Auszug aus „Machtwahn“ betreffend Prof. Sinn, Seiten 248-251
Fall 4: »Von den Weltmärkten verdrängt«
Der Münchner Professor Hans-Werner Sinn erzählt uns, unsere Volkswirtschaft sei eine »Basarökonomie«. Und unsere Eliten verschlingen sein Buch geradezu. Sie glauben, was Professor Sinn so eindringlich schildert: Die deutsche Wirtschaft würde im Ausland produzierte Komponenten, wie zum Beispiel Motoren und Karosserieteile, importieren, die dann hierzulande nur noch zusammengesteckt und wieder verkauft würden.
Das kann allerdings schon deshalb nicht sein, weil wir sonst nicht einen so großen Leistungsbilanzüberschuss von weit über 100 Milliarden US-Dollar erzielen würden, wie es im Jahr 2004 und noch mehr im Jahr 2005 der Fall war. Einen Überschuss erzielt man nur, wenn das Ausland bei uns entsprechende Waren kauft und bezahlt. Würde hier keine Wertschöpfung stattfinden, dann würde auch nicht bezahlt werden. Luft wird nicht -bezahlt.
Wie kommt es aber, dass Professor Sinn für seine Basar-These soviel Aufmerksamkeit und Zustimmung bekommt? Nun, er kann auf die tägliche Erfahrung vieler Menschen rechnen, dass in der Tat vieles importiert wird, was sie beim Einkauf sehen; zugleich erfährt die Mehrheit der Menschen aber nicht, wie viel exportiert wird.
Die internationale Arbeitsteilung hat zugenommen. Wir importieren zunehmend neben fertigen Produkten auch Vorprodukte, die hier verarbeitet und möglicherweise, addiert um neue Wertschöpfung, als fertiges Produkt exportiert werden. Die Gesamtbilanz unserer wachsenden Verflechtung mit dem Weltmarkt ist positiv. Wir exportieren mehr, als wir importieren. Das heißt, dass die Gesamtbilanz der Arbeitsteilung von einer zunehmenden Wertschöpfung hier bei uns im Land gekennzeichnet ist. Richtig ist: Es gibt eine Zunahme der Importe, doch sie wird von der Zunahme der Exporte weit überkompensiert. Wer von »Basar-ökonomie« spricht, unterschlägt diese Gesamtbilanz.
Dass und wie sehr Professor Sinn in dieser Frage irrt, wurde ihm von mehreren Seiten, sogar vom Sachverständigenrat und den Ökonomen des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) nachgewiesen. Auch eine Pressemitteilung, die das Statistische Bundesamt am 17. August 2004 herausgegeben hat, bestätigt die hier erläuterte Sicht. Damals war festgestellt worden, der Importanteil der deutschen Exporte sei zwischen 1995 und 2002 von 29,7 Prozent auf 38,8 Prozent gestiegen. Allerdings sei eben auch der Export gestiegen und damit auch die durch Exporte induzierte inländische Bruttowertschöpfung. Wörtlich: »Auch wenn man davon ausgeht, dass sich der gestiegene Importanteil der Exporte im Zeitraum 1995 bis 2002 auf das Bruttoinlandsprodukt dämpfend ausgewirkt hat, wurde dies überkompensiert von der positiven Wirkung der stark gestiegenen Exportnachfrage nach inländischen Produkten.«
In der öffentlichen Debatte und hinsichtlich der Glaubwürdigkeit des Ökonomen Sinn und seiner geistesverwandten Multiplikatoren zeigte diese Widerlegung allerdings ebenso wenig Wirkung wie eine andere von ihm in die Welt gesetzte Fehlinformation, die er indirekt sogar dadurch eingestehen mußte, dass er eine Abbildung und die zugehörige Textpassage in seinem Buch Ist Deutschland noch zu retten? nachträglich änderte.
Die erste Abbildung von Seite 71 seines Buches enthält eine Kurve des Welthandelsanteils der USA im Vergleich zu dem der Bundesrepublik (siehe Abbildung 17, S. 251). Demzufolge wäre, wie auch im Text von Professor Sinn beschrieben, der Anteil der USA von 15 Prozent auf 19 Prozent gestiegen, während unser Anteil im Lauf der letzten Jahre von 11 auf 8 Prozent abgesunken ist. Entsprechend lautet die Überschrift über der Grafik: »Von den Weltmärkten verdrängt.«
Diese Aussage bezieht sich auf Deutschland und hat mit der Realität nichts zu tun. Deutschland hatte im Jahr 2004 und wohl auch 2005 den höchsten Welthandelsanteil unter allen Ländern, gemessen an den Warenexporten, während die USA einen leicht sinkenden Anteil verzeichnen mussten.
Professor Sinn wurde darauf aufmerksam gemacht, dass er -offenbar Exporte und Importe verwechselt hatte und deshalb aus der großen Schwäche der USA, einem bizarren Leistungsbilanzdefizit aufgrund viel zu hoher Importe, eine Welthandelsstärke gemacht hatte. Von einer Auflage zur nächsten musste der Professor die Abbildung auf Seite 71 austauschen. Sinnigerweise ließ Sinn darüber eine eher groteske Überschrift stehen. »Wieder von den Weltmärkten verdrängt«.
Es ist bei der Beurteilung dieses Vorgangs ziemlich unerheblich, ob der Professor mit Absicht eine irreführende Grafik plaziert hatte oder nicht. Im einen wie im anderen Fall ist es gravierend. Ein Nationalökonom darf in einer so entscheidenden Frage und noch dazu, wenn er über längere Passagen darüber schreibt, Exporte und Importe beim Vergleich von Deutschland mit den USA eigentlich nicht verwechseln.
Zwei Dinge sind symptomatisch an diesem Vorgang: Zum -einen, dass die deutschen Eliten solche Irreführungen über sich ergehen lassen und sogar noch mitmachen, zum anderen die Tatsache, dass die Medien darauf nicht mit Sanktionen reagieren. Der Professor wird weiterhin zu Interviews und in Talkshows geholt, als gäbe es keinen Anlass, an seiner Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Die neoliberalen Eliten sind in ihren Netzwerken der gegenseitigen Bestätigung so sicher aufgefangen, dass ihnen auch begründete Zweifel nichts anhaben können.