„Was haben der Iran und Schweden gemeinsam?“ Beide Nationen führten ihre letzten Angriffskriege im 19. Jahrhundert. Während Schweden gemeinhin als friedliebende Nation anerkannt ist, wird der Iran in der internationalen Berichterstattung aber größtenteils als kriegstreibende Nation oder als Gefahr für den Weltfrieden gebrandmarkt, obwohl dafür – aus den genannten historischen Gründen – bisher kein Anlass bestand. Von Ramon Schack.
Die außenpolitische Identität des Iran ist defensiver Natur. Sicherlich, die Regierung in Teheran steht bei ihrer eigenen Bevölkerung nicht hoch im Kurs, innenpolitisch sind Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung, wie vor und nach der Islamischen Revolution von 1979, diesbezüglich verfügt Iran aber über kein Alleinstellungsmerkmal.
Was die Außenpolitik angeht, so war der Iran im Laufe seiner Geschichte gezwungen, sich Angriffen von auswärtigen Mächten zu erwehren, sei es gegenüber dem britischen Empire, der Sowjetunion, den USA oder gegen den Überfall des Irak 1980, um nur die relevantesten historischen Fälle im 20. Jahrhundert zu benennen.
Sicherlich, auch der Iran übt Einfluss auf sein geopolitisches Umfeld aus, durch militärische Hilfe wie bei der Bekämpfung der IS-Terrorbanden im Irak oder Syrien, durch Spionage und Agententätigkeit wie andere Mächte auch, mit einem gewissen Gewicht. Sauber geht es dabei selten zu. Seit 1979 stehen sich Washington, Tel Aviv und Teheran feindselig gegenüber.
Israel und Iran
Das war aber nicht immer so. Wer weiß denn heute noch, dass bis 1979 israelische Flugzeuge im iranischen Hochland trainierten? Unter der Pahlavi-Herrschaft und besonders seit dem Beginn der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts pflegten Israel und der Iran intensivste Beziehungen, welche seinerzeit mit Recht als eine Art strategische Allianz charakterisiert wurden. Obwohl zwischen beiden Staaten damals nur informelle Beziehungen bestanden, pflegte man auf dem internationalen diplomatischen Parkett das Bonmot von „einer Liebesbeziehung ohne Heiratsurkunde“.
Iran ist ein schiitischer, nichtarabischer Staat in einer überwiegend sunnitischen und arabischen Region, mit einer reichen Geschichte von Konflikten und Kriegen mit seinen arabischen und auch nicht arabischen muslimischen Nachbarn. Aufgrund dieser geografischen und ethnokulturellen Rahmenbedingungen, der permanenten Bedrohung seitens der früheren UdSSR und unter dem Aspekt der außenpolitischen Westorientierung des Pahlavi-Regimes betrachtete man damals in Teheran Israel als einen natürlichen Verbündeten.
Israel, welches in den Jahren nach der Staatsgründung ums Überleben kämpfte und sich um Anerkennung und Legitimität in der islamischen Welt bemühte, erkannte deshalb schon früh, dass Iran einen idealen Alliierten darstellt. Der vom damaligen ägyptischen Präsidenten militant propagierte Panarabismus wurde nicht nur in Tel Aviv, sondern auch in Teheran als ernstzunehmende Herausforderung interpretiert. Das vom ersten israelischen Ministerpräsidenten David Ben Gurion entwickelte Konzept der „peripheren Staaten“ wurde umgehend so etwas wie ein außenpolitisches Credo Tel Avivs in den frühen Jahren des jüdischen Staates.
Israel war damals von feindseligen arabischen Staaten umgeben, deshalb war es nach Auffassung Ben Gurions zwingend erforderlich, freundschaftliche Beziehungen zu den Nachbarn der Nachbarstaaten aufzubauen, um die geografische Isolation in der Region zu überwinden. Zu diesen „peripheren Staaten“ zählten neben dem kaiserlichen Iran auch die Türkei und Äthiopien. Diesbezüglich spielte der Iran für Israel eine besondere Rolle, schon aufgrund der geografischen und demografischen Größe, des ökonomischen Potentials und natürlich, weil es sich um einen islamischen, nicht arabischen Staat handelte, welcher keinen Grund für eine kriegerische Auseinandersetzung mit dem jüdischen Staat hatte. Die historische Erinnerung an den persischen Kaiser Kyros des Großen, der die babylonische Gefangenschaft der Juden beendete, spielte möglicherweise in der an Geschichtsmythen nicht armen Region auch eine Rolle.
Die engen Beziehungen beider Staaten wurden unmittelbar nach dem Sturz der Pahlavi-Dynastie beendet. Die Islamische Republik betrachtet Israel bis heute als Feindesland und als ein nicht legitimes Gebilde, dessen Existenz den nationalen Interessen als auch der Verbreitung der islamischen Revolution fundamental gegenübersteht. Die Wurzeln dieser feindseligen Haltung gegenüber Israel liegen unter anderem in Khomeinis Dogmen begründet.
