Studiengebühren … und dann? Finanzielle Konsequenzen von Studiengebühren für Studierende und die Hochschulen.
Referat von Wolfgang Lieb im Rahmen der Vorlesungsreihe zum deutschen Hochschulsystem, veranstaltet von der AG gegen Studiengebühren an der Universität Dortmund, am 8. Juni 2006.
Referat im Rahmen der Vorlesungsreihe zum deutschen Hochschulsystem, veranstaltet von der AG gegen Studiengebühren an der Universität Dortmund. Am 8. Juni 2006
I.
Das vor allem an den Hochschulen gängigste und trivialste Argument für Studiengebühren ist:
Die Hochschulen sind unterfinanziert, sie brauchen mehr Geld. Angesichts knapper öffentlicher Kassen, sind Studiengebühren der einzig mögliche Weg, zusätzliche Einnahmen zu erzielen.
Ich nenne das gerne das „Strohalmargument“
Dieses Strohhalmargument, von Rektoren und Hochschullehrern gerne benutzt, beweist, wie weit sich die Hochschulen wieder in ihren „Elfenbeinturm“ zurückgezogen haben und wie eng ihr politisches Blickfeld ist.
Es stimmt, dass die Hochschulen in Deutschland seit Jahren und im OECD-Vergleich unterfinanziert sind und dass die Bundesrepublik beim Anteil der öffentlichen Ausgaben für Bildung nur im hinteren Mittelfeld liegt.
Dass der Anteil der Ausgaben der öffentlichen Hand für die Hochschulen von 1975 bis 2002 von 1,07% auf 0,88% des BIP sogar noch zurückgegangen ist, (vor allem durch Kürzungen bei den Ländern,) (Spiegel 7/2005) ist nicht das Ergebnis einer schicksalhaften Entwicklung, sondern das Ergebnis von politischen Entscheidungen.
Die Spar- und Steuersenkungspolitik des Staates ist eine politische Wertentscheidung – genauso wie die Erhebung einer Gebühr für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe, bei Studiengebühren eben für Studierenden.
Allein die Steuersenkungen seit 2000/2001 bei der Gewerbe-, Körperschafts-, Einkommenssteuer oder durch den Wegfall der Börsenumsatzsteuer haben nach konservativen Schätzungen zu Steuermindereinnahmen von weit über 100 Milliarden Euro geführt und Deutschland hinter der Slowakei und zusammen mit Tschechien zu einem Land mit der niedrigsten Steuerquoten im europäischen Vergleich gemacht. Im Übrigen mit dem bekannt geringen Erfolg für Wachstum und Beschäftigung.
Die gesamten öffentlichen Ausgaben für die Lehre an den Hochschulen machen dagegen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes jährlich gerade 11,7 Milliarden Euro aus.
Statt einer historisch einmaligen Förderung des „Investitionskapitals“ durch eine endlose Kette von Steuererleichterungen hätten wir eher eine Förderung des „Humankapitals“ gebraucht.
Der baden-württembergische Wissenschaftsminister Frankenberg hat ausrechnen lassen, dass die Erhebung von Studiengebühren in Höhe von 500 Euro pro Studierenden nach Abzug von Kosten 1,4 Milliarden zusätzliche Einnahmen erbrächten. Stellt man dem gegenüber, dass allein die Senkung des Spitzensteuersatzes jährlich 2,5 Milliarden Steuererleichterungen bei hohen Einkommensbeziehern brachten, so wird deutlich, wem genommen und wer belastet wird.
Nur zum Vergleich:
Eine Vermögenssteuer auf private Vermögen in Höhe von 1% bei einem Freibetrag von 500.000 Euro unter der Annahme dass Immobilien- und Grundvermögen zu 80% ihres Marktwertes angesetzt würden brächte 14 Milliarden Euro.
Wenn man schon den Akademikern in die Tasche greifen will, dann wäre es erheblich unkomplizierter gewesen eine „Akademikersteuer“ zu erheben. Dann hätte man wenigstens diejenigen belastet, die durch ihr Studium schon einen entsprechenden Lohn oder Einkommen beziehen und nicht diejenigen Akademiker, die selbst noch kein Einkommen erzielen. Es bedürfte dann weder den riesigen dezentralen Verwaltungsaufwand vom Einzug der Gebühren bis zum Inkasso der Kredite – noch hätte man das Risiko von Kreditausfällen.
