Leserbriefe zu „„Das Narrativ steht im Fokus“ usw. – Über den Wandel unserer Sprache“, Teil 2
In diesem Beitrag hat Albrecht Müller die Entwicklung der deutschen Sprache hinterfragt. Eine erste Leserbrief-Sammlung dazu ist hier veröffentlicht worden. Zu dem Artikel haben wir noch weitere E-Mails erhalten. Einige beziehen sich auch auf einzelne Leserbriefe. Wir danken für die weiteren interessanten Zuschriften. Es folgt nun eine Auswahl der Leserbriefe. Für Sie zusammengestellt von Christian Reimann. Ergänzung Albrecht Müller: Ich bewundere unsere Leserinnen und Leser ob dieser interessanten Leserbriefe. Danke vielmals.
1. Leserbrief
Sehr geschätzter Albrecht Müller,
ich war hin und hergerissen ob ich hierauf einen Leserbrief schreiben soll oder nicht. Das Thema ist meines Erachtens (m.E.) groß und spannend, es gehört m.E. eingebettet in einen größeren Kontext (Zusammenhang) und mir fehlte darum der Ansatz/Zugang zu meinem/einem Leserbrief. Doch dann ist es wieder passiert, gerade vorhin! Ich fragte im Einzelhandel nach einem bestimmten Produkt (Erzeugnis), bedankte mich über die Auskunft (Info) und bekam ein “gerne” zurück. Dieses “gerne” auf ein “danke” triggert (!) mich – löst also etwas in mir aus. Seit ich denken kann sagt(e) man in Deutschland i.d.R. “bitte” wenn jemand “danke” gesagt hat.
Was ebenfalls (mittlerweile) etwas in mir auslöst ist, dass in meiner schwäbischen Heimat nicht nur das Grüßen an sich nur noch selten stattfindet (insbesondere im städtischen Raum) und wenn dann das internationale/allerwelts “hallo” daherkommt und nicht das traditionelle “Grüß Gott”.
Ob der Wandel in unserer Sprache nun auf englisch/amerikanisch (weitere Beispiele sind on top, moves, support, etc.), auf französisch oder auf deutsch erfolgt, der Wandel ist m.E. jedenfalls sehr deutlich erkennbar – wenn man die “Fühler” dafür hat bzw. bewusst darauf achtet.
Nun kann man sagen, ja das gab es schon immer bzw. gibt es schon lange. Spontan würde ich sagen das es mit “Besatzung” im weitesten Sinne bzw. mit Hegemonie (Führungsrolle) zu tun hat das andere kulturelle Einflüsse übernommen werden und traditionelle kulturelle Eigenschaften verdrängt/verwässert werden. Dieser Prozess mag automatisch bei einer langjährigen (militärischen) “Besatzung” eintreten, er kann m.E. aber auch strukturell bewusst (schleichend) herbeigeführt/forciert (beschleunigt) werden – z.B. durch eine Hegemonialmacht.
Wenn ich sehe wie in Deutschland z.B. amerikanische Sportarten (Baseball-Bundesliga Werbeplakate, Nationale Football Liga (NFL) im TV), m.E. sehr aggressiv da mit viel Kapital/Werbung betrieben, auf dem “Markt” in Deutschland eingeführt werden (sollen), kann ich nur von strukturellem Vorgehen sprechen.
So, dabei möchte ich es einmal belassen.
Herzliche Grüße
Andreas Rommel
2. Leserbrief
Die Liste an irren sprachlichen Verfehlungen ist leider sehr lang. Seit Jahren geht es nicht mehr um Reiseziele, sondern um Destinationen. Langzeit- und Kurzzeitdestinationen. So ein Blödsinn. Ein kurzes, klares Wort durch ein langes, an Destille erinnerndes Unwort zu ersetzen. Dabei wird auch noch auf die englische Aussprache verzichtet. Na, da freuen sich die vulnerablen Wichtigtuer und Klugsch…. Denn: es fehlt ihnen jegliche Resilienz.
Christoph Stölzel
3. Leserbrief
Fremdsprachige Wörter gerieten früher eher beiläufig, zufällig, auch mit modischem Aspekt in unsere Sprache. Heute jedoch werden sie auch gezielt eingeführt, es scheint manchmal sogar über die Medien eingeprügelt. Warum? Nützt das etwa jemandem? Sprache transportiert ja auch Denkweisen, wenn man so will sogar Werte. Und da ist es doch wohl so, dass unsere westliche Welt anglisiert werden soll. In den Schulen werden ja auch nur noch minimal andere Sprachen gelernt.
Detlef Leisterer
4. Leserbrief
Lieber Albrecht,
könnte es sein, dass die Einführung neuer Fremdwörter wie Resilienz, Dystopie, Meme usw. auch den Zweck hat, die “einfachen” Menschen von der politischen Diskussion fernzuhalten: Findet Euch damit ab, dass ihr davon nichts versteht, das ist eine Sache von Experten – und deswegen auf jeden Fall richtig?
Herzliche Grüße,
Dein Hans B.
5. Leserbrief
Liebes Nachdenkseiten-Team,
zur Verbiegung der deutschen Sprache ist mir seit mehr als 10 Jahren folgendes immer wieder aufgefallen, was sich leider auch bei “konservativen” Menschen eingeschlichen hat (mir tut es immer richtig weh, wenn ich es lese):
bei der Beschreibung mit einer Jahreszahl wird munter geschrieben und gesprochen “in 2010” ! Dieser Ausdruck ist reines Englisch, aber kein Deutsch!
