Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann hat sich bei einem von beiden Seiten aufgeheizten Wahlkampfauftritt gehen lassen: Nach einer bereits problematischen Rede bedrohte sie indirekt den Arbeitsplatz eines Demonstranten. Die Szene lässt tief blicken – auch in das angegriffene Nervenkostüm einiger führender Politiker. Der Vorgang ist außerdem ein Zeichen der Zeit: Die sprachliche Verrohung „von Oben“ und die Versuche, unbequeme Bürger einzuschüchtern, nehmen zu. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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Strack-Zimmermann hat bei einem Wahlkampfauftritt in Ravensburg vor einigen Tagen für einige bedenkliche Szenen gesorgt. Die Weltwoche hat in diesem Artikel den Wortlaut der Rede dokumentiert – einige Zitate: «Sie alter Schreihals», «Sie nehmen sich ja selber nicht mal ernst», «zwei 12-Jährige haben mehr Hirn im Kopf als der Typ mit der Glocke vor der Nuss», «ihr seid zum Teil zu blöd, um eine Pfeife in den Mund zu stecken». Ein Video dieser Rede findet sich unter diesem Link.
Noch problematischer als diese Rede finde ich eine Szene im Anschluss, bei der Strack-Zimmermann einen Demonstranten immer wieder nach seinem Arbeitsplatz fragt – in einer meiner Meinung nach drohenden Absicht. Ein Video dazu ist am Ende verlinkt.
Man muss aber auch betonen, dass die Stimmung vor Ort von beiden Seiten aufgeheizt ist und dass einige Demonstranten versuchen, Strack-Zimmermann durch Lärm daran zu hindern, sich überhaupt zu äußern – auch das kann man als grenzwertig empfinden. Diese Gereiztheit auf allen Seiten kann den Vorgang vielleicht erklären, aber nicht rechtfertigen: Von Politikern muss man meiner Meinung nach mehr Selbstkontrolle erwarten dürfen, vor allem dann, wenn sie sich auch bei anderen Gelegenheiten sprachlich so weit vorwagen wie Strack-Zimmermann. Auch muss man bedenken, dass es ein riesiges Machtgefälle im Meinungskampf gibt: Strack-Zimmermann hat erheblich mehr Möglichkeiten, ihre Meinungen zu verbreiten, als ihre Kritiker unter den Bürgern – darum sollte den Bürgern mehr Toleranz bei der Wahl der Mittel im Meinungskampf eingeräumt werden.*
Verrohung und Einschüchterung
Diese beiden Elemente, also die Rede und die Szene danach, illustrieren zwei problematische aktuelle Tendenzen, darum wird auf den Vorgang hier eingegangen: Zum einen praktiziert Strack-Zimmermann in der Rede meiner Meinung nach eine sprachliche Verrohung „von Oben“, also eine tabubrechende harte Sprache gegenüber politischen Gegnern – ich finde diese Art der „offiziellen“ Verrohung, also wenn sie von Politikerkanzeln, etablierten Kulturbühnen oder aus großen Redaktionen kommt, viel schädlicher als die „Hasssprache“ von kritischen oder auch extremistischen Bürgern im Internet, unter anderem wegen der negativen Vorbildfunktion. Darauf sind wir etwa im Artikel Die Hasssprache im Mainstream: Menschen sind „Ratten“, „Dünger“, „Schweine“ näher eingegangen.
Zum anderen illustriert Strack-Zimmermanns Verhalten im Anschluss an die Rede eine sich verstärkende Tendenz zur Einschüchterung kritischer Bürger – notfalls auch über eine indirekte Bedrohung der Arbeitsplätze und der materiellen Basis, wie wir etwa im Artikel Beamte können jetzt noch besser „diszipliniert“ werden – Und der Debattenraum wird noch kleiner thematisiert haben.
Wenn Putin nicht verliert, dann macht er einfach weiter
Unabhängig vom Inhalt erscheint das Verhalten Strack-Zimmermanns sehr unprofessionell. Ich denke, das lässt sich auch damit erklären, dass bei der Politikerin die Nerven blank liegen – wie sollte das auch anders sein nach Monaten des Lobbyismus für Waffenlieferungen in den sinnlosen Stellungskrieg in der Ukraine? Dieser Lobbyismus hat ja nicht nur schreckliche Folgen für die Zivilisten in der Ukraine, sondern indirekt auch für die Bürger hierzulande: in Form von Kriegsgefahr und den horrenden Rüstungskosten, die zulasten der öffentlichen Daseinsfürsorge erhöht werden.
Für diesen Lobbyismus gibt es meiner Meinung nach keine Argumente – weder militärisch, noch moralisch -, sondern nur diese eine, tausendfach von vielen Politikern und Journalisten in Variationen wiederholte Behauptung: „Wenn Putin nicht verliert, dann macht er einfach weiter.“
Die Szene illustriert neben den oben genannten Elementen auch die aktuelle Tendenz, dass manche verantwortliche Politiker mit Kritik nicht umgehen können und manche sie in einem Akt der Verdrehung als Angriff auf „die Demokratie“ darstellen. Dazu kommt ein teils übersteigertes „Selbstbewusstsein“, das dafür sorgt, dass man sich der sprachlichen Verrohung gar nicht mehr schämt – schließlich setzt man sie doch für die „gute Sache“ ein.
„Wo arbeiten sie denn? Weiß Ihr Chef, was Sie hier machen?“
Strack-Zimmermann fragt im Anschluss einen protestierenden Bürger immer wieder, wo er arbeite und ob denn sein Chef wisse, was er da mache. Ein Video der Szene findet sich hier:
Schon interessant, diese Bürgernähe von Strack-Zimmermann…https://t.co/teI9bRiYqZ:
Strack-Zimmermann droht Demo-Teilnehmer in Ravensburg:„Wo arbeiten sie denn…weiß ihr Chef was sie hier machen?"
Was für ein schöner Beleg dafür, dass sich die politische Elite schon voll… pic.twitter.com/2ZtkjaEQZn
— Markus Haintz (@Haintz_MediaLaw) April 17, 2024
*Aktualisierung 22.4., 13.15h: Dieser Satz wurde ergänzt.
Titelbild: Screenshot/Youtube
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