Am 21. Februar stellte Robert Habeck, seines Zeichens noch amtierender Wirtschaftsminister der Bundesrepublik, den Jahreswirtschaftsbericht für 2024 vor. Von den NachDenkSeiten in diesem Zusammenhang auf die Skandale rund um seine Personalpolitik angesprochen, wie etwa den Einsatz des Inlandsgeheimdienstes auf Mitarbeiter mit ihm nicht genehmen Fachmeinungen, verlor er völlig die Contenance und verletzte dabei massiv die Neutralitätspflicht, der er als Minister und Vize-Kanzler unterliegt. Er bezeichnete die NDS unter anderem als „Russlands Berichterstatter“ und erklärte weiter, es sei „schwer zu ertragen“, dass solche Medien, indem sie ihm nicht genehme Fragen stellen, die „liberale Demokratie diskreditieren“. Damit sei „eine moralische Grenze erreicht, die schwer zu ertragen ist“. Von Florian Warweg.
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Habecks Aussagen im Faktencheck: Forciertes Missverstehen, Verdrehungen, nachweisliche Lügen und Unterstellungen
Obwohl ich mich zu Beginn deutlich als Journalist der NachDenkSeiten vorgestellt hatte, reagiert Habeck mit der forcierten Gegenfrage nach „Russia Today“, ganz dem Motto folgend, hinterfragt ein Journalist mein politisches Agieren, dann kann es nur ein Agent Moskaus sein. Da war man in der Bundesrepublik schon in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts in großen Teilen der Politik weiter.
Auf meine Frage nach dem von ihm und seinen Staatssekretären angeforderten und protokollarisch belegten Einsatz des deutschen Inlandsgeheimdienstes gegen Mitarbeiter mit unliebsamen Fachmeinungen („meilenweit von der politischen Linie des Ministers entfernt“) reagiert er, indem er zunächst erklärt, die Frage sei „voller falscher Unterstellungen, die ich hiermit zurückweise“. Dann behauptet er im weiteren Verlauf, dass natürlich in sicherheitsrelevanten Bereichen des Wirtschaftsministeriums „Mitarbeiter immer eine Sicherheitsprüfung durchlaufen“. Dies sei ein normaler Standard, so arbeite das Ministerium „seit vielen Jahren“. Doch diese Darstellung des Ministers und Vize-Kanzlers ist in dieser Form nachweislich falsch:
Am 22. September 2022 machte das Handelsblatt mit dem Titel auf: „Vertrauensmangel im Wirtschaftsministerium: „Habeck steht jetzt unter Druck““.
Die Zeitung mit Fokus auf Wirtschaftspolitik zitiert aus internen Protokollen des Wirtschaftsministeriums (BMWK), aus denen hervorgeht, dass Robert Habeck zusammen mit seinem damaligen Staatssekretär (und engen Vertrauten) Patrick Graichen den deutschen Inlandsgeheimdienst auf zwei „hochkompetente und loyale“ Ministerialbeamte angesetzt hatte, obwohl es „überhaupt keinen konkreten Spionageverdacht gegen die beiden in Rede stehenden Ministeriumsmitarbeiter gegeben“ habe. Ihr Vergehen? Sie hatten eine Fachposition zur zukünftigen deutschen Energieversorgung eingenommen, „die meilenweit von der politischen Linie des Ministers“ abgewichen sei.
Der Einsatz des Verfassungsschutzes sorgte laut Handelsblatt unter Verweis auf die Protokolle für massive Verunsicherung in der mittleren und oberen Leitungsebene des Hauses. So wird in dem BMWK-Protokoll ein Ministerialbeamter mit folgender Aussage zitiert:
„Wenn ich meine Fachmeinung kundtue, dann besteht die Möglichkeit, dass ich in den Verdacht gerate, ‚Russenversteher‘ zu werden.“
Ein weiterer Teilnehmer verweist in der Krisensitzung auf den bereits spürbaren Schaden in der Außenwahrnehmung:
„Wir bekommen auch von außen viele Anrufe – zum Beispiel Anfragen vom Bundesfinanzministerium – hier gibt es Zweifel, ob man noch mit uns zusammenarbeiten kann.“
Es reiche mittlerweile offenbar eine fundierte abweichende Einschätzung der Lage aus, damit die Hausspitze den Verfassungsschutz einschalte, zitiert das Blatt eine weitere, in diesem Zusammenhang geäußerte Sorge im Ministerium.
