Am Abend des 7. März 2024 hat Präsident Biden seine jährliche Rede zur Lage der Nation (State of the Union) gehalten. Diese Reden sind bei allen US-Präsidenten immer sehr emotional und von der Devise geprägt: „America First“. Wenn es sich um eine „State of the Union“ in einem Wahljahr handelt, in dem für den Amtsinhaber eine Wiederwahl möglich ist, ist es interessant zu prüfen, ob Visionen oder der Wahlkampf die bestimmenden Themen waren. Von Jürgen Hübschen.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Inhalt der Rede zur Lage der Nation
Die Rede von Präsident Biden umfasste ca. 15 DIN-A4-Seiten, von denen 13 innenpolitischen Themen gewidmet waren. Auf diese Themen soll nachfolgend inhaltlich nicht im Detail eingegangen werden. Der Präsident beginnt seine Rede, indem er einen Bezug zur „State of the Union“ von Präsident Roosevelt 1941 herstellt, als Frieden und Demokratie durch Adolf Hitler bedroht wurden. In diesen historischen Kontext stellt Präsident Biden den russischen Angriff auf die Ukraine und vergleicht den russischen Präsidenten Putin de facto mit Adolf Hitler. Wörtlich sagt der US Präsident:
„Overseas, Putin of Russia is on the march, invading Ukraine and sowing chaos throughout Europe and beyond. If anybody in this room thinks Putin will stop at Ukraine, I assure you: he will not.” („Im Ausland ist Putin auf dem Vormarsch, ist in die Ukraine einmarschiert und sät Chaos überall in Europa und darüber hinaus. Falls jemand in diesem Raum denkt, Putin wird in der Ukraine stoppen, so versichere ich ihm: Er wird es nicht tun.“)
Und der US-Präsident Biden führt weiter aus, dass die Ukraine Russland stoppen kann, wenn die USA Kiew mit den erforderlichen Waffen unterstützt, sich zu verteidigen. Die Ukraine fordere keine amerikanischen Soldaten, und Präsident Biden wörtlich:
„In fact there are no American soldiers at war in Ukraine, and I´m determined to keep it that way.“ („In der Tat, es sind keine US-Soldaten im Krieg in der Ukraine, und ich habe entschieden, dass dies so bleibt.“)
Danach gebraucht der Präsident zum ersten und einzigen Mal in seiner Rede die Formulierung „our world leadership“ gegenüber denjenigen, die sich aus dieser Verantwortung stehlen wollen und spricht in diesem Zusammenhang von seinem Vorgänger, ohne Trump beim Namen zu nennen. Das bleibt übrigens während der ganzen Ansprache so. Biden bezeichnet die NATO als stärkstes Militärbündnis der Welt, dem zwei weitere Staaten beigetreten sind, und heißt den schwedischen Premierminister willkommen, der im Saal anwesend ist. Biden wiederholt die historische Dimension der aktuellen Lage und weist auf die wichtige Rolle der USA hin. Wörtlich:
„If the United States walks away, it will put Ukraine at risk, Europe is at risk, the free world will be at risk, emboldening others to do what they wish to do us harm.” (Falls die USA sich zurückziehen, gefährdet das die Ukraine, gefährdet es Europa, und die freie Welt wird gefährdet sein, weil andere ermutigt werden, das zu tun, womit sie uns schaden können.“
Mit Blick auf Präsident Putin fügt er abschließend zu diesem Punkt hinzu:
„My message to President Putin, who I´ve known for a long time, is simple: We will not walk away. We will not bow down. I will not bow down.” (Meine Botschaft an Präsident Putin, den ich seit langem kenne, ist einfach: Wir ‚hauen nicht ab‘. Wir beugen uns nicht, und ich werde mich nicht beugen“)
Nach dieser knapp einen Seite Außenpolitik beginnt der etwa 12 Seiten lange innenpolitische Teil der Rede und zwar sozusagen als Übergang von den äußeren Risiken für die Demokratie mit ihrer inneren Gefährdung wie durch den Sturm auf das Kapitol vom 6. Januar 2020. Im Weiteren spricht der amerikanische Präsident alle für die Bevölkerung relevanten Bereiche an – von der Grenzsicherung über die Schusswaffengesetze bis zum Thema „Abtreibung“. Breiten Raum nehmen zudem die wirtschaftliche Lage, die Arbeitslosenzahlen, die Steuergesetzgebung etc. ein. Insgesamt verweist Biden auf seine Erfolge in allen gesellschaftlichen Bereichen und spart dabei nicht mit Eigenlob.
