Redaktionelle Vorbemerkung: Es folgt ein Bericht von Bernd Duschner über ein bewundernswertes Engagement seiner Stadt. Wer helfen will, findet am Ende des Textes die nötigen Hinweise. Albrecht Müller.
Bernd Duschners Bericht
Es besteht eine tiefe Kluft zwischen dem Denken der breiten Mehrheit unserer Bevölkerung, die in Frieden leben möchte und hilfsbereit ist, und den Herrschenden, die für ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen bereit sind, Millionen Menschen in Kriegen zu verheizen. Diese Kluft hat es unserem Verein 1999 ermöglicht, humanitäre Hilfe in das bombardierte Serbien zu bringen. Sie besteht auch heute und sollte uns ermutigen, uns aktiv für Frieden und Völkerverständigung einzusetzen.
1999: Vor 25 Jahren
Pfaffenhofen sagt Nein zu Bomben und Krieg
Am 5. Oktober 1999 belud unser Verein „Freundschaft mit Valjevo e.V.“ in der oberbayerischen Kreisstadt Pfaffenhofen einen großen Sattelzug mit Lebensmitteln, Kleidung, Medikamenten und medizinischen Hilfsmitteln und schickte ihn auf den Weg in die stark bombardierte serbische Stadt Valjevo. Am nächsten Tag brachen wir selbst mit einem Bus mit 24 Bürgern nach Valjevo auf. Wir wollten uns vor Ort über die Situation in Serbien nach den 78 Tage dauernden Bombardements der Nato informieren und an der Verteilung unserer Hilfsgüter teilnehmen. Wir wollten einen direkten Kontakt zu den Bürgern der serbischen Stadt knüpfen und die Grundlagen für eine dauerhafte Freundschaft zwischen den Bürgern unserer beiden Städte schaffen.
Der offensichtlich völkerrechtswidrige Angriffskrieg war von unserer Bevölkerung nur hingenommen worden, weil er von einer intensiven und verlogenen Kampagne von Politik und Medien vorbereitet und begleitet worden war. Die Serben waren von unseren führenden Politikern und Leitmedien als Unmenschen und ihr Staatsoberhaupt Slobodan Milosevic als blutrünstiger „Schlächter vom Balkan“ gebrandmarkt worden. Sie seien dabei, Millionen im Kosovo lebende Albaner ins KZ zu treiben und bestialisch zu ermorden. (1) Wie war es trotz dieser Gehirnwäsche bereits kurze Zeit nach dem Krieg möglich, mit Unterstützung sämtlicher Kindergärten, Schulen und vieler Bürger unserer Stadt einen Hilfstransport zusammenzustellen, dem bald weitere folgten sollten?
Beladung unseres Sattelzuges am 5. Oktober 1999
Von links: B. Duschner, serbischer Fahrer, M. Zdravkovic, A. Markovic
Der Pfaffenhofener Friedensaufruf mit der Unterschrift des 1. Bürgermeisters
Ich hatte Jugoslawien nicht gekannt und die politische Entwicklung dort nicht verfolgt. Die Nachricht am 24. März 1999 vom Angriff der Nato-Staaten gegen die Bundesrepublik Jugoslawien kam für mich überraschend. Meine Lehrer waren noch von den Grauen des Krieges in Russland geprägt. Für sie war die Bombardierung von Städten zutiefst kriminell und verbrecherisch. Auf der Fahrt ins Büro in München konnte ich jeden Tag im Radio hören, welche Städte die Nato-Flugzeuge am Vortag bombardiert hatten.
Es war nicht schwierig, sich vorzustellen, was diese ständigen Luftangriffe für die betroffene Bevölkerung bedeutet haben, für die Arbeiter, die zusehen mussten, wie die Bomben mit den Betrieben auch ihre Arbeitsplätze zerstörten, für die Mütter mit ihren Kindern, die älteren Menschen, die Jugendlichen, die nachts in Angst in den Kellern schliefen.
