Wirtschaftsminister Robert Habeck hat sein radikales Vorgehen beim Heizungsgesetz gerade als einen „Test“ bezeichnet, „wie weit die Gesellschaft bereit ist, Klimaschutz – wenn er konkret wird – zu tragen“. Dieser „lockere“ Umgang mit den großen Sorgen, die grüne Schocktherapien bei zahlreichen Bürgern ausgelöst haben, ist aus zwei Gründen bemerkenswert: Zum einen wegen der politischen Kälte, die Habeck mit seinen Sätzen offenbart. Zum anderen fragt man sich, was jetzt Habecks im Nachhinein praktizierte „brutale Offenheit“ bewirken soll. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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Habeck hat die Sätze am Sonntag beim „Demokratiefest“ zum Jahrestag des Grundgesetzes gesagt. Wie Medien berichten, lautet das gesamte Zitat folgendermaßen:
„Die Debatte um das Gebäudeenergiegesetz, also wie heizen wir in Zukunft, war ja ehrlicherweise auch ein Test, wie weit die Gesellschaft bereit ist, Klimaschutz – wenn er konkret wird – zu tragen“, sagt er. „Und ich bin zu weit gegangen.“
Da fehlen einem erstmal die Worte, angesichts dieser „offenen“ Sätze vonseiten eines Ministers: Schließlich hat dieser eigentlich die Interessen eben jener Bürger zu vertreten, die er mit seiner versuchten Überrumpelung beim Heizungsgesetz „getestet“ hat. War die Äußerung ein Versehen? Ist Habeck diese Ehrlichkeit nur rausgerutscht? Wenn nicht, dann eröffnet das weitere Fragen danach, warum er nun mit den Sätzen eine weitere Schockwelle zu den Bürgern sendet – nämlich die der inakzeptablen Pose eines anscheinend unantastbaren Ministers, egal, was er „anrichtet“. Habeck wandelt mit den Sätzen auch auf den Spuren Jean-Claude Junckers, der einst laut Medien sagte:
„Jean-Claude Juncker ist ein pfiffiger Kopf. ‚Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert‘, verrät der Premier des kleinen Luxemburg über die Tricks, zu denen er die Staats- und Regierungschefs der EU in der Europapolitik ermuntert. ‚Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.‘“
„Brutale Offenheit“?
Die Praxis, im Nachhinein Dinge offen zuzugeben, die zwar allgemein angenommen wurden, die aber offiziell lange als wilde Spekulationen abgetan wurden, diese Praxis erinnert mich auch in gewisser Weise an Angela Merkels indirekte Deutung, dass die Verhandlungen zu Minsk ein Täuschungsmanöver waren, oder auch an die offenen Zitate von Ex-Bundespräsident Horst Köhler zu den Handelsrouten (Köhler trat dann zurück, heute schwer vorstellbar).
Merkel und Köhler beschrieben Dinge, bei denen viele Bürger wohl davon ausgingen, dass sie geschehen. Aber sie dann aus dem Mund der Handelnden bestätigt zu bekommen, ist schon etwas Anderes. Diese Art von „Ehrlichkeit“ ist auch nicht immer zu begrüßen: Bei Merkel und Minsk bedeutete ihr spätes „Eingeständnis“ eine weitere öffentliche Beleidigung für die russische Seite. Auch der unangemessen „lockere“ Umgang Habecks mit den Folgen der eigenen Politik wird gerade durch den offensiven Charakter der eigenen Formulierungen zu einer weiteren Beleidigung für viele Bürger.
„Tut mir leid, Jungs! War halt nur so ‘ne Idee von mir“
„Brutal ehrlich“ wird ohnehin nur zuzugeben, was unbestreitbar und ganz offen zutage liegt. Warum auch nicht? Schließlich hat die Bundesregierung bisher noch alle der eigenen, schockierenden Politikwechsel überstanden. Und Habeck ist auch mit „harten Wahrheiten“ bisher gut gefahren, man denke nur an seine (als Folge grüner Politik zutreffende) Prognose von 2022, dass „wir“ nun „ärmer werden“ würden. Dieser Satz illustriert gut einige aktuelle Verdrehungen, denn der Satz (und vor allem sein durch grüne Politik verwirklichter Inhalt) wurden Habeck und den Grünen bislang nicht zum Verhängnis. Im Gegenteil: So sprach die Frankfurter Rundschau damals von einem „stolzen Satz“ und drückt dann gut die Haltung vieler Journalisten aus, die die vorsätzliche Verarmung nicht als Folge einer falschen Politik interpretieren, sondern als einfach feststehender „Fakt“, den man jetzt eben akzeptieren müsse:
„Warum aber wurde diese apokalyptische Voraussage so teilnahmslos aufgenommen? Warum erdröhnte kein Geschimpfe und Gemaule, warum gab es keine Rufe nach Rücktritt oder wenigstens einen Shitstorm? Weil der Satz entwaffnend wahr ist. Weil selbst die hartnäckigsten Bild-Zeitung-Gläubigen insgeheim spüren, dass wir schon lange über unsere Verhältnisse leben und dass es jetzt mal genug ist mit dem süßen Sein auf Kosten anderer.“
Indirekt erinnert mich die „unbekümmerte“ Haltung Habecks auch an das prominente Cartoon, auf dem Karl Marx sagt: „Tut mir leid Jungs! War halt nur so’ne Idee von mir“. Ernster kommentiert der Staatsrechtler Volker Böhme-Neßler den Vorgang:
„Die Politik testet das Volk? Je länger man über diese Aussage nachdenkt, desto schlimmer wird sie… Was für ein Demokratieverständnis…“
Eine Lehre aus den Worten Habecks und Junckers wäre: Versuchen der dreisten politischen Überrumpelung muss von Bürgerseite wach und schnell entgegengetreten werden.
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Titelbild: Screencap Tagesschau