ESC – Risse in der Friede-Freude-Eierkuchen-Blase

ESC – Risse in der Friede-Freude-Eierkuchen-Blase

ESC – Risse in der Friede-Freude-Eierkuchen-Blase

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Wer sich vom Eurovision Song Contest hochwertige musikalische Unterhaltung verspricht, wird auch in diesem Jahr einmal mehr enttäuscht gewesen sein. Aber wer schaut den ESC schon wegen der Musik? Über die Jahre hat sich der Sängerstreit zu einer hochpolitischen und hoch politisierten Selbstprojektionsfläche des sich als „gut“ empfindenden links-liberalen Europas entwickelt – ein Fest der LGBTQ-Community, man ist divers und politisch korrekt, behauptet dabei aber von sich selbst, unpolitisch zu sein. Das ist freilich Unfug. Die Teilnahme Israels trotz dessen Vernichtungskrieg in Gaza hat in diesem Jahr die Grenzen dieses Selbstbetrugs gezeigt. Während vor der Halle mehr als zehntausend propalästinensische Aktivisten gegen die Veranstaltung demonstrierten, versuchten die Veranstalter zwanghaft, trotz lauter Buhrufe die Show zu retten. Das deutsche Fernsehpublikum bekam davon wenig mit. The show must go on, Friede, Freude, Eierkuchen. Ein Kommentar von Jens Berger.

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Man muss wohl schon Fernsehfunktionär sein, um die Politik hinter dem ESC zu verstehen. Seit 2022 sind Weißrussland und Russland von diesem Wettbewerb ausgeschlossen. Israel durfte hingegen in diesem Jahr teilnehmen. Dabei geht es – so die Funktionäre – keinesfalls um den Vernichtungskrieg in Gaza, die 40.000 Toten, davon die Hälfte Kinder, fast ausschließlich Zivilisten. Nein, Weißrussland und Russland seien „suspendiert“ worden, weil dort seit der Eskalation des Ukrainekriegs die übertragenden Fernsehsender nicht mehr unabhängig arbeiten könnten. Dies gelte für den israelische Fernsehsender KAN, der den ECS für Israel überträgt, nicht. Diese Erklärung ist ungefähr so glaubhaft wie das Selbstbekenntnis, man sei unpolitisch.

Gerade im Gastgeberland Schweden, wo – anders als in Deutschland – gerade bei politisch Linken die Kritik an Israels Krieg in Gaza sehr verbreitet ist, wurde das Bekenntnis der EBU pro Israel gar nicht gut aufgenommen. Und auch bei den teilnehmenden Künstlern sorgte diese Entscheidung für einigen Tumult. So äußerten sich die Teilnehmer der Niederlande, der Schweiz, Griechenlands, Frankreichs und Irlands im Umfeld mal mehr, mal weniger kritisch zur israelischen Teilnahme und drohten bis kurz vor Beginn der Veranstaltung sogar mit ihrer Absage. Am Ende passierte mal wieder nichts – Maulhelden. Aber ja, von den größtenteils jungen Nachwuchskünstlern nun zu fordern, sie sollten ihre Karriere für ein politisches Statement wegwerfen, wäre auch unfair und vielleicht zu viel verlangt. Das gilt jedoch nicht für die Arrivierten. Da haben zumindest einige „Punkte-Ansager“ ihren Job im Vorfeld quittiert, in Belgien sorgte die Gewerkschaft dafür, dass statt des israelischen Beitrags im ESC-Halbfinale eine Protesttafel eingeblendet wurde, die eine Waffenruhe in Gaza fordert. Für die BILD-Zeitung eine „Hass-Botschaft“. Überflüssig zu erwähnen, dass es seitens der deutschen Medien null Kritik an der israelischen Teilnahme gab.

In Malmö wurde der israelische Beitrag jedoch lautstark vom Publikum ausgebuht – die Übertragungstechnik tat ihr Bestes, um die Buhrufe herauszufiltern, was ihr bei der anschließenden Punktevergabe jedoch nicht mehr gelang. Für deutsche Fernsehzuschauer muss dies verwirrend gewesen sein, haben sie doch gelernt, dass Kritiker der israelischen Kriegsführung Antisemiten sind, und die erwartet man ja nun nicht im ach so bunten liberalen Publikum. Während in anderen Ländern kritisch berichtet wurde, machte der NDR einmal mehr auf Friede, Freude, Eierkuchen. In der begleitenden Vorberichterstattung fiel weder der Begriff „Israel“ noch „Gaza“. Wir sind die Guten, wir sind bunt und fröhlich. Und nun „Party“! Doch ein großer Teil der Europäer, selbst der, die sich als ESC-Fans versteht, macht diesen Selbstbetrug nicht mehr mit.

Angestachelt von Kampagnen z.B. in der BILD stimmte das deutsche Publikum dann in Mehrheit für Israel – selbst die Ukraine landete beim deutschen Stimmvieh auf Platz 3. Dass der ESC polarisiert, ist nicht neu. Früher verlief die Konfliktlinie zwischen liberalen LGBTQ-Party-People und reaktionären Wutbürgern, die daheim auf dem Grammophon lieber Peter Alexanders „Als Böhmen noch bei Österreich war“ hören. Geschenkt. Heute verläuft die Konfliktlinie offenbar auch innerhalb der liberalen Bubble. Und das ist gut so! Offenbar erzeugt das Morden in Gaza erste kognitive Dissonanzen innerhalb der außenpolitisch unkritischen linksliberalen Bubble. Bis nach Deutschland sind diese Risse noch nicht gekommen … aber unsere Nachbarländer haben sie bereits erreicht.

War noch was? Ach ja. Am Ende siegte der nicht-binäre Schweizer Nemo mit seiner – zugegeben künstlerisch durchaus bemerkenswert vorgetragenen – LGBTQ-Hymne „The Code“. Die ansonsten subjektiv wirklich gruselige Konkurrenz machte es ihm jedoch auch denkbar einfach. Darüber mögen sich konservative Kommentatoren nun aufregen, aber das ist ebenfalls Unsinn.

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Titelbild: Screenshot SRF

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