II.
Das zweite an den Hochschulen häufig genannte Argument ist: Studiengebühren verbessern die Lehr- und Lernbedingungen an den Hochschulen.
Dazu ist zu sagen:
Gebühreneinnahmen sind gemessen an staatlichen Zuschüssen, ja sogar an Drittmitteln, die von den Hochschulen eingeworben werden, marginal.
Selbstverständlich kann jeder Euro, der den Hochschulen über die staatlichen Finanzzuweisungen hinaus zufließt deren Finanzausstattung verbessern.
Schauen wir uns aber die Rechnung einmal genauer an:
Professor Ziegele vom Bertelsmann Centrum für Hochschulentwicklung – einer gewiss nicht gerade gebührenkritische Einrichtung – hat in einer Studie aus dem Jahre 2003 den finanziellen Effekt nicht nur mal so über den Daumen, sondern methodisch akkurat errechnet. Es ist die einzige Studie mit wissenschaftlichem Anspruch, die ich bisher kennengelernt habe.
Die Multiplikation Zahl der Studierenden mal 1000 Euro p.a., wie sie gerne angestellt wird, ist nämlich ziemlich irreführend.
Die Unis müssen davon abrechnen ihren Personal- und Verwaltungsaufwand, außerdem müssen der Inkassoaufwand für eventuelle Kreditierungen und die finanziellen Risiken bei der späteren Eintreibung der Kredite – man rechnet mit einem 20%-igen Ausfallrisiko – in Rechnung gestellt werden. Noch gar nicht eingerechnet der Aufwand für die Überprüfung von eventuellen Befreiungstatbeständen.
Die Studie des CHE kommt für die Uni Bayreuth bei Gebühren zwischen 1000 und 1.500 Euro auf Nettoeinnahmen von 6-7 Millionen Euro unter der Annahme von bestimmten Ausnahmeregelungen auf 5- 6 Millionen Euro. Das sind gerade 6-7% der staatlichen Haushaltsmittel für diese Uni.
Das ist übrigens ungefähr der Prozentsatz mit dem an einer privaten Hochschule, nämlich der Universität Witten-Herdecke, die dort erhobenen Gebühren zur Gesamtfinanzierung beitragen.
Übrigens selbst an den teuersten Privatunis an den USA machen die Gebühren nur einen Anteil von 4% (Caltech) bis 19% an der Finanzierung der Hochschulen aus.
Ich will nun nicht darüber lästern, dass kurz nach der Vorlage der Studie von Professor Ziegele, die bayerische Staatsregierung den Hochschuletat um 5% gekürzt hat. Die Frage ist allerdings berechtigt, ob die Gebühren wirklich an den Hochschulen ankommen oder andersherum, ob die Gebühreneinnahmen nicht bei den staatlichen Zuschüssen wieder weggekürzt werden.
Darüber kann man natürlich nur spekulieren, aber sind die erhöhten Einschreibgebühren oder etwa die Gebühren für die sog. Lanzeitstudierenden und in welchem Umfang an den Hochschulen angekommen?
Haben sie zu einer Verbesserung der Studienbedingungen geführt?
Hat die Einführung von Studiengebühren in England, in Australien oder in Österreich zu einer spürbaren Verbesserung der Lehre geführt?
Nun schwören die Wissenschaftsminister aller Länder hoch und heilig, dass die Gebühren voll und ganz an den Hochschulen verbleiben sollen. Aber selbst Garantieerklärungen können die Tatsache nicht aus der Welt schaffen, dass der Haushaltsgesetzgeber Jahr für Jahr über den Haushalt beschließt und zwar in eigener Souveränität.
Wer meint mit 5 bis 7 % zusätzlichen Gebühreneinnahmen die erwartete Zunahme von Studierenden bis 2012 von heute 1,9 Millionen auf 2,7 Millionen auffangen zu können und dabei noch die Studienbedingungen verbessern zu können, der lügt sich selbst in die Tasche.
