Nach einer Konferenz zur Unterstützung der Ukraine am 26. Februar 2024 in Paris, an der 20 Staats- und Regierungschefs teilgenommen hatten, thematisierte Präsident Macron vor der Presse das Thema „Bodentruppen für die Ukraine“. Nachdem es dazu viele Berichte in allen Medien gegeben hat, macht es Sinn festzustellen, was der Präsident konkret gesagt hat und in welchem Zusammenhang das geschehen ist, welche politischen Reaktionen es darauf gegeben hat und welche Konsequenzen der Einsatz von „westlichen“ Bodentruppen in der Ukraine haben würde. Von Jürgen Hübschen.
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Die Aussagen des französischen Präsidenten
Zur Eröffnung der Konferenz sagte Macron. „Die allgemeine Feststellung ist heute, dass unser aller Sicherheit auf dem Spiel steht.“ Das Auftreten Russlands verhärte sich sowohl auf der politischen Ebene als auch an der Front in der Ukraine, wo neue russische Angriffe drohten.
Im Gegensatz zur der allgemeinen „westlichen“ Position, die Ukraine zu unterstützen, „as long as it takes“, vertritt der französische Präsident eher das Prinzip „whatever it takes,“ und dazu gehört aus seiner Sicht offensichtlich auch die Option, ggf. westliche Truppen an der Seite der ukrainischen Streitkräfte einzusetzen.
Nach der Konferenz machte Macron vor der Presse zunächst klar, dass über einen möglichen Einsatz von „westlichen“ Bodentruppen auf der Konferenz kein Konsens bestanden habe. In der New York Times hieß es dazu, Macron „stressed that there was no consensus on sending troops to help the embattled country. But he insisted that „anything is possible if it is useful to reach our goal”, which he said was to ensure that „Russia cannot win this war.”” (Macron unterstrich, dass es keine Übereinstimmung gegeben habe, Truppen zu entsenden, um dem bedrängten Land zu helfen. Aber er bestand darauf, dass alles möglich ist, falls es dazu dient, unser Ziel zu erreichen“ und das sei, sicherzustellen, dass „Russland diesen Krieg nicht gewinnt.“)
Auf die Frage eines Journalisten zu einem möglichen Einsatz von Truppen, zum Beispiel durch Polen, sagte Macron, jedes Land könne eigenständig und souverän über den Einsatz von Bodentruppen entscheiden.
Auch der französische Premierminister Gabriel Attal hält die Entsendung von Bodentruppen für möglich und sagte im Radiosender RTL: „Man kann nichts ausschließen in einem Krieg, der im Herzen Europas und vor den Toren der Europäischen Union stattfindet.“ Vor zwei Jahren hätten viele Länder ausgeschlossen, Waffen an die Ukraine zu liefern. „Heute sind wir dabei, Raketen mit hoher Reichweite zu schicken, um die Ukrainer gegen diese Aggression zu schützen.“
Internationale Reaktionen
Als Erstes ist festzustellen, dass Jens Stoltenberg, der Generalsekretär der NATO, die Position des französischen Präsidenten nicht teilt. Das ist konsequent, weil er ja noch kurz vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine erklärt hat, dass sich die NATO an einem möglichen Krieg in der Ukraine nicht beteiligen würde.
Auch die meisten europäischen Verbündeten lehnten die Überlegungen des französischen Präsidenten ab und schlossen den Einsatz von Bodentruppen kategorisch aus. Auch die USA wiesen die französischen Überlegungen zurück. Adrienne Watson, Sprecherin des amerikanischen Nationalen Sicherheitsrates, erklärte wörtlich: „Präsident Biden hat klargemacht, dass die USA keine Truppen in die Ukraine schicken werden, um zu kämpfen.“
Der Verteidigungsminister Litauens, Arvydas Anusauskas, erklärte allerdings, er schließe nicht aus, dass sein Land Soldaten in die Ukraine entsende. Das käme aber nur für Ausbildungszwecke infrage, nicht für eine Beteiligung an Kampfhandlungen. Der Berater des litauischen Präsidenten, Gitanas Nauseda, sagte dazu ergänzend: „Wir sprechen über diese Möglichkeit und tun dies ganz offen. Es gibt viele Nuancen darüber, was passieren könnte und unter welchen Bedingungen.“
Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow sagte zu einem Journalisten, falls die französische Option umgesetzt würde, müsse man über die Unausweichlichkeit eines Konflikts mit der NATO sprechen. Weiter erklärte er zur Entsendung westlicher Truppen: „Das ist absolut nicht im Interesse dieser Länder, darüber müsse man sich bewusst sein.“ Das heißt aus meiner Sicht nichts anderes als „casus belli“.
