Nach dem TRIPS-Abkommen fällt auch die Patentierung von Saatgut und Pflanzensorten unter schützenswertes geistiges Eigentum, damit wird traditionelles Wissen zu einer weltweit handelbaren Ware gemacht
Globalisierung wird vielfach wie ein unausweichliches Naturereignis dargestellt. Dabei werden die Bedingungen des Welthandels und der weltweiten Produktion durch internationale Abkommen geregelt. Das gilt auch für die Gewinnung, den Austausch und die weitere Entwicklung von Saatgut und Pflanzensorten. Ein Meilenstein auf dem Weg zur internationalen Kommerzialisierung auf dem Gebiet der Agrarwirtschaft ist das sog. TRIPS-Abkommen unter dem Dach der Welthandelsorganisation (WTO). Christine Wicht und Carsten Lenz beschäftigen sich mit diesem Thema in unserer Rubrik „Andere interessante Beiträge“.
Das TRIPS-Abkommen
Von Christine Wicht und Carsten Lenz
Die Gewinnung, der Austausch und die weitere Entwicklung von Saatgut und Pflanzensorten lagen in der Menschheitsgeschichte weltweit vor allem in der Hand von Bauern und lokalen oder regionalen Züchtern. Das ist transnationalen Konzernen, immer auf der Suche nach neuen Märkten, ein Dorn im Auge. Strategen der Ernährungsindustrie haben sich Gedanken gemacht, wie diese Tradition unterwandert werden kann. Ein Meilenstein auf dem Weg zur internationalen Kommerzialisierung auf diesem Gebiet ist das TRIPS-Abkommen (trade related aspects of intellectual property rights, unter dem Dach der Welthandelsorganisation WTO). Die handelsbezogenen Aspekte der Rechte am “geistigen Eigentum” umfassen beispielsweise die Patentierung von Erfindungen sowie den Schutz von Marken oder Geschäftsgeheimnissen. Jedes Land, das Mitglied der WTO wird, tritt automatisch dem TRIPS-Abkommen bei – ohne Ausnahmen, denn in der Schlussakte von Marrakesch ist festgelegt, dass dieses Handelsabkommen nur im Paket zu akzeptieren ist. Das Abkommen verpflichtet u.a. die beteiligten Länder zum Erlass bestimmter Gesetze zum Schutz von Rechten des “geistigen Eigentums”, die auf die Belange des internationalen Handels abgestimmt sind. Die Bestimmungen betreffen selbst Kleinbauern, die kein kommerzielles Saatgut verwenden sondern einen Teil seiner Ernte traditionell zur Wiederaussaat zurückbehalten. Damit verstoßen sie möglicherweise gegen die Regeln des TRIPS-Vertrags. Die Möglichkeiten der Kleinbauern, ihre tradierte Landwirtschaft weiter zu betreiben, werden immer begrenzter, der Raum für Selbstbestimmung immer enger, und ein Entkommen aus den Regularien der Welthandelsabkommen ist künftig kaum mehr möglich, wenn die Machtkonzentration der Saatgutvertreiber nicht eingedämmt wird. Das führt im Nebeneffekt auch zu einer Verarmung der biologischen Vielfalt auf dem Globus.
Das TRIPS-Abkommen legt für die einzelnen Aspekte des “geistigen Eigentums” Mindestanforderungen fest, welche die Staaten erfüllen müssen, um die Rechte der Besitzer von “geistigem Eigentum” zu schützen. Dies beinhaltet bespielsweise Standards für Gerichtsverfahren oder die Strafbarkeit von Urheberrechtsverletzungen. Die Staaten werden sogar gedrängt die Rechte des “geistigen Eigentums noch stärker schützen als das im TRIPS vorgeschrieben ist. Dazu sind sie sogar verpflichtet, falls sie weitere Abkommen unterzeichnet haben, wie z.B. das UPOV-Übereinkommen (UPOV: Internationaler Verband zum Schutz von Pflanzenzüchtungen, offizielle Website: www.upov.int).
Grundsätzlich geht es bei jeder rechtlichen Regelung des “geistigen Eigentums” um den Ausgleich zwischen zwei verschiedenen Interessen: Wer eine Erfindung oder Entdeckung macht, möchte seine “geistige Leistung” wirtschaftlich nutzen können. Entdecker und solche Entwicklungen betreibende Unternehmen beanspruchen das Recht, andere von der Nutzung ihrer geistigen Erzeugnisse auszuschließen, um von Lizenzen und den erhobenen Gebühren zu profitieren. Mit der Patentierung “geistigen Eigentums” wandelt sich das Wissen über Verfahren und Techniken auch auf dem Feld der Landwirtschaft von einem Allgemeingut in Privateigentum. Wissen über Saatgut, Züchtungen etc. werden zu einer weltweit handelbaren Ware. (Dem steht das Interesse aller anderen entgegen, nicht in der Nutzung von Erfindungen gehindert zu werden, etwa durch die Verpflichtung, Lizenzgebühren zahlen zu müssen.)
Worin liegt der Sinn des Schutzes von geistigem Eigentum?
