Ob der aktuelle Fall gegen Israel ähnlich abläuft wie der von 1984 gegen die USA, ist ein wichtiger Test für das internationale System. Nachdem der Internationale Gerichtshof (IGH) entschieden hat, dass die von Südafrika gegen Israel erhobenen Vorwürfe des Völkermords plausibel sind, und Israel aufgefordert hat, „alle in seiner Macht stehenden Maßnahmen zu ergreifen, um die Begehung aller in den Anwendungsbereich der UN-Konvention über Völkermord fallenden Handlungen zu verhindern”, stellt sich nun die Frage, wie Israel und seine Unterstützer darauf reagieren werden. Von Nat Parry.
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Israel hatte einen Monat Zeit, einen Bericht über die Schritte vorzulegen, die es unternimmt, um den Anordnungen des Gerichts nachzukommen. Obwohl der Gerichtshof keine Vollstreckungsmöglichkeiten hat, sind die Anordnungen verbindlich und erhöhen den internationalen Druck auf Israel und seine Unterstützer erheblich. IGH-Urteile sind endgültig und können nicht angefochten werden.
Kommt Israel dem Urteil nicht nach, kann die Angelegenheit vor den UN-Sicherheitsrat gebracht werden, wo die USA entscheiden müssen, ob sie ihr Veto einlegen. Scheitert dieser Versuch, könnte die Angelegenheit an die Generalversammlung gehen, in der die USA kein Veto einlegen können, und das Ergebnis könnte ein überwältigendes – und äußerst peinliches – Votum sein, das die Entscheidung des IGH unterstützt.
Einige Verbündete Israels haben dazu aufgerufen, sich an das Urteil zu halten. „Der Internationale Gerichtshof hat nicht in der Sache selbst entschieden, sondern vorläufige Maßnahmen in einem einstweiligen Verfahren angeordnet”, sagte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock:
„Diese sind völkerrechtlich verbindlich. Auch Israel muss sich daran halten.”
Die USA hingegen wiesen die Behauptung zurück, dass es sich bei den Aktionen im Gazastreifen um Völkermord handelt. „Wir sind nach wie vor der Meinung, dass der Vorwurf des Völkermordes unbegründet ist, und stellen fest, dass das Gericht in seinem Urteil weder einen Völkermord feststellt noch einen Waffenstillstand fordert, sondern die bedingungslose und sofortige Freilassung aller von der Hamas festgehaltenen Geiseln fordert”, sagte ein Sprecher des Außenministeriums.
Premierminister Benjamin Netanjahu sagte kurz nach dem Richterspruch des IGH, die Anschuldigungen des Völkermords gegen Israel seien „lächerlich” und zeigten, „dass viele in der Welt nichts aus dem Holocaust gelernt haben”. Die wichtigste Lehre aus dem Holocaust sei, „dass wir uns nur selbst verteidigen können. Niemand wird es für uns tun.”
Ein Blick in die Vergangenheit
Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie das Ganze ablaufen könnte, könnte ein Blick in die Vergangenheit hilfreich sein, insbesondere auf einen Fall vor dem Weltgerichtshof vor 40 Jahren.
Im Jahr 1984 verklagte Nicaragua die USA vor dem Weltgerichtshof wegen der Bewaffnung, Ausbildung und Finanzierung der Contra-Rebellen, die den Sturz der nicaraguanischen Regierung erreichen wollten, und wegen der Verminung der Häfen des kleinen mittelamerikanischen Landes.
Die USA rechtfertigten ihre Politik damit, dass sie in Nicaragua nur aus „kollektiver Selbstverteidigung” handelten, eine Rechtfertigung, die das Gericht in seinem Urteil von 1986 mit 12:3 Stimmen zurückwies.
Das Gericht entschied ferner mit überwältigender Mehrheit, dass die USA „durch die Ausbildung, Bewaffnung, Ausrüstung, Finanzierung und Versorgung der Contra-Kräfte … gegen die Republik Nicaragua gehandelt und damit gegen ihre Verpflichtung aus dem Völkergewohnheitsrecht verstoßen haben, sich nicht in die Angelegenheiten eines anderen Staates einzumischen”.
Das Gericht stellte fest, dass die USA an der „ungesetzlichen Anwendung von Gewalt” beteiligt waren, wobei zu den Verstößen Angriffe auf nicaraguanische Einrichtungen und Marineschiffe, das Eindringen in den nicaraguanischen Luftraum und die Ausbildung und Bewaffnung der Contras gehörten.
