„Marktordnung für Lobbyisten“ – eine neue Studie der Otto-Brenner-Stiftung
Der Lobbyismus hat sich über die Jahre zu einer echten Gefährdung der Demokratie entwickelt. Zwar sind die Grundzüge der politischen Interessenvertretung bereits im Grundgesetz verankert, ein groteskes Ungleichgewicht der finanziellen Mittel der Interessengruppen und eine erschreckende Intransparenz sorgen jedoch dafür, dass finanzstarke Interessen sich in der politischen Welt ein ungleich besseres Gehör verschaffen können. Die Otto-Brenner-Stiftung hat sich nun in einer aktuellen Studie Gedanken darüber gemacht, wie man dieses Problem entschärfen könnte. Von Jens Berger
Der Begriff „Lobbyismus“ ist eindeutig negativ konnotiert. Kein Lobbyist nennt sich Lobbyist – je nach Prägung bevorzugen Lobbyisten lieber die Berufsbezeichnung Politikberater, Kommunikationsberater, Verbandsvertreter, oder modern und englisch Public-Affairs- bzw. Public-Relations-Consultant. Achten Sie einmal darauf, wer Ihnen bei den Talkshows so alles als „Politikberater“ präsentiert wird – Sie werden staunen. Lobbyismus findet ansonsten jedoch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Zwar gibt es eine durch den Bundestag geführte „Lobbyliste [PDF – 5.9 MB]“, die immerhin 2.125 Interessengruppen (Stand 18.11.2011) aufführt, jedoch ansonsten keine besondere Funktion erfüllt. Transparenz scheint der größte Feind des Lobbyismus zu sein.
Das Phänomen „Lobbyismus“ ist nicht neu. Früher nannte man dies „Interessenvertretung“ und eine Politik ohne Beteiligung von Interessengruppen ist weder denkbar noch wünschenswert. Die politische Interessenvertretung abseits der Parteien genießt über die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit in Deutschland zudem den Schutz durch das Grundgesetz. Es käme wohl auch niemand auf die Idee, Bürgerinitiativen, Umweltschutzverbände oder gar Gewerkschaften ihr Recht auf politische Einflussnahme streitig zu machen.
Greenpeace ist eine Lobbyorganisation, die in Deutschland immerhin 206 Mitarbeiter beschäftigt und sich ausschließlich über Mitgliedsbeiträge und Spenden finanziert. Der Verband der chemischen Industrie (VCI) ist ebenfalls eine Lobbyorganisation und vertritt rund 1.600 Unternehmen, die 2010 einen Umsatz von mehr als 170 Milliarden Euro erzielen konnten. Von einer Waffengleichheit kann hier nur schwerlich die Rede sein. Rein formal sind jedoch sowohl Greenpeache als auch der VCI Lobbyorganisationen. Und genau hier liegt ein Problem vor, wenn man über schärfere Regeln für Lobbyisten nachdenkt. Unter einer „zu“ rigiden Regulierung würden nicht nur wirtschaftsnahe Lobbyorganisationen, sondern auch Organisationen, die das Allgemeinwohl vertreten, leiden.
Es gibt wohl kaum ein politisches Feld, bei dem das Allgemeinwohl so sehr in Konflikt mit der parlamentarischen Realität stehen wie beim Lobbyismus. Es ist vollkommen klar, dass finanzstarke Lobbys nicht im Interesse des Allgemeinwohls, sondern in ihrem eigenen Interesse agieren. Ohne jegliche Transparenz droht hier eine massive Schieflage zu entstehen, die von Jahr zu Jahr dramatischer wird. Leider muss jedoch auch konstatieren, dass es kaum ein politisches Feld gibt, bei dem die politischen Akteure derart reformunwillig sind, dass dem neutralen Betrachter nur der Verdacht kommen kann, dass die Politik gar kein Interesse daran hat, den Lobbyismus in die Schranken zu weisen.
Dabei wäre es noch nicht einmal allzu schwer, dem grassierenden Lobbyismus einen Riegel vorzuschieben – es muss ja nicht die Bannmeile um den Bundestag sein, die der Schriftsteller Günther Gras unlängst vorschlug. Die Autoren der Lobby-Studie der Otto-Brenner-Stiftung schlagen hier unter anderem die Einführung einer Akkreditierungspflicht und einer Transparenzliste für Lobbyisten vor. Näher Zugang zur parlamentarischen Arbeit (z.B. in Ausschüssen oder Anhörungen, Positionspapieren und Stellungnahmen) soll dann nur noch akkreditierten Lobbyisten gestattet sein. Einen Schritt weiter geht die geforderte öffentliche Transparenzliste, in die entscheidende Details zur lobbyistischen Tätigkeit eingetragen werden sollen. Dies mag für Verbände, wie den VCI, oder die Gewerkschaften kein Problem darstellen – bei PR- und Lobbyagenturen, die ihre Dienste gegen Bezahlung an jeden Kunden anbieten, der das nötige Kleingeld hat, sieht dies schon etwas anders aus. Es wäre für die Öffentlichkeit beispielsweise schon von Interesse, wer die Auftraggeber der Agentur CNC des ehemaligen Tabaklobbyisten Christoph Walter sind, auf deren Gehaltsliste laut Bundestag unter anderem Otto Fricke (FDP), Dorothee Bär, (CSU), Hermann Otto Solms (FDP), Carsten Schneider (SPD) und Christine Scheel (Grüne) als sogenannte „Berater“ stehen. Wofür beziehen die Damen und Herren Geld von CNC? In welcher Funktion beraten die Spin-Doktoren der PR-Agentur? Beraten sie überhaupt, oder werden sie nicht vielleicht doch eher beraten? All diese Fragen lassen sich aufgrund der mangelnden Transparenz nicht beantworten. Eine Transparenzliste würde hier Licht ins Dunkel bringen.
