Im Visier der Fregatte Hessen: Das Armenhaus der arabischen Welt

Im Visier der Fregatte Hessen: Das Armenhaus der arabischen Welt

Im Visier der Fregatte Hessen: Das Armenhaus der arabischen Welt

Karin Leukefeld
Ein Artikel von Karin Leukefeld

Geschafft. Endlich hat Deutschland seinen Platz an der Seite von USA und Großbritannien eingenommen, um den Welthandel im Roten Meer gegen die „von Iran unterstützten Huthis“ aus dem jemenitischen Hochland zu schützen. Scharf geschossen wurde auch schon, wie die deutsche Öffentlichkeit am Mittwochmorgen aus den Nachrichten erfahren konnte. Und getroffen hat sie auch, die Fregatte Hessen, die sich seit Anfang der Woche gegen den „Terror der Huthis“ im Einsatz befindet. „Das an der EU-Militärmission “Aspides” beteiligte Schiff zerstörte nach Angaben der Bundeswehr zwei Drohnen“ und wehrte damit „erstmals einen Huthi-Angriff ab“, hieß es in einer Meldung von tagesschau.de. Allerdings sei unklar, ob die Drohnen die deutsche Fregatte oder ein Handelsschiff angreifen sollten. Von Karin Leukefeld.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Geschossen, getroffen, geschafft!

Dass der Einsatz nicht ohne Risiken ist, zeigte sich bereits unmittelbar nach Ankunft im Einsatzgebiet. Die Besatzung entdeckte erwartungsgemäß eine Drohne auf dem Radar und kontaktierte die Leitstelle der US-geführten Mission, um eine mögliche Verwechslung auszuschließen. Die US-Mission winkte ab, es sei keine ihrer Drohnen unterwegs, und auf der „Hessen“ wurden die Flugabwehrraketen startklar gemacht und gefeuert. Der Abschuss sei dann aber „nicht gelungen“, hieß es etwas unscharf vom Sprecher des Verteidigungsministeriums Michael Stempfle, ein ehemaliger Journalist der ARD Berlin.

Nach Informationen des Internetportals Augen geradeaus hatten beide Raketen „aus technischen Gründen ihr Ziel verfehlt“. Zum Glück, kann man nur sagen, denn es stellte sich heraus, dass das Ziel eine US-Drohne der Marke MQ-9 war, eine sogenannte „Reaper-Drohne“, auch Schnitter oder Sensenmann genannt – Stückpreis rund 30 Millionen Euro. Die Maschine war offenbar in einer so geheimen Mission unterwegs, dass sie nicht nur ihre „Freund-Feind-Erkennung“ ausgeschaltet hatte, sondern ihre Lenker hatten auch keine Operationszentrale – weder der USA noch auf Kriegsschiffen anderer Nationen in dem Gebiet – über ihren Flug informiert. Erst eine Woche zuvor hatten die Huthis eine MQ-9 der US-Armee mit einer Boden-Luft-Rakete abgeschossen.

Der Deutsche Bundestag hatte (am 23. Februar 2024) noch nicht einmal über den Einsatz und dessen Sinn debattiert, geschweige denn entschieden, da verabschiedete der Verteidigungsminister (am 20. Februar 2024) in einem verschwiegenen Hafen auf der griechischen Mittelmeerinsel Kreta die Fregatte Hessen bereits in den Einsatz. Bis zu 700 Soldaten und Soldatinnen sind vorgesehen. Am Tag der namentlichen Verabschiedung im Bundestag (538 Ja, 31 Nein, 4 Enthaltungen, 163 nicht gegebene Stimmen) hatte die „Hessen“ schon den Suez-Kanal erreicht und konnte umgehend ins Einsatzgebiet weiterfahren.

Das Einsatzgebiet der „Hessen“ reicht vom Roten Meer, die Meerenge Bab al Mandab (Tor der Tränen) über den Golf von Aden zur Straße von Hormus bis in den Persischen Golf. Der Einsatz für den Schutz von Handelsschiffen gilt offiziell nicht nördlich von Maskat, der Hauptstadt des Oman (d.h. nicht in der Straße von Hormus und nicht im Persischen Golf).

