Noch am 22. Februar 2024 hatte Victoria Nuland beim „Center für Strategic and International Studies“ in Washington eine Grundsatzrede zum Ukrainekrieg gehalten und erklärt: „Wir können nicht zulassen, dass Putin mit seinem Plan, die Ukraine von der Landkarte der freien Nationen zu tilgen, Erfolg hat. Denn wenn Putin in der Ukraine gewinnt, wird er dort nicht Halt machen, und Autokraten überall werden sich ermutigt fühlen, den Status quo mit Gewalt zu ändern.“ Zwei Wochen später hat US-Außenminister Blinken, weitgehend unkommentiert von den europäischen Medien, mitgeteilt, dass Nuland das State Department Ende März verlassen werde. Damit wird die einflussreichste außenpolitische Strippenzieherin der USA nach mehr als drei Jahrzehnten die Bühne der Außenpolitik verlassen. Es stellt sich die Frage, warum das so plötzlich passiert, was dahinterstecken könnte und welche Außenwirkungen Nulands Ausscheiden auf die Außenpolitik der USA haben könnte. Von Jürgen Hübschen.
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Leben und politische Laufbahn von Victoria Nuland
Um die politische Bedeutung von Victoria Nuland einordnen zu können, ist es wichtig zu wissen, wer sie ist und welche politischen Ämter sie bekleidet hatte, bevor sie jetzt als Under Secretary of State for Political Affairs und seit 7 Monaten auch als Acting Deputy Secretary of State überraschend aus der amerikanischen Außenpolitik ausgeschieden ist.
Nuland ist 1961 geboren und hat unter verschiedenen US-amerikanischen Präsidenten gedient. Sie war u.a. eine ausgesprochen wichtige Beraterin des damaligen US-Vizepräsidenten Dick Cheney und dadurch mitverantwortlich für den völkerrechtswidrigen Krieg gegen den Irak im Jahr 2003. Sie war unter Präsident George W. Bush US-Botschafterin bei der NATO und ab 2013 unter Präsident Obama Deputy Secretary of State for European and Eurasian Affairs. In dieser Eigenschaft definierte sie maßgeblich die amerikanische Russland- und Ukraine-Politik und war als „Key Player“ beteiligt am Sturz des ukrainischen Präsidenten Janukowitsch und der Installation von Arseni Yatseniuk im Rahmen der „Maidan-Unruhen“. Aus dieser Zeit ist ihr abgehörtes Telefongespräch mit dem damaligen US-Botschafter Geoffrey Pyatt in Erinnerung, der darin auf Bedenken der EU hingewiesen hatte, Yatseniuk zum Präsidenten zu machen. Diese Einwände hatte sie mit der Bemerkung „Fuck the EU“ abgetan.
Nuland ist den amerikanischen Neokonservativen, den sogenannten „Neocons“, zuzuordnen und gehörte immer zu den „Falken“ in der US-Administration. Das lag sicherlich auch an ihrer Ehe mit dem Historiker Robert Kagan. Dieser hatte 1997 zusammen mit William Kristol das „Project for the American Century“ (PNAC) entwickelt, eine Policy für Amerikas Außenpolitik mit dem Ziel, die Welt zu beherrschen. Diese Idee haben die „Neocons“, die nach wie vor maßgeblich die amerikanische Außenpolitik bestimmen, bis heute nicht aufgegeben.
Bewertende Einschätzung von Victoria Nulands Ausscheiden aus der US-amerikanischen Außenpolitik
In seinem Statement zum Ausscheiden von Victoria Nuland hatte Außenminister Antony Blinken besonders herausgestellt: „her fierce passion for freedom, democracy and human rights“ („ihre leidenschaftliche Passion für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte“). Besonders hob er Nulands Engagement für die und in der Ukraine hervor und sagte wörtlich:
„Es ist Torias Vorreiterschaft in Bezug auf die Ukraine, mit der sich die Diplomaten und Studenten der Außenpolitik auf Jahre hinaus beschäftigen werden. Ihr Einsatz war in der Konfrontation mit Putins totaler Invasion der Ukraine unersetzlich, eine globale Koalition anzuführen, um sein strategisches Scheitern zu garantieren und der Ukraine dabei zu helfen, später auf eigenen Füßen zu stehen, demokratisch, wirtschaftlich und militärisch.“
Dieses positive Statement von Außenminister Blinken gibt natürlich keinerlei Hinweise darüber, warum Victoria Nuland das State Department verlässt. Geht sie wirklich freiwillig oder wurde ihr nahegelegt, ihren Abschied einzureichen, oder wurde sie de facto rausgeworfen, weil die von ihr jahrelang vertretene Russland- und Ukraine-Politik nicht mehr mit der offiziellen Linie der US-Administration oder den Vorstellungen von US-Präsident Biden übereinstimmt? Natürlich könnte auch der Grund für ihr Ausscheiden eine neue Schwerpunktsetzung in der amerikanischen Außenpolitik sein.
