„Die Bundeswehr hat an Schulen grundsätzlich nichts zu suchen“

„Die Bundeswehr hat an Schulen grundsätzlich nichts zu suchen“

„Die Bundeswehr hat an Schulen grundsätzlich nichts zu suchen“

Ein Artikel von Marcus Klöckner

Die Reaktivierung der Wehrpflicht in Deutschland ist „ein weiterer Schritt zur zunehmenden Militarisierung der Gesellschaft.“ Das sagt Torsten Schleip, Co-Sprecher der Kooperation für den Frieden, ein Dachverband der Friedensbewegung. Schleip kritisiert, dass es auch in Sachen Wehrpflicht keine echte Diskussion gibt. SPD und CDU unterstützten sich gegenseitig und die Zustimmung des Bundestags sei „nur Formsache“. Schleip zweifelt auch daran, dass sich die Wehrpflicht überhaupt zügig umsetzen lässt – dafür fehle es an allem. Mit ihm hat Marcus Klöckner gesprochen.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Herr Schleip, gerade wird die Wiedereinführung der Wehrpflicht diskutiert.
Was halten Sie davon?

Ein weiterer Schritt zur zunehmenden Militarisierung der Gesellschaft. Es geht auch nicht um eine Wiedereinführung, da gäbe es größere gesetzliche Hürden. Die Wehrpflicht war ausgesetzt, also unterbrochen, und soll jetzt wieder reaktiviert werden. Da reicht dann eine einfache Mehrheit im Bundestag.

Was ist aus Ihrer Sicht problematisch?

Die Wehrpflicht wurde ja nicht aus purer Menschenfreundlichkeit ausgesetzt. Es gab die sogenannte Wehrungerechtigkeit. Wer von einer Einberufung betroffen war, wurde eher willkürlich entschieden. Dagegen wurden alle Zivildienstleistenden zum Ersatzdienst herangezogen. Gerade die für die Bundeswehr (BW) interessanten Personengruppen leisteten eher Zivildienst, damit wurde die BW zum Sammelbecken nationalistisch bis rechtsextrem Denkender. Die damals bekannt gewordenen Vorfälle waren sicher nur die Spitze des Eisbergs.

Weitere Gründe, die dagegen sprechen?

Schon jetzt fehlt es der Bundeswehr nach eigenen Angaben trotz ständig steigender Haushalte und „Sondervermögen“ an fast allem. Allein für die Grundausbildung von Wehrpflichtigen wären erhebliche Mittel erforderlich, die bei zurückgehenden Steuereinnahmen zu neuen Einsparungen in anderen Bereichen führen.

Wie nehmen Sie die Diskussion um die Wehrpflicht wahr? Kommen alle Positionen zu Wort? Gibt es Schieflagen?

Wie bei vielen drängenden Fragen der letzten Jahre gibt es überhaupt keine Diskussion. Der SPD-Kriegsminister entwickelt eine Idee, der CDU-Parteitag unterstützt aus voller Überzeugung, „Experten“ und Kommentatoren entdecken einvernehmlich ein letztes Mittel zur Rettung des Abendlandes. Die Zustimmung des Bundestags ist nur Formsache. Gegenläufige Argumente kommen in der öffentlichen Wahrnehmung nicht vor oder sie stammen von den üblichen vaterlandslosen Gesellen und Drückebergern.

Könnte der Staat denn überhaupt die Wiedereinführung der Wehrpflicht zügig umsetzen? Kreiswehrersatzämter gibt es keine mehr, die Strukturen fehlen.

Nach den bisherigen Erfahrungen mit diversen Bürokratieabbaumaßnahmen kann die Antwort nur Nein lauten. Für die Vorbereitung zur Auszahlung der Kindergrundsicherung sollen 5.000 neue Beamte gebraucht werden, da können wir uns allein den personellen Bedarf bei der Reaktivierung der Wehrpflicht vorstellen. Von Büros, Technik oder Mitarbeiterqualifizierung ganz zu schweigen. Das alles betrifft nur den Bereich der Bundeswehr. Auch die Strukturen der Ersatzdienstleistung müssen völlig neu aufgebaut werden. Sollten die angedachten Pläne einer allgemeinen Dienstpflicht umgesetzt werden, potenziert sich der Ressourcenbedarf.

Immer wieder berichten Medien von der Bundeswehr, die an Schulen geht und versucht, bei den Schülern Interesse an der Bundeswehr zu wecken. Was halten Sie davon?

Die Bundeswehr hat an Schulen grundsätzlich nichts zu suchen. Minderjährige sind keine Zielgruppe für Rekrutierungsmaßnahmen, auch wenn 2023 über 10 Prozent der eingestellten Soldatinnen und Soldaten unter 18 Jahre alt waren. Seit Jahren liefern Kampagnen wie „Schulfrei für die Bundeswehr“ oder „Unter 18 nie!“ Argumente für bessere Lösungen.

