Die FDP bezeichnet ihre EU-Spitzenkandidatin auf neuen Plakaten als „Oma Courage“. Dieser Versuch, sich ans Erbe Bertolt Brechts anzubiedern, ist nach hinten losgegangen: Wussten die PR-Leute nicht um den problematischen Charakter von Brechts „Mutter Courage“? Oder ist das alles ein geplanter Coup, um die FDP ins Gespräch zu bringen? Wie auch immer: Wenn Strack-Zimmermann sich schon selber in die Nähe einer der bekanntesten Kriegsprofiteurinnen des Theaters rückt, dann sollte man diese Steilvorlage dankend annehmen. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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Die FDP bestreitet den EU-Wahlkampf unter anderem mit einem Plakat der Kandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, auf dem diese als „Oma Courage“ angepriesen wird – eine klare Anspielung auf das 1938/39 von Bertolt Brecht geschriebene Theaterstück „Mutter Courage und ihre Kinder“. Wahlkämpfe sind oft Zeiten der peinlichen Selbstüberhöhung. Doch diese Kampagne der FDP verdient dann doch kurze Aufmerksamkeit.
Zunächst ist der Vorgang Ausdruck einer Zeit der Begriffsverwirrungen: Die FDP besitzt mittlerweile die Dreistigkeit zu versuchen, sich sogar indirekt am Erbe Brechts zu vergreifen, einem expliziten Gegner von neoliberaler Politik und Kriegstreiberei. Aber dieser Versuch der Brecht-Vereinnahmung ist für die FDP erwartungsgemäß nach hinten losgegangen: Die Schöpfer der Kampagne waren gedanklich wohl eher bei aktuellen pseudolinken Phänomenen wie den „Omas gegen Rechts“ als bei der Figur der Mutter Courage – denn diese Figur ist ein problematischer Charakter, der sich unbelehrbar am 30-jährigen Krieg bereichern möchte. Dass das Theaterstück eine Warnung an jene Menschen ist, die hoffen, durch geschicktes Handeln von einem Krieg profitieren zu können, und dass Bertolt Brecht mit dem Werk zusätzlich prinzipielle Abscheu vor Kriegen vermitteln wollte, das hat aktuell etwa der Schauspieler Gerd Buurmann in einem Artikel im Medium Achgut beschrieben.
Brecht-Bezug? Wie kommen Sie denn darauf…?
Der Vorgang beinhaltet neben dem Versuch, Brecht zu vereinnahmen, eine weitere Dreistigkeit: Konfrontiert mit der literarischen Fehldeutung, wird der mutmaßlich angestrebte „Brecht-Effekt“ nun von FDP-Seite einfach abgestritten. Auf die öffentliche Häme, die PR-Leute der FDP hätten da ein ziemliches Eigentor fabriziert, antwortet Strack-Zimmermann mit der Unterstellung, das Publikum würde die tatsächlichen Bezüge des Slogans einfach nicht kapieren:
„Vielleicht ist es auch einfach ein Eigentor, wenn man einen Zusammenhang herstellt, der nicht existiert und stattdessen den Zusammenhang zwischen Oma, Europa und Courage nicht versteht.“
Zusammengefasst: Erst möchten die PR-Strategen der FDP mutmaßlich auf die Unwissenheit des Publikums setzen, indem sie versuchen, sogar beim nicht gerade als neoliberalem oder kriegstreiberischem Vordenker bekannten Dichter Bertolt Brecht zu wildern. Dabei kommt ihnen allerdings die eigene Unwissenheit über den Inhalt des assoziierten Theaterstücks in die Quere. Als sich deshalb abzeichnet, dass das Plakat nach hinten losgehen könnte, weil Brechts Mutter Courage eine ziemlich unsympathische Kriegsprofiteurin ist, wird der Brecht-Bezug eilig zurückgewiesen. Um die Farce perfekt zu machen, wird nun, um nicht den Eindruck eines peinlichen Irrtums zu erwecken, ausgerechnet mit diesem Plakat eine Flucht nach vorne angetreten: Strack-Zimmermann posiert in diesem Video davor (ab Minute 1:05) und laut Medien findet der FDP-Generalsekretär das „Oma-Courage“-Motiv „besonders gut“.
„Sie glaubt an den Krieg bis zuletzt“
Ist der Vorgang vielleicht gar kein Versehen, sondern eine gewiefte Taktik, um die in deutschen Umfragen bei etwa fünf Prozent liegende FDP ins Gespräch zu bringen? Geht man Strack-Zimmermann auf den Leim, wenn man das nun thematisiert und sie damit noch bekannter macht?
Diese Risiko gehe ich ein – denn die FDP hat eine schöne Steilvorlage für politische Kontrahenten geschaffen, indem sie Strack-Zimmermann indirekt in eine Reihe mit „Mutter Courage“ gestellt hat. Laut Buurmann sagte Brecht selber zur Mutter Courage:
„Sie glaubt an den Krieg bis zuletzt. (…) Sie lernt so wenig aus der Katastrophe wie das Versuchskarnickel über Biologie lernt.“
Titelbild: Screenshot bei „X“