Mehr als die bessere Hälfte

Mehr als die bessere Hälfte

Mehr als die bessere Hälfte

Ein Artikel von Frank Blenz

Der heutige 8. März ist der Internationale Frauentag, seit 1921 wird dieser gefeiert. Die UN hat den Tag unter das Motto „In Frauen investieren: Fortschritte beschleunigen“ gestellt und weist damit auf den Mangel an finanziellen Mitteln hin, der mit verhindert, dass die Gleichstellung von Mann und Frau in allen Bereichen der Gesellschaft voranschreiten kann. Tatsächlich lautet der nüchterne Befund, wohin man bei allen Annäherungen weltweit schaut: Kein Land hat eine wirkliche Gleichstellung der Geschlechter erreicht. Der Ehrentag für die Frauen blinkt wie ein mahnendes Signal im gesellschaftlichen Bewusstsein auf und ist Aufforderung, Frauen in unserer Gesellschaft nicht lediglich charmant als „bessere Hälfte“ zu loben, sondern anzuerkennen, dass sie mehr als das sind, im Guten wie auch im weniger Guten, und zu fordern, dass Männer und Frauen angesichts des erschreckenden, gemachten Zustands unserer Welt einstehen müssen, diese Welt über die richtig und wichtig zu erstreitende Gleichberechtigung hinaus zu einem besseren Ort zu machen. Ein Beitrag von Frank Blenz.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Mama ist die Beste! Sie ist aber auch Teil einer ungerechten Welt

Ganz abgesehen davon, dass man den einst in von Männern dominierten Gesellschaften von Frauen schwer erkämpften Ehrentag für die Frauen feiert, sei gesagt: Jeder Tag sollte Frauentag, Muttertag sein, an jedem Tag wäre es angebracht, Frauen Blumen zu schenken, sie in den Arm zu nehmen. Was wären die Männer, die kleinen wie die großen, ohne Frauen? Frauen sind wunderbar, sie sind die bessere Hälfte in der wundervollen Zweisamkeit, der Verbindung von Mann und Frau, heißt es romantisch. Mehr noch, sie sind mehr als das, mehr als nur eine Hälfte. Sie sind Mütter, Großmütter, sie sind unsere Partnerinnen, Menschen, die Familien zusammenhalten, die ihre, unsere Kinder, die sie auf die Welt gebracht haben, beschützen, behüten und versorgen, die ihren Partnern zur Seite stehen, ihnen den Rücken freihalten. Auch das klingt romantisch.

Frauen verschenken selbst Tag für Tag auf ihre Art Blumen, Liebe, Zuwendung und Aufmerksamkeit. Sie streicheln, sie trösten, sie lachen und weinen mit uns. Es ist ihre Natur. Danke, dass das so ist. Logisch, dass das Kind sagt: „Mama ist die Beste.“ Und der Mann sagt: „Was tät‘ ich ohne Dich, Liebste!“ Er weiß, wir wissen: Diese Familienmenschen, diese unsere Frauen sind weit weit mehr als die Kümmerer daheim.

Ganz unromantisch sei gesagt, die Frauen sind über all das (Private) hinaus unersetzbar: Frauen sind Gesellschaftsmenschen, vielfältig Berufstätige, politisch, kulturell, künstlerisch, wissenschaftlich Aktive, die Aufzählung endet und endet nicht. Frauen bereichern unsere Welt, sie sind die Hälfte, mindestens, der Welt. Die andere Hälfte sind die Männer, mindestens.

Ganz offen, Frauen regieren diese Welt aber eben auch mit und ähneln dabei mitunter den Männern in ihrem Handeln. Dieser Hinweis ist als Kritik zu verstehen. Eine fortwährend ausstehende Gleichberechtigung, eine ungerechte Verteilung der Errungenschaften, der Erlöse, der Reichtümer, der Vorteile und Genüsse der Gesellschaft, die grassierende Ungerechtigkeit der Welt, ungelöste soziale Fragen, Konflikte, Krise, Kriege – sie tragen auch die weibliche Handschrift. Man schaue sich Regierungen und Parlamente an. In Italien regiert eine Frau, in Frankreich strebt eine Frau an die Macht, beide weiblichen Politiker gelten als extrem. Und im bundesdeutschen Parlament voten Frauen wie ihre männlichen Kollegen schon mal für mehr Waffenlieferungen in Kriegsgebiete.