Deutsche Reaktionen
Alle im Bundestag vertretenden Parteien lehnen die Entsendung von Bodentruppen ab. Dazu einige Beispiele ohne parteipolitische Präferenz:
Der Linken Politiker Gregor Gysi: „Der französische Präsident Macron ist offenkundig nicht mehr zu retten. Wenn ein NATO-Staat oder gar mehrere NATO-Staaten Bodentruppen in die Ukraine entsenden, haben wir den 3. Weltkrieg“ Der Vorschlag sei „völlig indiskutabel“.
Grünen-Chef Omid Nouripour erklärte auf NTV, der Einsatz westlicher Bodentruppen in der Ukraine stehe nicht zur Debatte. „Es ist überhaupt kein Thema. Es ist kein Thema in der Diskussion in Deutschland und auch nicht in einem Bündnis.“ Zu den Äußerungen des französischen Präsidenten sagte er: „Ich habe einen launigen Macron erlebt, der einfach sagen wollte: Ich will nichts ausschließen.“
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei (CDU), im RBB Info-Radio: Westliche Bodentruppen in der Ukraine stünden nicht zur Debatte.
Der SPD-Außenexperte Michael Roth nannte den möglichen Einsatz westlicher Bodentruppen eine „Phantomdebatte“ und schrieb dazu auf „X“: „Ich kenne niemanden, der das ernsthaft will, auch nicht in der Ukraine. Die brauchen vor allem Munition, Luftverteidigung, Drohnen, Langstreckenwaffen.“
Die FDP-Politikerin Strack-Zimmermann sagte der Funke-Mediengruppe, Deutschland müsse die Einschätzung Macrons nicht teilen, lobte aber dennoch die Entschlossenheit des französischen Präsidenten. Putins Warnung vor einer direkten Einmischung des Westens in den Krieg sei nicht in Paris, aber „mit einem Doppelwumms im Kanzleramt angekommen“.
Auf „X“ nannte der AfD-Bundestagsabgeordnete Matthias Moosdorf das „Gerede über Truppenentsendungen in die Ukraine“ ein „Spiel mit dem Feuer“. „Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich durch diplomatische Initiativen für eine schrittweise Entspannung einzutreten“.
Sara Wagenknecht vom BSW spricht von „gefährlichem Wahnsinn“ und findet: „Im Élysée sind offenbar alle Sicherungen durchgebrannt.“
Niedersachsens SPD-Ministerpräsident Stephan Weil sagte im NDR, er sei strikt gegen ein entsprechendes Mandat für die Bundeswehr. Er gehe nicht davon aus, dass diesen französischen Überlegungen auch Taten folgen werden. Stattdessen müsse der Westen der Ukraine weiter mit Waffenlieferungen helfen. „Daran ist ihnen am meisten gelegen“, sagte der SPD-Politiker.
Die Position der Bundesregierung wurde von Bundeskanzler Scholz mit den Worten zusammengefasst: Es habe auf der Konferenz Einigkeit gegeben, „dass es keine Bodentruppen, keine Soldaten auf ukrainischem Boden geben wird, die von europäischen oder von NATO-Staaten dorthin geschickt werden.“ Und er fügte hinzu: „Ich kenne niemanden, der das ernsthaft will, auch nicht in der Ukraine.“
Westliche Soldaten dürften sich auch von ihren Heimatländern aus nicht selbst aktiv am Kriegsgeschehen beteiligen.
