„Foreign Agent“-Gesetz in Georgien und EU, Michael Roth in Tiflis und deutsche Doppelmoral

„Foreign Agent“-Gesetz in Georgien und EU, Michael Roth in Tiflis und deutsche Doppelmoral

„Foreign Agent“-Gesetz in Georgien und EU, Michael Roth in Tiflis und deutsche Doppelmoral

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Auf der Bundespressekonferenz kritisierte Vize-Regierungssprecher Wolfgang Büchner in scharfen Worten das am 14. Mai vom georgischen Parlament beschlossene Gesetz „Über die Transparenz von ausländischem Einfluss in Georgien“, von vielen deutschen Medien fälschlich mit „Agenten-Gesetz“ übersetzt. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund wissen, wieso die Bundesregierung das Gesetz in Georgien kritisiert, aber kein Wort darüber verliert, dass die EU-Kommission seit einem Jahr an einem sehr ähnlichen „Transparenz“-Gesetz arbeitet. Anlässlich der Teilnahme des SPD-Politikers Michael Roth an Protestveranstaltungen in Tiflis, aus denen heraus versucht worden war, das Parlament zu stürmen, fragten die NDS, ob die Bundesregierung das Verhalten Roths als Einmischung in innere Angelegenheiten eines fremden Staates bewertet und ob sie einen versuchten Sturm auf den Reichstag ebenso nonchalant beurteilen würde. Die Antwort geriet zu einem neuen „Höhepunkt“ bundesdeutscher Doppelmoral. Von Florian Warweg.

Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 15. Mai 2024

Vize-Regierungssprecher Büchner

Ich möchte einen Punkt zum gestern in Georgien beschlossenen Gesetz zur ausländischen Einflussnahme ansprechen. Wir haben diese Entscheidung mit Bedauern zur Kenntnis genommen. Wie Sie wissen, lehnen wir das Gesetzesvorhaben entschieden ab. Die aktuellen Entwicklungen in Georgien beobachten wir mit großer Sorge, auch was das Vorgehen der Regierung und Berichte über Festnahmen bei den seit Wochen andauernden friedlichen Protesten der georgischen Bürgerinnen und Bürgern angeht. Wie Sie wissen, hat der Bundeskanzler sich bereits am 12. April beim Besuch des georgischen Ministerpräsidenten Irakli Kobachidse zu dem Thema geäußert und die kritische Haltung bekräftigt, die die Bundesregierung und die gesamte Europäische Union im Hinblick auf das Gesetz in Bezug auf Organisationen mit ausländischem Einfluss einnehmen. Unsere Kritik besteht unverändert fort. Wir erinnern die georgische Regierung an ihre Zusagen aus 2023, ein solches Gesetz bedingungslos zurückzuziehen. Wir teilen die Sorge, dass sich die georgische Regierung mit dem Gesetz von ihrem Kurs auf eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union entfernt.

Frage Warweg

Die EU-Kommission arbeitet seit letztem Jahr ja auch an einem Gesetzesvorschlag, angelehnt an die US-Variante des „foreign agent act“, der NGOs und akademische Institutionen dazu verpflichtet, alle Zahlungen außerhalb der EU transparent darzulegen. Jetzt haben Sie dieses georgische Gesetz scharf kritisiert. Können Sie mir kurz darlegen, wo sie den qualitativen Unterschied zwischen dem georgischen Gesetz, das ja eigentlich auch nur die Transparenz von Fremdfinanzierung einfordert, und der Variante der EU-Kommission sehen?

Büchner

Das Thema ist ja auch ein Wiedergänger. Der Bundeskanzler hat sich bereits sehr klar anlässlich des Treffens mit dem georgischen Ministerpräsidenten im letzten Monat dazu geäußert. Die EU hat keine solche wie von Ihnen behauptete Regelung. Es gibt derzeit Diskussionen darüber, wie Transparenz in bestimmten Bereichen hergestellt werden kann. Aber auch dabei handelt es sich um ein grundlegend anderes Konzept. Die Diskussionen dazu laufen außerdem noch, es ist nichts beschlossen, und möglicherweise wird auch nichts beschlossen.

Wagner (AA)

Ich kann gerne etwas dazu ergänzen. In der Tat hinkt der Vergleich sehr, Herr Warweg, denn im Vorschlag der EU-Kommission wird ja auf die Interessenvertretung für ein Drittland abgestellt. Dabei geht es also nur um auftragsbezogene Dienstleistungen. Institutionell geförderte Akteure wie die NGOs fallen in der Regel nicht darunter. Im georgischen Entwurf wird dagegen ausschließlich auf die Finanzierung aus dem Ausland als Kriterium abgestellt. Das ist ein sehr viel breiteres Spektrum. Außerdem geht es ja in dem Entwurf der Kommission für eine Richtlinie, die es ja richtigerweise ist, nicht um Sanktionen oder eine Einschränkung der Arbeit von Interessenvertretern. Insofern ist es aber tatsächlich so, dass sich diese Richtlinie so, wie sie vorgeschlagen worden ist, noch in der Diskussion befindet und es bei Weitem ja auch noch keine Einigung gibt.

