In Nikki Haleys Parallelwelt findet sich für alles eine Erklärung. Für sie ist es beispielsweise ausgemacht, dass hinter dem Hamas-Angriff auf israelische Siedlungen am 7. Oktober letzten Jahres nicht nur Iran, sondern auch China und Russland stecken, so Haley in einem Interview mit Israel HaYom. Israel solle in Gaza nun („Finish them!“) ohne Rücksicht auf Verluste durchgreifen und sich nicht um das Völkerrecht oder internationale Proteste kümmern. Aussagen wie diese, so bizarr sie sind, könnte man ja als wahnhafte Verschwörungstheorien abtun, wie man sie zuhauf auf X, Facebook und Co. findet. Doch Nikki Haley ist nicht irgendwer. Haley war US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, unterlag Donald Trump als letzte verbliebene Gegnerin in den republikanischen Vorwahlen und es gilt als ausgemacht, dass sie in der vielleicht kommenden Trump-Regierung eine Schlüsselposition einnehmen wird – vielleicht sogar als Vizepräsidentin. Spätestens an dieser Stelle und mit Blick auf Trumps Alter bleibt einem dann das Lachen doch im Halse stecken. Von Jens Berger.
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Der SPIEGEL beschrieb Nikki Haley während der Vorwahlen der Republikaner als „eine Art jüngere, seriösere Alternative [zu Trump], als eine konservative Kandidatin jenseits von Trumps Narzissmus und gefährlichen antidemokratischen Impulsen“. Das ist insofern überraschend, da man schon einige geistige Verrenkungen unternehmen muss, um Haley als „seriös“ zu beschreiben, und selbst das Label „konservativ“ ist mehr als schmeichelhaft. Ginge es nicht gegen Trump und wäre der Maßstab nicht die in Teilen nur noch als „irre“ zu bezeichnenden Republikaner, würde man Haley wohl am ehesten als „reaktionär“ und „durchgeknallt“ bezeichnen. Sie war immerhin die Kandidatin des ehemals als „Tea Party Bewegung“ bezeichneten Parteiflügels und ihr Wahlkampf wurde auch ganz maßgeblich von dem Finanzier der Tea Party, Charles Koch, dem letzten verbliebenen „Koch-Bruder“, bezahlt. Aber nicht nur das. Haley war auch die Kandidatin der Israel-Lobby und gilt als sehr enge Verbündete Netanjahus und Vertraute von Politikern, die in der äußerst rechten israelischen Regierung noch weiter rechts als der Premier stehen.
Mit diesem Wissen im Hinterkopf ist es sicherlich nicht überraschend, dass Haley bei ihrem jüngsten Israel-Besuch proisraelische Töne anschlug. Verstörend ist jedoch, was sie dort sagte. Zum einen ist dies die Umdeutung des Krieges in Gaza in einen Krieg gegen die „Lieblingsfeinde“ der USA – Iran, Russland und China. Diese drei Staaten stecken nämlich, so Haley, hinter dem Angriff der Hamas. Diese Aussage ist – drücken wir es mal freundlich aus – überraschend. Woher bezieht Haley diese Informationen? Dazu Haley wörtlich: „Ich glaube, dass wir das wissen“. Nun denn.
Was „glauben“ wir denn genau zu „wissen“? Iran habe den Angriff „orchestriert“. Dass die Hamas gute Beziehungen zum Iran hat, ist Fakt. Eine „Orchestrierung“ der Angriffe konnte bislang jedoch weder von den Israelis noch den Amerikanern belegt werden. Aber lassen wir das, interessanter sind ja die Vorwürfe gegen Russland und China.
„Ich denke, wir wissen, dass der russische Geheimdienst den Iran und die Hamas bei ihren Taten unterstützt hat. Und ich denke, es ist sehr wichtig, dass die Menschen das wissen, dass Russland versucht, auf beiden Seiten des Zauns zu spielen, aber sie können nicht auf beiden Seiten des Zauns spielen. Der russische Geheimdienst wurde benutzt, um von israelischen Stützpunkten zu erfahren, um zu erfahren, was passiert ist, all diese Dinge, sie müssen für ihre Rolle in dieser Sache zur Rechenschaft gezogen werden, sie können es leugnen, so viel sie wollen. Aber der russische Geheimdienst war daran beteiligt.“
Von einer wie auch immer gearteten angeblichen Unterstützung russischer Dienste für die Hamas „weiß“ jedoch anscheinend nur Nikki Haley etwas. Die russische Botschaft in Israel kommentierte diese Aussagen dann auch mit der wohl nötigen Prise Humor und Sarkasmus.
„Es wäre überraschend, wenn der Besuch der amerikanischen Politikerin und ehemaligen Diplomatin Nikki Haley in Israel stattfinden würde, ohne dass sie Russland erwähnt hätte. In einem Interview mit @IsraelHayomHeb, das am 28. Mai veröffentlicht wurde, beschloss Frau Haley, die für ihre langjährige „Liebe“ zu unserem Land bekannt ist, der israelischen Öffentlichkeit eine „Version“ in den Kopf zu hämmern, die sie im Geiste von Verschwörungstheorien über die imaginäre „Beteiligung“ Russlands an der Organisation des Terroranschlags auf Israel am 7. Oktober 2023 erfunden hat.
