Wie ein roter Faden zieht sich eine Erzählung durch die Berichterstattung, nach der die AfD antisemitisch und daher eine Kritikerin der israelischen Politik sei. Das ist erstaunlich, versteht sich die AfD selbst doch als kompromisslose Unterstützerin des Staates Israels. Den jüdischen Staat sieht sie als Bollwerk gegen den Islam, der ihr eigentlicher Feind ist. Der Denkfehler, modernen mit klassischem Rechtsextremismus gleichzusetzen, ist sehr populär und verhindert oft das Verständnis für Zusammenhänge. Moderne deutsche Rechtsextreme zeichnen sich vor allem durch antimuslimischen Rassismus aus und unterscheiden sich in diesem Punkt nicht von ihren israelischen Gesinnungsgenossen. Ob es sich bei der falschen Erzählung wirklich um einen Denkfehler handelt, ist jedoch fraglich. Es ist ebenso gut möglich, dass es dem proisraelischen Mainstream unangenehm ist, in diesem Punkt größere Schnittmengen mit den Rechtsextremen zu haben. Von Jens Berger.
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„Der Angriff [der Hamas] galt nicht nur dem jüdischen Staat, er galt auch uns. Israel, das ist der Westen in einer Umgebung, die den Westen ablehnt und bekämpft. Wenn wir uns an die Seite Israels stellen, verteidigen wir auch unsere Art zu leben (…).” Dieser Satz könnte ebenso gut vom Grünen-Politiker und Präsidenten der Deutsch-Israelischen-Gesellschaft Volker Beck kommen; ausgesprochen hatte ihn jedoch der Ehrenvorsitzende der AfD, Alexander Gauland, im Bundestag. Überraschend war dies nicht. Schon 2017 und 2018 hatte Gauland in der Debatte darum, ob die bedingungslose Solidarität mit Israel Teil der deutschen Staatsraison sei, im Bundestag betont, dass es „im Ernstfall“ auch für Deutschland „Pflicht sei […] an Israels Seite zu kämpfen und gegebenenfalls zu sterben.“
Und Gauland ist mit dieser Position keinesfalls allein in der AfD. Auch der verteidigungspolitische Sprecher der AfD, Rüdiger Lucassen, wünscht sich im Rahmen der „Staatsraison“, dass Deutschland an der Seite Israels in Gaza kämpfen solle. Wenn das nicht möglich sei, solle man nun „volle Rückendeckung für die Antiterror-Operation in den nächsten Wochen und Monaten [geben] – auch wenn es zu unschönen Bildern kommt“. Den Israelis wünschte er bei ihrem Krieg in Gaza „gute Jagd und fette Beute“ und schloss jegliche diplomatische Lösung des Konflikts aus. Zustimmung zu solchen Positionen erfolgte auch durch den außenpolitischen Sprecher Petr Bystron und Beatrix von Storch.
Schon vor der jüngsten Eskalation trat die AfD immer wieder dafür ein, der palästinensischen Selbstverwaltung die Mittel zu streichen. Deutsche Pro-Palästina-Demonstranten werden von der AfD dabei gerne als „Fünfte Kolonne des palästinensischen Terrors“ bezeichnet.
So wie Kritik an der Politik Israels nicht mit Antisemitismus gleichzusetzen ist, ist selbstverständlich die offene Unterstützung der israelischen Politik nicht gleichzusetzen mit einer philosemitischen Haltung. So viel ist klar. Die AfD in diesem Kontext als antisemitisch zu bezeichnen, geht jedoch klar an der Faktenlage vorbei. Wer so argumentiert, scheint den modernen Rechtsextremismus – der in der AfD sicher vorhanden ist – mit dem klassischen Rechtsextremismus der Nazis zu verwechseln. Sicherlich gibt es auch unter heutigen Rechtsextremisten noch Anhänger dieses klassischen Antisemitismus, die Strömung definiert sich jedoch nicht darüber, sondern über ihren Rassismus gegen Migranten und hier vor allem gegen muslimische Migranten. Sie sind es, die in der AfD und deren Umfeld als „Bedrohung“ wahrgenommen werden. Sie sind es, gegen die man hetzt und polemisiert. Sie sind es, die man gerne abschieben würde, da ihre Werte angeblich nicht mit „unseren abendländischen Werten“ kompatibel sind.
Der Staat Israel ist in dieser Erzählung natürlich kein Feind, sondern ein Verbündeter – ein Bollwerk mitten im Herz der muslimischen Bedrohung. In rechten Kreisen gehört daher die Solidarität mit Israel zum guten Ton und ist sehr weit verbreitet. Wer das nicht mitbekommen hat, hat die letzten 20 Jahre verschlafen, und wer dies verschweigt, agiert unredlich. Sicher ist es für die Kulturkämpfer der grünen Fraktion peinlich, dass sie in diesem Punkt große Schnittmengen mit den Kulturkämpfern der braunen Fraktion haben. Das ist verständlich.
Verständlich ist auch, dass die AfD ihre proisraelische Orientierung aus strategischen Gründen nicht gerne derart offen zeigt. Immerhin gehören nicht nur erzkonservative und rechte Wähler – bei denen diese Position sicher nicht aneckt –, sondern auch zahlreiche potenzielle Wähler aus dem diffusen Lager der „Unzufriedenen“ zur Wählerklientel. Darunter finden sich auch Leute mit „antiimperialistischen“ und „antiamerikanischen“ Positionen sowie ehrlich Friedensbewegte, die man mit proisraelischen Positionen abschrecken würde. Um diese Wählerschichten einzufangen, mäßigt man sich zumindest in offiziellen Verlautbarungen.
Dahinter steht neben reiner Taktik jedoch auch Kalkül, das dann wieder in den antimuslimischen Grundkonsens passt. So begründet beispielsweise der AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl, Maximilian Krah, seine Forderung nach Deeskalation mit der Sorge, dass Israels Kriegsführung „Flüchtlingsströme von mehreren Millionen Menschen in Marsch [setzen könne]“ und „wir keine neuen Flüchtlinge [brauchen]“.
Den eigentlichen Antisemitismus verorten nicht nur Gauland, sondern auch Krah und Co. ohnehin bei den Muslimen. Und so gibt man sich anti-antisemitisch. Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Da Israel in der Erzählung der AfD der Feind der Muslime ist, fühlt man sich mit dem Staat verbunden; dass Israel von einer rechtsextremen Regierung geführt wird, ist dieser Sympathie sicher nicht abträglich. So finden sich am Ende Hardliner der Grünen mit Hardlinern der AfD zusammen im Bett. Ja, das neue politische Gefüge ist schon ziemlich unübersichtlich.
Titelbild: Screenshot AfD-Kompakt