Soviel ich weiß, sind in Dortmund Studiengebühren noch nicht beschlossen worden – es tagt wohl gerade eine Senatskommission:
Vielleicht fragen Sie doch einmal Ihren Rektor, wie viel Mehreinnahmen er nach Abzug der Verwaltungskosten erwartet. Und fragen Sie ihn weiter, wofür der ganz konkret das Geld einsetzen möchte. Vielleicht könnte damit – falls Gebühren beschlossen werden – wenigstens eine Brandmauer eingezogen werden, damit das Geld nicht irgendwo versickert.
Das Mindeste, was sich die Studierenden ausbedingen sollten, ist, dass die Gebühreneinnahmen in einem getrennten Haushaltskapitel der Hochschule ausgewiesen werden, und dass die Hochschule ganz konkret Rechenschaft abgibt, wofür die Mittel eingesetzt werden. Außerdem sollten jährlich jeweils die Relationen zu den staatlichen Zuschüssen für die Lehre dargestellt werden.
III.
Doch selbst wenn die Gebühren zunächst unmittelbar den Hochschulen zugute kämen, so haben sie allenfalls die kurzfristige Wirkung einer Droge, die nach einer regelmäßigen Erhöhung der Dosis verlangt.
Dass Gebühren ein schleichendes Gift sind braucht man gar nicht zu prognostizieren, das belegt ein Blick zurück. Erst hat man in einigen Ländern, z.B. in Baden-Württemberg eine (im übrigen verfassungswidrige) überhöhte Einschreibegebühr eingeführt, dann folgten die Gebühren für die sog. Lanzeitstudierenden, dann wurde davon gesprochen, dass allgemeine Gebühren allenfalls „sozialverträglich“ eingeführt werden dürften, also etwa BaföG-Empfänger oder sonstige soziale Härtefälle von der Gebührenzahlung befreit werden sollen.
Nach dem Gewöhnungseffekt gelten nunmehr 500 Euro pro Semester ganz allgemein als sozialverträglich.
Zwischenbemerkung: Dass Studiengebühren Höhe von 500 Euro sozialverträglich wären, das entspricht reinem „Oberschichtendenken“. Man halte doch nur einmal dagegen, dass das Durchschnittseinkommen einer Arbeitfamilie bei netto 2.200 Euro liegt, selbst, wenn man einen BaföG-Satz von 439 Euro für das studierende Kind unterstellt, sind 1.000 Euro zusätzliche Ausbildungskosten für die betreffende Familie ein sehr hoher Anteil am Einkommen. Das gilt auch noch für die das Durchschnittseinkommen einer Angestelltenfamilie mit netto 2.700 Euro (BaföG dann 214 Euro)
Der frühere Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Gaethgens, forderte schon 1000 Euro. Das DIW redet von 2.500 Euro.
In der „Zeit“ vom 31.12.03 ließ einer der Hauptprotagonisten der Studiengebühr, Detlev Müller-Böling vom CHE, die Katze schon mal aus dem Sack: Er rechnet mittelfristig mit 27.000 Euro für einen Bachelor in Business Administration und zusätzlich mit weiteren 20.000 Euro für einen Master.
Der Trend zur Erhöhung der Dosis ist auch anderswo empirisch erhärtet. Nahezu überall, wo in den letzten Jahren Studiengebühren eingeführt wurden, hat man sie teilweise drastisch erhöht.
- In England auf 3000 Pfund verdreifacht,
- an der Uni Zürich z.B. vervierfacht,
- auch in dem von den Gebührenbefürwortern vielfach gelobten Australien wurden die Gebühren von anfänglich 2.442 AusDollar auf bis zu 5000 AusDollar.
- Selbst die hohen Gebühren in den USA (von durchschnittlich knapp 5000 Dollar) sind im letzten Jahr im Schnitt um 14% gestiegen, in der letzten Dekade um insgesamt 50%. (FAZ v. 28.1.05)
IV.
Immer wieder wird argumentiert, dass Studieren in Deutschland bislang kostenlos gewesen sei.
Tatsächlich sind die Kosten, die die öffentliche Hand trägt ungefähr gleich hoch, wie die privaten Kosten für ein Studium.
