Deutschland plant, Anfang Mai zusammen mit Ruanda eine Resolution in der UN-Vollversammlung in New York einzubringen, mit dem Ziel, die Massaker in Srebrenica im Juli 1995 offiziell auf UN-Ebene als „Genozid“ anzuerkennen. Verbunden ist dies mit der Forderung, den 11. Juli zum „Internationalen Tag der Reflexion und des Gedenkens an den Völkermord in Srebrenica 1995“ zu erklären. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund wissen, wieso die Bundesregierung die damalige Tötung von rund 8.000 Männern und Jungen im wehrfähigen Alter zweifelsfrei als Genozid bewertet, aber den Völkermordvorwurf angesichts der Tötung von über 10.000 Frauen und 14.000 Kindern durch die israelische Armee in Gaza als „jeder Grundlage entbehrend“ bezeichnet. Die Antwort deutet auf schwere strukturelle Informationsprobleme im Pressestab des Auswärtigen Amts hin. Von Florian Warweg.
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Hintergrund
Am 11. Juli 1995 nahmen bosnisch-serbische Militäreinheiten die zuvor zur UN-Schutzzone erklärte Stadt Srebrenica unter Führung von General Ratko Mladić ein. In den darauffolgenden Tagen wurden mehrere Tausend männliche Bosniaken getötet. Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) gibt die Zahl mit 8.000 an.
29 Jahre später wollte der UN-Botschafter von Bosnien und Herzegowina, Zlatko Lagumdzija, eigenständig den bereits angesprochenen Resolutionstext einbringen. Allerdings ignorierte er dabei die in der Verfassung vorgesehenen Genehmigungsmechanismen, welche vorschreiben, dass die Formulierung und Ausführung der Außenpolitik dem dreigliedrigen Ratsvorsitz, der sich aus einem Vertreter der Bosniaken, der Serben und der Kroaten zusammensetzt, obliegt.
Daraufhin übernahmen Deutschland und Ruanda diese Rolle und reichten den Resolutionsentwurf zur internationalen Anerkennung des Massakers als Völkermord in die Vereinten Nationen zur Abstimmung Anfang Mai bei der UN-Generalversammlung in New York ein. Eine ähnliche, damals von Großbritannien eingebrachte Resolution scheiterte 2015 im UN-Sicherheitsrat.
Scharfe Kritik aus Israel an der von Deutschland eingebrachten Resolution
Widerstand gegen die Resolution kommt aber nicht nur aus Serbien. Auch israelische Vertreter warnen vor den Folgen einer solchen Resolution. So erklärte etwa der Leiter des Simon-Wiesenthal-Centers in Jerusalem, Efraim Zuroff, in einem Gastbeitrag in der Jerusalem Post unter dem Titel „Nicht jedes Kriegsverbrechen ist ein Fall von Völkermord“, dass die in der Resolution verwendete Begründung „sehr leicht“ auf Israels Aktionen im Gazastreifen angewandt werden könnte. Zudem hinterfragt er grundsätzlich den „Völkermord“-Charakter der Massaker durch bosnisch-serbische Militärs:
„Besonders besorgniserregend sind die Auswirkungen auf Israel. Die in dieser Resolution verwendete Begründung könnte sehr leicht auf andere Konflikte, einschließlich Israels Aktionen in Gaza, falsch angewandt werden. Ein solcher Präzedenzfall birgt die Gefahr, dass der Begriff „Völkermord“ politisch instrumentalisiert wird, was zu seinem Missbrauch auf internationaler Ebene gegen Israel und andere führen könnte. Der Begriff muss weiterhin streng definiert und mit äußerster Vorsicht verwendet werden und für klare, eindeutige Fälle im Sinne des Völkerrechts reserviert bleiben.“
„Jeder, der mit diesem Ereignis und der ursprünglichen Definition des Begriffs „Völkermord“ vertraut ist, weiß sehr wohl, dass das von den serbischen Truppen begangene Verbrechen nicht der Definition von Völkermord entspricht, und zwar aus dem einfachen Grund, dass die Frauen und Kinder in Srebenica ALLE unversehrt freigelassen wurden.“
Es erstaunt vor diesem Hintergrund, dass die Bundesregierung, eingedenk der laufenden Klage gegen die Bundesrepublik wegen „Beihilfe zum Völkermord“ in Gaza vor dem Internationalen Gerichtshof, sich so vehement dafür einsetzt, die Tötung von 8.000 männlichen Bosniaken auf UN-Ebene als „Völkermord“ anzuerkennen, und gleichzeitig aber jeden Vorwurf des Völkermords angesichts der Tötung von bisher 24.000 Frauen und Kindern in Gaza durch die israelische Armee als „jeder Grundlage entbehrend“ bezeichnet.
