Wahlen: Das Volk verabschiedet sich von der Politik
Der Ausgang der Landtagswahlen brachte, wenn man ausschließlich auf die Stimmanteile der Parteien schaut, keine Überraschungen. Da in der Bundespolitik zwischen den großen Parteien bisher ein Waffenstillstand herrscht und die kleinen Parteien in der öffentlichen Debatte nicht mehr vorkommen, bestätigten diejenigen Wählerinnen und Wähler, die sich noch zu den Wahlurnen aufmachten, die amtierenden Regierungschefs. In Sachsen-Anhalt gingen über 55%, in Baden-Württemberg über 46% und in Rheinland-Pfalz rd. 42% der Wahlberechtigten nicht mehr zur Wahl und auch bei den Kommunalwahlen in Hessen waren die Wähler in der Minderheit. Bei allen diesen Wahlen gab es nicht nur dramatisch zurückgehende sondern historisch einmalig niedrige Wahlbeteiligungen. Ein Alarmzeichen für Politik und Demokratie.
Die Kommentare der Politiker am Wahlabend waren immer gleich: Man dankte den Wäherinnen und Wähler und lobte das hervorragende Abschneiden. Mathias Platzeck freute sich, dass Kurt Beck gewonnen hat und die SPD zum ersten Mal seit vier Jahren bei Wahlen wieder einmal bei den Prozentanteilen nicht verloren hat sondern ein klein wenig zulegen konnte, den Absturz von 8% für Ute Vogt verdrängte er geflissentlich. Die CDU freute sich darüber, dass Günther Oettinger und Wolfgang Böhmer ihre Ministerpräsidentenposten verteidigt haben, obwohl die Partei selbst überall verloren hat.
Alle sprachen von hervorragenden Ergebnissen oder von „großer Zustimmung der Wählerinnen und Wähler“ (Pofalla, CDU). Soweit die „Weißwäscher“ vor den Mikrofonen der CDU oder der SPD angehörten, sprachen alle von einer „Bestätigung der Großen Koalition“ und Alt-Minister Clement meinte sogar, dass mit diesen Wahlen der „Spielraum“ für die große Koalition größer geworden sei und sich aus dem Wahlergebnis ein „erhöhter Druck, zu handeln“ ergebe. Die journalistischen Kommentatoren redeten davon, dass Berlin nun „an die Arbeit“ gehen müsse (Nikolaus Brender, ZDF) oder die Große Koalition ihre Machposition ausgebaut habe (Anne Will, ARD).
Wer bei Verlusten der CDU in Baden-Württemberg (- 0,6%), Rheinland-Pfalz (- 2,5%) und Sachsen-Anhalt (-1,0%) oder bei einem Absturz der SPD im „Ländle“ von 8% und Gewinnen gerade mal um die 1% im Südwesten und bei den Sachsen-Anhaltinern von einer Bestätigung der Parteien der Großen Koalition redet, rechnet wohl damit, dass niemand mitrechnet oder setzt auf Selbsttäuschung oder wie Clement auf trotzige Autosuggestion.
Die ARD hat all denjenigen, die nach diesem Wahlsonntag eine Bestätigung der Großen Koalition sehen wollen, noch eine weitere Rechnung entgegengehalten:
Sieht man einmal davon ab, dass CDU und SPD vor der Bundestagswahl von einer Richtungswahl geredet haben, so haben die Parteien, die sich nach der Inszenierung ihres Richtungsstreits zur jetzigen Großen Koalition zusammengefunden haben, bei der Bundestagswahl rechnerisch immerhin 60,5% der Stimmen aller Wahlberechtigten auf sich vereint. In Rheinland-Pfalz haben SPD und CDU zusammen jetzt noch 46% aller Wahlberechtigten gewählt, in Baden-Württemberg haben die Parteien der Großen Koalition noch von 36,5% aller Wahlberechtigten ihre Stimme erhalten und in Sachsen-Anhalt gerade mal noch von einem Viertel aller Wahlbürger.
Da trifft wohl eher die Stimmungslage zu, die eine Umfrage der ARD ergab, dass nur 39% der Bevölkerung sich von der Großen Koalition noch Vorteile erwarten. Jörg Schönenborn, der Wahlmoderator der ARD, zog daraus den eher richtigen Schluss, dass der Prozentanteil der Parteien der Großen Koalition bei diesen Landtagswahlen eher „viele Probleme verdeckt“.
Wenn man ausschließlich auf die Prozentanteile der Parteien schaut, mag man ja oberflächlich betrachtet die übliche Schönrederei bestätigt finden, schaut man aber genauer hin, so haben die wiedergewählten Ministerpräsidenten gerade mal die Zustimmung zwischen rund 15% (Böhmer) und maximal von einem guten Drittel des Wahlvolkes für den überaus populären „Landesvater“ Kurt Beck auf ihrer Seite.
Wer da von „großer Zustimmung“ oder von „glänzenden Siegen“ spricht, geht wohl am Bewusstsein der großen Mehrheit der Bevölkerung ziemlich weit vorbei.
Nun könnte man – wie Lothar Späth bei Sabine Christiansen – kühn behaupten, die historisch einmalig niedrigen Wahlbeteiligungen seien überhaupt kein Problem, sie drückten nur aus, dass die Wählerinnen und Wähler mit der Politik weitgehend zufrieden seien und dass im Übrigen in den USA die Wahlbeteiligung noch niedriger läge. Darin sehe ich aber allenfalls ein Zeichen für das reduzierte Realitätswahrnehmungsvermögen eines inzwischen zum Investmentbanker mutierten Zynikers. Wenn der überwiegende Teil der Wahlbevölkerung von seinem Wahlrecht keinen Gebrauch mehr macht, dann bedeutet das eher, dass es den Wählerinnen und Wählerinnen inzwischen egal ist, wer regiert. Oder anders herum, dass der größere Teil der Bevölkerung kein Vertrauen mehr in die Politik hat und von den Parteien keinen Beitrag zur Lösung ihrer Probleme mehr erwartet.
Dieses Alarmzeichen müsste eigentlich das Thema aller Wahlanalysen sein und das sollte der Großen Koalition zu denken geben. Wer solche Alarmsignale überhört, setzt unsere Demokratie einem hohen Risiko aus.