Nach Ansicht der Bundesregierung handelt es sich bei dem Einsatzgebiet um einen maritimen „Raum von besonderer geostrategischer Bedeutung für die internationale Handelsschifffahrt“, heißt es in der Information des Bundestages zur Abstimmung. „Über diese mit am stärksten befahrene Seeverbindungslinie der Welt transportieren Schiffe Güter zwischen Asien und Europa, darunter einen Großteil aller Energielieferungen für Europa. Etwa 65 Schiffe pro Tag, circa zwölf Prozent des weltweiten Warenverkehrs, verkehren auf dieser Route.“ Der wirtschaftliche Schaden durch die Angriffe der Huthi-Miliz sei erheblich – auch für Deutschland. Der Einsatz sei zunächst bis Ende Februar 2025 befristet, die „Zusatzausgaben (…) für diesen Zeitraum“ werden auf „voraussichtlich rund 55,9 Millionen Euro“ beziffert.

Zum Einsatz der „Hessen“ sei an dieser Stelle auf ein Interview der Bundeswehr „Marine: Seekrieg im Fokus“ mit dem Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Jan-Christian Kaack, verwiesen. Das Besondere an der „Hessen“ seien „ihre Radaranlagen und Waffen“, die genau für den Fall des Geleitschutzes und von Kommandos auf Schiffen „optimiert“ seien. Die Radaranlagen an Bord verfügen demnach über „etwa 400 Kilometer Reichweite“ und können „auch kleinste Kontakte aufnehmen“, so der Marineinspekteur. „Im Schutz kann sie (die Fregatte Hessen, KL) auf drei Arten wirken. Sie kann sich neben ein Handelsschiff stellen, sodass alles, was anfliegt, quasi von der Fregatte ausmanövriert wird und mit Rohrwaffen oder dem Flugkörper Rolling Airframe Missile auf bis zu zehn Kilometer bekämpft werden kann. In einem größeren Ansatz, um mehrere Schiffe zu schützen, kann sie den Evolved Sea Sparrow Missile mit einer Reichweite von über 50 Kilometern einsetzen und darüber hinaus den Flugkörper Standard Missile 2 mit einer Reichweite von etwa 160 Kilometern.“

Ein Radarsystem (APAR) ist auf die Zielverfolgung spezialisiert, Reichweite bis zu 160 km. Ein weiteres Radarsystem (SMART-L) ist auf die Luftüberwachung – auch Aufklärung – mit einer Reichweite von bis zu 400 km spezialisiert; wohlgemerkt immer im Radius. Diese Reichweite umfasst nicht nur Teile des Jemen, sondern auch von Saudi-Arabien, Eritrea, Äthiopien, Dschibouti und die Meerenge Bab al-Mandab. Kaack weiter:

„Angesichts eines absehbaren Austauschs der Lagebilder auch mit der US-Mission hat der deutsche Einsatz damit voraussichtlich auch Bedeutung über die EU-Operation hinaus.“

Auf die Frage, warum die Deutsche Marine überhaupt in den Einsatz ins Rote Meer geschickt werde, antwortet Kaack:

Das ist eigentlich ziemlich einfach zu beantworten: Deutschland und Europa sind absolut abhängig von sicheren Seewegen. 90 Prozent des Handels gehen über die Seewege. Das Rote Meer und der Suezkanal ist die zweitwichtigste Wasserstraße der Welt. Was passiert, wenn diese gesperrt sind, haben wir mit der Ever Given vor drei Jahren erlebt. Völliger Stillstand der Industrie in einigen Teilen, und zur Zeit sehen wir es auch. Tesla hat seine Produktion hier im deutschen Werk einstellen müssen, weil die Lieferketten eben nicht mehr funktionieren.“

So viel zu den öffentlichen und offiziellen Angaben aus Politik, Medien, Bundeswehr und Marine zu dem ersten Einsatz der deutschen Fregatte Hessen im Seekrieg im Roten Meer gegen die „vom Iran unterstützten“ Huthi-Milizen.