Kindergarten in Valjevo 1999 : Kinder suchen Schutz im Keller
Ich besuchte den jugoslawischen Club im benachbarten Ingolstadt. Die angetroffenen serbischen Arbeiter waren verzweifelt und verängstigt. Die Hetze unserer Medien gegen die „Serben“ wirkte so stark, dass sie bei ihrer Trauer unter sich blieben. Sie wollten keinesfalls, dass Nachbarn oder Dritte erfuhren, dass sie aus Serbien stammten. Ich beschloss, Flugblätter zu schreiben und sie jeweils am Samstagvormittag am Wochenmarkt in Pfaffenhofen zu verteilen. Laut unseren Leitmedien hatten die Bomben nur das „humanitäre“ Ziel, eine ethnische Säuberung in der südserbischen Provinz Kosovo zu verhindern.
Weshalb gerade die Regierung in Belgrad, die den Vielvölkerstaat Jugoslawien erhalten wollte, eine ethnische Säuberung durchführen sollte, wurde nicht hinterfragt. Wieso die zivile Infrastruktur des Landes und Fabriken wie der Hersteller von Haushaltselektrik „Sloboda“ in Cacak, die Düngemittelfabrik in Pancevo, der Medikamentenhersteller „Zdravlje“ in Leskovac oder die Brauerei in Apatin bombardiert wurden, wurde nicht diskutiert. Insbesondere interessierte unsere Leitmedien nicht, was der Bombenterror für die betroffene Bevölkerung bedeutete. Ich konzentrierte mich dagegen bei meinen Flugblättern ausschließlich auf das Leid der Zivilbevölkerung und die Folgen, die die Zerstörung von Industrie, Infrastruktur und Umwelt für sie und ihre Kinder hatten. Die Flugblätter endeten immer mit der Forderung nach einer sofortigen Beendigung der Luftangriffe, einer Rückkehr zum Verhandlungstisch und – statt der Kriegsausgaben – einem für beide Seiten attraktiven Wiederaufbauprogramm.
Von Nato-Bomben zerstörtes Gebäude in Valjevo
Wie war die Reaktion? Zunächst ablehnend, aber ich kam ins Gespräch und nach einigen Wochen gab es auch Zuspruch. Darauf beschloss ich, Unterschriften für einen Friedensaufruf zu sammeln, der als bezahlte Anzeige im örtlichen „Pfaffenhofener Kurier“ erscheinen sollte. Jeder Unterzeichner musste 20 DM zur Finanzierung der Anzeige zahlen. 22. Mai 1999 erschien die Anzeige mit der Überschrift: „Schluss mit den Bomben – Zurück zum Verhandlungstisch“ mit 31 Unterzeichnern, am 5. Juni die zweite Anzeige mit 91 Unterzeichnern.
Bei der Unterschriftensammlung war ich auch ins Rathaus zu unserem damaligen CSU-Bürgermeister Hans Prechter gegangen. Zu meiner Überraschung unterschrieb Prechter bereits nach einem kurzen Gespräch. Ihre Unterschrift gaben auch eine Reihe von Stadträten, so die Fraktionsvorsitzenden der SPD, der Grünen und der ÖDP. Wer unterschrieb? Das waren Arbeiter und Handwerker, Mütter mit Kleinkindern und Rentner, die noch wussten, was Krieg bedeutet. Eine Abfuhr holte ich mir hingegen häufig bei „Intellektuellen“. Aus Spiegel, Zeit und Süddeutsche informiert, wussten sie, dass mit dem „Irren“ in Belgrad nicht verhandelt und Frieden nur mit Bomben hergestellt werden kann.
Unser Friedensaufruf im „Pfaffenhofener Kurier“
Von der Vereinsgründung zum ersten Hilfstransport
Für den Friedensaufruf war es wichtig, auch eine serbische Familie in unserer Stadt als Unterzeichner zu gewinnen. Ich fragte mich durch und erhielt schließlich den Namen Mirko Zdravkovic. Der Arbeiter stammte aus Valjevo, einer Stadt mit 60.000 Einwohnern knapp 100 Kilometer südwestlich von Belgrad. Er und seine Söhne Zoran und Goran unterschrieben, verlangten aber, gleich nach Kriegsende für ihre Heimatstadt humanitäre Hilfe zu organisieren.
