DIE ZEIT, sponsored by Bertelsmann – Ein Lehrstück dafür, wie das Centrum für Hochschulforschung der Bertelsmann Stiftung die Öffentliche Meinung beeinflusst.
Als ich das Titelbild der ZEIT Nr. 19 vom 4. Mai las, traute ich meinen Augen nicht. Das liberale Vorzeigeblatt, das ganze Generationen von Studierenden auch wegen seiner Berichterstattung zur Bildungs- und Hochschulpolitik immer gerne gelesen haben, ist eine publizistische Partnerschaft mit dem “Centrum für Hochschulentwicklung” eingegangen. Auf dem Titelbild prangt groß das Logo des CHE, die Werbeanzeige ist untertitelt mit “Der ZEIT-Studienführer mit dem größten deutschen Uni-Ranking vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE)”.
DIE ZEIT, sponsored by Bertelsmann
Von Jürgen Amrhein
Sicherlich glauben noch sehr viele ihrer Leser und Leserinnen an die Pluralität des alten liberalen Schlachtschiffes, das sich einst als Motor der Bildungsreform und als offene Plattform des bildungspolitischen Diskurses verstand. Diese Zeiten sind offenbar Vergangenheit.
Die ZEIT hat sich in Fragen der Hochschulpolitik zum Sprachrohr der Bertelsmann Stiftung gemacht und bietet sich als käufliche Werbefläche für das CHE an.
Das CHE, das nicht nur die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) zu seinem Kooperationspartner gemacht hat, sondern sich auch zum Weisungsgeber für Bildungsministerien und Parlamenten aufgeschwungen hat, hat nun auch noch eines der wichtigsten Medien des Bildungsbürgertums als Publikationsorgan gewonnen.
Nicht nur im ZEIT-Studienführer, sondern auch im redaktionellen Teil der ZEIT Nr. 19 wird – unter ZEIT CHANCEN – ausgiebig über die Ergebnisse des CHE-Rankings berichtet – nicht ohne für einen kritischen Journalismus geradezu peinliche Schmeicheleien für den Sponsor. Da heißt es u.a.:
Das Lob stammt aus bestem Hause. Das deutsche Ranking sei »nicht weniger als brillant«, befindet das Educational Policy Institute, eine angesehene Denkfabrik in Toronto und Virginia Beach. (…) Schon im Vorjahr hatte die Vereinigung Europäischer Hochschulen in einer Studie festgestellt: »Das vom CHE benutzte System zur Bewertung von Hochschulen ist vermutlich das beste verfügbare Modell in der Welt der Hochschulbildung (…).
Eine Lobhudelei folgt der anderen. Kein Wort aber zum CHE selbst, seinen Zielen und seinen Geldgebern! Mit einem Klick auf Wikipedia kann man erfahren, dass das CHE eine Art “Public Private Partnership” zwischen der Hochschulrektorenkonferenz und der Bertelsmannstiftung ist, und dass das Institut zu 75% von dieser Stiftung finanziert wird. Das CHE tritt ein für eine Umgestaltung der Universitäten hin zu mehr Wettbewerb, betriebswirtschaftliche Effizienz und unternehmerische Strukturen, für eine Auswahl der Studierenden durch die Hochschule selbst, für Studiengebühren und für die Ausrichtung des Studiums auf die Bedürfnisse der Wirtschaft.
(Zur Funktion von Bertelsmann-Hochschulrankings)
Auch das ZEIT DOSSIER ist in der Ausgabe Nr. 19 der Hochschulpolitik gewidmet, sicher in nicht zufälliger Koinzidenz mit dem aktuellen CHE-Hochschulranking. Der Autor Adam Soboczynski übertitelt seinen Beitrag (nicht online) mit “Humboldt, adieu!”, Untertitel: “Alle deutschen Großreformen stagnieren? Eine nicht – die deutsche Universität wird radikal umgebaut. Effizienz ist das Ziel. In Bonn wie überall im Land.” Der Titel macht bereits klar, in welche (neoliberale) Reformrichtung der der Artikel propagiert.
Die Einvernahme der ZEIT auf die hochschulpolitische Linie des CHE wird so richtig deutlich, wenn man einen Blick auf die aktuelle Situation an den Hochschulen wirft. Über die landesweiten massiven Studentenproteste der letzten Tage und Wochen gegen die Einführung von Studiengebühren berichtet die ZEIT Nr. 19 mit keinem Wort. Die ZEIT hätte in den Interviewkästchen auf S.83f vielleicht ja auch einen AStA-Sprecher oder zumindest einen aus der überwiegenden Mehrheit der Studierenden, die Studiengebühren nach wie vor ablehnen, interviewen können, statt ziemlich unerfahrene und naive Abiturienten und Studierende, die auf den Porträtphotos bemerkenswert viel nackte Haut zeigen (!) und Sätze formulieren, die auch frisch aus der Druckpresse der Reformpropaganda-Werkstätten stammen könnten.
