Für Christen beginnt die sogenannte Pfingstnovene neun Tage vor dem eigentlichen Hochfest an Christi Himmelfahrt. Diese Novene geht laut der Website des Erzbistums Köln auf den Pfingstbericht der Apostelgeschichte zurück, nachdem sich Jesu Jünger vor Pfingsten im Gebet zurückgezogen hatten. In der Pfingstnovene wird um das Kommen des Heiligen Geistes und seiner sieben Gnadengaben gebetet: Weisheit, Einsicht, Rat, Stärke, Erkenntnis, Frömmigkeit und Gottesfurcht. Pfingsten dann wurden Jesu Jünger vom Heiligen Geist erfüllt und besaßen fortan die Fähigkeit, in allen Sprachen der Welt zu sprechen. Von solchen Gnadengaben und Sprachtalenten lässt sich reichlich zwei Jahre nach Verkündung einer „Zeitenwende“ nur träumen. Wenngleich sich nicht Zeiten, allenfalls Politiker samt Politiken in ihnen wenden. Ein säkularer Zwischenruf von Rainer Werning.
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„Geburtstag der Kirche“
Pfingsten (griech. „pentecoste“), der 50. Tag der Osterzeit, so heißt es auf der Website des Erzbistums Paderborn,
„steht für den Tag, an dem der Heilige Geist auf die Apostel herabkam und ihnen die Kraft und die Fähigkeit gab, die Botschaft Jesu Christi in die Welt zu tragen. Deshalb gilt Pfingsten (für Christen das nach Ostern und Weihnachten dritthöchste Fest im Kirchenjahr – RW) auch als ‚Geburtstag der Kirche‘. (…) Am Pfingsttag (waren) Jesu Jünger in Jerusalem in einem Haus versammelt. Nachdem Jesus gestorben und wieder auferstanden war, wussten sie nicht so recht, was sie jetzt ohne ihn tun sollten. Plötzlich hörten die Jünger ein starkes Rauschen, wie ein heftiger Sturm, und sahen Feuerzungen, die sich auf jedem von ihnen niederließen. Sie wurden vom Heiligen Geist erfüllt. Von diesem Moment an besaßen sie die Fähigkeit, in allen Sprachen der Welt zu sprechen.“
Aus der Apostelgeschichte erfahren wir überdies, dass der Heilige Geist symbolisch mit Feuerzungen und der Taube dargestellt wird. Das muss lange her gewesen sein; geblieben und gefragt sind heute vielmehr – erst recht unter Politikern und Parteien mit dem großen C voran – Falken mit dem Talent, ein Feuerwerk mit Botschaften zu verkünden – besser: zu entzünden –, die da lauten: „Normale“ Friedenszeiten sind passé und werdet kriegstauglich! Stoppt – mit Blick auf Russlands Putin – „völkerrechtswidrige Angriffskriege“ und bekräftigt – mit Blick auf Israels Netanjahu – ein uneingeschränktes JA zur „Selbstverteidigung“. Zwischentöne und Nuancierungen sind bestenfalls verpönt. Schlimmstenfalls landet man als ausgemachter „Lumpenpazifist“ hurtig in der Schmuddelecke von „Russland-Verstehern“ und/oder eingefleischtem „Antisemitismus“.
Exemplarisch seien hier „Botschafter“ genannt, deren martialische Bekenntnisse allenfalls drei der insgesamt sieben Gnadengaben entsprechen. Weisheit, Einsicht, Rat und Erkenntnis müssen da außen vor bleiben – des noblen Gehalts solcher Werte und Tugenden wegen.
Partout keine frohen Botschaften
Begonnen sei mit Boris Pistorius, der, bevor er als Verteidigungsminister quasi über Nacht zum beliebtesten bundesdeutschen Politiker avancierte, immerhin mal (von November 2006 bis Februar 2013) als Oberbürgermeister der Friedensstadt Osnabrück amtierte. Heute schlägt er kräftig die Kriegspauke und schwelgt bei jeder sich bietenden Möglichkeit in Russophobie mit dem tremoloartig strapazierten Hinweis darauf, dass Mr. Putin im Falle eines Sieges in der Ukraine unaufhaltsam weiter gen Westen aufmarschieren ließe. O-Ton Pistorius:
„Wir müssen uns wieder an den Gedanken gewöhnen, dass die Gefahr eines Krieges in Europa drohen könnte. Und das heißt: Wir müssen kriegstüchtig werden. Wir müssen wehrhaft sein. Und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufstellen.“
Wie angenehm wäre indes die Vorstellung, der Minister reiste mal zur Abwechslung in die benachbarte Friedensstadt Münster, reagierte sich auf dem dortigen Aasee in einer Tretbootfahrt gehörig ab, um anschließend in der nächstgelegenen Gelateria auf der Himmelreichallee durch den Verzehr mehrerer Eiskugeln Abkühlung zu schlecken.