Am 16. Juli gründeten wir, 16 Personen, unseren gemeinnützigen Verein „Freundschaft mit Valjevo e.V.“ und beschlossen, einen Hilfstransport für Valjevo zusammenzustellen. Erfahrung hatten wir keine und unsere Vereinskasse war leer. Wir begannen, an Infoständen über die Situation der serbischen Bevölkerung nach der Zerstörung eines Großteils der Industrie und Infrastruktur des Landes zu informieren und Spenden zu sammeln. Valjevo selbst war 27 Mal bombardiert worden und hatte am 30. April auch ein größeres Erdbeben erlebt. Zusätzlich machten wir Haussammlungen. Unsere Beharrlichkeit überzeugte. Einige Tausend DM kamen zusammen.
Die erste größere Spende erhielten wir vom damaligen Vorstandsvorsitzenden der Allianz AG. Dr. Rainer Hagemann genoss bei uns im Außendienst hohes Ansehen. Ich schrieb ihm über unseren geplanten Hilfstransport und bat ihn um finanzielle Unterstützung aus Mitteln der Allianz. 3 Tage später erhielt ich eine knappe Antwort: „Vielen Dank für Ihr Schreiben vom 2. August 1999. Ihr persönliches Engagement in dieser uns alle betreffenden Angelegenheit begrüße ich außerordentlich. Wir folgen Ihrer Bitte gerne und freuen uns, die humanitäre Hilfe für die Stadt Valjevo mit einer Spende von 2.000 DM unterstützen zu können.“ Mit seinem Schreiben in der Hand sammelte ich bei Betriebsrat und Mitarbeitern der Allianz in München.
Wir wollten möglichst viele Bürger unserer Stadt in die Vorbereitung des Hilfstransportes einbeziehen und organisierten dazu auch eine Kleidersammlung. Auf Bitte der SPD-Stadträtin Erika Thalmeier, die zu den Gründern unseres Vereins gehörte, überließ uns Bürgermeister Hans Prechter für die Einlagerung von Sachspenden Räumlichkeiten im damals leerstehenden Pfaffenhofener Atomschutzbunker. Erika Thalmeier übernahm es mit ihrem Mann Klaus, die Kleiderspenden entgegenzunehmen und durchzusehen. Je deutlicher es wurde, dass unser Hilfstransport zustande kommt, desto größer wurde die Unterstützung von Privatpersonen und örtlichen Firmen.
Kinder eines Pfaffenhofener Kindergartens mit Kleidungspaketen für ihre Altersgenossen in Valjevo
Besonders erfolgreich war eine Spendenaktion bei den Kindergärten. Meine Kinder hatten den Kindergarten „Maria Rast“ besucht. Dessen Leiterin Helga Wagner war bereit, bei der humanitären Hilfe mitzumachen und ihre Kolleginnen in den anderen Kindergärten dafür zu gewinnen. In Serbien herrschte nach der Zerstörung der chemischen Industrie auch an Trinkfläschchen für Kleinkinder ein großer Mangel. Ich schrieb ein Flugblatt und die Leitungen unserer Kindergärten verteilten es an ihre Eltern. In dem Flugblatt baten wir sie, Trinkfläschchen zu kaufen und für unseren Hilfstransport zu spenden. Die örtlichen Apotheken waren schnell ausverkauft. Wir konnten über 600 solcher neuen Trinkfläschchen auf unseren Sattelzug verladen. Ähnliche Flugblätter machten wir für die Schulen, in denen wir um Süßigkeiten (Gymnasium), um Schreib- und Malsachen (Hauptschule) und um Plüschtiere (Grundschule) baten.
Für einen Hilfstransport braucht man im Empfängerland einen verlässlichen Ansprechpartner. Mirko Zdravkovic kannte den damaligen Leiter des Roten Kreuzes in Valjevo, den Arzt und Stadtrat Dr. Canic. Nachdem er unsere Ladeliste erhalten und die Annahme unserer Hilfsgüter bestätigt hatte, konnten wir unseren Sattelzug auf den Weg schicken.
