Mit „Hurra“ in die Selbstzerstörung – NATO eskaliert massiv und deutsche Medien ziehen mit

Mit „Hurra“ in die Selbstzerstörung – NATO eskaliert massiv und deutsche Medien ziehen mit

Mit „Hurra“ in die Selbstzerstörung – NATO eskaliert massiv und deutsche Medien ziehen mit

Tobias Riegel
Ein Artikel von: Tobias Riegel

Die NATO hat ihre Mitgliedstaaten gerade aufgerufen, der Ukraine den Einsatz westlicher Waffen gegen Militärziele in Russland zu gestatten – eine weitere schwere Eskalation in einem sinnlosen Krieg, der hätte verhindert werden können. Zusätzlich steigt jetzt wegen aktueller Angriffe auf russische Radarstationen die Gefahr eines Atomkriegs „aus Versehen“. Und die deutschen Journalisten? Als gäbe es kein Morgen, stützen viele von ihnen die Kräfte, die uns ohne Not einem geradezu wahnwitzigen Risiko aussetzen. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Wenn es nach Stimmen in der NATO geht, dann wird der Ukrainekrieg nun endgültig zum globalen Stellvertreterkrieg und zum potenziellen Weltenbrand ausgeweitet werden: Die NATO hat ihre Mitgliedstaaten aufgerufen, der Ukraine den Einsatz westlicher Waffen gegen Militärziele in Russland zu gestatten, wie Medien berichten. Demnach hat die „Parlamentarische Versammlung“ (PV) der NATO am Montag bei einer Frühjahrstagung in der bulgarischen Hauptstadt Sofia eine entsprechende Erklärung mit dem Motto „Der Ukraine bis zum Sieg beistehen“ verabschiedet. Die Zeit sei gekommen, einige Einschränkungen für den Einsatz der bereitgestellten Waffen aufzuheben, sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg.

Widerspruch ist kaum zu vernehmen. Es gibt (immerhin) die bekannten „zögerlichen“ Signale aus der SPD – doch wie glaubhaft sind die noch nach den vielen, auch von Sozialdemokraten überschrittenen „Roten Linien“ und vollzogenen „Zeitenwenden“?

Wie hoch die reale Gefahr für einen „bewussten“ Atomkrieg liegt, ist schwer zu sagen – fest steht: Je schlechter es für Russland militärisch im Ukrainekrieg laufen sollte (etwa nach offiziellem NATO-Eintritt) und je mehr es sich in die Ecke gedrängt fühlt, desto stärker werden inner-russische Kräfte, die mit einem Atomschlag antworten wollen. Einen solchen Atomschlag aus Russland kann man dann (zu Recht) moralisch verdammen – aber die katastrophalen Folgen für die Menschen werden dann unwiderruflich eingetreten sein. Darum muss diese Situation un-be-dingt verhindert werden. Wer die Zuspitzung weiter vorantreibt und auch wer die sehr begründete Angst vor einem ausgeweiteten (auch „konventionellen“) Krieg lächerlich macht, handelt in meinen Augen schwer verantwortungslos.

Atomkrieg „aus Versehen“?

Auch die Gefahr eines Atomkriegs „aus Versehen“ steigt massiv, weil die Propaganda so hochkocht, dass kleine Missverständnisse zu Überreaktionen führen können. Die Gefahr steigt auch massiv durch Aktionen wie dem aktuellen Beschuss russischer Frühwarnsysteme gegen Atomangriffe, mutmaßlich durch von US-Seite angeleitete Ukrainer, über die Medien berichten. Demnach wurde gerade bei einem Drohnenangriff ein Radar des russischen Frühwarnsystems für anfliegende Atomraketen beschädigt.

Der Angriff wurde laut Berichten mit einer ukrainischen Drohne durchgeführt. Thord Are Iversen, ein norwegischer Militärexperte, äußerte sich auf X zu dem Vorfall. Er stützt zwar offensichtlich die scharf abzulehnende Strategie, russische Ziele in Russland anzugreifen. Aber selbst er schrieb, dass es in Zeiten internationaler Spannungen keine gute Idee sei, solche Einrichtungen anzugreifen. In einer zweifelhaften Formulierung kommt er zu diesem Ergebnis: „Es gibt haufenweise Ziele in Russland, die man mit Drohnen angreifen kann. Und es gibt eine Handvoll Ziele, die man vermeidet, und dies gehört dazu.“

Der Vorfall mit dem Radar (weitere Infos finden sich hier) macht nicht nur die massiv steigende Gefahr deutlich, sondern zeigt auch die skrupellose Entschlossenheit von manchen Akteuren in ihrem Bestreben, einen Regionalkonflikt global auszuweiten.

Mit „Hurra“ in die Selbstzerstörung?