Korrekt heisst es im Deutschen: “Im Jahre 2010…” oder schlicht “2010 hat sich dieses und jenes ereignet”
Herzliche Gruesse
Christoph Gloth
6. Leserbrief
Sehr geehrter Herr Müller,
vielen Dank, dass Sie den immer stärker vernachlässigten Gebrauch deutscher Wörter zugunsten von neuen Fremdwörtern thematisieren. Für mich ist es eine gedankenlose, bereitwillige Unterwerfung unter die englisch-amerikanische Kultur und ein anscheinend typisch deutsches Verhalten. Während auch amerikanische Produktneuerungen z.B. in Frankreich oder Spanien meist in eigener Sprache ausgedrückt werden, bleiben sie bei uns ‚denglisch‘. So ist der Elektronikrechner bei uns Computer, Personal Computer oder kurz PC in Frankreich dagegen l’ordinateur, in Spanien ordinador. Das kleine Funktelefon bei uns Handy, in Frankreich le portable oder le mobile und im frankophonen Kanada le cellulaire, im Spanischen el movil oder in Lateinamerika el celular. Dies gilt auch für soziale Verhaltensweisen, z.B. pay gap oder equal pay day statt Gehaltsunterschied oder Gleichbezahlungstag und Ihre aufgezeigten Beispiele.
Auch die international kooperierende Industrie ist davon betroffen. So nennen die deutschen Airbuspartner ihr Transportschiff für Großbauteile ‚City of Hamburg‘, die Franzosen ‚Ville de Bordeaux‘ und die Spanier ‚Ciudad de Cadiz‘.
Gestern folgte ich einer freundlichen, gut organisierten Einladung der Firma SüdLink – nicht SüdVerbund – zur Besichtigung der Baustelle für die Stromtrasse der Elbquerung bei Wewelsfleth. Projektbezeichnung ElbX wobei das X anscheinend das Wort cross Querung oder Kreuzung bedeuten soll. Auf der Einladung stand, dass wegen Parkplatzmangel am Baugelände auf einen größeren entfernten Parkplatz ein Shuttleservice – Pendelverkehr – eingerichtet wird. Für das leibliche Wohl wird durch einen Foodtruck – Imbißwagen – gesorgt. Dort konnte man wählen zwischen pork bowl, chicken bowl u.a. englische Bezeichnungen – es waren Schweine- und Hühnerfleich in Pappschalen und umweltfreundlichen Holzgäbelchen.
Mit freundlichen grüßen
Helmut Häuser
7. Leserbrief
Lieber Herr Müller,
ja, es ist manchmal eine “Krux”, sprich ein Jammer mit der (deutschen) Sprache. Schon Gott als Herr im Himmel soll den irdischen Eroberern seines Refugiums einen Riegel vorgeschoben haben, indem er ihren Turmbau zu Babel insofern zunichte machte, als dass er ihnen im wahrsten Sinne des Wortes diese buchstäblich im Munde verdrehte und keiner mehr den anderen verstand. Das “Ausspionieren” seines Himmelreichs scheiterte also am “Ich-nix-(mehr)-verstehen”!
Seit damals hat sich die Erde weitergedreht und mit ihr haben sich die unterschiedlichen Sprachen weiterentwickelt. Dank heutiger KI können die sprachlichen Unterschiede mittlerweile per Computerprogramm übersetzt werden. Die zwischenmenschliche Kommunikation im Sinne eines respektvollen Umgangs miteinander können diese Programme aber auch nicht fördern: Wer “nix verstehen will, der versteht auch nix”. Und wer “fake news” verbreiten will, indem er Texte sprachlich verkürzt oder Wichtiges einfach weglässt, kann dies ungehemmt tun. Ein besonderes Schmankerl ist für mich die neueste Behörden-sprachliche Kreation aus dem Hause Karl Lauterbach: “Krankenhausverbesserungsversorgungsgesetz (KHVVG)”! (Siehe NDS vom 22.04.2024 -Sterben, bis der Arzt kommt). Wer versteht dieses “Schwurbel”-Wort? Ich persönlich nur insofern, als dass damit auch dem letzten Kranken der Garaus gemacht werden soll! Oder der von der WHO ausgedachte “Pandemie-Vertrag”, mit dem es noch dem letzten Gesunden an den Kragen gehen soll! Bei solch sprachlichen “Ergüssen” frage ich mich, ob die menschliche Intelligenz nicht bereits den Grund des Baches erreicht hat!
Nichtsdestotrotz muss sich Sprache in ihrer Vielschichtigkeit dem kulturellen Zeitgeist anpassen, damit sie lebendig bleibt. Sprache, die sich nicht weiterentwickelt, ist per se eine tote Sprache. Martin Luther hat auf dem Reichstag zu Worms gesagt, “So ist nichts mehr hie gehandelt denn so viel: Sind die Bücher dein? Ja. Willtu sie widerrufen oder nicht? Nein. So heb dich”! (Wikipedia, Martin Luther auf dem Reichstag zu Worms 1521). So redet heute kein Mensch mehr. Eine Antwort sieht heute ungefähr so aus: “Ey Digger, troll Dich, was schwurbelst Du, verbreite hier keine Verschwörungstheorien”! Martin Luther würde dann wohl denken, der Leibhaftige stünde vor ihm.
Viele aus z.B. dem Englischen entlehnte Wörter stehen heute für sich wie etwa “Jeans”. Wenn ich im Geschäft nach einer “blauen Baumwollhose” frage, bin ich nicht sicher, ob ich eine Jeans erhalte. Den “global player” orte ich im Wirtschafts- oder Finanzsektor, den “Weltspieler” eher im Fußball. Wütend macht es, wenn Sprache zu Propagandazwecken missbraucht wird und heute bereits herzige “Marschflugkörper” per TV in Kinderzimmern umherfliegen oder dass bei den “Grünen” nicht mehr der Krokus, sondern der Taurus hoch im (Aktien-)Kurs steht. Oder eine Frau von der Leyen mit ihrem Masken-“Deal” millionenfach Steuergelder veruntreut hat. Hier entlarvt die Sprache gewissermaßen die Tat, bzw. die Täter.
