den Bedarfssätzen vorsah. Und so redeten sich die Redner zu „Nullrunden“ und „jahrelangem Stillstand“ in Rage und ahnten nicht, dass die fragliche Gesetzesvorlage zu diesem Zeitpunkt schon Makulatur war. Ja, es gebe gerüchteweise so eine „Formulierungshilfe“ der Bundesregierung, raunte es durch die Reihen. Aber was da drinsteht, wusste zu dem Zeitpunkt keiner. Ein Mann aus der CDU/CSU-Fraktion fand es jedenfalls befremdlich, etwas zu diskutieren, wofür es vielleicht gar keine Diskussionsgrundlage mehr gibt. Das sei, meinte er, eine „irgendwie kafkaeske Situation“.

Das trifft es. Denn kaum war die Sitzung vorbei, rauschten Meldungen durch die Medien, wonach sich die Koalition nun doch geeinigt habe und es nun doch zu einem Zuschlag bei den allgemeinen Leistungen kommen soll. Konkret: Ab August werden die Bedarfssätze beim BAföG um fünf Prozent und die Mietkostenpauschale für außerhalb des Elternhauses wohnende Studierende um 20 Euro auf 380 Euro angehoben. Vorausgegangen war ein Kabinettsbeschluss, der durch besagte „Formulierungshilfe“ die bisherigen Planungen in Teilen über den Haufen wirft. Monatelang hatte sich die FDP gegen Begehrlichkeiten seitens der SPD und Grünen-Fraktion gestemmt, bei den zuletzt zum Herbst 2022 in ähnlicher Größenordnung aufgestockten Regelsätzen nachzubessern. Die damalige Anpassung war praktisch schon am Tag des Inkrafttretens von der Teuerung aufgefressen, und mit jedem weiteren Monat verloren die Bezüge weiter an Wert. Umso größer war der Unmut bei Studierenden-, Hochschul- und Sozialverbänden, bei Gewerkschaften sowie der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) darüber, dass die Ministerin eine bitter nötige Zugabe verweigern will.

Sandkastenspiele

Zunächst sah es sogar so aus, als wollte sich Stark-Watzinger eine Reform gleich ganz verkneifen. Dazu passend sah ihr erster Etatentwurf für 2024 eine massive Kürzung der BAföG-Mittel um 25 Prozent vor. Auf dieser Basis wäre die von ihr schon 2022 angekündigte „große Strukturreform“ ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Erst auf Druck von SPD und Grünen rang sich im November der Haushaltsausschuss des Bundestags zu einer „Kürzung der Kürzung“ durch und bewilligte 150 Millionen Euro mehr. Allerdings wollte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) den Spielraum nicht ausschöpfen und lediglich 62 Millionen Euro für das laufende Jahr nutzen. Entsprechend kleinteilig geriet ihr zu Jahresanfang präsentierter Referentenentwurf. Der enthielt durchaus sinnvolle Ansätze in Richtung mehr Flexibilität beim Studieren, dazu höhere Elternfreibeträge und Zuverdienstgrenzen sowie eine Studienstarthilfe von 1.000 Euro für besonders bedürftige junge Menschen.

Aber das Entscheidende fehlte eben: ein kräftiger Aufschlag bei den Bedarfssätzen nach inzwischen weit über zwei Jahren Rekordinflation. Die Begründung seitens des BMBF wirkte wenig überzeugend: Besagte 150 Millionen Euro könnten nicht auf einen Schlag im Jahr 2024 verausgabt werden, sondern müssten auch für die „folgenden Vollwirkungsjahre“ genügen, hieß es. Die Kritiker bei SPD und Grünen erwarteten dagegen in Zukunft weitere und schon in der Vergangenheit nicht unübliche „Umschichtungen“ im Haushalt zugunsten einer Priorisierung des BAföG. Bis zuletzt wirkte das Beharren der Ministerin wie das einer trotzigen Göre, die ihre Kuchenform im Sandkasten nicht herausrücken will. Obwohl der Haushaltsausschuss des Bundestages schon im vergangenen November eine Mittelsperre für den Fall einer ausbleibenden BAföG-Erhöhung verhängt hatte, gab sie nicht klein bei – zumindest wirkte es nach außen so.

Friede, Freude, Eierkuchen

Nun also das Einlenken und Friede, Freude, Eierkuchen. In einer gemeinsamen Erklärung lobhudeln sich die Fraktionen von FDP, SPD und Grünen für das Erreichte. „Das sind sehr positive Nachrichten, von denen die Studierenden in unserem Land spürbar profitieren werden.“ Dazu gehörten auch die Anhebung der Elternfreibeträge um 5,25 Prozent (geplant waren fünf Prozent) sowie der Beschluss, „die Schuldenlast bei der BAföG-Rückzahlung nicht weiter ansteigen zu lassen“. BAföG wird zur Hälfte als Darlehen bewilligt. Stark-Watzinger wollte sogar die Höchstgrenze an Verbindlichkeiten von rund 10.000 Euro auf 11.550 Euro und die monatliche Rückzahlungsrate von 130 Euro auf 150 Euro erhöhen. Auch dafür handelte sie sich praktisch einhelliges Unverständnis ein. Nun bleibt es bei der alten Regel, während die Gewerkschaften und die Partei Die Linke seit Langem die Umstellung auf einen Vollzuschuss anmahnen. Schließlich ist das BAföG die einzige Sozialleistung, die in Teilen zurückzuerstatten ist.

