Assange kann Auslieferung vor dem High Court anfechten

Assange kann Auslieferung vor dem High Court anfechten

Assange kann Auslieferung vor dem High Court anfechten

Ein Artikel von Moritz Müller

Am gestrigen Montag haben zwei Richter des Londoner High Court Julian Assange das Recht gegeben, die vorher genehmigte Auslieferung an die USA vor diesem Gericht anzufechten. Wann diese Verhandlung beginnt, steht allerdings in den Sternen. Weitere Monate des bitteren Wartens im Hochsicherheitsgefängnis für Julian Assange und seine Familie. Derweil braucht sich US-Präsidentschaftskandidat Biden nicht mit einem Prozess in den USA herumzuschlagen, in dem es um die Frage geht, ob der Journalismus des wahrscheinlich prominentesten Dissidenten des Westens durch den Ersten US-Verfassungszusatz, der Meinungsfreiheit garantiert, gedeckt ist. Denn das war gestern der zentrale Punkt bzw. ist der einzige Punkt geblieben, wegen dem Julian Assange Berufung einlegen kann. Ein Bericht von Moritz Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Ein weiteres Mal ging es gestern um die Möglichkeit, ob Julian Assange ausgeliefert wird oder ob er weitere Monate oder Jahre in seiner 6 m² großen Zelle ausharren muss, bis wieder eine ähnliche Entscheidung ansteht. Dies war auch nicht das erste Mal, dass es um diese existenzielle Frage ging. Diese Höhepunkte der Anspannung können nicht spurlos an Julian Assange und seiner Gesundheit vorübergehen.

Gestern befasste sich das Gericht mit zwei Fragen. Zum einen, ob die Zusicherung der USA, dass Julian Assange in den USA nicht von der Todesstrafe bedroht wird, ernst zu nehmen ist. Diese Zusicherung akzeptierten die Richter und auch die Verteidigung bohrte in diesem Punkt nicht weiter nach, da hier anscheinend die US-Regierung bzw. das Justizministerium das letzte Wort hat.

Anders sah das Gericht die Zusicherung, dass Julian Assange sich in den USA auf den Ersten Verfassungszusatz der Meinungs- und Redefreiheit garantiert berufen könnte, wie dies US-amerikanische Bürger können. Hier hatten die USA vage geschrieben, dass er versuchen könne, sich auf die Meinungsfreiheit zu berufen, und am Ende der Zusicherung kommt auch noch der Satz, dass das letzte Wort bei US-Gerichten liegt. Die Regierung, die die Zusicherungen machte, hatte also selbst zugegeben, dass es gar nicht in ihrer Macht steht, diese Zusicherungen wirklich einzuhalten. Der in den USA mit dem Fall befasste Staatsanwalt Gordon Kromberg hat selber verlauten lassen, dass die Anklage versuchen wird, Julian Assange die im Ersten Verfassungszusatz garantierten Rechte zu entziehen.

Eigentlich eine Justizposse.

Trotzdem versuchte der Anklagevertreter James Lewis gestern den Eindruck zu vermitteln, dass die Zusicherungen wasserdicht seien, und er erging sich offensichtlich in Haarspaltereien über den Unterschied zwischen Staatsangehörigkeit und Nationalität. So schildert es zumindest der gestern in London anwesende Joe Lauria.

Auch darauf ging das Gericht nicht ein. Beobachter schätzen es nun so ein, dass, wenn Julian Assange sich in den USA auf den Ersten Verfassungszusatz berufen könnte, er einen möglichen Prozess gewinnen würde. Das ist auch der Grund, warum die Obama-Administration vor Jahren keine Anklage gegen Julian Assange erhoben hatte. Weil dann nämlich auch die New York Times mit auf der Anklagebank säße und sich dann auf die Meinungs- und Pressefreiheit berufen würde.

In der Anklage gegen Julian Assange geht es auch um die sogenannten Diplomatic Cables (Diplomatische Depeschen), die vom Inhaber der Webseite Cryptome, John Young, noch vor WikiLeaks veröffentlicht wurden. Dieser ist nicht angeklagt, wahrscheinlich, weil er US-Bürger ist und die Behörden wissen, dass eine Anklage wohl nicht erfolgreich sein würde.

Falls Julian Assange sich in den USA nicht auf den Ersten Verfassungszusatz berufen könnte, würde dies wohl zu einer Verfassungsklage führen, die sich dann auch mit dem Spionagegesetz von 1917 und dessen Rechtmäßigkeit beschäftigt. Auch daran dürften die USA wenig Interesse haben.

Die jetzige Situation, in der Julian Assange weiter in der Schwebe gehalten und zermürbt wird, ist für die an dem Justizkrieg gegen ihn Beteiligten dagegen viel angenehmer, da der Schein der Rechtmäßigkeit gewahrt bleibt, ohne dass man sich mit obigen Fragen auseinandersetzen muss. Es steht zu befürchten, dass sich dieses Trauerspiel bis nach den US-Präsidentschaftswahlen hinzieht.

Danach werden die beteiligten Behörden dann vielleicht so tun, als würden sie Gnade vor Recht ergehen lassen, weil sie wissen, dass ein Prozess in den USA mittlerweile recht aussichtslos ist, und die Anklage fallenlassen. So kann man sich dann in Menschlichkeit baden, nachdem man den Menschen Julian Assange eineinhalb Jahrzehnte gnadenlos und willkürlich verfolgt hat. Die sogenannten Leitmedien begleiten dieses Vorgehen als „neutrale“ Beobachter.

Das Image von Julian Assange in der Öffentlichkeit hat sich zum Glück wieder gewandelt, denn die meisten Bürger haben gemerkt, dass es in diesem Fall um jemanden geht, der die Herrschenden bloßstellt und ihre kriminellen Machenschaften sichtbar gemacht hat. Es ist auch nicht gelungen, Julian Assange in der Versenkung verschwinden zu lassen, und das hat auch damit zu tun, dass seit Jahren Menschen für ihn und seine Rechte und die Pressefreiheit auf die Straße gehen. Wer mitmachen will und kann, findet auf FreeAssange.eu die nötigen Kontakte.

Man kann Julian Assange auch schreiben und ihm somit ein kleines Zeichen der Ermutigung geben. Es grenzt sowieso an ein Wunder, wie er die über fünf Jahre „Untersuchungshaft“ genannte Isolationshaft überhaupt aushält. Die ist Bestrafung durch das Prozedere. Die Richter, die ihm jetzt das Berufungsverfahren „gewährt“ haben, belassen ihn damit auch weiter in diesen grausamen Haftbedingungen, während sie ab dem 1. August für Monate in die Sommerpause gehen, die für den High Court erst am 1. Oktober endet.

Assanges Ehefrau Stella brachte dies nach der gestrigen Verhandlung auf den Punkt:

„Als Familie sind wir erleichtert, aber wie lange kann dies noch weitergehen? Die Vereinigten Staaten sollten die Situation erkennen und den Fall jetzt niederlegen.“

Diesen Worten schließe ich mich an.

Freiheit für Julian Assange, sofort!