Zusammenfassende Bewertung
Präsident Macron bekennt sich nach eigener Aussage zu einer „strategischen Mehrdeutigkeit“, und so ist auch seine Aussage einzuordnen. Er will die Reaktion des Westens für den russischen Präsidenten unkalkulierbar machen, hat aber dabei übersehen, dass so etwas nur funktionieren würde, wenn „der Westen“ insgesamt die Entsendung von Bodentruppen nicht ausschließen würde. Jetzt ist allerdings für Moskau einmal mehr klar geworden, dass „der Westen“ über keine gemeinsame Strategie verfügt, und deswegen ist der französische Vorschlag als „Luftnummer“ einzustufen, die die Position „des Westens“ nicht gestärkt, sondern ihr geschadet hat. So muss man dem französischen Präsidenten vorhalten, dass er einmal mehr populistisch vorgeprescht ist, um die Bedeutung Frankreichs zu unterstreichen. Dies steht im totalen Widerspruch zu den bisherigen französischen Unterstützungsleistungen für die Ukraine.
Laut den jüngsten Zahlen des Kiel-Instituts für Weltwirtschaft (IfW) liegt Frankreich, gemessen an seiner Wirtschaftskraft, verglichen mit anderen europäischen Ländern, einschließlich Australien, Kanada und den USA an letzter Stelle. Die deutsche Militärhilfe für die Ukraine ist circa zehn Mal höher als die französische Unterstützung.
Grundsätzlich ist zu einem möglichen Einsatz von Bodentruppen allerdings noch anzumerken, dass es bei der ablehnenden Haltung der USA und auch anderer Länder immer nur um den offiziellen Einsatz von „boots on the ground“ geht. In diesem Zusammenhang muss man sich auch die Aussage der Sprecherin des amerikanischen Nationalen Sicherheitsrates genau anhören. Da heißt es nämlich: „Präsident Biden hat klargemacht, dass die USA keine Truppen in die Ukraine schicken werden, um zu kämpfen.“ Die Aussage bezieht sich also nur auf die kämpfende Truppe. Dies schließt eine militärische Unterstützung durch amerikanische Soldaten in der Ukraine grundsätzlich nicht aus. Es gibt mit hoher Wahrscheinlichkeit schon lange US-Advisor und Berater aus anderen NATO-Staaten in der Ukraine, und sicherlich ist auch die CIA vor Ort. Außerdem gab es mal Hinweise, dass die Briten die von ihnen gelieferten britisch-französischen Marschflugkörper „Storm Shadow“ – in Frankreich heißen sie „Scalp“ – vor Ort programmieren, um sicherzustellen, dass die Ukraine nur bestimmte Ziele angreifen kann. Vielleicht sind auch die Franzosen mitbeteiligt.
Auch deutsche Militärs sind immer mal wieder in der Ukraine, kürzlich der Generalinspekteur und der Ukrainebeauftragte Generalmajor Dr. Freuding, Leiter des Lagezentrums Ukraine und des Planungs- und Führungsstabs des Bundesministers der Verteidigung in Berlin. Er ist wohl mehr oder weniger regelmäßig in Kiew und nimmt dort auch an Konferenzen teil.
Doch diese Art von personeller militärischer Unterstützung ist das eine, aber die offizielle Entsendung von Bodentruppen, um die Ukraine im Kampf zu unterstützen, ist das andere, und genau so wird das vermutlich in Moskau gesehen.
Last, but not least noch etwas zur Aussage des französischen Präsidenten, die von Litauen geteilt wird, dass jeder Staat eigenständig entscheidet, ob er auf bilateraler Basis Bodentruppen in die Ukraine schickt: Diese Position ist nicht akzeptabel und widerspricht letztlich auch dem NATO-Vertrag, der ja im Artikel 5 eine Beistandsverpflichtung enthält.
Ein NATO-Land, das eigene Bodentruppen in die Ukraine schickt, wird damit automatisch zur Kriegspartei, und als Folge davon befindet sich aus Moskauer Sicht letztlich auch die NATO in einem Krieg mit Russland, und zwar mit allen Folgen bis hin zum Einsatz von Atomwaffen.
Titelbild: Shutterstock / Dragos Asaftei