Die öffentlichen Durchschnittskosten pro Studienplatz lagen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Jahre 2003 bei 7.170 Euro pro Jahr.
Nach Berechnungen von Dohmen und Hoi benötigt ein Studierender für den Lebensunterhalt und für studienbedingte Aufwendungen im Durchschnitt jährlich 9.400 Euro.
Ökonomisch betrachtet müsste man dabei noch die während des Studiums entgangenen Erwerbseinkommen von niedrig angesetzten 30.000 Euro pro Jahr einkalkulieren.
Aber selbst wenn man diese sog. „Opportunitätskosten“ außer Acht lässt, kann man sagen, dass die öffentlichen Ausgaben für ein Studium und die privaten Kosten sich ungefähr die Waage halten.
Ich halte das für eine faire Lastenverteilung, die nicht zu Lasten von Privaten verschoben werden sollte.
V.
Verlassen wir einmal die Elfenbeinturmargumente für die Studiengebühr und beschäftigen wir uns mit der Begründung der Studiengebühren auf der politischen Ebene.
Die Einführung von Studiengebühren ist ein Beispiel für einen gesellschaftspolitischen Paradigmenwechsel auch auf dem Felde der Hochschulpolitik.
Seit den 60er Jahren bis über die Jahrhundertwende 2002 – also etwa dem Jahr der gesetzlichen Verankerung der „Studiengebührenfreiheit“ im HRG – gab es in Bund und Ländern eine große politische Mehrheit, die ein Studium als ein öffentliches, gemeinnütziges Gut behandelte, dessen Förderung ein allgemeines Anliegen und eine öffentliche Aufgabe zu sein hat.
Allerdings setzte sich schon seit dem Bruch der sozial-liberalen Koalition im Jahr 1982 mehr und mehr ein von der neoklassischen, angebotsorientierten ökonomischen Lehre geprägtes zunächst nur auf die Wirtschaft bezogenes, mehr und mehr aber auch die Politik und die Öffentliche Meinung beeinflussendes „libertäres“ (Thomas Meyer) gesellschaftliches Leitbild durch.
Angestoßen von den Wirtschaftsverbänden und ihrer Lobbyorganisation auf dem Feld der Wissenschaft – dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft – beraten u.a. vom Bertelsmann Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) setzte sich eine ökonomische, genauer müsste man sagen, eine betriebswirtschaftliche Betrachtungsweise eines Studium durch:
Wissenschaftliche Qualifizierung wurde nicht mehr überwiegend als Fundament für die technologische Innovation und Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft und als Element des wissenschaftlichen Fortschritts und der demokratischen Teilhabe und der kulturellen Entwicklung der Gesellschaft verstanden, sondern als eine private Investition in die persönliche Zukunft, die später durch eine höheres berufliches Einkommen eine individuelle Rendite abwirft.
Dieses „libertäre“ Leitbild bedeutet übertragen auf das Hochschulwesen:
Weniger staatliche oder weniger bürokratische Steuerung und weniger demokratische Mitbestimmung zugunsten von mehr „Autonomie“, mehr Wettbewerb zur Steigerung der betriebswirtschaftlichen Effizienz, mehr private statt mehr staatliche Finanzierung.
Heruntergebrochen auf das Studium fordert dieses Leitbild:
- Höherer privater Anteil an der Finanzierung der Hochschulen.
- Dadurch entstehe ein „nachfrage- und preisorientierter Steuerungseffekt“ auf die Hochschulen. „Der Kunde wird König“.
- Studiengebühren schafften mehr Wettbewerb unter den Hochschulen und verbesserten dadurch die Qualität des Studienangebots.
- Die höhere Kostenbeteiligung der Studierenden führe zu „effizienterem Studierverhalten und damit zu kürzeren Studienzeiten“.
Als soziale Rückbindung und, um sich nicht den Vorwurf eines Verstoßes gegen die Chancengerechtigkeit einzuhandeln, soll die Gebühr natürlich „sozial verträglich“ sein.