Die Bundesregierung weist den gegen Israel erhobenen Vorwurf des Völkermordes entschieden zurück. Er entbehrt jeder Grundlage. Wir werden uns daher in der Hauptverhandlung vor dem Internationalen Gerichtshof als Drittpartei äußern: https://t.co/qZYb4SiacD
— Steffen Hebestreit (@RegSprecher) January 12, 2024
Die wenig glaubhafte „Antwort“ der AA-Sprechers
Die Darstellung des Sprechers des Auswärtigen Amtes, Christian Wagner, dass er – und damit der gesamte Stab der Presseabteilung des AA – nichts von dieser Resolution weiß, deren Entwurf auf Betreiben von Deutschland zum Zeitpunkt der Anfrage der NachDenkSeiten bereits in das UN-System eingebracht worden war, ist, auch angesichts der breiten in- und ausländischen Berichterstattung darüber, nicht glaubhaft. Verwiesen sei beispielhaft auf die Berichterstattung der taz „Uno-Resolution zum Srebrenica-Massaker“ vom 19. April oder auch die zahlreichen Pressemitteilungen zum Thema, die man auf der zur dpa gehörenden Plattform Presseportal finden kann.
Ebenso ist davon auszugehen, dass, wenn den NachDenkSeiten der von Deutschland eingebrachte Resolutionsentwurf zum Zeitpunkt der BPK vorlag, dies auch für die Presseabteilung des Ministeriums desjenigen Landes gilt, welches als Hauptsponsor dieser Resolution agiert. Falls die Presseabteilung des AA tatsächlich zum Zeitpunkt der BPK nicht über die Resolution und auch die damit einhergehende Kritik aus Israel informiert war, würde dies für schwerwiegende Defizite in der Informationsübermittlung innerhalb des von Annalena Baerbock geführten Ministeriums sprechen:
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 24. April 2024
Frage Warweg
Herr Wagner, Deutschland plant, im Mai zusammen mit Ruanda bei der UN-Vollversammlung eine Resolution mit dem Ziel einzubringen, das Massaker in Srebrenica auf offizieller UN-Ebene als Genozid zu werten, verbunden mit der Forderung, den 11. Juli zum Internationalen Tag der Reflexion und des Gedenkens an den Völkermord in Srebrenica 1995 zu erklären.
Vor diesem Hintergrund würde mich interessieren: Können Sie mir kurz darlegen, wieso die Bundesregierung sagt, sie sehe die Tötung von rund 8000 Männern und Jungen im wehrfähigen Alter zweifelsfrei als Genozid an, wenn in Bezug auf die Tötung von 10 000 Frauen und 14 000 Kindern in Gaza allein schon der Vorwurf des Völkermordes von der Bundesregierung ‑ um den Regierungssprecher zu zitieren ‑ als jeder Grundlage entbehrend bewertet wird? Könnten Sie mir das kurz darlegen?
Wagner (AA)
Herr Warweg, erst einmal zu Ihrer Frage: Ich möchte nicht ausschließen, dass ich auch von Ihnen noch Sachen lernen kann, aber ich müsste zu dieser Initiative in den UN noch einmal nachhören. Das sagt mir jetzt erst einmal nichts, was nicht heißt, dass das nicht der Fall ist. Aber dazu würden wir uns noch einmal melden.
Völkermord ist völkerrechtlich sehr eindeutig definiert. Ich will ich hier nicht in ein juristisches Proseminar verfallen, aber es gibt da schon einen klaren Unterschied. Vor allen Dingen ist das Absichtselement ein ganz wichtiges, also das Element, absichtsvoll eine ganze Bevölkerungsgruppe auszulöschen. Insofern kann ich es, denke ich, dabei belassen. Ich würde die beiden Dinge nicht miteinander vergleichen.
Zusatzfrage Warweg
Aus Israel gibt es zahlreiche kritische Stimmen zur Einbringung dieser Resolution. So erklärte etwa der Leiter des ‑ ‑ ‑
BPK-Moderatorin Welty
Wir hatten den Komplex Nahost eigentlich für heute abgeschlossen.
Zusatzfrage Warweg
Ja. Es geht um die besagte Resolution, von der Herr Wagner angeblich nichts weiß.
Jedenfalls erklärte unter anderem der Leiter des Simon Wiesenthal Center in Jerusalem, Efraim Zuroff, dass die in der Resolution verwendete Begründung für den Genozid sehr leicht auf Israels Vorgehen in Gaza angewandt werden könne und er deswegen davor warne, diese Resolution einzubringen.
Mich würde interessieren ‑ das können Sie gern in der Nachreichung machen, wenn Sie festgestellt haben, dass es diese Resolution mit Deutschland als Einbringer gibt ‑, wie die Bundesregierung diese kritischen Stimmen aus Israel bewertet, auch eingedenk der Tatsache, dass Deutschland gerade selbst eine Klage vor dem IGH wegen Beihilfe zum Völkermord am Hals hat.
Wagner (AA)
Zur Klage von Nicaragua vor dem IGH haben wir uns hier schon vollumfänglich eingelassen. Wir weisen das natürlich in der Substanz zurück und haben das auch vor dem Gericht getan. Ich verweise Sie dazu auch auf unsere Einreichung vor Gericht, die Sie bei uns auf der Homepage finden.
Wenn es zu dem anderen Sachverhalt etwas nachzureichen gibt, würde ich Ihnen das nachreichen.
Zuruf Warweg
Mit Sicherheit wird es dazu etwas nachzureichen geben!
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 24.04.2024
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