Und hier die andere Perspektive:

USA und Großbritannien, die seit mehr als einem Monat auch Stellungen der Ansar Allah, auch Huthi-Bewegung genannt, im Jemen angreifen, nennen ihre Mission „Wächter zum Erhalt des Wohlstands“. An ihrer Seite nun die EU-Mission Aspides, altgriechisch für Schild, im Sinne von Beschützer. Beschützt werden allerdings nicht Menschen, sondern die Handelsinteressen der Weltwirtschaft, deren Waren durch das Rote Meer und den Suezkanal nach Deutschland und Europa, Israel, Großbritannien transportiert werden.

Die Transporte schippern durch das Rote Meer und den Suez-Kanal vorbei an den Habenichtsen im Jemen, in Dschibouti, Eritrea, Äthiopien und Ägypten, vorbei an den „Killing Fields“ im Palästinensischen Gazastreifen in die israelischen Häfen, wo sie Waffen und Munition abliefern, Weizen und Öl, Konsumgüter aller Art für die israelische Bevölkerung. Einige Israelis verhindern aktiv mit Blockaden, dass Hilfsgüter der UNO oder des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz über den israelischen Hafen Aschdod an die bedrohten, hungernden Menschen im Gazastreifen gelangen. Der Regierung von Israel ist das recht.

Damit der Krieg der israelischen Armee in Gaza, der von den USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und anderen NATO-Bündnisstaaten unterstützt wird, ein Ende hat, hat die Huthi-Bewegung im November 2023 damit begonnen, Handelsschiffe dieser Länder, die in Richtung Israel unterwegs sind, zu stoppen, zu bedrohen und zu Kursänderungen zu zwingen. Ein Schiff wurde entführt, andere werden mit Drohnen angegriffen. Bisher ist kein einziger Seemann auf diesen Schiffen ums Leben gekommen.

Die Forderung der Huthi-Bewegung ist klar: Waffenstillstand in Gaza, und die Angriffe auf die Handelsschiffe werden eingestellt. Verhandlungen zur Freilassung aller Gefangenen und eine gerechte Lösung für Palästina, damit es Hilfe, Schutz und eine Zukunft für die Menschen im Gazastreifen gibt. Kaum jemand versteht das Elend und Leid der Palästinenser so gut wie die Huthis und die Menschen im Jemen, die (2015 bis 2022) einem erbarmungslosen Bombenkrieg einer von Saudi-Arabien geführten Kriegsallianz widerstanden. Die seit 2001 bis 2022 einem US-amerikanischen Drohnenkrieg ausgesetzt waren. Seit dem 7. Oktober wurden 30.000 Palästinenser getötet, darunter 13.000 Kinder und mehr als 8.500 Frauen. Der Lebensraum von 2,3 Millionen Menschen wurde zerstört, täglich werden dicht mit Inlandsvertriebenen besiedelte Gebiete bombardiert. Jede Woche gehen im jemenitischen Sanaa Millionen Menschen für die Palästinenser auf die Straßen.

Die Huthi-Bewegung hat keinen „Platz am Tisch des internationalen Systems“ und will auch nicht auf der „Speisekarte“ derjenigen landen, die dort sitzen. Vielmehr beharren sie auf ihrem Recht und dem Recht der Palästinenser auf Souveränität, Respekt und Entwicklung, wie es die UN-Charta festlegt. Darum haben die Kämpfer aus dem jemenitischen Hochland einen ihnen möglichen Weg gewählt, um die Interessen von USA, Israel, EU und NATO zu behindern, damit sie Israel zu einem Waffenstillstand in Gaza zwingen.