Die Zäsur von 1979
Damit war es nun vorbei. Kurz nach der Flucht des Shahs kehrte Ayatollah Khomeini aus dem Exil zurück. Peter Scholl-Latour erzählte mir einmal, es steht auch in einigen seiner Bücher, wie er Khomeini an diesem Tag im Flugzeug nach Teheran in gelöster, ja heiterer Grundstimmung antraf. Er ging wohl davon aus, die Maschine würde beim Landeanflug auf Teheran von monarchistischen Piloten abgeschossen. Eine Aussicht, die ihn, gemäß seinem schiitischen Glaubensbekenntnis, nur erfreuen konnte. Es kam bekanntlich anders. Zuvor hatten einige Mitarbeiter aus Khomeinis Umfeld Scholl-Latour eine gelbe Mappe zugesteckt, mit der Bitte um eine spätere Rückgabe. Es handelte sich um die Verfassung der Islamischen Republik Iran.
Dieser Staat, dieses Regime, war von Anfang an eine Provokation gegen den Lauf der Welt. Diese Revolution entzog sich den Regeln des Kalten Krieges. Eine Parole lautete “Nicht Ost, Nicht West, sondern islamisch!“. Diese Revolution war sowohl ein Aufstand gegen die islamische Welt und deren sunnitisch-arabische Vorherrschaft als auch gegen die säkular-nationalistischen und marxistischen Regime in der Region. Schnell fraß auch hier die Revolution ihre Kinder, wurden Hoffnungen zerstört und Menschenrechte verletzt.
Militärisch sind die USA und Israel dem Iran vielfach überlegen. Aber ein Angriff auf den Iran bedeutet, den Nahen und Mittleren Osten insgesamt in Brand zu stecken. Die Iraner wissen um ihre militärische Unterlegenheit und werden „asymmetrisch“ reagieren, etwa in Form von Terroranschlägen. Die Ölpreise würden explodieren, die Auswirkungen des Krieges würden den Südkaukasus und Zentralasien ebenso erfassen wie Libanon, Syrien, Iran und die Golfstaaten. Russland und China würden im Kriegsfall Teheran unterstützen, die USA, Deutschland und andere westliche Staaten Israel. Damit droht eine direkte Konfrontation mehrerer Großmächte.
Bis jetzt hat der Westen keine Antwort auf die Islamische Republik Iran gefunden. Im Gegenteil. Die einseitige Unterstützung Saudi-Arabiens, flankiert von der weltweiten Verbreitung der saudischen Variante des Islams – wie z.B. Salafismus – hat dem Westen selbst massiv geschadet und gefährdet die Sicherheit der Welt.
Die Tatsache, dass sich der Iran im Visier des Westens befindet, liegt alleine darin begründet, dass sich Teheran nicht den geostrategischen Interessen Washingtons beugt, ja diesen sogar im Wege steht, was auch an der demographischen, geographischen und militärischen Potenz des Landes liegt, flankiert von seiner kulturellen Ausstrahlungskraft. Ebrahim Raisi war seit August 2021 Präsident des Irans, galt als erzkonservativer Hardliner. Als Wunschkandidat und Protegé des Religionsführers Ayatollah Ali Chamenei hatte er die Präsidentenwahl im Juni 2021 mit knapp 62 Prozent der Stimmen gewonnen.
Der Kleriker wurde damit offiziell Nachfolger des eher moderaten Hassan Ruhani, der nach zwei Amtsperioden nicht mehr antreten durfte. Jetzt ist Raisi im Alter von 63 Jahren beim Absturz eines Hubschraubers ums Leben gekommen – ebenso wie Außenminister Hussein Amirabdollahian.
Der Tod des Präsidenten und des Außenministers wird außenpolitisch keine gravierenden Veränderungen verursachen. Trotz höchst ungünstiger geopolitischer Bedingungen, des Überfalls des Iraks 1980, schwierigen innen- und außenpolitischen Rahmenbedingungen, der Gegnerschaft mit den USA, Israel und Saudi-Arabien, der inkompetenten Führung und des großen Vertrauensverlustes innerhalb der Bevölkerung hat dieses System 40 Jahre überlebt. In Washington, Jerusalem und London ist man sich bewusst, dass man Iran nicht militärisch besiegen kann, sonst hätte man schon längst angegriffen. Der Iran ist heute Bestandteil der neuen politischen Achse im Nahen und Mittleren Osten, die von Peking und Moskau dominiert wird.
Wie andere Staaten der Region orientiert sich die Nation nach Osten. Die EU, in Ermangelung eigener außenpolitischer Vorstellungen und Strategien, hat hier Einfluss verloren. Iran bleibt also ein außenpolitischer Koloss, der aber innenpolitisch auf tönernen Füßen steht.
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