Zusatzfrage Warweg

Dann habe ich noch eine generelle Verständnisfrage. Michael Roth, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, befindet sich ja derzeit in Georgien. Gestern nahm er an einer explizit regierungskritischen Demonstration teil. Ein Teil davon war auch gewalttätig. Einige Teilnehmer versuchten, das Parlament zu stürmen. Da würde mich die Einschätzung des Auswärtigen Amtes interessieren. Betrachtet es diese Art von politischem Aktivismus denn als Einmischung in die inneren Angelegenheiten Georgiens?

Wagner (AA)

Erst einmal, Herr Warweg, würde ich zurückweisen, dass die Gewalt prima facie von den Demonstranten ausgeht. Was wir im Moment in Georgien sehen, sind Menschen, die friedlich demonstrieren, wie Herr Büchner zu Recht sagt, die auf die Straße gehen, die für das Recht eintreten, ihre Meinung kundzutun, und sozusagen Kritik an der Regierung üben, die da gerade ein Gesetz erlässt, das sehr konträr zu den europäischen Werten ist. Georgien hat sich ja auf den Weg in die Europäische Union begeben, und das bringen die Menschen, die dort friedlich demonstrieren, sehr massiv zum Ausdruck.

Was die Präsenz des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses angeht, ist das von uns als Regierung nicht zu kommentieren. Da müssten Sie die Frage schon an den Bundestag richten. Aber ich glaube, es gibt genug Beispiele aus der Vergangenheit dafür, dass deutsche Parlamentarier im Ausland auch ihre Unterstützung für die Zivilgesellschaft zum Ausdruck gebracht haben.

Frage Warweg

Ich hätte noch einmal eine Verständnisfrage. Das heißt, Sie sagen, dass Sie die Präsenz eines ranghohen Mitglieds des Bundestags bei so einer Demonstration, aus der heraus es nachweislich Versuche gab, in das Parlament einzudringen, als unproblematisch betrachten.

Büchner

Das hat Herr Wagner gar nicht gesagt. Wir haben schlicht und einfach gesagt

Zuruf Warweg

Ich habe Herrn Wagner gefragt!

Büchner

Ja, aber ich kann das gerne auch noch einmal einordnen.

Wagner (AA)

Herr Büchner kann das gerne für mich beantworten.

Büchner

Wir kommentieren grundsätzlich nicht die Handlungen anderer Verfassungsorgane – aus Respekt vor anderen Verfassungsorganen. Deshalb ist es völlig richtig, darauf zu verweisen, dass die Frage an den Deutschen Bundestag zu richten ist.

Wagner (AA)

Ehrlich gesagt: Es geht ja hierbei in Georgien um ein parlamentarisches Verfahren, also den Austausch mit den Parlamentariern. Es gibt auch eine Opposition in Georgien, die hier arbeiten kann. Das ist ein vollkommen normaler Vorgang.

Zusatzfrage Warweg

Aber es fällt ja nun schon auf, wenn man das sozusagen spiegeln würde, wie kritisch man hier mit Demonstranten umgeht, die versuchen, etwa den Reichstag zu stürmen, und wie nonchalant man anscheinend im Falle Georgiens darüber hinweggeht. Wie wollen Sie denn da sozusagen auch um der Glaubwürdigkeit Willen sagen, dass das Proteste seien, die legitim sind, und die anderen seien nicht legitim?

Wagner (AA)

Ich glaube, Herr Warweg, wir haben einfach nicht dieselben Bilder von den Demonstrationen in Georgien gesehen. Ich habe Bilder davon gesehen, dass Ordnungskräfte massiv gegen einzelne Demonstranten vorgegangen sind. Diese Gewalt ist im Übrigen auch nicht akzeptabel. Diese Menschen sind dort im ganz überwiegenden Fall, wie wir das in den Bildern sehen und beobachten können, um dort friedlich ihre Meinung kundzutun und gegen ein Projekt der Regierung zu demonstrieren.

Im Übrigen ging es bei dem Fall vor dem Reichstag, den Sie angesprochen haben, um Straftaten, die da durch die Polizei vereitelt worden sind.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 15.05.2024

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