Dazu kommt eine weitere Besonderheit: Während etwa das Bürgergeld, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oder der Mindestlohn regelmäßig (wenn auch unzulänglich) an die allgemeine Lohn- und Preisentwicklung angepasst werden, wird das BAföG wie ein Obolus nach Kassenlage gehandelt und unterliegt komplett politischer Willkür. In der Vergangenheit gab es immer wieder Phasen von drei, vier oder gar sechs Jahren, in denen die Fördersummen komplett eingefroren waren (vgl. dazu den NachDenkSeiten-Beitrag: „Kaputt erneuert. Vom BAföG steht nach einem halben Jahrhundert nicht einmal mehr die Hälfte“). Weil das Versäumte nie in Gänze aufgeholt wurde, geriet das Instrument immer weiter ins Hintertreffen und ist dem Anspruch einer auskömmlichen Studienfinanzierung immer weiter entrückt. Heute beziehen unter zwölf Prozent aller Hochschüler in Deutschland staatliche Ausbildungshilfe, während es vor zwölf Jahren noch knapp 19 Prozent waren und Anfang der 1970er-Jahre fast 45 Prozent. Hauptursache für den Schwund: Die Mittel decken nicht annähernd den Bedarf, immer weniger wollen sich deshalb das aufwändige Antragsprozedere sowie den Verschuldungsdruck zumuten.

Reicht nicht zum Leben

Daran wird sich auch mit dem Durchbruch vom Mittwoch nichts oder kaum etwas ändern. Eine „Trendumkehr“ bei den Gefördertenzahlen hat sich in den zurückliegenden 20 Jahren noch jede Regierungskoalition auf die Fahnen geschrieben. Dann wurde jedes Mal gekleckert und die Zahlen stürzten weiter ab. Alles wie gehabt: „Angemessen wäre eine mindestens dreimal so hohe Aufstockung“, heißt es zum Beispiel von den Hochschulgruppen der Jusos. Die Erhöhung falle „viel zu gering aus“, moniert die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) lässt verlauten: „Trotzdem reicht das BAföG noch nicht zum Leben.“

So viel ist sicher: Das soll es auch nicht. Denn wer wollte die dann wegfallenden „Fachkräfte“ beim Kellnern in der Gastrobranche ersetzen? Und vor allem: Wer wollte das bezahlen in Zeitenwendezeiten, wo das Geld nur noch fürs Militär locker sitzt? Es lässt sich diskutieren, ob das BAföG wie jede andere Sozialleistung zu betrachten ist, die in existenziellen Notlagen greift. In der Regel ist ein Studium Sprungbrett zu einem gut bezahlten Job und Garant für künftige soziale Sicherheit. Nur werden die Chancen, ein Studium erfolgreich zu absolvieren, nicht dadurch besser, permanent in finanziellen Nöten zu stecken. Dass fast ein Drittel die Hochschulen ohne Abschluss verlässt, hat ohne Frage auch mit der verbreitet prekären Lage unter Studierenden zu tun.

Besser im Hotel Mama

Aus Anlass der Anhörung im Bundestag hat am Mittwoch der Paritätische Wohlfahrtsverband eine Kurzexpertise vorgelegt, die ein erschreckendes Ausmaß an Not offenbart. Fast 36 Prozent aller Studierenden in Deutschland leben demnach in Armut und müssen sich mit weniger als 60 Prozent des allgemeinen Durchschnittseinkommens durchschlagen. Verglichen mit der Armutsquote der Gesamtbevölkerung ist die unter Studierenden damit zweieinhalbmal so hoch. 37 Prozent müssen laut Sozialerhebung des Deutschen Studierendenwerks (DSW) mit weniger als 800 Euro im Monat auskommen. Mehr als 25 Prozent haben unter 700 Euro, über ein Fünftel unter 600 Euro, 16 Prozent unter 500 Euro und 10,6 Prozent weniger als 400 Euro zum Leben. Und die Daten stammen aus dem Jahr 2021 und dürften längst überholt sein.

Sehr schlecht stehen vor allem jene da, die allein oder in einer Wohngemeinschaft leben. Von ihnen gelten laut Studie des Paritätischen 80 Prozent als armutsgefährdet. Ursache sind die horrend hohen Mieten in der Mehrzahl der Hochschulstädte, angeführt vom Spitzenreiter München mit im Mittel 760 Euro für ein WG-Zimmer. Eine auf 380 Euro hochgestufte BAföG-Wohnpauschale deckt die realen Kosten in der Isarmetropole gerade einmal zur Hälfte. Im bundesweiten Schnitt liegen die Preise gegenwärtig bei 479 Euro für einen WG-Platz.

Zum Vergessen

Experten plädieren dafür, den Mietzuschuss nach der jeweiligen Marktlage vor Ort zu bemessen. Nicht mit dieser Regierung! Genau so wenig macht die Ampel Anstalten, die BAföG-Leistungen mit einem Automatismus an die Lohn- und Preisentwicklung anzugleichen. Auch das ist eine Forderung ihrer Kritiker und war vor nicht allzu langer Zeit sogar ein Ansinnen von Stark-Watzinger. O-Ton: „Wir entscheiden nicht nach Kassenlage über die nächste BAföG-Anhebung, sondern es wird einen regelmäßigen Prozess geben.“

Leider vergessen – wie so vieles, was soziale Verantwortung gebietet. Dazu noch das: Die Bundesregierung definiert das Bürgergeld als soziokulturelles Existenzminimum. Die Zuwendung beträgt derzeit 563 Euro, womit schwerlich über die Runden zu kommen ist, und wurde zu Jahresanfang um 61 Euro erhöht. Was steht BAföG-Empfängern als Regelhöchstsatz zu? Aktuell 452 Euro, demnächst 475 Euro. Das wären 23 Euro mehr. Danke, liebe Ampel.

Titelbild: Maren Winter/shutterstock.com