Erlauben Sie mir eine kleine Zwischenbemerkung zu dieser „Verträglichkeitsrhetorik“ (van den Daele, 1993):
Wenn derzeit von 100 Kindern hoher sozialer Herkunft, 84 der Übergang in die gymnasiale Oberstufe und 72 die Aufnahme eines Studiums gelingt, von 100 Kindern unterer sozialen Herkunft aber nur 33 der Übergang in eine weiterführende Schule und nur noch 8 von 100 die Überwindung der Schwelle zum Studium gelingt (DSW Sozialerhebung), dann ist das schon heute weder volkswirtschaftlich vertretbar noch sozial verträglich, sondern ein „sozial unerträglicher“ bildungspolitischer Skandal. Dem man mit aktiven Maßnahmen entgegensteuern müsste.
VI.
Ist die ökonomische Betrachtungsweise eines Studiums und die Funktion, die dabei Studiengebühren zugeschrieben wird, in sich schlüssig und zielführend?
Man könnte sich zuerst einmal trefflich darüber streiten, ob Hochschulen „Wirtschaftsbetriebe“ sind oder sein sollten, und ob ein Studium ein verkäufliches Gut darstellt.
Man könnte auch danach Fragen, ob es nicht gerade bei Gütern der Daseinsvorsorge ein eklatantes Marktversagen gibt? Wie man das etwa in England nach der Privatisierung der Bahn ganz praktisch erlebt hat.
Aber solche unter ausländischen Ökonomen durchaus heftig diskutierten Fragen sind in Deutschland gegenwärtig nicht opportun. Im Hochschulbereich werden sie schlicht mit dem Hinweis zurückgewiesen, dass es in den USA – unter 3000 teilweise sehr schlechten – ein paar Dutzend private Hochschulen gibt, die von Mäzenaten der Frühindustrialisierung mit Milliardenvermögen ausgestattet sind und die angeblich besser sind als die unsrigen.
VII.
Also fragen wir noch enger nach den immer wieder behaupteten positiven ökonomischen Effekten der Einführung von Studiengebühren.
Meine These ist:
Die ökonomischen Begründungen der Studiengebühr sind ziemlich weit hergeholt oder schlicht falsch oder einfach nur ideologisch.
Die ökonomischen Steuerungseffekte der Studiengebühr sind höchst problematisch. Die Studiengebühr
- führt a) zu einer Nachfragesenkung nach dem Gut „Studium,
- es besteht b) die Gefahr einer Fehlsteuerung des Studienangebots der Hochschulen,
- und es entsteht c) das Risiko einer Fehlsteuerung der Studienwahl
Zu a) Senkung der Nachfrage:
Über ein grundlegendes ökonomisches Gesetz wird im Zusammenhang mit der Studiengebühr merkwürdigerweise recht selten gesprochen: Nämlich dass eine Erhöhung des Preises für eine Ware, tendenziell die Nachfrage nach ihr senkt.
Studiengebühren erhöhen, neben den schon erwähnten direkten und Opportunitäts-Kosten den „Preis“ für ein Studium und senken damit schon nach ökonomischer Grundlogik die Nachfrage nach einer wissenschaftlichen Ausbildung.
Die Einführung der Studiengebühren in Österreich 2001 (726 Euro p.a.) führte zu einem Rückgang der Ersteinschreibungen um 15%. Inländische Ersteinschreibungen liegen heute noch niedriger, obwohl immerhin die Stipendien gegenüber 2000 um 57% ausgeweitet wurden.
Nach einer Umfrage des Hochschul-Informations-Systems (HIS) sagen schon heute 22 % derjenigen, die sich gegen ein Studium entschieden haben, sie könnten sich Studiengebühren nicht leisten.
Welche Barriere die privaten Kosten für die Aufnahme eines Studiums darstellen können, kann man aus der historischen Entwicklung ablesen, dass sich seit der Verbesserung des BaföG durch die Bundesregierung im Jahre 1999 der Anteil der Studierenden pro Jahrgang bis heute von 27,7 auf 35,7% erhöht hat.
Unter Bedingungen eines Nachfrageüberhangs (Überlast) gibt es allenfalls einen höheren Marktpreis, aber noch lange keinen Qualitätswettbewerb.