Die Reedereien sind am Geschäft, nicht an dem Konflikt interessiert und wählen in ihrer Mehrheit lieber den – wenn auch teureren und zeitaufwendigeren – Umweg um das Kap der Guten Hoffnung, als sich auf ein militärisches Abenteuer einzulassen. Den Entscheidungsträgern in Washington, London, Berlin und Brüssel fehlt diese Intelligenz oder Einsicht, und sie reagieren, wie sie es immer tun, wenn sie ihre Interessen nicht anders durchsetzen können. Sie bezeichnen ihre politischen Gegner als „Terroristen“, verhängen Sanktionen und schicken das Militär.

Zur Erinnerung

Parallel zu dem Entscheidungsprozess über die Entsendung der Marine ins Rote Meer wurde in Berlin der erste Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Afghanistan“ des Deutschen Bundestags vorgelegt. Die Staatengemeinschaft habe nach dem 11. September 2001 den Afghanistan-Einsatz „überstürzt begonnen“, so eine erste Erkenntnis des Vorsitzenden Michael Müller. „Wir (haben) uns nicht hinreichend mit Kultur und Geschichte dieses Landes auseinandergesetzt.“ Zwar finden die getöteten deutschen Soldaten Erwähnung bei Müller, nicht aber die Toten der afghanischen Zivilgesellschaft.

Die US-geführten Kriege gegen den Terror seit dem 11. September 2001 kosteten von Afghanistan über Pakistan, Irak, Syrien, Jemen und auf weiten Kriegsschauplätzen (Libyen, Somalia, Sudan) bis zu 940.000 Menschen das Leben. Indirekt starben an den Folgen dieser Kriege mindestens bis zu 4,7 Millionen Menschen an Verletzungen, Krankheiten, zerstörten Lebensgrundlagen und Infrastruktur sowie Unterernährung. Mindestens 37 Millionen Menschen wurden aus diesen Ländern durch die Kriege vertrieben.

Im Jemen, dem „Armenhaus der arabischen Welt“, gibt es nach wie vor eine große Hungersnot. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO und dem UN-Kinderhilfswerk UNICEF galten für den Zeitraum 2016 bis 2021 mindestens 2,3 Millionen Kinder im Jemen als akut unterernährt, fast 400.000 Kinder unter fünf Jahren waren vom Hungertod bedroht. Nach Beginn des saudisch geführten Krieges gegen die Huthi-Bewegung im Jemen waren (2015 bis 2020) vier Millionen Menschen immer wieder neuer Vertreibung ausgesetzt, 1,4 Millionen davon waren Kinder. Stand Februar 2024 sind mehr als elf Millionen Kinder auf Hilfe angewiesen.

Durch die Wiederannäherung von Iran und Saudi-Arabien, mit chinesischer Unterstützung (März 2023), wurde ein bestehender, durch die UNO vermittelter Waffenstillstand zwischen Jemen und Saudi-Arabien verlängert, und es kam im Frühsommer des Jahres zu einem großen Gefangenenaustausch als vertrauensbildende Maßnahme. Beide Seiten einigten sich Ende Dezember 2023 unter UN-Vermittlung auf einen Friedensprozess in den kommenden 18 Monaten.

Der militärische Aufmarsch von USA, Großbritannien, Deutschland und EU im Roten Meer könnte die Region in einen weiteren Krieg stürzen. Alle arabischen Staaten – bis auf Bahrain – lehnen die Marine-Operationen von USA, GB und der EU ab. Saudi-Arabien hat die USA aufgefordert, ihre Flugplätze auf saudischem Territorium nicht für Angriffe auf den Jemen zu nutzen. Anstatt weiter zu eskalieren, muss – so die mehrheitliche Meinung nicht nur in der arabischen Welt – alles für einen Waffenstillstand in Gaza aktiviert werden.

Politik, Medien, die Öffentlichkeit und das Militär in Deutschland sollten sich „mehr mit Kultur und Geschichte“ der Region auseinandersetzen, statt mit einer übereifrigen Marinemission im Roten Meer Konflikte und Kriege weiter anzufeuern. Das gilt für alle Länder und Schlachtfelder des „Krieges gegen den Terror“, von Afghanistan bis Libyen.

Titelbild: This image photographed by Brian Burnell with permission was uploaded to Commons by George Hutchinson. Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0