Nebenbei, eine Frau regierte vor einiger Zeit 16 Jahre lang Deutschland.

Systemrelevant und doch kurzgehalten

Ja, Frauen halten trotz allem an der Basis den alltäglichen, öffentlichen Betrieb am Laufen. Schauen Sie sich um. Ob im Supermarkt an der Kasse, beim Regale Einsortieren, an der Verkaufstheke, in all den anderen Läden in den Innenstädten, in den Praxen, Krankenhäusern, Pflegeheimen, Kindergärten, Schulen, und, und, und. Frauen arbeiten für das Funktionieren unseres Landes oft in Bereichen, in denen Männer eher seltener oder gar nicht tätig sind. Durch die Straßen der Stadt düsen Kleinwagen von Pflegefirmen. Am Steuer sitzen meist Frauen, die zuverlässig von Adresse zu Adresse fahren, um ihre alten Herrschaften zu versorgen, ihren Senioren ein paar Minuten liebe Worte und etwas Nähe zu geben, Essen zu bringen, Medikamente, Hauswirtschaft, tägliche Kosmetik etc. Sie sind Engel, die alten Menschen kurze Zweisamkeit in der Einsamkeit schenken.

Wir Mitmenschen wissen ganz genau. Die Frauen arbeiten in all den aufgezählten Bereichen unserer Gesellschaft sehr wohl für unser Gemeinwohl, jedoch für einen eher schmalen Taler. Mehr noch: Sowohl im sozialen Bereich, im Handel, Service und in vielen anderen Teilen der Gesellschaft, in der Wirtschaft, in Institutionen kann von vollendeter Gleichberechtigung und von echter Wertschätzung nicht die Rede sein. Beim Blumen Schenken sind wir zur Stelle (Beifall von Balkonen war auch schon mal in), wie sieht unser Einsatz für diese Wertschätzung aber beim Lohn und bei guten Arbeitsbedingungen und für eine gesellschaftlich faire Position für die Frau aus?

Einerseits Lob, Liebe und Blumen – und andererseits?

Frauen reichen der Welt die Hand, doch die Welt nimmt gleich die ganze Frau, um sie weiter in der zweiten Reihe verharren zu lassen. Frauen verdienen mehr, auf jeden Fall den gleichen Lohn, doch sie werden schlechter bezahlt als Männer. Immer noch. Frauen verdienen in Deutschland deutlich weniger als Männer in gleichen Berufen, wird heute erneut zum Internationalen Frauentag kritisiert, der auf den Equal Pay Day folgt, der Tag der Entgeltgleicheit zwischen Frauen und Männern. Man stelle sich vor, der Unterschied bei der Bezahlung beträgt in Deutschland 19 Prozent, damit ist die Bundesrepublik in Europa in Statistiken oben angesiedelt.

Auch sonst keine heile Welt – schlimmer noch

Liebend gern nehmen wir uns das Ideal von „Mama ist die Beste“ und „wie wundervoll die Frau ist“ an, doch leben wir keinesfalls in einer heilen Welt. Tatsache ist: Frauen werden in unserer hoch entwickelten, zivilisierten Welt fortwährend schlecht behandelt. Ein drastisches Beispiel aus unserer Gesellschaft:

Mehr als jeden dritten Tag tötet ein Mann in Deutschland seine Partnerin oder Ex-Partnerin. Alle vier Minuten wird ein Mann seiner Partnerin gegenüber gewalttätig.
(Quelle: UN Women)

Das romantische Bild der Blumen, der Liebe zu Frauen ist angekratzt. Gewaltvoll ist unsere Zeit, unsere Gesellschaft, verdeckt, dezent, offen.