So lange es die Menschheit geben wird, wird auch deren Sprache sich weiterentwickeln, und ich finde, das ist gut so! Denn um das Alte, sprich das kulturelle Erbe als einen Menschheits-Wert zu erhalten, muss Sprache sich dem Neuen immer wieder öffnen. Auch dann, wenn man selbst anderer Meinung ist, denn auch Sprache sollte demokratisch gewürdigt werden.
In Norddeutschland sagt man auf Plattdeutsch “Tschüss”, laat di’t good gahn!
Claudia Limlahi
8. Leserbrief
Liebe Redaktion,
im Anhang finden Sie – etwas lang vielleicht, aber so lang wie nötig- meinen Leserbrief.
Mit freundlichen Grüßen
Erhard Schulze
9. Leserbrief
Fremdworte
…die mich befremden:
Podcast
briefing
think big
Channel
Newsletter
Longevity
linken
Degrowth
Joachim Raedler
10. Leserbrief
Lieber Herr Müller,
Ich war etwas überrascht, in den Nachdenkseiten einen Beitrag zum Sprachwandel zu lesen und zu hören, denke aber, daß dieses Thema in einer kritischen Webseite angesprochen gehört.
Ich gehe davon aus, daß sich Ihre Bitte um Rückmeldung zu neumodischen Ausdrücken bezieht.
Äh, genau!
Da selbst Jahrgang 1952 und mit Breisgauallemannisch aufgewachsen, verfolge ich nicht nur das Auftauchen (und in vielen Fällen auch wieder Verschwinden) von Modewörtern, sondern auch den zunehmenden „Wandel“ in der Betonung etwa bei Namen. Die Kommissarin Odenthal fahndet in Ludwigshafen. Oder man kann etwa in Radiosendungen erleben, daß ausgebildete Sprecher des swr offenbar nur norddeutsche Betonungen oder Aussprachen gelernt haben. Möglicherweise muß ein Sprecher des NDR nicht unbedingt wissen, daß die Konstanzer keine spitzen Steine kennen, obwohl sie wahrscheinlich den breiten Schäublemodus „Konschdanz“ schon vernommen haben. Und wenn der Regionalreporter Thomas Wagner aus Friedrichshafen mit der am Bodensee üblichen Betonung berichtet, beharrt der zwischenzeitlich einge“nordete“ Moderator des SWR bei seinem Friedrichshaven.
Komplett komisch wird es bei der sprachlichen Behandlung der Pfalz. Selbst die Ministerpräsidentin habe ich schon dabei erwischt, daß sie von der „Falz“ gesprochen hat. Wie können die Pälzer nur dulden, daß man ihnen jetzt das P ganz wegstiehlt? „Das Fead gehört jetzt zu Deutschland“! War das nicht der Spruch des Kurzzeitbundespräsidenten aus Hannover?
Noch ein Beispiel der „Betonungsverschiebung“ bei Personennamen. Hertha Däubler-Gmelin hat sich wohl nie öffentlich dazu geäußert, daß ihr urschwäbischer Name, den unter anderem berühmte Gelehrte getragen haben, wie Trittin oder meinetwegen Fontanes Stechlin betont wird. Hier im Breisgau und darüber hinaus gibt’s die (kleinen) Höfflin, Bürklin, Zimmerlin, Schmidlin … Wann werden die dran sein?
Immerhin hat der“ Wandel“ jetzt auch den Basler Arnold Böcklin eingeholt, wie ich höre. Man darf gespannt sein, wann Hölderlin in den Medien endlich „richtig“ betont wird.
Ich grüße Sie
Ihr Alfred Winski
11. Leserbrief
Lieber Herr Müller
hier noch ein kleiner Nachtrag zu meinem Schreiben v. 23.4.: Sie forderten die Leser auf, Ihnen einschlägige Fundstücke zu schicken. Das will ich hiermit tun.
Schon zwei Tage später, am 25.4.2024 las ich in einem NDS-Beitrag von Marcus Klöckner folgenden Satz: »Wohl kaum ein Beobachter und Analyst der politischen Entwicklungen vermag mit letzter Gewissheit zu sagen, was kommt oder was nicht kommt.« Leute, deren Geschäft die Analyse ist, heißen im Deutschen Analytiker und im Englischen ›analysts‹ oder ›analyser‹ bzw. ›analyzer‹ in dessen nordamerikanischer Variante. In der angelsächsisch dominierten Finanzwelt ist es schon lange üblich, die Analytiker von Wertpapieren als Analysten zu bezeichnen. Das erscheint akzeptabel, zumal es sich hier einen recht kleinen und gut abgegrenzten Kreis handelt, der diesen Sprachgebrauch pflegt, und dadurch auch eine deutlichere Unterscheidung von anderen Analytikern wie etwa den Psychoanalytikern erreicht wird, die oft nur verkürzt benannt werden, etwa in Formulierungen wie ›mein Analytiker meint, dass …‹.
Es gibt jedoch keinen Grund, den, wie ›Physiker‹ und ›Chemiker‹ — unter den letzteren ist ein Analytiker natürlich ein analytischer Chemiker — nach den Wortbildungsregeln der deutschen Sprache aus dem Griechischen bzw. Mittellateinischen abgeleiteten, Ausdruck ›Analytiker‹ durch den englischen ›analyst‹ zu ersetzen. Letzteres ist nicht nur der Versuch, irgendwie zeitgemäß zu erscheinen, sondern zerstört die Sprache, weil es gegen deren Kern, ihre Funktionsregeln, gerichtet ist.
