Bericht über einen Le Monde-Artikel von Jacques Attali zu den CPE.
Gerhard Kilper hat wie schon oft freundlicherweise über einen interessanten Artikel in Le Monde berichtet: „Aus Villepins Einsteigerarbeitsvertrag CPE eine wirklich umfassende Reform der beruflichen Bildung machen“ Danke.
Gerhard Kilper: Zusammenfassender Bericht eines in der Pariser Tageszeitung Le Monde vom 22. März 2006 erschienenen Artikels von Jacques Attali, ehemaliger Wirtschafts-Chefberater von Präsident Mitterand (Originaltitel: „CPE: en sortir par le haut“).
Man muss Villepin dankbar sein, dass er die Diskussion über ein Problem angestoßen hat, das uns allen auf den Nägeln brennt und ihm dabei zugute halten, dass er wahrscheinlich selbst davon überzeugt ist, sein Vorschlag könne tatsächlich mehr Arbeitsplätze für die nachwachsende Generation schaffen.
Erstaunlich und unerklärlich ist allerdings, dass sich Villepin als erfahrener Politiker auf ein nur von oben dekretierendes Spiel eingelassen hat, ohne die nächsten Schritte zu bedenken und ohne die Folgen seiner Initiative realistisch abzuschätzen.
Jeder auch nur einigermaßen kompetente wirtschaftliche Berater hätte ihm sofort sagen können, dass die den Unternehmern eingeräumte Möglichkeit, junge Leute ohne jede Begründung innerhalb von zwei Jahren jederzeit entlassen zu können, dazu führen wird, dass eine ganze Reihe von Unternehmen dies schamlos ausnutzen, Arbeitsplätze permanent mit Ersteinsteigern besetzen und keine neuen Arbeitsplätze schaffen wird.
Dass Villepin dem neoliberalen Trend folgend ein solches Gesetz verabschieden ließ, ist nicht weiter verwunderlich. In der internationalen Arbeitswelt sind im Gefolge der laissez-faire-Globalisierung arbeitsrechtliche Entwurzelung und Unsicherheit, sowie Anpassung aller Normen nach unten zurzeit Gang und Gäbe.Armuts- und Hungerlöhne führten zwar zu schnellerem Wirtschaftswachstum in den Entwicklungsländern, der neue Reichtum kam jedoch oft kaum der unter prekären Bedingungen arbeitenden Bevölkerung selbst zugute.
Wirtschaftspolitisch versuchen wir Franzosen heute nationale Konzerne aus Industrien von gestern – der Stahlindustrie – zu zimmern, während Schwellenländer wie Indien technologische Spitzenreiter wie Microsoft herausfordern oder China ganze Produktionssparten von IBM aufkauft. Wir verzetteln uns heute in einer veralteten nationalen Industriepolitik und sind gleichzeitig nicht fähig, ausreichende Mittel und genügend Personal für die wirklich allein wichtige Zukunftsinvestition der Nation, unser Bildungswesen, bereitzustellen.
Villepins CPE-Vorschlag der Niedrig-Einkommen für Berufseinsteiger und völliger Narrenfreiheit für die Arbeitgeber ist der falsche Ansatz und der falsche Weg. Die Politik ist heute ganz im Gegenteil dazu aufgerufen, alles zu tun, eine individuell angepasste und qualitativ hochwertige Weiter- und Fortbildung aller Arbeitnehmer zu garantieren mit der Perspektive, jedem Franzosen echte Chancen auf einen Arbeitsplatzwechsel als beruflich-persönliches Weiterkommen zu eröffnen. Berufliche Neueinsteiger oder Umsteiger wären sicher bereit, befristete Einsteiger-Arbeitsverträge dann zu akzeptieren, wenn diese a) während ihrer Laufzeit nicht grundlos gekündigt werden können, b) eine angemessene Vergütung beinhalten, mit der sie ihren normalen Lebensunterhalt bestreiten können und c) sicher sein können, nach der befristeten beruflichen Einarbeitungs- und Qualifizierungsphase schnell eine feste Anstellung zu finden.
Für die Einstiegsphase der jungen Leute sollte auf jeden Fall größtmögliche Sicherheit und nicht größtmögliche Unsicherheit geschaffen werden. Der Villepin’sche Arbeitsvertrag CPE wird aller Voraussicht nach die Verarmung der nachwachsenden jungen Generation institutionalisieren. An Stelle des CPE sollte jedem Arbeitssuchenden ein Entwicklungs-Arbeitsvertrag von einer öffentlichen Treuhandstelle angeboten werden, der konkret ein Einsteiger-Einkommen oberhalb des gegenwärtigen Arbeitlosengeldes und angemessene Bildungsmaßnahmen unter Begleitung eines arbeitspädagogisch qualifizierten Coaches vorsieht. Diese Begleitung müsste am Ende die Einsteiger (oder Umsteiger) zur vollen betrieblichen Arbeitsfähigkeit befähigen.
Eine solche neue und aktive berufliche Bildungspolitik würde die augenblickliche Passivität der Arbeitssuchenden, auch der älteren Arbeitslosen beenden. Jedem Franzosen könnte mit einem ganzen Maßnahmebündel individueller Begleitung geholfen werden, spezifisch-berufliche Qualifikation zu entwickeln, um den Anforderungen der auf ihn wartenden Arbeitswelt gerecht werden zu können. Die Unternehmen hätten im Gegenzug die Garantie, wirklich qualifizierte Mitarbeiter in unbefristete Vollarbeitsverträge übernehmen zu können und ihre Einstellungsrisiken zu minimieren.
Eine spezielle, neu einzurichtende nationale Berufs-Qualifizierungsinstitution müsste allerdings mit erheblichen finanziellen Mitteln und hoch qualifiziertem Personal ausgestattet werden, wenn sie Erfolg haben soll. Modellrechnungen zeigen, dass eine solche wirkliche Ausbildungs-Revolution sich volkswirtschaftlich für Frankreich rechnen und nicht mehr Kosten verursachen würde als unsere gegenwärtige Verwaltung der Arbeitslosigkeit.
Mehr denn je sollte es heute Aufgabe der französischen Politik sein, das in unseren Menschen schlummernde, vielfältige Potential zum Wohl eines jeden Einzelnen und zum Wohl unserer Gesellschaft so umfassend wie möglich zu entwickeln!