Will man vielleicht in Wahrheit nur den Preis für das Studieren erhöhen, um die Nachfrage zu senken und damit die „Überlast“ abbauen? (Ich kenne viele Hochschullehrer, die insgeheim so denken.)
Deutschland liegt beim Anteil der Bevölkerung zwischen 24 – 35 Jahren, der einen tertiären Abschluss erreicht hat auf Platz 20 unter den von der OECD verglichenen 29 Staaten. Angesichts zurückgehender Jahrgangsstärken, kann schon in absehbarer Zeit vor allem im naturwissenschaftlichen Bereich nicht einmal mehr der Ersatzbedarf an wissenschaftlich Qualifizierten befriedigt werden.
Alle volkswirtschaftlichen Analysen vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) bis zur internationalen OECD sind sich einig: Wir brauchen mehr Studierende.
Wer es ernst meint mit dieser Forderung, darf den Zugang zum Studium nicht noch erschweren.
Studiengebühren belasten den Aufbau des in Deutschland im internationalen Vergleich ohnehin ungenügend entwickelten „Humankapitals“ und sind insoweit ein Produktivitätshemmnis und eine Innovations- und Wachstumsbremse – das sagt die wirtschaftsnahe OECD. Doch darum kümmern sich unsere betriebswirtschaftlich denkenden Politiker nicht.
Wer meint Studiengebühren wirkten studienzeitverkürzend, der sollte sich vor Augen halten, dass schon derzeit 67% aller Studierenden neben ihrem Studium einer Erwerbsarbeit nachgehen müssen. Studiengebühren zwingen noch mehr Studierende zu noch längerer Erwerbsarbeit neben dem Studium und wirken dadurch eher studienzeitverlängernd.
In Österreich jobben nach dem Wiener Professor Kolland seit Einführung der Gebühr die Studierenden um 10% mehr.
Jedenfalls, wer wirklich eine Steuerung über Geld will, sollte seine Kraft und seine intellektuellen Bemühungen dort ansetzen, wo wirklich Geld fließt und keine Nebenkriegsschauplätze mit der Einführung einer allenfalls gering sprudelnden Geldquelle wie der Studiengebühr eröffnen.
Im Übrigen gäbe es viel naheliegendere und wirkungsvollere Steuerungsinstrumente für die Studierenden:
Mehr Mitsprache und Mitbestimmung der Studierenden gerade in der Lehre.
b) Gefahr der Fehlsteuerung des Studienangebots:
Studiengebühren dürften nicht zu dem behaupteten nachfrageorientierten Qualitätswettbewerb unter den Hochschulen führen, sondern eher zu einer Fehlsteuerung des Hochschulsystems und der wissenschaftlichen Ausbildung.
Der Anteil der Studiengebühren am Hochschulhaushalt hält sich wie schon erwähnt in engen Grenzen, die Nachfragemacht des Staates ist um ein Vielfaches größer. Wenn man wirklich einen Steuerungseffekt auf die Hochschulen erzielen wollte, ihre Lehrangebote zu verbessern, warum führt man dann nicht mit dem gleichen Engagement, wie bei der Einführung von Gebühren, eine Debatte über eine vernünftige leistungsbezogene Mittelverteilung.
Solange die Kosten für ein Studium zu weit über 90 % „subventioniert“ werden, sollte, wer wirklich eine Steuerung über Geld will, seine Kraft und seine intellektuellen Bemühungen dort ansetzen, wo wirklich Geld fließt.
Nebenbei bemerkt: Wenn man schon auf eine Nachfragesteuerung setzen wollte, so könnte man das etwa mit dem Studienkontenmodell mindestens genauso gut erreichen, wie mit Gebühren.
Studiengebühren verzerren den Wettbewerb zwischen den Hochschulen noch stärker zugunsten großer Hochschulen in Ballungsräumen und zugunsten von Hochschulen, die auf Grund der Attraktivität der Städte einen Standortvorteil haben. Wie sollten Hochschulen mit weniger Studierenden und damit geringeren Studiengebühreneinnahmen wie etwa Siegen oder Paderborn, um nicht von Dortmund zu sprechen, mit den großen Unis in Heidelberg, Köln, München oder Berlin mithalten können.
Studiengebühren werden zu einer Hierarchisierung der Hochschullandschaft mit unterschiedlicher Qualität führen.