Im begleitenden Artikel “Ängstliche Gewinner” von Jan-Martin Wiarda werden die Studenten und Studentinnen im Übrigen als die kommenden Nutznießer der sich wandelnden Wirtschaft vorgestellt, selten seien die Berufschancen für angehende Akademiker so gut wie heute … Hier eine kleine Blütenlese aus den Zitaten (ZEIT Nr. 19, S. 83f, ohne Link), die deutlich machen, wie angepasst die Musterkinder ihre Studienpläne auf die Bedürfnisse ihrer künftigen Arbeitgeber und an ihren (ziemlich naiven) Karriereerwartungen ausrichten und wie kritiklos sie, die überwiegend aus dem gehobenen Bürgertum stammen, die schwierige wirtschaftliche und berufliche Situation von Studierenden und jungen Akademikern schönreden:
Carolin Böcking, 19 Jahre Abiturientin:
Ich bin jemand, der alles organisiert. Mein Berufsziel stand schon früh fest. Managerin. (…) Jetzt bewerbe ich mich an der Europäischen Fachhochschule in Brühl, um Industriemanagement zu studieren. Mir gefällt, dass Theorie und Praxis verbunden werden (…). Die Studiengebühren sind zwar hoch – 630 Euro im Monat -, aber wenn ich diese Praxis habe, komme ich in eine höhere Liga. (…) Das Studium habe ich mir schon nach Arbeitsmarktfaktoren ausgesucht. Ich kann hart arbeiten, möchte etwas erreichen. (…) mein Vater ist selbständig. Er hat ein Planungsbüro für Haustechnik. (…)
Sebastian Franke, 24, Student mit zwei Hauptfächern, VWL und Politik:
(…) Vielleicht ist es wirklich nicht sinnvoll, nur eine – vielleicht brotlose – Geisteswissenschaft zu studieren. (…) Danach war klar: Ich möchte gerne in die Politikberatung. (…) Ich denke, wenn ich in einem Praktikum Leistung zeige, korrekt auftrete, dann habe ich auch gute Aussichten. (…) Mein Vater arbeitet bei einer Bankgesellschaft und kennt viele Gesichter in der deutschen Wirtschaft. (…)
Nadia Kleimaier, Volontärin bei einem privaten Fernsehsender:
(…) Beim nächsten Fernsehpraktikum bekam ich immerhin 250 Euro pro Monat. Aber davon kann man nicht leben. Ich hatte noch Geld angespart – während des Studiums hatte ich einen Nebenjob in der Buchhaltung, dort habe ich mit meinen 16 Stunden pro Woche viel besser verdient als in den Praktika. Meine Eltern haben mich so gut unterstützt, so gut es eben ging. Nach etlichen Bewerbungen bekam ich ein Volontariat, eineinhalb Jahre nach meinem Abschluss. Vielleicht, weil ich so viel gemacht habe. Vielleicht hatte ich einfach nur Glück. Egal, ich bin superglücklich – weil mir endlich jemand eine Chance gibt.
David Biere, 22, Wirtschaftsingenieurwesen:
Ein Wirtschaftsingenieurstudium verbindet Technik und Wirtschaft – genau das Richtige für mich, dachte ich mir. (…) Wirtschaftsingenieure werden dringend gesucht. Deshalb mache ich mir auch keine Gedanken, ob ich einen Job bekomme, sondern nur, welchen. (…) Wenn ich in Deutschland nichts oder nur einen schlechten Job finde, gehe ich ins Ausland. Das nächste Jahr werde ich in Tel Aviv verbringen. (…) Ich werde die Business School Recanati der Tel Aviv University besuchen, die hat einen guten Ruf. (…) Wir brauchen sehr gut ausgebildete Leute. Bildung ist unser Kapital.
Bemerkenswert: Die Interviewten geben alle in ihren Aussagen beiläufig zu erkennen, dass sie nicht auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, um als Student oder Praktikant existieren zu können. Die Eltern richten es schon. Na denn, weiterhin viel Glück auf der Karriereleiter zur Managerin, zum Politikberater, zum Fernsehjournalisten oder zum international agierenden Wirtschaftsingenieur, hoffentlich gibt es nicht ein schlimmes Erwachen in der beruflichen Wirklichkeit – möchte man diesen Hoffnungsträgern zurufen.
(Übrigens: Das CHE, das so nebenbei den Banken zu einem neuen Kreditklientel verhilft, hat in Zusammenarbeit mit Capital jetzt auch einen “CHE-Studienkredit-Test” erstellt! So wäscht eine Hand die andere: Zuerst setzt man die Studiengebühren politisch durch, dann wirbt man für die Kreditangebote der Finanzinstitute.)