Im Vergleich dazu sind Neologismen wie ›Label‹ bzw. ›labeln‹ und ›Narrativ‹ harmlos. Letzterer hat ja durchaus sein Recht, auch wenn manche Autoren das etwas überstrapazieren. Denn ein Narrativ ist eben nicht nur schlicht eine Erzählung — das treffende Fremdwort dafür wäre ›Narration‹ —, sondern ›die Moral von der Geschicht‹. In ihm verbindet sich der Anspruch auf die Gültigkeit eines Aussagegehalts — in der Sprache der analytischen Philosophie: des propositionalen Gehalts — einer Geschichte mit einer spezifischen, nämlich legitimierenden, Funktion. Es transportiert eine Sicht der Dinge bzw. Ereignisse, die die Position des Erzählers unterstützt, während etwa die literarische oder auch bildnerische Form von untergeordneter Bedeutung ist und höchstens auf das Zielpublikum angepasst wird, also in dder Bildzeitung anders aussieht als in der Zeit. Kurzfassungen wie ›Virus böse, Impfung gut‹, ›Putin böse, Westen gut‹ oder ›X ist ein Putinagent‹ werden in einer zum Anlass und zum Publikum passenden bildlichen Verkleidung variiert.
Um mein Narrativ zu wiederholen: es hat wenig Sinn, sich an der Fremdheit einzelner Vokabeln aufzuhalten. Es gilt nach ihrer Funktion zu fragen, dabei Brauchbares anzunehmen und vor allem auf seine sinngemäße Verwendung zu achten, Unbrauchbares und Destruktives wie ›Sinn machen‹, ›Analyst‹, ›meinen‹ für ›bedeuten‹, Sternchen und dysfunktionale Partizipien dagegen zu vermeiden und, wo nötig, auch zu bekämpfen. Es geht in der Tat darum, einen Angriff auf unsere mentale Gesundheit abzuwehren.
Ich grüße sie vielmals
Rainer Fischbach
12. Leserbrief
In seinem ausgezeichneten Artikel beschreibt Albrecht Müller die sprachlichen Verflachungen der neuesten Zeit. Im Zentrum stehen dabei vor allem Modebegriffe der letzten Jahre. Herr Müller fordert die Leser auf, ihre eigenen Erfahrungen auf diesem Gebiet mitzuteilen. Ich möchte von diesem Angebot Gebrauch machen:
„ Mein Kritikpunkt bezieht sich dabei nicht auf ein neues Wort, sondern auf Gebrauch des Wortes ‚kommunizieren‘, der sich in den letzten Jahren geändert hat.
Soweit sich das Wort ‚kommunizieren‘ auf den Informationsaustausch bezieht, kann man davon ausgehen, dass die sprachliche Interaktion zwischen gleichberechtigten Partner stattfindet. Dies entspricht auch dem lateinischen Wortstamm communis = gemeinsam. Dementsprechend hatte kommunizieren auch kein Akkusativ- oder Dativobjekt. Heute liest man demgegenüber häufig Sätze wie diese:
- Der Chef (Subjekt) kommuniziert seinen Mitarbeitern (Dativobjekt) die neue Firmenstrategie (Akkusativobjekt). Die Kommunikation ist hier nicht gleichberechtigt. Denn ausser Verständnisfragen dürfte es in einem solchen Verfahren keine Diskussion geben.
- Minister Habeck (Subjekt) kommuniziert seine Energiepolitik (Bei Berichten über Politikern ist meist das Dativobjekt weggelassen , gemeint ist in einer solchen Situation etwa die Wählerschaft oder das Volk, an welche die Politiker sich richten.)
Früher wären solche Formulierungen in Schulaufsätzen als grammatischer Fehler angestrichen worden. Und dies mit gutem Grund. Statt kommunizieren hat man früher das deutsche Wort ‚mitteilen‘ verwendet. Das Wort ‚mitteilen‘ zeigt durch seine grammatische Struktur mit Subjekt, Dativ- und Akkusativobjekt die Asymmetrie der Situation auf. Beim Wort kommunizieren wird jedoch der fälschliche Eindruck einer gemeinsamen (kommunen) Anstrengung erweckt. Die Wortwahl dient somit der Verschleierung von hierarchischen Strukturen.
Günter Baigger
13. Leserbrief
Lieber Herr Albrecht Müller,
danke für diese Ihre Bemerkungen zur Verzerrung der Deutschen Sprache. Ich bin Jg. 1954 und von daher überschaue ich auch schon einige Zeit.
Und habe noch ein paar Beispiele anderer Art als die von Ihnen genannten Lehnworte aus anderen Sprachen: Nach 15 Jahren in England kam ich 2010 wieder nach Frankfurt und war erstaunt, jetzt ‘Fahrtreppen’ vorzufinden, Schraubendreher’, “fußläufig” zu erreichendes, um Dinge “zeitnah” zu tun, “trockene Tücher” usf – diese Worte bleiben mir fremd. Sie gehören nicht zu der Art der Beispiele, die Sie aufgezählt haben, erscheinen mir aber wie eine Art ‘Ernüchterung’ und Vereinfachung der Sprache,
Alles was wir dem Englischen entlehnen (“am Ende des Tages” war eine Zeitlang populär, oder auch “zurückrudern”) stößt mir unangenehm auf – und bewußt versuche ich, immer zu umschreiben und Anglizismen zu vermeiden – das jüngste Beispiel erzählte mir mein Osteopath – Patienten klagten mehr und mehr darüber, dass sie ‘prokrastinieren’…
Zuletzt macht mir der Bedeutungswandel des Wortes ‘geil’ viele Sorgen – dieses ersetzt ganze Reihen möglicher differenziert beschreibender Worte – neulich stürzte eine nicht mehr junge Frau, ihren Mann mit sich ziehend, im Botanischen Garten auf einen blühenden Busch zu und rief – das ist ja geil! Es gehen die Besinnungsmomente verloren, das Suchen nach dem richtigen Gefühl zunächst mal, damit dann das richtige Wort gefunden werden kann.
Das sind also meine Sorgen und meine Beispiele, ganz am Rand beunruhigt mich auch die Tatsache, dass der gewohnte Tonfall und die Satzmelodie aus dem allgemeinen Deutsch (vermutlich vor allem in der Großstadt) verschwindet und stattdessen ein Singsang, der seinen Ursprung in hauptsächlich arabischen und der türkischen Sprache zu haben scheint, so sehr Überhand nimmt, dass auch offensichtliche Frankfurter Kinder, Jugendliche und Erwachsene ihn übernehmen.
