„Im Ernstfall brauchen wir wehrhafte junge Männer und Frauen, die dieses Land verteidigen können. Wir müssen durchhaltefähig und aufwuchsfähig sein (…). Wir brauchen Hauptwaffensysteme, Luftverteidigungssysteme, Munition (…).“ Mit diesen Worten ist Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am Mittwoch im Bundestag an die Parlamentarier und die deutsche Öffentlichkeit herangetreten. Er sagt auch: „Wir müssen bis 2029 kriegstüchtig sein.“ Pistorius lieferte unter Beifall eine Rede ab, die zeigt: Es stinkt nach Militarismus in der Mitte des Parlaments. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.
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Für Aussagen wie diese wäre ein deutscher Politiker vor noch nicht allzu langer Zeit vom Hof gejagt worden. Heute kann ein Politiker im Bundestag davon sprechen, dass „wir“ unbedingt „wehrhafte junge Männer und Frauen“ brauchen oder dass „wir“ in vier Jahren „kriegstüchtig“ sein müssten.
Pistorius – man merkt es ihm an – gefällt sich in der Rolle des „Verteidigungsministers“. „Hauptwaffensysteme“, „Luftverteidigungssysteme“, „Munition“ – er ist der Mann, der nun all das und noch mehr mit der vollen Rückendeckung der vorherrschenden Politik fordern darf. Er spricht von Kriegsinstrumenten auf eine so leichtfertige Weise, als wäre ihm nicht im Ansatz bewusst, was Begriffe wie „Munition“ und „Hauptwaffensysteme“ bedeuten.
In der Welt der Sitzstrategen sind diese Begriffe getragen von durchweg positiv gezeichneten Bildern. In diesen Bildern spiegeln sich „Stärke“, „Durchsetzungsfähigkeit“, „Wehrhaftigkeit“ wider. Und so trägt Pistorius seine Parolen vor, so tritt er auf – als einer, der mit Aufrüstung zu glauben scheint, seinem Land etwas „Gutes“ tun zu können. Doch das ist ein Bruch mit der Realität. Die Geschichte zeigt: Hauptwaffensysteme, Munition und Panzer bringen den Tod. Schon mancher Kriegsherr, ob Diktator oder „Demokrat“, musste erleben, wie Kopfbilder von Stärke und Wehrhaftigkeit in der Realität vom Blut der auf dem Schlachtfeld zerfetzten Landessöhne weggespült wurden.
Pistorius redet wie einer, der in Geschichte gefehlt hat. Er tritt auf wie einer, der die Schrecken des Krieges nicht einmal im Ansatz erfasst hat. Er spricht wie einer, der nicht versteht: „wehrfähige junge Männer und Frauen“ zu brauchen, „die unser Land verteidigen“, heißt nichts anderes, als 18-, 19-, 20-Jährige in den Tod zu schicken.
Gegen was und gegen wen will Pistorius aufrüsten? Gegen ein Phantom! Anzunehmen, dass Russland bis nach Berlin marschieren will, um vielleicht gar den Verteidigungsminister in den Gulag zu stecken, ist an Absurdität nicht zu überbieten. Doch selbst unter der Annahme, es gäbe einen realen Gegner, es gäbe eine reale Bedrohung: Selbst dann müsste man Pistorius ein Verhalten vorwerfen, das einem diplomatischen Totalschaden gleichkommt.
Gäbe es tatsächlich einen äußeren Feind: Müssten verantwortungsbewusste Politiker die Diplomatie nicht allem voranstellen? Genau das ist aber nicht der Fall. „Lieber 100 Stunden umsonst verhandeln als eine Minute schießen“, sagte der Sozialdemokrat Helmut Schmidt. Das hat der Maßstab eines Politikers zu sein, der sein Land vor dem Grauen des Krieges bewahren will. Zum Verhandeln braucht es keine Munition, es braucht Verstand!
Hat Pistorius etwa nicht vor Augen, was gerade mit der Ukraine passiert? Er sieht es, ja, er muss es sehen – und handelt doch wie ein Blinder! Wäre es – im Sinne des Friedens – nicht besser gewesen, vor dem russischen Angriff irgendwie doch noch einen Kompromiss auszuhandeln? Auch wenn er vielleicht schmerzhaft gewesen wäre? Jetzt sind Hunderttausende junge ukrainische Männer und Frauen tot, verstümmelt und schwer traumatisiert.
Das Auftreten Pistorius‘ wie auch seine Worte lassen erahnen, wohin deutsche Politiker die Söhne und Töchter dieses Landes offensichtlich bereit sind zu führen: in den Kriegstod. Und deshalb, weil wir gerade auch an der Ukraine live und Farbe sehen können, was passiert, wenn Politik und Diplomatie scheitern, ist dieses Gerede von einem „Wir müssen kriegstüchtig werden“ politisch unverantwortlich und strategisch abgrundtief dumm.
Wozu soll ein hoch aufgerüstetes Deutschland führen? Was ist der Sinn und Zweck von NATO-Staaten, die durch ihre Aufrüstung für Russland immer bedrohlicher wirken werden? Wir sprechen hier von einer Atommacht und nicht von einer Bananenrepublik.
Pistorius und Co. scheinen nicht einmal zu merken, wie sie über ihre eigene Propaganda stolpern. Der SPD-Politiker sagte auch: „Wir müssen Abschreckung leisten, um zu verhindern, dass es zum Äußersten kommt.“ Der Logikbruch liegt offen zutage: Wollte Putin tatsächlich Krieg mit der NATO, warum sollte die Atommacht Russland warten, bis Deutschland aufgerüstet hat? Zu dieser Stunde könnten die entsprechenden Knöpfe gedrückt werden, und Deutschland wäre Geschichte. Doch Russland – wie zu sehen ist – will das nicht.
Titelbild: Screencap ARD Tagesschau