Beweise? Bitte sehr: „Ich glaube, dass wir es wissen …(!).“ Ein würdiger Beitrag zur „Höchstwahrscheinlich“-Methode der Beweisführung, die ebenfalls von einer anderen bekannten Dame erfunden wurde. Ehrlich gesagt sind Nikki Haleys Argumente nicht mehr ganz neu, und sie hat bereits im letzten Jahr versucht, sie zu verbreiten. Wieder einmal verbreitet eine amerikanische Politikerin lächerliche, eklatante und unverhohlene Lügen, für die es absolut keine Beweise gibt. Das ist eine Fälschung.
Der Standpunkt Russlands zur Tragödie vom 7. Oktober ist auf allen Ebenen wiederholt dargelegt worden.“
Und wie kommt Haley auf China? Nun, da China bekanntlich ein Kunde für iranisches Erdöl sei, habe China, so Haley, den Angriff der Hamas finanziert. Welch feinsinnige Logik. Wahrscheinlich sollten die Regierungen des Iraks, der Türkei, der Arabischen Emirate und Indiens nun auch auf Tauchstation gehen, sind sie doch hinter China die wichtigsten Handelspartner des Landes. Danach taucht übrigens niemand anderes als Deutschland in der Liste der wichtigsten Handelspartner auf. Warten wir also ab, bis Haley auch noch Olaf Scholz als Hamas-Unterstützer ausmacht.
Diese Äußerungen sind jedoch nicht die einzige Unglaublichkeit, die Nikki Haley in Israel von sich gelassen hat. Auf die Frage hin, ob auch den USA ein Angriff der Hamas drohe, fuhr Haley eine gänzlich absurde Rhetorik auf: Natürlich seien auch die USA gefährdet. Schließlich habe man ja vollkommen ungesicherte Außengrenzen. Dies sei für die Hamas bzw. Iran/Russland/China eine Einladung, auch in den USA Anschläge wie die vom 7. Oktober in den USA durchzuführen. Nun gut, dass es Trainingslager oder Stützpunkte der Hamas in Mexiko oder Kanada gäbe, wäre zumindest mir neu. Aber sicher glaubt Haley da etwas Anderes zu wissen. Und dass die Grenze von Israel zu Gaza eine der am drakonischsten gesicherten Grenzen der Welt ist, sollte eigentlich auch Frau Haley wissen. Trump wollte bekanntlich eine Mauer an der mexikanischen Grenze bauen, die die Mexikaner bezahlen sollten. Was will Nikki Haley? Eine Grenzsicherung im Stile der innerdeutschen Grenze während des Kalten Krieges? Oder eine demilitarisierte Zone nach dem Vorbild der innerkoreanischen Grenze? Man weiß es nicht.
Dass Haley die Position vertritt, Israel solle in Gaza frei schalten und walten können und sich dabei weder von anderen Staaten noch vom Völkerrecht etwas sagen lassen, ist zwar nicht überraschend, aber zumindest denkwürdig, wenn man sich vor Augen hält, dass diese Frau als UN-Botschafterin der USA mal sowas wie eine Diplomatin war. Genau das ist ja auch das eigentliche Problem. Aussagen wie die von Haley sind an sich nicht so ungewöhnlich. Man hört sie – nicht nur – in den USA häufiger – meist von durchgeknallten Kommentatoren auf Fox News oder mindestens genauso durchgeknallten Hinterbänklern aus dem Dunstkreis der Tea Party und manchmal auch von NeoCons, die mittlerweile die Demokraten unterwandert haben. Angst macht einem jedoch, dass Haley nicht nur durchgeknallt ist, sondern auch in der wahrscheinlich im nächsten Jahr kommenden Trump-Regierung für einen hohen Posten im Gespräch ist.
Trump selbst hat zwar ausgeschlossen, dass Nikki Haley sein „running mate“ (ist das korrekt gegendert?) für die kommenden Wahlen sein wird. Aber darauf sollte man nicht viel geben. Nachdem seine designierte Kandidatin für diesen Posten, Kristi Noem, die ebenfalls vollkommen durchgeknallte Gouverneurin von South Dakota, ihre Chancen dadurch minimiert hat, dass sie offenbar gerne Welpen erschießt, was auch in den USA anders als das Bombardieren von Kindern in Gaza ein „No Go“ für einen Politiker ist, bleibt nicht mehr viel übrig. Und die Koch-Gelder von Haley würde Trump sicher gerne für seinen Wahlkampf gegen Biden mitnehmen.
Zwar erfreut sich Trump bester Gesundheit, aber bei einem 77-jährigen Kandidaten spielt die Auswahl des designierten Vizepräsidenten nun mal eine besondere Rolle, da aus biologischen Gründen zumindest die Wahrscheinlichkeit ja durchaus gegeben ist, dass es während der Amtszeit zu einem Wechsel kommt. Trump mag als berechenbar unberechenbar gelten, hat sich während seiner ersten Amtszeit aber zumindest außen- und sicherheitspolitisch aber nicht als verrückter erwiesen als seine Amtsvorgänger und sein Nachfolger Biden. Haley könnte man jedoch – wenn diese Aussagen nicht nur gespielt und taktisch sind – durchaus unterstellen, tatsächlich verrückt zu sein. Eine mögliche Präsidentin, die nichts dabei findet, israelische Bomben mit einem „Finish them!“ zu signieren, am roten Knopf zu sehen, ist eine äußerst verstörende Vorstellung. Wenn uns gerade Außerirdische beobachten, werden sie sicher angewidert mit den Augen – oder was sie sonst als Sinnesorgane haben – rollen und sich beschämt von diesen Planeten abwenden.
Titelbild: X – omarsuleiman504