Zu ihren Beispielen (Trottoir z.B., was ja kaum noch gebraucht wird außer im Südhessischen als Trotte-waa) kann man sich ja fragen, wie weit geht es zurück, dass man Fremdworte normal findet, und hat das mit dem Geburtsjahr zu tun? – aber sicherlich befördert alles von Ihnen Genannte auch das sinn-entleerte Sprechen und entfernt mehr und mehr Menschen davon, überhaupt anspruchsvollere Literatur lesen zu können, oder längere Gedankenfäden verfolgen zu können…
Ich hoffe das war jetzt nicht zu lang, und danke Ihnen und allen, die die ‘Nachdenkseiten’ schreiben, für Ihren unermüdlichen Einsatz. Bitte entschuldigen Sie meine Fehler in der Groß – und Kleinschreibung sowie Zeichensetzung; die früher einmal bestehende Sicherheit hat sich durch 15 Jahre England leider aufgelöst.
Herzlich
Cläre Kunze
14. Leserbrief
Lieber Herr Müller!
Ich bin im alemannischen Gebiet geboren und aufgewachsen und dazu gehört die alemannische Sprache. Und diese typischen französischen Begriffe gehörten früher zu unserer Sprache und wurde selbstverständlich gebraucht. Leider wird das Alemannisch nur noch wenig im Original gesprochen, da das Hochdeutsche immer mehr Einzug hält.
Schade, so geht gelebte Kultur verloren.
Herzliche Grüße
Brigitte Schwarzwälder
PS: was bedeutet labelt? Etikettieren?
15. Leserbrief
Danke an Herrn Müller, das war ein anregender Impuls! Sooft ich „meine“ Kultursender höre, aber auch in der Presse fallen mir nämlich schon länger bestimmte, sich wiederholende Formulierungen auf. Ich kann mich längst nicht an alle erinnern, aber hier ist eine Auswahl:
[„content“] Es kommt nicht mehr so sehr auf den „Content“ (Inhalt) an, viel wichtiger ist die „Performance“ (Außenwirkung). Früher sagte man dafür: außen hui, innen pfui. Mittlerweile tritt man übrigens nicht mehr auf, sondern „performt“.
[„kommunizieren“] Wenn etwas gründlich schiefgegangen ist, dann liegt das in nicht an den Verursachern oder der verkorksten Sachlage – dem „content“, siehe oben –, sondern nur daran, dass der nicht richtig „kommuniziert“ wurde.
[„man“] Immer öfter fällt mir eine de-personalisierte Sprechhaltung auf, die ich so früher nicht kannte. Durch Medienleute befragte Mitmenschen antworten nur noch sehr selten mit „ich“, sondern grundsätzlich mit „man“. Sie weichen aus in das allgemeine „man“, als fürchteten sie, etwas Unzulässiges preiszugeben.
[„kann“] Wir erfahren in Werbung und Medien mehr von Möglichkeiten als von Fakten. Eine Maßnahme oder ein Mittel KANN zur Verbesserung beitragen, die Gefahren für unsere Sicherheit KÖNNEN größer werden („steigen“), die Lage KÖNNTE sich zuspitzen usw. Sooft ich die Worte „kann“ oder “könnte” höre bzw. lese, ergänze ich für mich im Stillen: „– muss aber nicht“. Das beruhigt.
[„oder“] Medienleute, Moderatoren etc. fragen bevorzugt in der Oder-Form, wodurch die Zahl der Entscheidungsmöglichkeiten auf zwei reduziert wird: “Sehen Sie eher a oder b?” Ich freue mich jedes Mal, wenn der/die Befragte auf solche Fragen ausholt, die Frage selbst in Frage stellt und das Feld der Möglichkeiten erweitert, denn mit dem ständigen Entweder-Oder wird schon das Denken alternativlos „gespalten“ in zwei vorgestanzte Alternativen. Nein – es gibt immer mehr Möglichkeiten als nur a oder b; manchmal a + b, manchmal weder a noch b, oft darüber hinaus noch c und d und weitere!
Susanne Eckstein
16. Leserbrief
Sehr geehrter Herr Müller,
die Lektüre über die Narrative unserer Zeit war mir ein Vergnügen.
Bei mir entsteht immer häufiger der Eindruck die wirrsten Stilblüten politischen Neusprechs kommen genau dort zum Einsatz, wo Unverbindlichkeit und semantischer Interpretationsspielraum gewünscht sind. Der inflationäre Gebrauch mancher Begriffe grenzt dabei an Gehirnwäsche und kann die Unterschiede der öffentlichen und veröffentlichten Meinung super ausgleichen. Die alte Frage ist, ob dieses “Framing des Mindsets” Opium des Volkes oder Opium für das Volk sein will und soll.
Zur Wahrheit gehört auch, dass wir uns am Ende des Tages ehrlich machen müssen. Floskeln sind gut für aussagefreien Redefluss und gegen klare Linien. Nur so lässt sich die besäufniserregende Lage nüchtern betrachten.
Gruß an die ganze NDS-Redaktion
Stefan Kühn
17. Leserbrief
Sehr geehrte Damen und Herren,
hier folgt ein Leserbrief zu dem Artikel vom 23. April.
„Das Narrativ steht im Fokus“ Über den Wandel unserer Sprache”.
Viele Grüße,
Barbara Streun
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Leserbrief zum Artikel:
„Das Narrativ steht im Fokus“ usw. – Über den Wandel unserer Sprache (23. April 2024)
Gerade neulich dachte ich melancholisch darüber nach, dass die deutsche Sprache ganz offensichtlich auf dem Rückzug ist.