Nach Aussage von zwei langjährigen Mitarbeitern des US-Außenministeriums soll Nuland ihren Abschied eingereicht haben, weil sie bei einer aus ihrer Sicht berechtigten Beförderung übergangen wurde. Sie hatte zusätzlich zu ihrer eigentlichen Tätigkeit 7 Monate die Aufgaben einer stellvertretenden Außenministerin wahrgenommen, nachdem die frühere Amtsinhaberin, Wendy Sherman, in den Ruhestand gegangen war. Nuland hatte als Anwärterin gegolten, um Sherman in Vollzeit und dauerhaft zu ersetzen. Doch Außenminister Blinken entschied sich für Kurt Campbell, den früheren Spitzenbeamten des Nationalen Sicherheitsrates für Asien. Herr Campbell wurde vom Senat am 6. Februar bestätigt.
Der Abschied der US-Spitzendiplomatin Victoria Nuland wird von einigen US-Medien und Experten als Indiz für eine Kehrtwende in der Außenpolitik Washingtons gewertet. Nuland hatte sich seit dem „Euromaidan“ in Kiew 2014 als entschiedene Befürworterin eines Westkurses der Ukraine hervorgetan. Das Ausscheiden Nulands könnte, neben der Tatsache, dass das Repräsentantenhaus sich noch immer weigert, die von Präsident Biden geplante weitere Unterstützung der Ukraine in einer Höhe von 60 Milliarden US-Dollar zu genehmigen, ein weiterer Hinweis sein, dass die USA ihr Ukraine-Engagement grundsätzlich überdenken.
Dabei könnte der zunehmend Fahrt aufnehmende Wahlkampf durchaus eine Rolle spielen. Natürlich könnte die Trennung von Victoria Nuland auch ein Indiz dafür sein, dass die US-Administration zu der Erkenntnis gelangt ist, dass die bisherige Strategie gegenüber Russland nicht aufgegangen ist und immer offensichtlicher wird, dass die Ukraine den Krieg verloren hat. Vielleicht handelt es sich bei dieser Kehrtwende aber auch darum, dass China jetzt ganz oben auf der außenpolitischen Agenda der Vereinigten Staaten steht, was viele Experten schon lange gefordert haben. Sie haben den Wettbewerb mit China immer als oberste Priorität eingeordnet und es für einen schwerwiegenden außenpolitischen Fehler gehalten, sich überwiegend auf Russland und den Krieg in der Ukraine zu konzentrieren.
Für diese Theorie spricht vor allem Blinkens Entscheidung, Kurt Campbell mit der Aufgabe des stellvertretenden Außenministers zu betrauen und dabei das Zerwürfnis mit Victoria Nuland billigend in Kauf zu nehmen. Kurt Campbell war lange Zeit Mitglied im National Security Council der USA (NSC) und der maßgebliche Architekt von Obamas „Pivot to Asia Policy“, also einer politischen Schwerpunktsetzung im asiatischen Raum. Dazu gehörte z.B. das Bestreben, Indien zunehmend als Rivalen zu China aufzubauen, aber vor allem auch die grundsätzliche Verschiebung des amerikanischen Interesses von Europa in den Indopazifik.
Es ist davon auszugehen, dass man sehr bald sehen und wissen wird, ob sich der Schwerpunkt der amerikanischen Außenpolitik verschieben wird. Vieles spricht für diesen außenpolitischen Schwenk, in dessen Folge die Sanktionen gegenüber Russland und auch der Krieg in der Ukraine in der Hauptsache sich zu einem europäischen Problem entwickeln; und zwar politisch, wirtschaftlich und militärisch.
Ich bin mir nicht sicher, ob das Signal, das mit einem Ausscheiden von Victoria Nuland aus der Russland- und Ukraine-Politik der USA gesetzt wurde, und die daraus resultierenden möglichen Konsequenzen von den Politikern in Europa bereits verstanden und richtig eingeordnet worden sind.
Titelbild: Die damalige US-Unterstaatssekretärin Victoria Nuland verteilt Sandwich-Brötchen auf dem Maidan, 11. Dezember 2013 – Quelle: Shutterstock / Roman Mikhailiuk
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