Das kriegerische Treiben im Kleinen und im Großen nimmt weiter an Fahrt auf, der Internationale Frauentag sollte Tag der Mahnung, der Anklage gegen Gewalt in jedweder Form sein.

Ein weiterer Aspekt: Sprachliche Gleichberechtigung, und doch bleibt die Ungleichheit?

Allerorten ist zu hören und zu lesen: Unsere Muttersprache verändert sich, und zwar so, dass sie damit gerechter werde. Gerade am Internationalen Frauentag ist darüber zu sprechen. Eine Motivation dafür, die Sprache zu entwickeln, zu verändern, sei Teil der Gleichberechtigung, sagen Befürworter dieses Wandels. Ein Wort sorgt in diesem Prozess für eine intensive, andauernde Debatte, die sich zu einem gesellschaftlichen Dauerkampf ausgeprägt hat: „gender“. Bei der Landeszentrale für Politische Bildung wird dazu geschrieben:

Das Wort „gender“ kommt aus dem Englischen und bedeutet Geschlecht. Damit ist nicht das biologische Geschlecht, sondern das soziale Geschlecht gemeint.

  • Ein soziales Geschlecht bezieht sich auf alles, was als typisch für Frauen und Männer gilt. Es geht um das gelebte und gefühlte Geschlecht, nicht um das aufgrund körperlicher Merkmale zugewiesene Geschlecht.
  • Gendern bedeutet geschlechtergerechte Sprache. Mit dem geschlechterbewussten Sprachgebrauch soll die Gleichbehandlung aller Geschlechter/Identitäten zum Ausdruck gebracht werden.
  • Im Deutschen wird bis heute meist das generische Maskulinum verwendet, also die männliche Variante. Personen und Berufe werden grammatisch männlich bezeichnet, obwohl es in aller Regel auch eine weibliche Wortform gibt.
  • Seit der rechtlichen Einführung der dritten Geschlechtsoption „divers“ im Jahr 2018 wird zudem über eine mehrgeschlechtliche Schreibweise diskutiert, die nicht nur das männliche und weibliche Geschlecht einschließt, sondern auch andere Geschlechtsidentitäten.
  • Diskussionen über eine geschlechtergerechte deutsche Sprache gibt es seit den 1970er Jahren. Die Positionen sind oft verhärtet. Die einen sehen Gendern als Ausdruck der Gleichstellung, andere empfinden es als Sprachverhunzung und Bevormundung.

(Quelle: lpb)

Geschlechtergerechte Sprache soll Gleichbehandlung zum Ausdruck bringen. Das Engagement für den viel diskutierten und mehr und mehr im öffentlichen Sprachgebrauch praktizierten Sprachstil zielt – so weit, so gut – auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau und darüber hinaus (eine mehrgeschlechtliche Schreibweise, die nicht nur das männliche und weibliche Geschlecht einschließt, sondern auch andere Geschlechtsidentitäten).

Bei allem Eifer und aller Zufriedenheit derer, die den neuen Sprachstil pflegen, damit gerecht zu sein, sei gesagt, dass mit dem Zurückdrängen des generischen Maskulinums (und nein, nicht notorisch Frauen diskriminierenden Teils der Muttersprache) keine Lohnerhöhung, keine Angleichung, keine Gleichberechtigung erzielt wurde und wird.

Mehr noch, eine gerecht gemeinte Sache mit ungerechten Mitteln und Handlungsweisen durchzusetzen, wird damit nicht seriöser. Die von der Landeszentrale angesprochene Sprachverhunzung und Bevormundung bis hin zur Benachteiligung in Ausbildung, Beruf und Gesellschaft benachteiligt vielmehr die Betroffenen (ganz gleich welchen Geschlechts). Beinah grotesk sind Lobesreden und Einladungen im Stil des Genderns bei Ordensverleihungen wie beim Bundespräsidenten, zu dessen freudigen Ereignissen die Gäste nun als Gäst*innen bezeichnet werden.