Deutschland hat aber – international anerkannt – seine besondere Stärke in der Breite der wissenschaftlichen Ausbildung bei hoher Qualität.
Wird der Kunde Student wirklich König?
Wie wenig die Anhänger eines nachfrageorientierten Steuerungseffekts ihren Annahmen wirklich trauen, zeigt sich am deutlichsten darin, dass die allermeisten unter den Studiengebührenbefürwortern, die Forderung nach einer Studiengebühr mit einem Auswahlrecht der Hochschule verknüpfen. Das Grundprinzip der Nachfrage- Angebotssteuerung, nämlich der freie Marktzugang, wird also gleich wieder außer Kraft gesetzt.
Da zittert also offenbar die „invisible hand“: Nichts ist`s mit dem freien Marktzugang, nichts ist`s mit dem König Kunden. Der Anbieter sucht sich seine ihm passenden Kunden aus.
Wer steuert da wen, der Kunde den Anbieter oder der Anbieter den Kunden?
c) Gefahr der Fehlsteuerung der Studienwahl:
Studiengebühren dürften zu einer Fehlsteuerung der Ausbildungsangebot und damit der Wissenschaft insgesamt hin zu solchen Studien und Wissenschaftsdisziplinen führen, die viel nachgefragt werden, weil sie sich „auszahlen“, also einen hohen und schnellen „return of investment“ erwarten lassen.
Die Hochschulen werden möglichst viele „billige“ Studiengänge anbieten. Die Tendenz zeigt sich in der Realität der privaten Hochschulen in Deutschland, die meisten bieten allenfalls Fächer der Betriebswirtschaftlehre oder bestenfalls noch Jura an, keine aber die teueren Ingenieur- oder Naturwissenschaften.
(Ein Medizinstudiengang an einer staatlichen Hochschule kostet 28.000 Euro p.a., ein BWL-Studiengang 1.990 Euro p.a.).
Studiengebühren beeinflussen die Studienmotivation: Die Bereitschaft materielle Kosten zu tragen bzw. die Fachwahl nach möglichst geringer Verschuldung oder geringem beruflichem Riskiko wird immer wichtiger als eine Studienwahl nach Leistung und fachlichem Interesse und vor allem auch persönlicher Neigung.
Bei einer gleichfalls schon diskutierten unterschiedlichen Höhe der Studiengebühren für verschieden teure Fächer (Modell des hessischen Ministerpräsidenten Koch) käme es sogar noch zu einer sozialen Selektion nach Fächern oder nach dem Renommee von Hochschulen bzw. zwischen FH und Uni. Nur Studierende reicher Eltern könnten sich tendenziell noch Medizin oder Ingenieurwissenschaften leisten, für die Kinder der Ärmeren bleibt Sozialarbeit oder allenfalls das Lehramt.
Studiengebühren kündigen an einer weiteren Stelle den Generationenvertrag auf.
Es ist schon merkwürdig, dass gerade die Gewinner der Bildungsexpansion seit den 70er Jahren bei der Nachfolgegeneration abkassieren wollen.
Da wäre die schon angesprochene Akademikersteuer viel gerechter. Studiengebühren, bedeuten wie die Kopfpauschale einen weiteren Schritt in den Gebührenstaat, wo jeder das gleiche bezahlt, wenn er es sich denn leisten kann. Die soziale Ausgleichsfunktion des leistungsbezogenen Steuersystems wird mehr und mehr ausgehebelt.
Nun wird vielfach behauptet, die Krankenschwester bezahle das Studium des Chefarztes mit. Wenn das so wäre, dann ist das allenfalls Ausdruck der Ungerechtigkeit unseres Steuersystems. Das Argument wird umso unglaubwürdiger, wenn es von denjenigen vorgetragen wird, die Studiengebühren einführen wollen und gleichzeitig die Senkung der Spitzensteuersätze propagieren.
VIII.
Von den Befürwortern der Studiengebühr wird immer wieder behauptet eine „nachgelagerte Gebühr“, d.h. eine Studiengebühr auf Kredit wäre „sozialverträglich“.