Befürworter eines weitgehenden Patentschutzes behaupten, nur so werde ein Anreiz für die Entwicklung von neuen Ideen und damit die Voraussetzung für Fortschritt geschaffen. Besonders die Industrie verweist gerne auf hohe Investitionen in Forschung und Entwicklung, die sich nur dann rentierten, wenn Erfindungen rechtlich geschützt werden. Ein Blick in die Wirtschaftsgeschichte zeigt jedoch, dass zumindest die bisherige Entwicklung in weiten Bereichen ohne Patentschutz ablief. Der Schutz des “geistigen Eigentums” wurde immer erst dann interessant, sobald ein Unternehmen oder die Wirtschaft eines ganzen Landes sich durch Nachahmung und durch das Kopieren fremder Ideen selbst in den Kreis der Besitzenden von “geistigem Eigentum” hochgearbeitet hatte. So gab es etwa im 19. Jhd. in Deutschland eine regelrechte Antipatentbewegung, weil die sich hierzulande erst spät entwickelnde Industrie befürchtete, von den fortgeschritteneren Unternehmen in England und Frankreich weiter abgehängt zu bleiben oder weiter zurück zu fallen. Patente behinderten die flächendeckende Ausbreitung des technischen Fortschritts und die wirtschaftliche Entwicklung, behaupteten damals die Wirtschaftsvertreter aufholender Nationen. Später bekämpften Schweizer Chemieunternehmen den Erlass von Patentgesetzen – nicht umsonst galten sie den deutschen und französischen Pharmaunternehmen als schamlose Nachahmer von Arzneimitteln. Erst 1978 führte die Schweiz Patentschutz auf Medikamente ein und zählt heute, da die Schweizer Pharmaunternehmen inzwischen zu den weltweit größten gehören, zu den stärksten Verfechtern eines starken internationalen Patentrechts. Es hängt also sehr von der jeweiligen Perspektive ab, ob der Patentschutz dem “Fortschritt” als hinderlich oder förderlich gilt. (vgl. Michael Frein: Die Globalisierung von Rechten an geistigem Eigentum und der Nord-Süd-Konflikt [PDF – 72 KB], in: PROKLA Heft 126, 32. Jg., 2002, Nr. 1, 103-125)
TRIPS – eine Schöpfung der Konzerne
Auch die Entstehung und der Inhalt des TRIPS-Abkommens zeigen, dass es dabei hauptsächlich um den Schutz derjenigen geht, die bereits “geistiges Eigentum” besitzen. Die einzelnen Regeln weisen eine deutliche Schlagseite zugunsten der Verwertungsinteressen der Konzerne in den Industrieländern auf. Transnational agierende Konzernvertreter brüsten sich sogar damit, dass das TRIPS wesentlich auf ihre Initiative zurückgeht. Tatsächlich gründeten 13 US-Konzerne, darunter Bristol Myers Squibb, DuPont und Monsanto, das Intellectual Property Committee (IPC), eine Lobbyorganisation, mit dem Ziel, TRIPS zu einem Bestandteil des Welthandelsabkommens zu machen. Zusammen mit europäischen und japanischen Konzernen erarbeiteten sie Entwürfe, und es gelang ihnen, die westlichen Regierungen für ihre Interessen einzuspannen. Industrievertreter saßen als Regierungsberater bei den Verhandlungen mit am Tisch. Nach Angaben der Organisation Corporate Europe Observatory sollen von 111 Mitgliedern der US-Delegation bei den GATT-Verhandlungen 96 Vertreter aus Kreisen der Industrie gewesen sein. Der damalige Vorstandvorsitzende von Monsanto, James Enyart, beschrieb 1990 in der französischen Zeitung Les Nouvelles die Aktivitäten des IPC im Hinblick auf TRIPS folgendermaßen:
Die Wirtschaft hat im internationalen Handel ein gravierendes Problem geortet. Sie verfertigte eine Lösung, reduzierte sie auf einen konkreten Vorschlag und verkaufte ihn unserer eigenen und anderen Regierungen.
Das lässt sich u. a. anhand der Regeln für Patente auch auf Pflanzen und Tiere aufzeigen. Nach Artikel 27, Absatz 3 b des TRIPS dürfen Staaten zwar Pflanzen und Tiere vom Patentschutz ausnehmen, müssen aber für den Schutz von Pflanzensorten “entweder durch Patente oder durch ein wirksames System sui generis oder durch eine Kombination beider” sorgen. Die große Frage ist dabei: Was müssen Staaten dem TRIPS zufolge tun, um das geistige Eigentum an Pflanzensorten zu schützen, wenn sie dies nicht durch Patentierung tun wollen? Was ist also ein wirksames System sui generis im Sinne des Artikels 27 (3b)? Die Industriestaaten streben strenge Patentregeln zugunsten der Agrarkonzerne an. Einige ärmere Länder widersetzen sich und fordern die Anerkennung von Systemen, welche die überkommenen Rechte von Bauern und Züchtern bewahren. Dazu gehört u.a. das traditionelle Recht auf Wiederaussaat von selbst gewonnenem Saatgut aus der letzen Ernte, ohne dafür Lizenzgebühren zahlen zu müssen, oder die Möglichkeit zur Nutzung von existierenden Pflanzensorten zur Zucht (Quelle: Greenpeace).