Nach diesen umfangreichen Ausführungen im Bereich der Innenpolitik kommt der Präsident noch einmal auf die außenpolitische Lage zu sprechen und zwar mit Schwerpunkt auf den Nahost-Krieg. Er beginnt mit dem Überfall der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 und unterstreicht das Recht Israels auf Selbstverteidigung und fordert die Freilassung aller Geiseln. Diese Punkte formuliert Biden klar, aber eher knapp. Ausführlicher geht er auf die Verantwortung Israels ein, indem er sagt:
„Israel has a fundamental responsibility, though, to protect innocent civilians in Gaza. („Israel hat eine elementare Verantwortung unschuldige Zivilisten in Gaza zu schützen“).
Im Detail erinnert er daran, dass mehr als 30.000 Palästinenser gestorben sind, die Infrastruktur weitgehend zerstört ist und die humanitäre Situation der Bevölkerung als „heartbreaking“ zu bezeichnen ist. Er fordert ein Cease Fire und kündigt an, dass die USA die Voraussetzungen schaffen werden, dass Hilfsgüter von See nach Gaza gebracht werden können, betont aber gleichzeitig, dass es keine US-Soldaten im Gaza-Streifen geben wird. Biden betont, dass er in seiner gesamten Laufbahn immer ein Unterstützer Israels gewesen sei, aber jetzt gelte:
„Protecting and saving lives has to be a priority.“ („Schutz und Lebensrettung müssen Priorität haben.“)
Die Zwei-Staaten-Lösung bezeichnet Biden als einzige realistische Lösung. Er schließt die Thematik Nahost ab mit einem Hinweis auf die Bedrohung durch den Iran und die Angriffe der Huthis auf die internationale Seefahrt, die mit Hilfe der USA und ihrer Verbündeten abgewehrt würden. Zu China stellt der Präsident fest, dass die folgende Aussage falsch sei:
„China is on the rise and America is falling behind.“ („China befindet sich im Aufstieg, während die USA zurückfallen.“)
Ganz im Gegenteil, so Biden:
„We have the best economy in the world.“ („Wir haben die beste Wirtschaft in der Welt.“)
Er wolle Wettbewerb mit China und keinen Streit. Bevor Biden noch einmal auf die innere Lage der USA zu sprechen kommt, verweist er darauf, dass die USA ihre Partnerschaft mit den Staaten im Pazifik erneuert und verstärkt hätten. Die Klimakrise spricht Biden lediglich mit einem einzigen Satz an.
Biden schließt mit der Feststellung:
„I believe in America, I believe in you, the American people. You´re the reason we´ve never been more optimistic about our future than I am now. So let´s build the future together. Let´s remember who we are. We are the United States of America”. („Ich glaube an Amerika, ich glaube an die Menschen in den USA. Sie alle sind der Grund, dass wir nie optimistischer über unsere Zukunft waren, als ich es heute bin. Also lasst uns die Zukunft gemeinsam bauen. Lasst uns daran erinnern, wer wir sind. Wir sind die Vereinigten Staaten von Amerika.“)
Bewertung der Ansprache zur Lage der Nation
Präsident Biden beginnt seine Ansprache zur Lage der Nation mit einem außenpolitischen Thema, weil dieses möglicherweise die innenpolitische Auseinandersetzung im Wahlkampf entscheiden wird. Deshalb haben seine Redenschreiber die Dramaturgie völlig überzogen; ein westlicher Journalist bezeichnete diesen Teil des Vortrags als „inszenierte Wut“. Den russischen Präsidenten mit Hitler quasi gleichzusetzen, wird der aktuellen Situation nicht gerecht, sondern führt lediglich zu einer weiteren Emotionalisierung, die eine Verhandlungslösung zur Kriegsbeendigung unnötig erschwert, obwohl es aktuell dazu vermutlich zwei Initiativen gegeben hat. Eine waren die Gespräche zwischen einer chinesischen Delegation in Kiew, und die zweite war die kürzliche Reise des ukrainischen Präsidenten zu seinem türkischen Amtskollegen Erdogan. Auch die aktuelle Veröffentlichung der Verhandlungsergebnisse im Wall Street Journal, die zwischen Russland und der Ukraine im Frühjahr 2022 in Istanbul erzielt wurden, war wohl kein Zufall.