Warum sollte aber Schuldenmachen für diejenigen, die die Gebühr nicht „cash“ bezahlen können, sozial verträglich sein?
Seit wann ist es sozial verträglich, wenn jemand für den Kauf eines Autos einen Kredit aufnehmen muss, während der Wohlhabende bar zahlen kann?
Nach gegenwärtigen Berechnungen könnte die Kreditschuld doppelt so hoch liegen, wie wenn bar bezahlt würde, nämlich bis zu 11.000 Euro. Der Ärmere zahlt also das Doppelte!
Auch hier ist ein Blick zurück erhellend: Obwohl die Verschuldungshöhe auf 10.000 Euro gedeckelt wurde, sank nach der Umstellung des BaföG auf Darlehensmodelle im Jahre 1982 der Anteil der Studierenden aus sog. „bildungsfernen“ Schichten bis 2000 von 23% auf 13%, der Anteil der einkommensstarken Herkunftsgruppen stieg von 17% auf 33%.
Die „nachgelagerte Gebühr“ schreibt die Benachteiligung der Studierenden aus niedrigen Einkommensverhältnissen und aus Familien mit Kindern als Start- und Einkommensnachteil in die Berufsphase fort. Wer reiche Eltern hat, startet ohne Hypothek.
Nach der 15. Sozialerhebung des DSW werden weit über achtzig Prozent der Studierenden von ihren Eltern finanziert oder wenigstens mitfinanziert.
Sie benachteiligt übrigens Frauen stärker als Männer, weil die Rückzahlungsverpflichtungen vor dem Hintergrund nach wie vor schlechterer Einkommenserwartungen oder der Unterbrechung der Erwerbstätigkeit einen höheren Abschreckungseffekt haben (eine schlechtere Bildungsrendite erwarten lassen) als bei Männern.
Sie sind kinderfeindlich, weil sie vor allem bei Frauen dazu führen, dass wegen der Rückzahlungsverpflichtungen der Kinderwunsch vermutlich noch weiter zurückgestellt wird, als das ohnehin bei Akademikerinnen der Fall ist.
Als Zuckerbrot wird immer wieder darauf hingewiesen, dass soziale Benachteiligungen durch Stipendien ausgeglichen werden müssten.
Doch wo sind die Stipendienmodelle?
Müssen in NRW künftig nicht sogar noch die Bafög-Empfänger bezahlen?
Einwand: In anderen Ländern mit Gebühren gebe es keine soziale Auslese:
- In Australien hat sich die Bildungsbeteiligung um 30% erhöht, nicht aber die schichtenspezifische Verteilung. (Sturm/Wohlfahrth)
- USA: Harvard oder Yale: ¾ der Studierenden von den oberen 20% der Einkommensbezieher. Von der unteren Hälfte nicht einmal 10% und das auch nur aufgrund von strengen administrativen Regelungen. An den ca. 150 Hochschulen, die den deutschen Universitäten vergleichbar sind, stammen weniger als zehn Prozent aus der unteren Hälfte der Bevölkerung, 74 Prozent aber aus dem oberen Viertel. Die Rekrutierung ist damit sozial erheblich selektiver als an den deutschen Universitäten, wo immerhin auch schon zwei Drittel der Studierenden aus dem oberen Drittel der Bevölkerung stammen.
- GB: Dort findet schon eine scharfe Selektion in den teueren privaten Public Schools statt. 90% kommen aus einem Bevölkerungsanteil von nur 5% der Oberschicht. Das setzt sich in den Elite-Unis fort.
- Frankreich: An der ENA kommen 90% der Studierenden von den oberen 10% der Gesellschaft.
In Finnland oder Schweden, Länder, die sowohl bei den internationalen Bildungsvergleichen, aber auch bei der ökonomischen Entwicklung immer gern als Vorbild herangezogen werden, studieren 70 % eines Altersjahrgangs, dort gibt es nicht nur keine Studiengebühren sondern sogar – wie bei uns bei den Auszubildenden im dualen System – noch für jeden Studierenden eine elternunabhängige Studienförderung.
Wollen wir in Deutschland also noch weiter zurückfallen?
Nur weil wir uns weniger für Bildung leisten, als wir uns leisten können.