Ein Video geht seit gestern viral. Es zeigt junge wohlhabende Menschen, die in luxuriösem Ambiente zu Kirmes-Techno-Musik ausländerfeindliche Slogans grölen, den Hitlergruß imitieren und sich dabei prächtig amüsieren. Gedreht wurde das Video auf Sylt; genauer gesagt in der vermeintlichen Promi-Bar „Pony“, einer dieser Locations im Millionärsghetto Kampen, in die es Otto Normalverdiener nie verschlägt. Man ist unter sich. Nun ist die Aufregung groß. Alle Beteiligten und Nicht-Beteiligten zeigen sich demonstrativ empört. Ja, warum eigentlich? Dass Rechtsextremismus kein isoliertes Phänomen abgehängter Ossis auf dem Land ist, sollte doch eigentlich hinlänglich bekannt sein. Ein Kommentar von Jens Berger.
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Unglaubliche Entgleisungen auf #Sylt.
Wenn rechte Parolen oder gar Straftaten wie ein Hitlergruß (sic!) zur „Popkultur“ werden, läuft extrem viel falsch in unserem Land.
Wir müssen den #Rechtsrutsch ernst nehmen!#Brandmauer
— Johannes Wagner, MdB (@yooHannes) May 24, 2024
Deutschland hat ein seltsames Verhältnis zu seinen „Eliten“. Wobei man mit dem Begriff ja vorsichtig sein muss. Wenn hier von Eliten die Rede ist, geht es nicht um Leistungseliten, die sich ihren Platz in der Gesellschaft erkämpft haben. Die Rede ist vielmehr von den Reichen und Superreichen – den Milliardären und Millionären gehört rund die Hälfte des Landes, nur wenige von ihnen haben sich ihr Vermögen durch Leistung erarbeitet, meist handelt es sich um Erben. Geschaffen wurde die Grundlage der Vermögen vor vielen Generationen, oft in der Nazizeit. Ein nicht unerheblicher Teil unserer Superreichen lebt heute von den Geldern, die ihre Eltern oder Großeltern durch Arisierung oder die Ausbeutung von Zwangsarbeitern geschaffen oder zumindest gemehrt haben. In meinem am Montag erscheinenden neuen Buch „Wem gehört Deutschland?“ habe ich einige dieser Karrieren nachgezeichnet.
Dass Deutschlands Geldeliten ein irgendwie progressives Weltbild haben, ist eine Vorstellung, die ganz einfach nicht durch Fakten gedeckt ist und ehrlich gesagt scheint auch unser Bildungssystem versagt zu haben, wenn so viele Leute dies tatsächlich glauben. Deutschlands Geldeliten haben den Kaiser gestützt, jegliche liberalen, sozialdemokratischen oder gar sozialistischen Strömungen der Weimarer Republik bekämpft, Hitler an die Macht gebracht und in der Bonner Republik konservative, rechte, reaktionäre und teils auch rechtsextreme Parteien und Gruppierungen unterstützt. Dass heute ihre jüngeren Vertreter auf Sylt Naziliedgut zum Besten geben, kann man gerne als Farce sehen … überraschen sollte das einen aber nicht.
Ich bin eher überrascht, dass jetzt viele überrascht darüber sind, dass es nicht nur in den abgehängten Dörfern Sachsens oder Thüringens Nazis gibt, sondern auch im feinen Kampen. Nazis tragen nicht nur Springerstiefel und fahren mit dem Bus, sie tragen oft auch Summer Walks und fahren Porsche. Ist das wirklich neu? Oder liegt das eher daran, dass unser Elitenbild seltsam idealisierend und naiv ist?
Nein, wer vermögend ist, ist kein besserer, kein schlauerer und erst recht kein moralischerer Mensch. Oft ist eher das Gegenteil der Fall. Man könnte hier von Wohlstandsverwahrlosung sprechen. Wer im sozioökonomischen Inzest aufwächst und von Kind an eingebläut bekommt, er sei „etwas Besseres“, neigt ohne Korrektiv nun einmal zu Arroganz, Selbstüberhebung, Narzissmus und bisweilen auch Nazismus.
Aber morgen wird ja eh bereits die nächste Sau durchs Dorf getrieben. Der Papa von Elisa und Justus spendet einen fünfstelligen Betrag für irgendein Projekt, das sich den Kampf gegen Rechts in der ostdeutschen Provinz auf seine Fahnen geschrieben hat, und alle sind wieder zufrieden und glücklich. Nur nicht an den Grundfesten unserer Klassengesellschaft rütteln.
Ergänzung (16:30): Die Betreiber des „Pony“ haben offenbar im Fach „Krisenkommunikation“ aufgepasst und distanzieren sich auf Instagram scharf von ihren Gästen. „Hätten wir von diesem Vorfall gewusst“ … „Es gibt keinen Platz für Rassismus!!!“ Für die Medien ist die Sache damit erledigt. Glaubhaft ist diese Erklärung jedoch keinesfalls. Dass auch im „Pony“ Fremdenfeindlichkeit und rechtsextremes Gedankengut eher ein strukturelles Problem sind, das oben in der Hierarchie angesiedelt ist, zeigen Bewertungen, die Gäste auf Google und TripAdvisor hinterlassen haben.
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Titelbild: Screenshot X