Die Wissenschaft spricht Englisch, die Wirtschaft auch. Das Bildungsbürgertum lässt seine Kinder am besten schon im Kindergarten Englisch lernen, und in der alltäglichen Geschäftskommunikation halten eine durch KI und Online-Übersetzungen verzerrte Sprache und Grammatik Einzug. Und alle machen mit – man versteht ja, was gemeint ist.
Auch die weniger Elitären, die „Bildungsfernen“ sprechen eine Pidginsprache aus Deutsch, Englisch und zunehmend auch mit arabischen und türkischen Einsprengseln.
Klassische Dialekte sterben aus. In einer Generation wird niemand mehr „berlinern“.
Für Teenager ist alles “voll nice”, und es wird “reacted” anstatt “reagiert” – muss das sein?
Was noch übrig ist von der schönen, für ihre Präzision bekannten deutschen Sprache wird zermalmt zwischen analphabetengerechter “einfacher Sprache”, der sonundsovielen Rechtschreibreibreform, der ideologischen Weltverbesserung – und natürlich auch durch das Personal aus Politik und Medien.
Jene Berufsgruppen, einstmals Leuchttürme sprachlicher Brillianz und Quelle verwegener Neuschöpfungen, beschränken sich zunehmend auf eine formalisierte, schablonenhafte Sprechblasensprache, und sie haben die einstige Exaktheit des Deutschen durch haltungsgerechte Schwammigkeit ersetzt.
Es ist schade um das Deutsche, jene lautmalerische und auch poetische Sprache, die wie keine andere in der Lage ist, exakt zu differenzieren und Nuancen abzubilden!
Die nächste Generation wird immer weniger Deutsch sprechen, und den Sinn für die Feinheiten dieser Sprache möglicherweise gar nicht mehr entwickeln.
Sie wird das Deutsche auch nicht mehr ausbauen. Der Wortschatz schwindet, neue, deutsche Worte werden kaum noch erschaffen. Leichter ist der schnelle Import.
Dass zudem generell weniger gelesen und geschrieben wird, und dafür mehr in Bildern kommuniziert, wird diese Entwicklung noch beschleunigen.
Lehnworte aus anderen Sprachen gab es immer und wird es immer geben. Gegen solche Farbtupfer ist nichts einzuwenden, zumal sie auch Lücken füllen in bestimmten Bedeutungszusammenhängen, und so die Sprache erweitern. Es ist auch selten eine Einbahnstrasse, es gab immer Austausch zwischen Nachbarsprachräumen.
Dass Sprache sich verändert und entwickelt, ist eine Binsenweisheit.
Zu Überdenken aber ist die Adaption fremder Worte dort, wo sie weder notwendig noch zweckmäßig sind, und dann, wenn wir unsere eigene Muttersprache zu sehr anderen, offenbar derzeit als schicker erachteten Sprachen unterordnen, indem wir auch fremde Laute und Schreibweisen adaptieren, die unseren Sinnen und unseren Zungen eigentlich gar nicht vertraut sind.
Es ist ein Gebot der Höflichkeit, einen fremdartigen Namen – etwa eines Gastes – korrekt auszusprechen. Aber längerfristig sollten sich ungewohnte Laute der hiesigen Zunge anpassen, wenn sie denn Teil unserer Sprache werden.
Nicht von ungefähr wurde in der Vergangenheit aus dem “pot de chambre” auf gutdeutsch der “Botchamber”. Es wurde eingedeutscht.
Das mag nicht immer elegant sein, und es haftet diesem Vorgehen hierzulande etwas provinzielles, oder gar koloniales/chauvinistisches an. Andere Länder sind da entspannter. Frankreich “französisiert” mit System. Und, wer in ein englischsprachiges Land auswandert, der passt sich ganz von selbst an. Deutsche entfernen schnell die Umlaute in ihren Namen, und aus einem „Hans“ wird ein „John“.
Umgekehrt? Nein, wir gefallen uns darin, Namen wie “Özoğuz” möglichst so auszusprechen, wie es in der Türkei gemacht würde. Und wir geben Kindern englische Namen wie “Justin”. Müsste man ihn nicht “Dschastin” schreiben? Das tun wir aber nicht, weil es blöd aussieht, so denken wir, und wir lachen über die DDR, in der es tatsächlich Schreibweisen wie „Maik“ und „Devid“ gab – vermutlich durch Standesbeamte, die dem eskapistischen Impetus der Eltern einen Riegel vorschieben wollten (müssten wir ein inzwischen auch in den Duden eingewandertes Wort wie „labeln“ nicht eigentlich mit „äi“ schreiben?).
Selbst möchte ich hier gar keine radikale Position einnehmen, ich nutze auch selbst viele Anglismen und Fremdworte, aber es wäre schön, wenn wir uns unseres Umgangs mit Sprache etwas bewusster wären. Dann würde das Deutsche vielleicht nicht immer auf den hinteren Rang verwiesen. Die deutsche Sprache ist ein Kulturgut. Und Sprache ist Heimat.
18. Leserbrief
Liebe Nachdenkseiten-Macher,
nach Lektüre der Leserbriefe zum Thema Wandel der Sprache muss ich noch etwas ergänzen:
1981 habe ich ein Jahr in Frankreich als “Assistante de langues” an einer Schule Deutsch unterrichtet.
Zu dieser Zeit gab es zwei bemerkenswerte deutsche Fremdwörter in der französischen Sprache: ” le berufsverbot” und ” le waldsterben”
Ich glaube, diese beiden Wörter wären auch ausreichend um die aktuelle Situation unseres Landes zu charakterisieren!
Nebenbei: Zum Thema ” Berufsverbot” sagte mir ein ca 17 jähriger französischer Schüler:” Alors, ce n’ est pas une vraie démocratie….”
Muss wohl nicht übersetzt werden..
Liebe Grüsse
Christine Reichelt
19. Leserbrief
Sehr geehrter Herr Müller,
mit o.g. Artikel haben Sie bei der werten Gemeinschaft der Nachdenker ein regelrechtes “Brainstorming” ausgelöst, mit Antworten teils interessant, teils amüsant. Nun fühle ich mich aufgefordert, auch noch meinen “Senf dazu zu geben”.