Itamar Ben-Gvir, Israels Minister für die nationale Sicherheit und in dieser Funktion gleichzeitig auch Oberaufseher der dortigen Gefängnisse, hat sich mehrfach öffentlich als Ultra-Falke im Kabinett Netanjahus geoutet. Ginge es nach ihm, sollten Palästinenser, die des Terrorismus geziehen werden, kurzerhand exekutiert werden, um Platz zu schaffen in den landesweit ohnehin hoffnungslos überfüllten Gefängnissen.
Und Israels Finanzminister Bezalel Smotrich erklärte Ende April ohne Umschweife, solche Städte wie Rafah und andere Orte im Gazastreifen einfach „auszuradieren“. Wörtlich sagte der Minister:
„Es sollte da keinerlei Halbheiten geben. Rafah, Deir al-Balah, Nuseirat – total vernichten.”
In nicht minder exterminatorischen Kategorien denkt sein Chef. Für Ministerpräsident Benjamin Netanjahu befindet sich sein Land seit der blutigen Attacke und Geiselnahme seitens der Hamas am 7. Oktober letzten Jahres in einem existenziellen Krieg, der dadurch gekennzeichnet ist, dass ein/der Feind nebenan nicht geduldet wird. Für Israel geht es laut Netanjahu um „die Existenz, seine Freiheit, Sicherheit und Prosperität“:
„Entweder wir oder sie – Israel oder die Monster von Hamas.“
Perversion des Denkens und Sprachverluderung
Was nun die USA als engster politischer Verbündeter, größter Waffenlieferant und beharrlichster diplomatischer Protektor Israels betrifft, so hat wohl in der Vorpfingstphase der republikanische Kongressabgeordnete Tim Walberg aus Michigan die ungeheuerlichste aller Forderungen formuliert. Laut dem Nachrichtensender CNN hatte er vorgeschlagen, Bomben auf Gaza „wie Nagasaki und Hiroshima“ abzuwerfen, um „es schnell hinter uns zu bringen“. Einem auf sozialen Medien veröffentlichten Video, das während eines Wählertreffens Ende März aufgenommen ward, ist zu entnehmen, dass sich Walberg gegen humanitäre Unterstützung im Gazastreifen aussprach und stattdessen die Dringlichkeit betonte, den „Konflikt“ dort rasch zu beenden. Walbergs Büro wiegelte danach ab und sprach von „Metaphorik“, die der Abgeordnete bemüht habe! Kein Wunder, dass sich zu so viel Perversion des Denkens und Sprachverluderung eine gargantueske Heuchelei gesellte, mit der das Biden-Blinken-Team auf die Kriegführung und faktische Unterbindung notwendiger humanitärer Hilfen seitens der Netanjahu-Regierung reagierte! Bissige Kommentatoren der angesehenen israelischen Tageszeitung Haaretz veranlasste das zu der Bemerkung, der oberste US-Chefdiplomat agiere so, als säße er am Jerusalemer Kabinettstisch.
Bei alledem sollte nicht vergessen werden, dass das Pfingstfest auch zeitgleich zum jüdischen Fest Schawuot stattfindet, welches zu den Hauptfesten des Judentums gehört. Es bedeutet „Wochen“ und verweist auf die 50 Tage nach dem Pessachfest. Schawuot ist gleichzeitig das Erntedankfest, da es den Abschluss der Weizenernte markiert. Mit Blick auf Anno Domini 2024 kann da nur von einer höchst zweifelhaften „Ernte“ die Rede sein. Seit dem 7. Oktober 2023 scheint hinsichtlich der israelischen Politik vis-à-vis den Palästinensern das fünfte Gebot („Du sollst nicht töten!“) einem elften Gebot gewichen zu sein. Ausgerechnet Evelyn Hecht-Galinski, die Tochter des zwischen 1954 und 1992 zweimalig amtierenden Vorsitzenden/Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, gab einer ihrer Publikationen den Titel „Das elfte Gebot: Israel darf alles“ – Klartexte über Antisemitismus und Israel-Kritik.
Titelbild: Romolo Tavani/shutterstock.com
Quellenhinweise
https://www.erzbistum-paderborn.de/glauben-und-leben/kirchenjahr/pfingsten-ursprung-und-bedeutung/
„Kriegstüchtig“ – oder: Wie wäre das eigentlich vor 40 Jahren gewesen? * https://www.nachdenkseiten.de/?p=114927 & Bei Maischberger: Pistorius beendet mal eben die „Friedenszeit“ * https://www.nachdenkseiten.de/?p=114387
https://news.antiwar.com/2024/04/30/israels-smotrich-calls-for-total-annihilation-of-rafah-other-cities-in-gaza/ & Netanyahu says Israel is in an existential war * https://www.jpost.com/breaking-news/article-800993
https://www.timesofisrael.com/us-congressman-denies-calling-to-nuke-gaza-after-urging-hiroshima-like-tactics/ & https://www.theguardian.com/us-news/2024/mar/31/tim-walberg-republican-congressman-gaza
Schawuot|Jüdisches Museum Berlin * https://www.jmberlin.de/thema-schawuot
https://www.hdg.de/lemo/biografie/heinz-galinski.html & Evelyn Hecht-Galinski: „Das elfte Gebot: Israel darf alles“ – Klartexte über Antisemitismus und Israel-Kritik