Für die Behauptung Bidens, der russische Einmarsch in die Ukraine würde nur der Anfang sein, falls man Präsident Putin nicht stoppen würde, gibt es dagegen keinerlei Beweise. Vielmehr scheint sie der Versuch zu sein, doch noch das Go des Repräsentantenhauses für die ausstehenden 60 Milliarden Dollar für eine weitere militärische Unterstützung zu erhalten. An seiner Aussage, „If anybody in this room thinks Putin will stop at Ukraine, I assure you: he will not“, wird sich der US-Präsident noch einmal messen lassen müssen.
(Zusatz des Autors: US-Verteidigungsminister Lloyd Austin III hat am 1. März 2024 wörtlich gesagt: „Wenn die Ukraine fällt, wird die NATO im Krieg mit Russland sein.“ Zu dieser Aussage hat der russische Außenminister Lawrow festgestellt, dass die NATO immer noch eine strategische Niederlage Russlands anstrebe.
Dazu hat er als Beweis angeführt:
- die Aussage von Austin
- die Überlegungen Macrons, den Einsatz westlicher Truppen in der Ukraine nicht auszuschließen
- das abgehörte Telefongespräch der deutschen Luftwaffenoffiziere
Der amerikanische Generalstabschef, General Randy A. George, hat davor gewarnt, Russland zu unterschätzen.)
Beim zweiten außenpolitischen Thema fällt auf, welch breiten Raum der Präsident seinen Forderungen an Israel einräumt, die humanitäre Katastrophe in Gaza zu beenden. Es fehlt allerdings die konkrete Forderung an Netanjahu, die Bombenangriffe einzustellen. Vor allem aber fehlt eine Aussage, wie die Konsequenzen aussehen werden, falls der israelische Premier einem Cease Fire noch immer nicht zustimmt und die amerikanische Forderung nach einer Zwei-Staaten-Lösung weiterhin ablehnt.
Der innenpolitische Teil seiner Ansprache ist hauptsächlich ein Klopfen auf die eigene Schulter und dem Wahlkampf geschuldet. Eine realistische Vision, wie man z.B. die Einwanderungsproblematik lösen kann, fehlt ebenso wie ein konkreter und durchsetzungsfähiger Weg, die Waffengesetze zu ändern.
Auch wenn der Präsident nur einmal von „our world leadership“ gesprochen hat, ist die Außenpolitik in dieser Rede zu kurz gekommen, weil die Zukunft einer Weltmacht ja nicht von der Lösung innenpolitischer Probleme abhängt, ganz im Gegenteil. Die zukünftige Zusammenarbeit mit der EU wird gar nicht erwähnt, und auch die Gefahr, dass die Verschiebung der globalen Machtverhältnisse den USA zum Nachteil gereichen könnte, wird verschwiegen.
Natürlich ist ein „State of the Union“ immer in erster Linie nach innen gerichtet, aber die Zukunft einer Weltmacht und damit auch ihrer Bevölkerung hängt eben stark von außenpolitischen Entwicklungen ab. Das weiß Präsident Biden natürlich auch, aber als Realpolitiker versucht er mit den Themen zu punkten, die Donald Trump in den Mittelpunkt seiner Kampagne stellt.
Deshalb ist für mich die absolute Schwerpunktsetzung auf innenpolitische Themen in der Rede zur Nation dem Wahlkampf geschuldet, weil die amerikanische Bevölkerung mit dem politischen Ansatz „America first“ zufrieden ist. Visionen würden vermutlich nicht verstanden und würden deshalb die Chancen auf einen Wahlsieg nicht verbessern.
Last but not least: Eine „inszenierte Wut“, gepaart mit hoher Lautstärke, ist für mich kein Beweis für physische und mentale Vitalität und auch nicht für die Fähigkeit, noch weitere fast 5 Jahre dem Anspruch einer „world leadership“ gerecht zu werden.
Titelbild: Luca Perra/shutterstock.com