Zwei Punkte:
- Zum Beispiel Ihrer Großmutter: manche dieser Worte sind auch in Bayern bekannt, nur halt als “Botchamberl” oder eben auch “Plafond”.
Das ist nicht weiter verwunderlich, wurden sogar für Wehrmachtsoldaten 1940 kleine Wörterbücher erstellt.
- Im zweiten Fall fällt es mir schwer, die Beherrschung zu wahren; ist es doch an Verwerflichkeit kaum zu überbieten.
Wenn ich mich an mein Berufsleben erinnere: Bewerbungen hatte man stets an die PERSONALSTELLE einer Firma zu richten oder es gab Angelegenheiten im PERSONALBÜRO zu erledigen. Doch mit dem Eintritt ins 21. Jahrhundert erweiterte sich bei vielen der (?)Horizont, wer wollte da nicht dazu gehören. Auch unsere international tätige Firma wurde nun als “Global Player” bezeichnet, und die Abteilungsbezeichnungen mussten angepasst werden. Der neue Name besagter Abteilung lässt tief blicken: HR (human resources).
Beste Grüße und Dank für Ihre Arbeit
J.H.
20. Leserbrief
Bei meiner Großmutter in Sternberg/Meckl. wohnte vor dem 2. WK ein Tischler zur Weiterbildung beim Technikum in einem Zimmer mit dem FranzSpieß*, wie sie immer sagte. Und dann, woher kommt eigentlich der Abschiedsgruß “Tschüß”? So, wie ich es sehe, auch aus dem Französischen mit der plattdeutschen Verballhornung: Adieu – Adschö- Tschö – Tschüß. Un dann gew dat noch den “viggelienschen Kierl”. Plattdeutsches Französisch ist köstlich! Leider stirbt es aus.
*Achso, Franzspieß ist das Zimmer mit dem Frontispiz.
Ich höre jetzt auf zu schreiben, weil ‘ich habe Zeit mehr’. In der AgitProp-Sendung “heute Show” sagte Welke kürzlich: “…, außer ich”. Toll, die Entwicklung.
Freundlichst verbunden, G. Pingel
21. Leserbrief
Ich höre jetzt sehr oft:
Akteur, Akteur, Akteur…. Nicht mehr die Verantwortlichen, Beteiligten, Unterhändler, Vertreter, Verbrecher etc. Passt ja gut zum blinden Aktionismus. Baerbock scheint die Vorturnerin für das ‘Akteuren’ zu sein.
Oder es ist der immer verwaschenere Jargon dessen, was sich heute noch Sozialwissenschaften nennt.
Grüße,
Annette Pollmann
22. Leserbrief
Moin!
Aus Motivation wegen der ergänzenden Anmerkung Albrecht Müllers, die schiere Menge an veröffentlichten Zuschriften auch wirklich zu lesen (diese lese ich immer komplett), habe ich einige Anmerkungen sowie eigene Beispiele, die ich leider bei meiner letzten Zusendung vergessen habe. Es würde mich freuen, wenn Sie meinen Beitrag in Ihren 2. Teil einfließen ließen.
In Leserbrief Nr. 6 wird argumentiert, daß die “humanitäre Katastrophe” falsch übersetzt sei; tatsächlich ist sie das nicht. “humanitarian” bedeutet gleichwohl “humanitär” im Sinne von “auf die Linderung menschlicher Not bedacht” oder auch “Menschenfreund”. Im Englischen wird anstatt “catastrophy” auch gerne “crisis” oder “disaster” verwendet, während es dem Wortsinn nach keinen Unterschied macht, wenn man sie mit “humanitarian” kombiniert. Eine “menschenfreundliche Katastrophe” ist ein Oxymoron, ein Widerspruch in sich, da stimme ich Herrn Schwarz zu 100% zu. Es drängt sich der Verdacht auf, daß von Seiten der Politiker & Journalisten absichtlich mit “menschenfreundlichen” Worten eine beinahe schon rabulistische “Erklärung” für menschliche Gräueltaten gezielt erfunden wurde, ganz im Sinne psychologischer Kriegsführung. Zusammen mit dem Vermengen von natürlich auftretenden Katastrophen (Erdbeben, Überschwemmungen, Wirbelstürme) und von Menschen gemachten Katastrophen (Hungersnöte, Wassermangel, Kriege, atomare Verseuchung) kann man letztendlich dem Volk verkaufen, daß so etwas wie Kriege vom Himmel gefallen wären — was aber auch die Mär vom “menschengemachten Klimawandel” stützt, in der man munter seit Jahrzehnten (!) alle möglichen natürlichen & von Menschenhand geschaffenen Katastrophen vermengt (ganz berühmter Klassiker ist Naomi Klein’s “Schockstrategie”, wo diese Vermengungen zuhauf angewendet werden). Hier wird aus meiner Sicht ganz absichtlich nicht differenziert (mangelhafte oder fehlende Differenzierung könnte man als weitere Manipulationsmethode einbinden).
In Leserbrief Nr. 8 wird vom “downloaden” gesprochen, das etwas ist, was jemand tun kann -> “ich downloade”. In Herrn Goldbrunners Anmerkung findet es sich aber als etwas wieder, das mit einem getan werden kann -> “ich werde downgeloadet”. Zudem ist das Beispiel Präsens. Futur I müßte heißen “ich werde downgeloadet werden” und Futur II “ich werde downgeloadet worden sein”. Auf verbformen.de findet sich die korrekte Futur II-Version “ich werde downgeloadet haben”. Damit jemand “downgeloadet” werden kann, müßte man seine gesamte Existenz digitalisieren, womit die physische vernichtet würde. Nach dem jetzigen Stand der Wissenschaft & der Technik ist dies jedoch unmöglich, man kann also nicht “downgeloadet” werden.