Das Gericht stellte außerdem fest, dass Präsident Ronald Reagan die CIA ermächtigt hatte, „Minen in nicaraguanischen Häfen zu legen” und „dass die Regierung der USA weder vor dem Legen der Minen noch danach eine öffentliche und offizielle Warnung an die internationale Schifffahrt vor der Existenz und dem Standort der Minen herausgegeben hat und dass durch die Explosion der Minen Personen- und Sachschäden verursacht wurden”.
Die USA wurden aufgefordert, ihre Aktivitäten einzustellen und Entschädigungen zu zahlen.
Die Reaktion der USA auf dieses Urteil war aufschlussreich. Die USA wiesen das IGH-Urteil im Wesentlichen mit der Begründung zurück, dass die USA „sich selbst die Befugnis vorbehalten müssen, zu entscheiden, ob der Gerichtshof in einem bestimmten Fall für uns zuständig ist” und was „im Wesentlichen in der innerstaatlichen Zuständigkeit der USA liegt”.
Mit anderen Worten: Die Reagan-Administration betrachtete bewaffnete Angriffe gegen den souveränen Staat Nicaragua als Teil ihrer „inneren Zuständigkeit”.
Unbeeindruckt davon brachte Nicaragua die Angelegenheit vor den UN-Sicherheitsrat, wo der nicaraguanische Vertreter argumentierte, dass die Anrufung des IGH eines der grundlegenden Mittel zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten sei, die in der UN-Charta festgelegt sind.
Er betonte ferner, dass der Sicherheitsrat und die internationale Gemeinschaft die USA unbedingt an ihre Verpflichtung erinnern müssen, sich an das Urteil des Gerichtshofs zu halten und ihren Krieg gegen Nicaragua einzustellen.
Die USA erwiderten, dass die Zuständigkeit des IGH eine Frage der Zustimmung sei und dass die USA der Zuständigkeit des IGH in diesem Fall nicht zugestimmt hätten. Der Botschafter versicherte, dass die Politik der USA gegenüber Nicaragua allein von den nationalen Sicherheitsinteressen der USA bestimmt werde, und wies darauf hin, dass Nicaragua enge Sicherheitsbeziehungen zu Kuba und der Sowjetunion unterhalte.
Am 28. Oktober 1986 legten die USA bei Stimmenthaltung Frankreichs, Thailands und des Vereinigten Königreichs ihr Veto gegen die Resolution ein, in der die vollständige und sofortige Umsetzung des IGH-Urteils gefordert wurde.
Nach dieser Entscheidung wandte sich Nicaragua an die Generalversammlung, die mit 94 zu 3 Stimmen eine Resolution verabschiedete, in der die Einhaltung des Urteils des Weltgerichtshofs gefordert wurde. Nur zwei Staaten, Israel und El Salvador, schlossen sich dem Widerstand der USA an.
Ein Jahr später, am 12. November 1987, forderte die Generalversammlung erneut die „vollständige und sofortige Befolgung” des IGH-Urteils. Diesmal schloss sich nur Israel den USA an und lehnte die Befolgung des Urteils ab.
Natürlich erkannten die USA nie ihre Verpflichtung an, sich an das Urteil zu halten, und behaupteten weiterhin, dass sie die Zuständigkeit des IGH nicht anerkennen würden.
Noreen M. Tama schrieb in der Penn State International Law Review, dass „der Internationale Gerichtshof die letzte Instanz in der Frage seiner eigenen Zuständigkeit ist”.
Sie wies darauf hin, dass „der Gerichtshof eindeutig über die erforderliche inzidente Zuständigkeit verfügte, um im Fall Nicaragua gegen die USA vorläufige Maßnahmen anzuordnen”.
Anthony D’Amato, der im American Journal of International Law schrieb, argumentierte, dass „das Recht zusammenbrechen würde, wenn Beklagte nur dann verklagt werden könnten, wenn sie zustimmen, verklagt zu werden, und das richtige Maß für diesen Zusammenbruch wäre nicht nur die drastisch gesunkene Zahl der Fälle, sondern auch die notwendige Umstrukturierung eines riesigen Systems von Rechtsgeschäften und Beziehungen, das auf der Verfügbarkeit von Gerichten als letztem Ausweg beruht”.
Dies wäre „eine Rückkehr zum Gesetz des Dschungels”, erklärte er.
Ob der aktuelle Fall gegen Israel ähnlich abläuft wie der von 1984, ist ein wichtiger Test für das internationale System und insbesondere für die Frage, was vorherrscht: das Recht des Dschungels oder die „regelbasierte internationale Ordnung”, für die sich die USA häufig einsetzen.
Übersetzung: Nicaragua-Forum, Amerika21
Titelbild: Südafrikas Völkermordklage gegen Israel am Freitag, den 12. Januar 2024, vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag – Quelle: icj-cij.org
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