BAP-Sänger will Frieden mit Waffen schaffen

BAP-Sänger will Frieden mit Waffen schaffen

BAP-Sänger will Frieden mit Waffen schaffen

Ein Artikel von Marcus Klöckner

„Frieden schaffen ohne Waffen, das funktioniert leider nicht“ – das sagte BAP-Sänger Wolfgang Niedecken in einem aktuellen Interview mit der WELT. In dem Gespräch geht es um die Musik Niedeckens, aber auch um die Weltpolitik. Zum Vorschein kommt das politische Realitätsverständnis eines großen Musikers, dessen Wissen über geostrategische Zusammenhänge und die dreckige Tiefenpolitik des Westens von bemerkenswert kleiner Gestalt ist. Am Ende des Interviews steht dann ein Seitenhieb in Richtung Ostermarschierer von einem, der erklären will, der aber nichts verstanden hat. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.

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„Verdammt lang her, verdammt lang, verdammt lang her“ – so lautet der Refrain des wohl bekanntesten Liedes von BAP. Das war 1981. Ja, das ist wirklich „verdammt lang her!“ 43 Jahre. Viel Zeit ist seitdem vergangen. Die frühen 80er: Das war die Zeit der Aufrüstung, der Stationierung neuer Atomraketen in Mitteleuropa, des NATO-Doppelbeschlusses, aber auch der großen Proteste gegen das Wettrüsten. Hunderttausende waren damals auf den Straßen und bekundeten ihren Unmut. Was viele vergessen haben oder gar nicht wissen: Es gab einen Mann mit Namen Stanislaw Petrow. Er war Oberst in der russischen Armee. Als im Oktober 1983 die Computersysteme einen Atomangriff der Amerikaner meldeten, war Petrow der Mann, der am „roten Knopf“ saß. Petrow misstraute der Meldung. Er drückte den Knopf nicht, der den russischen Gegenschlag mit Atomraketen ausgelöst hätte. Deshalb kann der BAP-Sänger heute in einem Interview den Kopf darüber schütteln, dass Ostermarschierer, wie er sagt, „die Friedenstauben hochhalten“, oder sagen: „Heute muss Deutschland dafür sorgen, dass wenn die Ukraine schon den Blutzoll bezahlt – sie von uns mit den notwendigen Waffen versorgt wird, damit Russland diesen Krieg nicht gewinnt.“

Gewiss: Damals ist nicht heute. Aber wer will ernsthaft infrage stellen, dass der Geist des Friedens heute mindestens so notwendig ist wie damals? Wir schreiben das Jahr 2024. Und ein direkter Krieg zwischen Russland und NATO rückt immer näher. Für einen politisch interessierten Bürger – wie es Niedecken offensichtlich ist – sollte nicht schwer zu erkennen sein: Die Konfrontation mit Russland – einer Atommacht – ist ein unverantwortliches, hochgefährliches „Spiel“ mit dem Feuer. Wenn dieses Feuer richtig entfacht wird, dann verbrennen nicht nur die, die dieses „Spiel spielen“, dann verbrennen wir alle.

Der Einmarsch Russlands in die Ukraine ist das eine. Das andere sind die geostrategischen und machtpolitischen Hintergründe sowohl von russischer als auch westlicher Seite. Das eine hängt mit dem anderen zusammen. Ohne das eine gäbe es das andere nicht. Das zu verstehen, ist nicht schwer. Man muss kein Professor der Politikwissenschaft sein, um zu begreifen: Dieser Krieg ist nicht aus dem luftleeren Raum entstanden. Er ist kein Akt Putin’scher Selbstzeugung.

Niedecken trägt mit viel Leidenschaft und noch mehr Überzeugung in dem Interview vor. Die geostrategischen Interessen des Westens, sein tiefenpolitisches Agieren in der Ukraine scheinen Niedecken völlig fremd. Der BAP-Sänger sieht sich – das zeigen seine Worte – als informierter, kritischer Beobachter. Und nicht nur das. Er versteht sich auch in der Rolle des Mahners. „Die Menschen sollten sich gefälligst vernünftig informieren“ und sich zu informieren, sei eben „Arbeit“, die man sich machen müsse. „Ich lese ständig viele Zeitungen, versuche, die Zusammenhänge zu verstehen.“

Zusammenhänge verstehen – das ist ein guter Ansatz. Bei dem Versuch allerdings zu scheitern – das ist denkbar schlecht. Niedecken ist gescheitert. Gescheitert daran zu verstehen, dass es einen Unterschied zwischen der Medienwirklichkeit, die er in den Zeitungen, die er liest, findet, und der Realität gibt. Der BAP-Sänger redet über den Kosovo-Krieg, findet, dass die Farbbeutel-Attacke, damals, auf Joschka Fischer falsch war. Er sei schon damals auf Fischers Seite gewesen. „Es begann mit einer Lüge“ – das hat Niedecken offensichtlich bis heute nicht verstanden.

Information ist eine Holschuld. Es reicht nicht aus, „viele Zeitungen“ zu lesen. Wer sich wirklich informieren will, muss bereit sein, über den Tellerrand seiner eigenen Überzeugungen hinauszuschauen. Er muss begreifen, dass Zeitungen/Medien nicht in einem interessenfreien Raum agieren; dass sie Kampf- und Machtmittel bei der Durchsetzung von politischen Interessen sind; dass ihre „Berichterstattung“ zu oft politisch und weltanschaulich kontaminiert ist.

Niedecken redet so, als müsste man ihm die Grundlagen einer kritischen Mediennutzung an der Tafel erklären. „Warum in aller Welt soll Amerika das Geld für den Verteidigungsschutz Deutschlands ausgeben, wenn wir in Deutschland selbst lange Zeit nicht die geforderten zwei Prozent unseres Bruttosozialprodukts für die Nato aufgewendet haben?“, fragt Niedecken. Deutschland müsse „in die Puschen kommen“ und Niedecken merkt leutselig an: „So blöd das auch ist.“

Im Ton des kumpelhaften Sängers sagt Niedecken: „Du kannst dich nicht rausreden und so tun, als gäbe es die Bedrohung durch Putin nicht.“ Und schließlich: „Aber Frieden schaffen ohne Waffen, das funktioniert leider nicht. Als ich zuletzt wieder die Ostermarschierer sah, taten sie mir richtig leid: 50 bis 60 Leute, die Friedenstauben hochhielten. Ich dachte mir: „Ihr meint es ja gut. Aber relevant ist das nicht.“

Mit diesen Worten endet das Interview. Und damit auch der Einblick in die eindimensionale Erfassung der politischen Realität eines großen Künstlers, dessen Wissen über geostrategische Zusammenhänge und die dreckige Tiefenpolitik des Westens von bemerkenswert kleiner Gestalt ist.

In der Corona-Krise sagte Niedecken: „Es ist asozial, sich nicht impfen zu lassen.“ Was einigen passiert ist, die sich haben impfen lassen, wissen wir heute. Was passiert, wenn die Politik Niedecken folgte und so letztlich mit noch mehr Waffen den Krieg in der Ukraine zur Eskalation treiben würde: Das wird sich dann wohl keiner mehr in Bildern anschauen können. Niedecken war vielleicht mal eine coole Socke. Das ist „verdammt lang her, verdammt lang!“

Titelbild: 360b/shutterstock.com