An Reaktionen mancher Grüner auf die wichtige Rede von Rolf Mützenich (SPD) sieht man: Es gibt keine Skrupel mehr in der Meinungsmache einer großen Koalition der Kriegsverlängerer. Keine Behauptung ist zu unseriös, wenn sie nur hilft, das sinnlose Sterben im Ukrainekrieg noch ein bisschen in die Länge zu ziehen. Die einzelnen Stimmen der Vernunft in der SPD verdienen Respekt und Unterstützung. Aber sie stehen unter Beschuss, wie Albrecht Müller gestern schon berichtet hat. In diesem Text wird ergänzend auf infame Aussagen von Katrin Göring-Eckardt und Daniel Cohn-Bendit eingegangen. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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Über die Welle der Meinungsmache, die dem Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion Rolf Mützenich für seine gute und wichtige Rede vom Donnerstag entgegengeschlagen ist, hat Albrecht Müller gestern bereits berichtet. Es ist gut, dass Mützenich zu seiner Rede steht, wie Medien berichten.
Umso wütender ist die Seite, die beim Stellungskrieg in der Ukraine nicht möglichst schnell durch Diplomatie einen Waffenstillstand herbeiführen will. Hier soll als Ergänzung zu Albrecht Müllers Artikel auf weitere Äußerungen aus der grünen Partei eingegangen werden, weil sie einige der stur wiederholten Behauptungen des deutschen „NATO-Lagers“ zur Russlandpolitik gut zusammenfassen.
Warum werden ausgerechnet die Grünen hier hervorgehoben? Dass (abgesehen von einzelnen Sozialdemokraten) alle Parteien der Bundesregierung – und weite Teile der Opposition – die aktuelle Kriegspolitik stützen, habe ich kürzlich hier geschrieben. Bei den auch dadurch ausgelösten sozialen Kürzungen ist die FDP sogar noch hemmungsloser als die Grünen – und Kubicki und Strack-Zimmermann haben bei Taurus sogar mit der Union abgestimmt. Aber bei der grünen Partei kommen noch die Aspekte des groben Etikettenschwindels und einer aufreizenden Arroganz hinzu. Aussagen auch anderer Parteien zur guten Rede Mützenichs finden sich im erwähnten Artikel von Albrecht Müller.
Die wenigen Stimmen der Vernunft müssen jetzt unterstützt werden: Mützenich gebührt Respekt für seine Rede und dafür, dass er diese Tonlage im Ukrainekonflikt angeschlagen hat und eine andere Perspektive aufgemacht hat als die eines jahrelangen, sinnlosen Stellungskriegs. Auch Kanzler Scholz respektiere ich dafür, dass er bei der „Taurus“-Frage ausnahmsweise (vorerst) standhaft geblieben ist.
Göring-Eckardt: „Kriege einfrieren führt gerade nicht zum Frieden. Das gefährdet Frieden“
Zunächst soll aus einem Interview zitiert werden, das die grüne Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt am Montag mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland geführt hat. Manche Leser mögen die ausführliche Beschäftigung mit diesem Interview als der Person Göring-Eckardt nicht angemessen empfinden. Es soll dennoch geschehen, da in dem Interview wie in einem Kondensat einige der besonders fragwürdigen und täglich wiederholten Behauptungen der grünen Militaristen zusammengefasst sind. Los geht es mit einer gönnerhaften „Würdigung“ der falschen Politik einer Abkehr von Russland:
„Die SPD hat im Dezember beim Parteitag in Berlin ihre jahrzehntelange falsche Russland-Politik und das Wegschauen vor Wladimir Putins aggressivem Imperialismus als Fehler bezeichnet. Dieser selbstkritische Beschluss verdient Respekt. Doch keine vier Monate später konterkariert der SPD-Fraktionsvorsitzende diese Versuche der SPD-Spitze, die eigene Russland-Politik aufzuarbeiten…“
George Orwell („Krieg ist Frieden“) hätte Göring-Eckardts Diffamierung eines Waffenstillstandes wohl nicht besser formulieren können:
„Kriege einfrieren führt gerade nicht zum Frieden. Das gefährdet Frieden.“
Dann folgt das Herzstück der militaristischen Meinungsmache, die in keinem Beitrag zum Ukrainekrieg fehlen darf – die auf reinen Behauptungen beruhende „Gefahrenanalyse“ der „Pläne Putins“:
„Wenn Putin die ukrainischen Gebiete, die er völkerrechtswidrig und mit menschenverachtender Gewalt besetzt hat, behalten darf, wird er nicht aufhören. Er ist ein brutaler Diktator. Seine Vision ist das alte russische Kaiserreich. Moldau, Estland, Lettland, Polen können nicht sicher sein.“
Die Verwerfungen, die die Abkehr von russischer Energie im Zuge des Wirtschaftskrieges ausgelöst hat, beschreibt sie als Weg, „unabhängig und frei zu werden“. Dann stimmt sie ein in die Diffamierung der wenigen Sozialdemokraten, die wie Mützenich ihr politisches Verantwortungsgefühl wiederentdeckt haben – Warnungen vor dem Kriegshorror nennt sie „Ängste schüren“ und Forderungen nach Frieden seien indirekt billiger innenpolitischer Wahlkampf:
„Mit diesem Kurs ist die SPD gerade keine Partei, die verlässlichen Frieden garantieren wird. Im Gegenteil. Aber ja, so manche Einlassungen der vergangenen Tage besorgen mich: Ängste in der Bevölkerung zu schüren ist kein besonnenes Handeln, und es ist erst recht keine Friedenspolitik. Eine verlässliche, vorausschauende Sicherheitspolitik darf nicht von falschen innenpolitischen Motiven geleitet werden.“
„Will ich vermeintlich billiges russisches Gas (…) – oder ist es mir auch wichtig, dass es fair zugeht?“
Skandalös finde ich auch Göring-Eckardts Antwort auf die Frage, warum viele Bürger in Ostdeutschland den Ukraine-Konflikt grundsätzlich anders sehen als in Westdeutschland – für mich klingt das, als wollte Göring-Eckardt hier allen Bürgern, die ihrer radikalen Politik nicht folgen, ein schräges „Wertesystem“ unterstellen, da es ihnen egal sei, „ob es fair zugeht“:
„Das ist keine Ost-West-Frage. Das ist eine Frage von Werten. Das kann man gut auch an der Energieversorgung festmachen: Will ich vermeintlich billiges russisches Gas und ist es mir egal, woher es kommt? Oder ist es mir auch wichtig, dass es fair zugeht? (…) Mit unserer wertegeleiteten Politik können wir nicht alle überzeugen, aber ich nehme gerade auch in Ostdeutschland den Wunsch nach Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit wahr. Und da machen wir ein Angebot.“
Wer die folgenden Maximalforderungen zur Vorbedingung für Waffenstillstand macht, der nimmt billigend in Kauf, dass der Krieg sich noch lange hinzieht und dabei zahllose weitere Ukrainer sterben:
„Es geht darum, dass die Ukraine ihre volle territoriale Integrität in ihren auch von Russland 1991 anerkannten Grenzen und damit ihre Souveränität wiedererlangt. Das muss der Maßstab sein.“
Cohn-Bendit: „So geht Defätismus“
Wie dreist die Debatte von grüner Seite geführt wird, illustriert zusätzlich ein Gastbeitrag von Claus Leggewie und Daniel Cohn-Bendit in der taz: Dort haben die Autoren keine Skrupel, für ein paar Punkte im Propagandakampf die aktuelle Forderung nach Waffenstillstand indirekt in eine Reihe mit dem Münchner Abkommen von 1938 zu stellen:
„Die angrenzenden Staaten haben die russische Konfusionsstrategie längst verstanden, in Deutschland profilieren sich vor allem Sozialdemokraten aber weiter als Friedenspartei, in der Illusion, Putin an den Verhandlungstisch zu bitten.
Deren Attacke richtet sich weniger gegen russische Kriegsverbrechen als gegen die grüne Konkurrenz, die implizit als Kriegspartei denunziert wird. So geht Defätismus: Für ein paar Punkte in den nächsten Kommunalwahlen nordet der Bundeskanzler seinen Kompass ‚Zeitenwende‘ in Richtung ‚München’ ein.
1938 konnten sich der britische Premier Neville Chamberlain und sein französischer Kollege Edouard Daladier ein paar Monate als Friedensstifter feiern lassen, bevor das angeblich ‚beruhigte‘ Hitlerdeutschland, ganz nach Plan, den schrecklichsten Krieg der Geschichte auslöste.“
Fazit: Es gibt keine Haltelinien mehr in der Meinungsmache einer großen Koalition der Kriegsverlängerer. Keine Behauptung ist zu infam, wenn sie nur hilft, das sinnlose Sterben im Ukrainekrieg noch ein bisschen in die Länge zu ziehen. Die einzelnen Stimmen der Vernunft in der SPD verdienen Respekt und Unterstützung.
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Titelbild: Kastoluza / Shutterstock