Was würde Clara Zetkin sagen?

Der Internationale Frauentag wurde von einer deutschen Politikerin maßgeblich begründet: Clara Zetkin. Ihr Verdienst ist neben der Würdigung der Frau ihr entschiedenes Engagement für die Verbindung von Frauen und Männern im Kampf für eine gesellschaftliche Befreiung und Emanzipation. Im Porträt des MDR heißt es:

Früh entdeckte die selbstbewusste und mutige Sozialdemokratin ihr Thema, das Grundmotiv ihres Kampfes, das sie bis zum Tod begleitete: Wie ist die Emanzipation der Frau mit der Befreiung des Proletariats aus dem Zwangsverhältnis der Kapitalverwertung verbunden? Clara Zetkin, ausgehend von August Bebels Schrift „Die Frau und der Sozialismus“, hat über die Antwort keinerlei Zweifel: „Die Emanzipation der Frau wie die des gesamten Menschengeschlechts wird ausschließlich das Werk der Emanzipation der Arbeit vom Kapital sein. Nur in der sozialistischen Gesellschaft werden die Frauen wie die Arbeiter in den Vollbesitz ihrer Rechte gelangen.“
(Quelle: MDR)

Clara Zetkin reichte es demnach nicht, lediglich für gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu sein, sondern die Ursache der Ungleichheit, der Abhängigkeiten, der Arbeitsverhältnisse und der Verteilungsungerechtigkeit zu entlarven und zu verurteilen. Nun, nüchtern konstatiert: Jetzt und hier im 21. Jahrhundert ist eine wirkliche sozialistische, mindestens eine gerechtere Gesellschaft nach Zetkin weit und breit nicht in Sicht. Das Engagement für die Gleichberechtigung der Frau hat folglich auch andere, ehrgeizige, unternehmerische, machtbezogene Beweggründe: eine angestrebte bessere Beteiligung von Frauen in der kapitalistischen Gesellschaft, im politischen Geschehen, in der Wirtschaft. Beklagt wird unter anderem:

  • 35,1 Prozent der Bundestagsabgeordneten sind Frauen.
  • Nur 11 Prozent aller Vorstandsposten der 160 größten deutschen börsennotierten Unternehmen sind mit Frauen besetzt. In Aufsichtsräten liegt der Anteil bei 32 Prozent.

(Quelle: UN Women)

Frauen könnten bessere Bosse sein. Könnten.

Frauen mischen also den Statistiken nach noch nicht auf gleichem Niveau wie Männer in unserer kapitalistischen Gesellschaft mit. Sich dies zu wünschen, liegt der aufrichtigen Hoffnung zugrunde, dass Frauen in wichtigen Positionen bessere Politiker, bessere Wirtschaftsbosse als Männer sein könnten – frei nach dem Spruch „Mama ist die Beste“. Frauen wissen ja, wie wichtig und richtig es ist, Liebe zu verbreiten, wie schlimm es ist, in Unfrieden und Ungerechtigkeit zu leben. Frauen könnten also bessere Bosse sein. Könnten.

Der Kampf für Gleichberechtigung, für das Erreichen von Zielen wie gleicher Lohn, faire Teilhabe, ehrliche Rücksicht auf Frauen, eine Befriedung, eine Entschleunigung, eine Versöhnung der Gesellschaft ist und bleibt aktuell und wird lange dauern – Ausgang ungewiss. Gerade ist schmerzvoll zu erleben, dass fern von einer wünschenswerten Geschlechtergerechtigkeit in der Welt verstärkt Ungerechtigkeiten und schlimmes Unheil auf der Tagesordnung stehen, befeuert von wenigen mächtigen Männern und mächtigen Frauen gegen viele Männer und Frauen, gegen viele Menschen. Das UN-Motto des Internationalen Frauentages 2025 sollte daher, an die Adresse der Mächtigen gerichtet, vielleicht heißen: In den Frieden investieren statt in Waffen.

Titelbild: Agenturfotografin/shutterstock.com

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