Für den Gesetzgebungsprozess schlägt die Otto-Brenner-Stiftung neue Transparenzrichtlinien vor. So sollen beispielsweise die Namen aller am Gesetzgebungsprozess beteiligten Interessengruppen und wissenschaftlichen Institute genannt und ihre Quellen veröffentlicht werden. Auch dieser Punkt ist elementar wichtig, da auf diese Art und Weise verhindert werden kann, dass „geheime Gutachten“ und „vertrauliche Stellungnahmen“ ihren Weg in Gesetzesvorlagen finden.
Weitere Punkte der „Marktordnung für Lobbyisten“ betreffen vor allem die Parlamentarier. So soll beispielsweise die Praxis der Leihbeamten komplett verboten werden und Nebentätigkeiten sollen streng reglementiert werden. An diesem Punkt ist jedoch auch verhaltene Kritik an den Vorschlägen der Otto-Brenner-Stiftung angebracht. So schreiben die Autoren: „Bezahlte und ehrenamtliche Tätigkeiten für Körperschaften, die in der Transparenzliste aufgeführt sind, und das Bundestagsmandat sind unvereinbar.“ Das wird nicht nur einigen Abgeordneten der SPD und der Linkspartei, die neben ihrem Mandat für die Gewerkschaften tätig sind, gar nicht schmecken. Auch ein Abgeordneter wie der Linken-Politiker Jan van Aken müsste bei einer solchen Regelung seine Beiratstätigkeit bei der Organisation IPPNW (Ärzte gegen den Atomkrieg) einstellen. Daraus ergibt sich jedoch das Problem, dass gerade kleinere, dem Allgemeinwohl verpflichtete, Organisationen, noch größere Probleme bekämen, sich politisch und öffentlich Gehör zu verschaffen. Der VCI und die IG-Metall verfügen hingegen zweifelsohne über die Mittel, diese Nachteile zu kompensieren.
Dringend erforderlich ist jedoch die Einführung einer „Stillhaltezeit“ für ehemalige Minister, Staatssekretäre und die Fraktionsführer der Parteien, um das Phänomen „Seitenwechsel“ zu entschärfen. Die Otto-Brenner-Stiftung nennt hier eine Karenzzeit von zwei Jahren für Tätigkeiten, die nicht im Umfeld der politischen Tätigkeit lagen und vier Jahre für Tätigkeiten aus dem engeren Umfeld. Erst danach sollen ehemalige hohe politische Staatsdiener in die Privatwirtschaft oder einen Lobbyverband wechseln dürfen.
Diese vier Jahre sollten reichen, um die Insiderinformationen und persönlichen Netzwerke zumindest zu einem nennenswerten Teil versiegen zu lassen, so dass eine weitere Tätigkeit auf dem Fachgebiet keine allzu großen Nachteile für die Allgemeinheit hätte. Für Tätigkeiten bei Körperschaften des öffentlichen Rechts, gemeinnützigen Organisationen oder anderen staatlichen Stellen sieht man jedoch eine Ausnahmeregelung vor, da hier das öffentliche und nicht das private Interesse von der beruflichen Vergangenheit des Amts- oder Mandatsträger profitieren würde.
Die Forderungen der Otto-Brenner-Stiftung sind konsistent und richtig. Eigentlich sollte jeder Politiker, der sein Amt ernst nimmt, hinter solchen Forderungen stehen. Leider ist dem nicht so. Deutschland gehört beispielsweise zu den ganz wenigen Ländern, die immer noch nicht die UN-Konvention gegen Korruption ratifiziert haben. Da befinden wir uns in guter Nachbarschaft mit den anerkannten Freunden der Transparenz im Sudan, Syrien, Burma, Saudi-Arabien und Somalia. Russland, China, Angola und selbst Zimbabwe gehören zu den mittlerweile 158 Staaten, in denen die Konvention ratifiziert wurde. Der einzige Grund warum Deutschland die Konvention noch nicht unterzeichnet hat und sich damit zusehends isoliert, ist ein Passus, nach dem die deutschen Regelungen für die Nebeneinkommen der Parlamentarier den Straftatbestand der Korruption erfüllen würden. Bimbesrepublik Deutschland – wenn sogar die meisten schwarzafrikanischen und zentralasiatischen Länder (zumindest auf dem Papier) wirkungsvollere Gesetze gegen Abgeordnetenbestechung haben als hierzulande, läuft irgendetwas ganz gewaltig schief. Hintergrundpapiere, wie die Lobby-Studie der Otto-Brenner-Stiftung sind wichtig, um konkrete Vorschläge an der Hand zu haben. Ohne Druck von der Straße wird hier sicherlich so schnell nichts passieren.
Die Studie „Marktordnung für Lobbyisten“ der Otto-Brenner-Stiftung ist online verfügbar und kann auch als gedrucktes Exemplar bestellt werden.