Die Fahrt nach Valjevo
Einen Tag nach unserem Sattelzug brachen wir selbst am 6. Oktober mit einem Bus über Ungarn nach Valjevo auf. Es stellte sich heraus, dass der Busfahrer ein ehemaliger DDR–Offizier war. Nach der „Wende“ entlassen, hatte er bei dem von uns beauftragten Münchner Busunternehmen Arbeit gefunden. Er sprach fließend Russisch und wusste bei der schwierigen Fahrt jedes Problem zu lösen. An den Grenzen standen sich damals Nato-Militär und serbisches Militär feindlich gegenüber. Wir wurden auf beiden Seiten misstrauisch und sehr gründlich untersucht. Auf der Fahrt durch Serbien konnten wir sehen, wie verarmt das Land war. Wir konnten sehen, wie die Nato mit ihren Bombardements zahllose zivile Objekte, darunter die Brücken über die Donau in Novi Sad, zerstört hatte.
Kurz vor Valjevo wurde unser Bus von der Polizei wegen einer Großkundgebung der prowestlichen Opposition unter Zoran Djincic umgeleitet. Im Jugoslawien des „Diktators“ Milosevic, so lernten wir, herrschte ein Mehrparteiensystem. Die prowestliche Opposition hatte ihre eigenen Zeitungen und Sender, regierte in zahlreichen Großstädten und konnte unbehindert Demonstrationen und Kundgebungen organisieren.
Pressekonferenz im Rathaus von Valjevo
Von links: Erika Thalmeier, Z. Zdravkovic, B. Duschner, Bürgerm. Lazarevic
Nach 24 Stunden Fahrt trafen wir am 7. Oktober abends in Valjevo ein. Dort wurden wir von Vertretern der Stadt mit dem 2. Bürgermeister Lazarevic an der Spitze und vielen Bürgern in Empfang genommen. Sie hatten für uns ein Festessen vorbereitet. Zigeunermusiker spielten auf und wir feierten gemeinsam mehrere Stunden. Bürgermeister Lazarevic fragte uns, was wir in den nächsten Tagen besichtigen wollten, und gemeinsam vereinbarten wir unser Besuchsprogramm.
Unsere ersten Eindrücke
Einige unserer Teilnehmer hatten die Befürchtung gehabt, wir müssten nach den Nato-Bombardements mit Übergriffen rechnen. Das war nicht der Fall. Wir wurden im Gegenteil von der Bevölkerung überall sehr herzlich empfangen. Wir trafen eine Reihe Bürger, die selbst einige Jahre in Deutschland gelebt und gearbeitet hatten. Sie hatten nicht verstehen können, warum ihr Land bombardiert worden war und sich Deutschland daran beteiligt hatte. Jetzt hatten sie die Hoffnung, wir seien die Vorboten dessen, was an Hilfe aus großen Städten wie München, Frankfurt, Düsseldorf, Hamburg oder Berlin kommen würde. Nach einer Pressekonferenz im Rathaus besuchten wir das wiederholt schwer bombardierte Kombinat „Krusik“. Mit einst 10.000 Beschäftigten war es vor dem Krieg der wichtigste Arbeitgeber und Steuerzahler der Stadt gewesen. Durch seine weitgehende Zerstörung hatten Tausende Beschäftigte ihren Arbeitsplatz und ihre Familien die Existenzgrundlage verloren.
Wir besichtigten das Krankenhaus. Viele seiner Fensterscheiben hatten die Druckwellen zerbrochen und waren noch nicht ersetzt. Neugeborene hatten ihr Hörvermögen verloren. Die technische Ausrüstung war völlig veraltet, es fehlte am nötigsten medizinischen Material. Wir besuchten das Flüchtlingslager „Poljoplod“.
Flüchtlinge im Lager Poljoplod
Serbien war damals überfüllt mit Flüchtlingen. Die von der EU und speziell Berlin forcierte Zerschlagung des Vielvölkerstaates Jugoslawien in einzelne Nationalstaaten hatte zu einer Kette ethnischer Säuberungen in Kroatien, Bosnien und im Kosovo geführt. Im Kosovo hatte die UCK unmittelbar nach dem Einmarsch der Nato-Truppen und vor deren Augen rund 250.000 Serben, Roma und Juden mit brutalster Gewalt vertreiben können. Diese ethnische Säuberung war ein wichtiger Schritt, um Kosovo endgültig vom Mutterland Serbien abspalten zu können.