Schreitet irgendjemand in der deutschen Presselandschaft ein, gegen die potenzielle Selbstzerstörung, die bei einer solchen Ausweitung auch uns und unsere Kinder treffen würde? Nein – im Gegenteil: Viele Journalisten großer und mittlerer Medien stützen voll diesen Kurs, als gäbe es kein Morgen (ich habe in etablierten deutschen Medien keine kritischen Stimmen zu der aktuellen Entwicklung gefunden, aber wenn es solche geben sollte, wäre ich für Hinweise dankbar). Hier folgen einige beispielhafte Stimmen. Die taz meint, die Gefahr des Weltkriegs sei nicht ernst zu nehmen – bringt sie damit nicht auch die NATO-Drohkulisse eines gefährlichen und „nach der Ukraine einfach weitermachenden“ Russlands zum Einsturz? Jedenfalls wird in der Zeitung behauptet:

Die westliche Zurückhaltung erlaubt Moskau, Ängste zu schüren. Ein Einsatz westlicher Waffen gegen russisches Gebiet würde einen dritten Weltkrieg bedeuten, heißt es. Wäre das ernst zu nehmen, würde es auch für ukrainische Angriffe auf der Krim und im Donbass gelten, die Russland als sein Staatsgebiet betrachtet. Tut es aber nicht. Russland weiß nämlich ganz genau: Bei einem ernsthaften Militärschlag auf seine gesamten Angriffskapazitäten wäre der Krieg in der Ukraine im Handumdrehen vorbei, und zwar mit einer russischen Niederlage. Das wissen auch Joe Biden und Olaf Scholz. Ihr Zögern zieht den Krieg in die Länge.“

Die Lausitzer Rundschau fordert, russische Flugzeuge „am Abheben zu hindern“:

Teilweise werfen die Russen Gleitbomben noch über ihrem Territorium ab. Die ukrainische Zivilbevölkerung vor diesen zu schützen, das ginge also nur, wenn die russischen Flugzeuge überhaupt am Abheben gehindert würden – und das geht eben nur mit dem Einsatz der gelieferten Waffen hinter der ukrainischen Grenze.“

Die Leipziger Volkszeitung findet es „vernünftig“, russische Flugzeuge in Russland „abzuwehren“:

Um den Krieg nicht zu verlieren, braucht die Ukraine dringend jede Hilfe, die der Westen bieten kann. Dazu gehört auch die Erlaubnis, westliche Waffen gegen militärische Ziele in Russland einzusetzen. Das ist das gute Recht der Ukraine als angegriffener Staat. Die jüngste Forderung des Grünen-Bundestagsabgeordneten Anton Hofreiter, diese Einschränkung aufzuheben, und etwa die Abwehr russischer Kampfjets schon im russischen Luftraum zu gestatten, ist deshalb vernünftig.

Wer A sagt, muss nicht B sagen – Er kann auch erkennen, dass A falsch war“

Zur Erinnerung – das letzte verbliebene „Argument“ für das geradezu wahnwitzige Risiko, in das uns viele Politiker und Journalisten aktuell führen, lautet: „Wenn Putin in der Ukraine nicht verliert, dann macht er einfach weiter.“ Diese Behauptung wird nicht weiter mit Fakten unterfüttert. Wenn man aber etwa die russischen Rüstungsausgaben den gemeinsamen Rüstungsausgaben der NATO-Länder gegenübergestellt, dann erscheint ein russischer Angriff auf NATO-Territorium angesichts dieses Kräfteverhältnisses als ein militärisches Himmelfahrtskommando für die Russen. Zur Vorgeschichte des Ukrainekriegs und dazu, dass er hätte verhindert werden können, haben die NachDenkSeiten zahlreiche Artikel geschrieben.

Zu einer Verständigung zwischen Russland und Resteuropa gibt es keine Alternative, Sicherheitsinteressen aller Seiten müssen respektiert werden, die Bestrebungen vor allem der USA, eine dauerhafte Feindschaft zwischen Deutschland und Russland zu installieren, muss scharf zurückgewiesen werden. Betonen möchte ich aber auch, dass von meiner Seite weder für eine naive „Unterwerfung“ Deutschlands unter Russlands Interessen plädiert wird, noch für einen harten Bruch mit den USA: Deutschland sollte und könnte eine Brücke sein und davon profitieren. Bei alldem ist auch die historische Verantwortung Deutschlands zu beachten, die aus den deutschen Verbrechen gegen die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg erwächst. Und natürlich die Verantwortung für die Zukunft unserer Kinder, die von Kriegslobbyisten momentan unglaublich leichtfertig aufs Spiel gesetzt wird.

Falls nun Politiker und Journalisten zögern, gegen die von Kriegslobbyisten täglich schneller eskalierte Entwicklung ihre Stimme zu erheben, weil sie sich in der Vergangenheit selber zu sehr in die kriegerische Meinungsmache verstrickt haben und bei einer Kurskorrektur den Gesichtsverlust fürchten: Diese Personen könnten sich an dieser Variation eines bekannten Zitats von Bertolt Brecht orientieren:

Wer A sagt (Unterstützung für die Ukraine), muss nicht B sagen (Eskalation zum Weltkrieg) – Er kann auch erkennen, dass A falsch war.

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Titelbild: Vectorium / Shutterstock