Eine weitere sprachliche Kuriosität ist das Wort “eigentlich”. Es ist als “Partikel” definiert, was so viel bedeutet wie “Wort ohne Funktion” und “ohne eigene Bedeutung”. Es steht also in keiner Beziehung zu irgend einem anderen Teil im Satz und trägt daher nicht zu einer sinnvollen Kommunikation bei. Man könnte es auch als “Bläh”- oder “Füll”-Wort betrachten. Gemäß Wortdefinition finden sich im Duden etliche Definitionen, die sich auch widersprechen: entweder ist etwas “wirklich bedeutsam” und “relevant” oder meint einen halbherzigen, nicht überzeugenden Einwand; es weist auch auf bereits aufgegebene Absichten hin (die man, warum genau, dennoch äußert?). Es kann relativierend oder verstärkend wirken, in den allermeisten Fällen verwässert es jedoch Aussagen und Fragen. Es macht aus einem ernsthaften Anliegen etwas Beiläufiges, etwas Unbedeutendes, nicht der Rede wert. Man will im Grunde etwas, aber dann doch nicht so wirklich. Ich denke da dann stets: “Ja, watt denn nu?”
Wenn jemand mit “eeeeigentlich…” anfängt, kommt meine Gegenfrage: “eigentlich oder uneigentlich?”, oft gepaart mit verwirrten Blicken des Gegenüber. Für mich ist es das sinnloseste Wort der Welt.
Noch so ein Un-Wort: Perfekt! Dessen gehäufte Verwendung beobachte ich im Alltag überwiegend bei weiblichen Menschen, eine an sich schon faszinierende Erkenntnis. Aus dem Lateinischen kommend, beschreibt es einerseits die Vergangenheit als etwas Vollendetes. Andererseits wird es aber auch als “frei von Mängeln” respektive “vollkommen” definiert, quasi eine andere Form von Vollendung. Aber genau diese Vollkommenheit schließt sich in der Praxis immer aus: beispielsweise gibt es die “perfekte Kante” nicht: sie ist nie ganz gerade, und unter dem Mikroskop finden sich immer Unebenheiten; es gibt auch keinen “perfekten Kreis”, denn selbst Pi läßt sich mathematisch nicht vollkommen darstellen (unendliche Stellen hinter dem Komma). Man kann sich in der Praxis der “Perfektion” also nur annähern, sie aber niemals erreichen. “Perfekt” als Superlativ wird unzulässigerweise für niedrigere Komparationsstufen verwendet (etwas, das “besser” ist, wird nicht nur fälschlicherweise als “das beste” bezeichnet, sondern in seiner Absolutheit auch noch Unübertreffbares, “Perfektes”). “If today was perfect, there would be no need for tomorrow.”
So manch Einer behauptet, daß Logik in der Sprache nicht anwendbar sei. Tatsächlich kommt Logik aber aus dem Griechischen und beschreibt die Wissenschaft, wie Menschen denken. Da in Bezug auf Sprache auch gedacht wird (sonst könnte sie sich nicht entwickeln), schließt sich die Logik ein, ist somit der Sprache inhärent. Es schließt jedoch nicht aus, daß es auch unlogische Sprachanwendungen wie die Worte “eigentlich” oder “perfekt” gibt. An dieser Stelle könnte man einwerfen, daß “möchte” eine verwässerte Form von “wollen” ist: entweder will ich etwas, oder ich will es nicht & lasse es sein. Alles Andere “hätte ich gerne”, muß es aber nicht.
Wer eine Fremdsprache richtig lernen will, der muß zuerst seine Muttersprache vollständig beherrschen. Das ist die Erkenntnis von Sprachwissenschaft, die dazu führen müßte, daß man zuerst die eigene Sprache und dann erst die Fremdsprache lernt. Das spielt besonders bei Migranten & Flüchtlingen eine wichtige Rolle. Sonst werden Sprachen unvollständig gelernt. Gerade bei Relativpronomen, die in anderen Sprachen anders oder gar nicht verwendet werden, gibt es immer wieder erheiternde Aussagen: der Bett, die Bauchnabel, der Gerät…
Manche Gewohnheiten sind nur schwer abzulegen, besonders dann, wenn sie für viele Jahre oder gar Jahrzehnte gelebt werden.
Besonders beliebt bei Sprachpuristen sind folgende Seiten:
Zum Abschluß noch etwas Erheiterndes:
Ich glaub’, ich spinne!
Heißt es nun “Moin”, oder kann man auch “Moin, moin” sagen? Gilt man als “Schwätzer”, wenn man “Moin” verdoppelt? Interessanter Hintergrund zu dieser Grußform:
nordsee-seo.de/redewendung-moin/
Meinen Dank an Albrecht Müller & die NachDenkSeiten, auch abseits von politischen & wirtschaftlichen Abgründen ein ganz anderes Thema aufzugreifen. Das tut der Seele gut.
Viele Grüße & einen schönen Feiertag wünscht
Michael Schauberger
23. Leserbrief und noch einer zusammengefügt:
chatten, liken, gendern, bloggen, taggen, checken, controllen, cool
hot Stuff, shot (für Bier mit Schaps), Challenge, doxxen, Taschengeld dumping,
how to create a Loch in the Zentrum (FußballBericht)
Ich gebe auf – je mehr ich suche, desto mehr finde ich. Grauenhaft die Verhunzung unserer Sprache
LG der Pilz
von unserem Leser B.P.
User
work-live-balance
service-point
open
sale
life-styl
branchen
highlight
empowerment
news
ticketshop
outsider
art guide
headset
talkprogramm
compliance
fokussieren
insider
facility management
von unserer Leserin E.F.
So, das war’s. Wir haben mit den beiden Sammlungen zum Wandel unserer Sprache insgesamt mehr als 75 Leserbriefe veröffentlicht – mit einer Fülle von Anregungen. A.M.
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