Rund 4.500 Flüchtlinge, so Vertreter der Stadt, waren allein in Valjevo untergebracht. Das Elend im Lager „Poljoblod“, wo ganze Familien aus der Krajna jeweils in einem kleinen Raum über Jahre leben mussten, hat uns besonders erschüttert. Wir besuchten das Waisenhaus „Dom Stupar“. Dort schenkten uns die Kinder Bilder, die sie selbst gemalt hatten. Sie zeigten Nato-Flugzeuge, die Bomben auf ihre Stadt warfen. Später wird der Pfaffenhofener Kindergarten Maria Rast eine Partnerschaft für dieses Waisenhaus übernehmen. Mehrfach wurden wir auf der Straße auf Medikamente für chronisch Kranke angesprochen. In Serbien waren sie nicht mehr zu erhalten.
Bombardierung von Valjevo : Bild eines Kindes aus dem Waisenhaus
Die Sorge um unseren Sattelzug
Wir hatten gehofft, bei unserer Ankunft in Valjevo unseren Sattelzug vorzufinden. Als er auch am 2. Tag noch nicht eingetroffen war, fragten wir im Rathaus nach. Wir erfuhren, dass der Sattelzug in Belgrad festgehalten wurde. Angesichts des großen Mangels an medizinischen Hilfsmitteln und Medikamenten wollten Regierungsstellen diesen Teil der Ladung auf mehrere Krankenhäuser verteilen. Damit konnten wir nicht einverstanden sein. Wir bestanden darauf, dass die gesamte Ladung für Valjevo bestimmt sei und wir an der Verteilung teilnehmen müssten. Wir befürchteten, nach unserer Rückkehr würde sonst schnell das Gerücht verbreitet werden, Präsident Milosevic hätte sich persönlich an unserem Sattelzug bereichert. Weitere humanitäre Hilfe wäre danach schwer möglich gewesen. Stadtrat Dr. Canic griff nach seinem Handy und am nächsten Morgen traf unser Sattelzug in Valjevo ein.
Verteilung von Geschenken im Waisenhaus Dom Mihajlo Stupar
Von links: Dr. Canic, die Leiterin der Einrichtung, Zoran Zdravkovic
Die Zusammenarbeit beginnt
Mit der Einstellung der Kampfhandlungen am 9. Juli war der Krieg für die serbische Bevölkerung nicht zu Ende: Bereits die Sanktionen 1992–1996 hatten die Bundesrepublik Jugoslawien in tiefe Armut gestürzt. Ab 1998 waren schrittweise erneut Sanktionen verhängt worden. Sie beinhalteten u.a. ein Einfrieren der Auslandsguthaben des Landes, ein Verbot von Investitionen und der Lieferung und des Verkaufs von Erdöl und Erdölerzeugnissen in die Bundesrepublik Jugoslawien. Die Wirtschaft des Landes und die Versorgung seiner Bürger sollten lahmgelegt und jeder Wiederaufbau nach den Zerstörungen der Nato verhindert werden.
Angesichts der schweren Schäden, die die Luftangriffe der Nato verursacht hatten, empfanden wir speziell das ausdrückliche Exportverbot für „Güter, Dienstleistungen, Technologien oder Geräte, „die für die Reparatur von durch Lufteinsätze verursachte Schäden an Material, Infrastruktur oder Geräten geeingnet sind“ (2), als besonders menschenverachtend und bösartig. Die serbische Bevölkerung wurde erpresst: Ohne dem von der Nato geforderten Regimechange würde es keine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen geben.
Die Sanktionen sollten zudem den weiteren Zerfall des Landes forcieren: Montenegro, dessen Regierungschef Djukanovic die Trennung von Serbien verfolgte, wurde von den Sanktionen ausgenommen. Die Sanktionen machten klar, worum es in Wahrheit bei diesem Krieg ging: Den Balkan vollständig unter die Kontrolle von USA und Nato zu bekommen, Serbiens Wirtschaft internationalen Konzernen zur Privatisierung zu überlassen und Russland jeglichen politischen Einfluss zu nehmen.