Das BMWK unter Habeck dementierte nicht einen einzigen Satz aus diesem Handelsblatt-Artikel.
Das Nachrichtenportal Telepolis berichtete in dem Zusammenhang zudem mit Verweis auf altgediente Ministerialbeamte, dass kein Vorgang bekannt sei, dass zuvor „ein Wirtschaftsminister je die „Dienste“ auf seine eigenen Leute ansetzte“.
Halten wir fest: Im Gegensatz zur Darstellung von Robert Habeck auf der Bundespressekonferenz handelte es sich mitnichten um eine Routinekontrolle von Mitarbeitern. Tatsächlich wurde proaktiv, auf seine Initiative hin, und laut langgedienten Beamten erstmalig in der Geschichte des Ministeriums, der Inlandsgeheimdienst in dieser Form gegen eigene Mitarbeiter eingesetzt. Das heißt, Robert Habeck hat auf der BPK in seiner Rolle als Minister wider besseres Wissen die Darstellung des Handelsblattes, und auf nichts anderem beruhte meine Frage, als „Unterstellung“ bezeichnet und den Vorgang selbst als angeblichen „Standard“, der seit Jahren so üblich sei, bezeichnet. Diese Form der wissentlichen Falschdarstellung kennt man umgangssprachlich auch unter dem Begriff Lüge oder in seiner neudeutschen Fassung: Fake News.
Doch damit noch nicht genug der Verfehlungen des Wirtschaftsministers auf der BPK. Indem er dann im weiteren Verlauf die NachDenkSeiten und deren Parlamentsberichterstatter verbal massiv angeht und in der Endkonsequenz mindestens unterschwellig bedroht, verstößt er unmittelbar gegen die sogenannte Neutralitätspflicht, der er als Minister und Vize-Kanzler unterliegt. (Vom versuchten Eingriff in die Pressefreiheit ganz zu schweigen).
Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages schreiben dazu in einem Fachgutachten mit dem Titel „Neutralitätspflicht von Regierungsmitgliedern und Parlamentarischen Staatssekretären“ unter anderem:
„Die Äußerungsbefugnis einzelner Minister ist auf ihre Ressortzuständigkeit zu beschränken.“
Habecks zynische Instrumentalisierung des Todes von Nawalny
Rufen wir uns Habecks diesbezügliche Aussagen in Reaktion auf die Frage der NachDenkSeiten nochmal im Wortlaut in Erinnerung:
„Es ist schon schwer zu ertragen, wenige Tage nachdem Nawalny ermordet wurde, dass Russlands Berichterstatter hier im Land die liberale Demokratie in Deutschland so diskreditieren.
Jede Frage soll beantwortet werden, aber mit der Sympathie für ein Land, in dem Fragen noch nicht mal gestellt werden dürfen, sondern Menschen, die Fragen stellen, weggesperrt oder ermordet werden, ist eine moralische Grenze erreicht, die schwer zu ertragen ist.“
Der amtierende Wirtschaftsminister erklärt also die NachDenkSeiten, weil diese ihn als deutsches Medium nach belegten internen Vorgängen in seinem Ministerium befragt hatten, zu „Russlands Berichterstatter“, die mit dieser Art der Fragen, angeblich „die liberale Demokratie in Deutschland diskreditieren.“
Der Vize-Kanzler der Bundesrepublik Deutschland instrumentalisiert hier den bisher ungeklärten Tod eines russischen Oppositionspolitikers in einem Straflager, um kritische Fragen an ihn zur Personalpolitik in seinem Ministerium zu delegitimieren.
Dann, jetzt wird es fast tragikomisch, unterstellt der noch amtierende Minister den NachDenkSeiten ohne jeden Beleg „Sympathien“ für Russland, in dem laut ihm „Menschen, die Fragen stellen, weggesperrt oder ermordet werden“. Das heißt, ausgerechnet Habeck, der kurz zuvor noch Sachverhalte, die durch interne Protokolle und umfassende mediale Recherche und Berichterstattung, unter anderem von Handelsblatt, ZEIT sowie SPIEGEL, als „Unterstellungen“ der NachDenkSeiten abtun wollte, ergeht sich selbst in völlig unbelegten Unterstellungen.
Resümee
Wenn überhaupt jemand die „liberale Demokratie“ diskreditiert, dann ist es Robert Habeck höchstpersönlich.
Hier können Sie sich die komplette einstündige BPK von Robert Habeck zum Jahreswirtschaftsbericht anschauen:
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Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 21.02.2024