Biopiraterie – Plünderung von überliefertem Wissen
Eng verbunden mit den Patentrechte ist auch die Gefahr der Biopiraterie. Unternehmen aus den Industrieländern durchforsten seit einiger Zeit systematisch die genetischen Ressourcen in abgelegenen und weitgehend unberührten Naturräumen, ihre Kundschafter machen sich dabei das Wissen einheimischer Völker, z.B. über Heilpflanzen zu Nutze. Ziel dieser Unternehmungen ist es, potentiell Gewinn bringende Wirkstoffe aufzuspüren. Der bekannteste Fall ist der Versuch des amerikanischen Unternehmens W.R. Grace, zusammen mit dem US-Landwirtschaftsministerium ein Patent auf das Öl des indischen Neembaumes anzumelden, das sich gegen Pilzbefall einsetzen lässt. Zunächst wurde das Patent auf die Gewinnung dieses Öls vom Europäischen Patentamt (EPA) auch erteilt, obwohl das entsprechende Wissen in Indien seit Jahrhunderten bekannt ist. Erst vier Jahre später, 1995, hat das EPA nach einer Beschwerde einiger indischer Nicht-Regierungs-Organisationen das Patent widerrufen, weil es die Kenntnisse über die Wirkung dieses Öls nun wirklich nicht neu waren. Das glückliche Ende dieser Geschichte ist in Anbetracht der Tatsache, dass die Anfechtung eines Patentes in den USA rund 1,5 Millionen US-Dollar kostet, jedoch ein schwacher Trost. Das enorme Kostenrisiko wird keine Dorfgemeinschaft oder keine regionale Landwirtschaft leichtfertig eingehen können. Erst die Patentierung von Pflanzen und Tieren ermöglicht Biopiraterie, weil ohne ohne ein solches rechtliches Konstrukt jede Pflanze von jedem Erdbewohner frei angebaut werden kann (vgl. www.biopiraterie.de).
Streitschlichtung: ein wirksames Instrument
Auch wenn sich noch nicht sagen lässt, ob langfristig die Interessen der Agrarkonzerne an einem strikten Patentschutz gegen die Interessen der Bauern und Züchter durchsetzbar sein werden, steht eines fest: Im Gegensatz zu anderen Verträgen verfügt das TRIPS über einen wirkungsvollen Mechanismus der Streitbeilegung. Anders als die meisten völkerrechtlichen Verträge, deren Umsetzung letztlich vom guten Willen und der freiwilligen Anerkennung der Unterzeichnerstaaten abhängt, kann ein WTO-Mitgliedsstaat zur Einhaltung der Handelsverträge, und damit auch des TRIPS, von den anderen Staaten gezwungen werden. Dazu dient ein sog. Streitschlichtungsverfahren, das in einem weiteren WTO-Abkommen gesondert geregelt und nach Art. 64, auch auf Streitigkeiten in Bezug auf TRIPS anzuwenden ist. Ein Streitschlichtungsgremium der WTO kann einen anderen Staat wegen Verletzung seiner vertraglichen Verpflichtungen anklagen. Falls der verurteilte Staat sein Verhalten nicht ändert, können gegen ihn Handelssanktionen verhängt werden.
Durch diese Verfahren zählen die WTO-Abkommen und damit auch TRIPS zu den (relativ wenigen) internationalen Verträgen, die im Gegensatz zu vielen anderen Umwelt- oder Menschenrechtsabkommen, effizient umgesetzt werden können. Nicht zuletzt deshalb haben die konzernfreundlichen Regeln des TRIPS einen entscheidenden Vorteil gegenüber anderen Regeln, die eher die Rechte der Bauern, das traditionelle Wissen über die Kräfte der Natur und die Biodiversität schützen. Um die Unterordnung von traditioneller Landwirtschaft, von überliefertem Anbau und tradierter Nutzung von Pflanzen und Tieren unter dem Popanz des Freihandels vor den weltweiten Verwertungsinteressen weniger transnational agierender Agrarkonzerne zu verhindern, gilt es also auch hier, der fortschreitenden Kommerzialisierung von Saatgut oder Züchtungen Grenzen zu setzen. Sonst besteht die Gefahr, dass die agrarische Basis vieler untereentwickelter Länder zerstört wird und Hunger und Armut sich noch weiter auf der Welt ausbreiten.
Literaturempfehlungen zu den Themen WTO und TRIPS:
- Susan George, WTO: Demokratie statt Drakula, Haburg: VSA Verlag 2002
- Konzern Europa, Zürich: Blaupunktverlag 2001
- Elmar Altvater, Grenzen der Globalisierung, Münster: Westfälisches Dampfboot 2004
- Michel Chossudovsky, Global Brutal, Frankfurt: Zweitausendeins
- Charles Derber, One World, Hamburg: Europa-Verlag 2003