Nach unserer Rückkehr informierten wir in Pfaffenhofen über die dramatische Situation in Valjevo und beschlossen, unsere humanitäre Hilfe weiterzuführen. Die Nato hatte systematisch Ölraffinerien, Gas- und Treibstofflager zerstört und das Stromversorgungsnetz schwer beschädigt. Die serbische Bevölkerung stand vor einem schweren Winter. Wir stellten einen weiteren Hilfstransport zusammen und konnten dank breiter Unterstützung Weihnachten 1999 mit zwei Sattelzügen mit Lebensmitteln, medizinischen Hilfsmitteln und Kleidung, und im Februar 2000 mit Notstromaggregaten für das Krankenhaus und eine Schule kommen. Bei diesem Besuch wurden wir von Schülern des Gymnasiums gebeten, ihnen eine Fahrt nach Pfaffenhofen zu ermöglichen. Wir griffen die Idee gerne auf, galt es doch, das Zerrbild, das die Leitmedien von der serbischen Bevölkerung gezeichnet hatten, zu beseitigen. Direkte Kontakte zur serbischen Bevölkerung herzustellen oder gar serbische Bürger nach Deutschland einreisen zu lassen, war zu dieser Zeit nicht erwünscht (3). Die erforderlichen Anträge für Visa zu erhalten, war nur im Konsulat in Belgrad möglich.
Unsere ersten Schüler aus Valjevo Ostern 2000 im Heim der Arbeiterwohlfahrt
Ostern 2000 fuhren wir mit einem Bus nach Valjevo und brachten 12 Gymnasiasten mit ihren beiden Deutschlehrerinnen nach Pfaffenhofen. Wir besuchten mit ihnen München und Ingolstadt, wo sie im dortigen Privatfernsehen über die Bombardierung ihrer Stadt und ihre Erlebnisse berichten konnten. Bereits Pfingsten 2000 konnte die Folkoregruppe des Kombinats „Krusik“ aus Valjevo im Rahmen der „Europäischen Kulturtage“ unserer Stadt ein Konzert geben. Das Eis war endgültig gebrochen.
Wie jedes Jahr seit 2000 laden wir auch in diesem Jahr im Juli eine Schülergruppe aus der serbischen Stadt Valjevo für eine Woche nach Pfaffenhofen ein. Die Finanzierung ist für unsere kleine Friedensgruppe nicht einfach. Gleichzeitig führen wir unsere humanitäre Hilfe für das Italienische Krankenhaus in Damaskus weiter. Syrien wird regelmäßig von der israelischen Luftwaffe bombardiert und seine Bevölkerung leidet nach 12 Jahren Sanktionen unter Elend und Hunger.
Wer uns bei unserer humanitären und Friedensarbeit unterstützen möchte, den bitten wir um eine Spende auf unser Konto „Freundschaft mit Valjevo e.V.“ bei der Sparkasse Pfaffenhofen, IBAN DE06 7215 1650 0008 0119 91. Gerne erstellen wir bei Angabe von Name und Adresse der Spender eine Bescheinigung für das Finanzamt.
Anmerkungen:
- Siehe dazu beispielsweise Stefan Wirner „Der große Zapfenstreich“ mit einer Zusammenstellung von Einträgen aus dem Tagebuch des damaligen Verteidigungsministers Rudolf Scharping
- Gemeinsamer Standpunkt vom 10. Mai 1999 — vom Rat aufgrund des Artikels 15 des Vertrags über die Europäische Union angenommen — betreffend zusätzliche restriktive Maßnahmen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien (1999/318/GASP)
- Siehe dazu die Verordnung (EG) Nr. 1064/1999 des Rates vom 21. Mai 1999, mit der sämtliche Flüge zwischen dem Gebiet der Gemeinschaft und dem Gebiet der Bundesrepublik Jugoslawien untersagt wurden.
Titelbild: Ein Bild vom Krieg