Wie sieht es mit den Schulen und den Lehrern aus? Werden die ihrer Verantwortung gerecht, wenn sie zulassen, dass die Bundeswehr an die Schulen kommt?

Durch Kooperationsvereinbarungen zwischen Bundeswehr und Kultusministerien wird in einigen Bundesländern dem Zugang von Jugendoffizieren Vorrang eingeräumt und damit die Handlungsmöglichkeiten der Lehrer beschränkt. Der Beutelsbacher Konsens ist zur Farce geworden. Für manche ist der Besuch der Bundeswehr willkommene Entlastung, für andere geduldetes Ärgernis. Nur wenige fragen alternative Angebote der Friedensbewegung nach.

Die Werbung der Bundeswehr präsentiert die „Truppe“ als etwas „Cooles“ mit Zukunftsperspektive für junge Leute. Gerade hat die Bundesentwicklungsministerin das „größte Prothesenzentrum der Ukraine“ eingeweiht. Soldat zu sein, kann also auch Schattenseiten mit sich bringen. Was würden Sie jungen Menschen sagen im Hinblick auf die „Perspektive“ Bundeswehr?

Ein Teil dieser „Perspektive“ sind eben auch Befehlszwang, posttraumatische Belastungsstörungen oder der Leichensack. Was von der Bundeswehr verschwiegen wird. Eine Abbrecherquote von über 20 Prozent zeigt deutlich, was von den Versprechungen des lustigen Soldatenlebens in der Realität zu halten ist. Und zwar ohne konkrete Erfahrungen von Auslandseinsätzen. Frage dich nicht, was du für den Staat tun kannst. Frage dich, was der Staat für dich tun kann.

Die ganze Diskussion um die Wiedereinführung der Wehrpflicht hat eine weitreichende politische Dimension. Würden Sie diese bitte für uns einordnen?

Auch diese Debatte ist nur ein Teil der Bestrebungen, in der Olaf’schen Wende der Zeiten das preußische Primat des Militärischen wieder stärker durchzusetzen. Ein weiteres Salamischeibchen zur Umstrukturierung einer Zivilgesellschaft.

Gerade hat Olaf Scholz bei einem Auftritt sich noch einmal sehr deutlich gegen Flugverbotszonen ausgesprochen. Er sagte: „Das ist etwas, wo wir dann alle direkt in dem Krieg beteiligt wären. Wir alle in Europa.“ Baerbock hingegen kritisierte aus der Ukraine ein „Zaudern und Zögern“ im Hinblick auf „Unterstützung“ für die Ukraine, ohne auf den Kanzler oder die Flugverbotszonen direkt Bezug zu nehmen. Wie sehen Sie das Verhältnis innerhalb der Regierung im Hinblick auf die Ukraine-Politik? Und: Was sind Ihre Gedanken zum Thema Flugverbotszone?

Von außen betrachtet ergibt sich eine Art Arbeitsteilung zur Abdeckung einer gewissen Bandbreite bei grundsätzlicher Übereinstimmung in Kernfragen: Olivgrün und FDP drängen nach vorn, die SPD bremst moderat ab. Und steht damit nicht nur in der Regierung, sondern auch in der medialen Debatte ziemlich allein da. Erinnert sei an Mützenichs Fragestellung nach Alternativen zur Kriegslogik in der Ukraine und an den folgenden Shitstorm auf fast allen Kanälen. Letztendlich ist die Sozialdemokratie in historischer Kontinuität scheinbar schweren Herzens noch immer umgeschwenkt, man soll die Hoffnung auf vernunftgeleitete Politik aber nicht aufgeben. Vielleicht ist dem Kanzler bewusst, dass die Einrichtung und noch mehr die Durchsetzung einer Flugverbotszone ein direktes Eingreifen von NATO-Militär erfordert und damit eine weitere Eskalation mit sich bringt. Und die eh schon geringe Hoffnung auf eine Verhandlungslösung noch weiter minimiert.

Immer wieder heißt es, Deutschland müsste „kriegstüchtig“ werden. Haben Sie dem etwas zu entgegnen?

Das gerade in diesen Tagen so vielgelobte Grundgesetz: Art. 1 Abs. (2): „Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“ Der Auftrag der Väter und Mütter des Grundgesetzes ist klar formuliert: Friedensbekenntnis statt Kriegstüchtigkeit. Militär und Krieg sind Gegensätze zu Menschenrechten und Frieden. Soldaten und Minister sollten mal lesen, worauf sie einen Eid ablegen. Noch besser, danach handeln.

Torsten Schleip, ist Co-Sprecher der Kooperation für den Frieden (ein Dachverband der Friedensbewegung), aktiv bei Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DfG-VK) und dem Friedenszentrum Leipzig.

Titelbild: Studio Romantic / Shutterstock

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