Ihren Politischen Aschermittwoch mussten die Grünen absagen – protestierende Bauern hatten den Veranstaltungsort in Biberach mit Misthaufen blockiert und eine „aggressive Stimmung“ verbreitet, so heißt es. Einen Tag später wurde Vizekanzler Habeck bei einem „Bürgerdialog“ in Nürnberg ausgepfiffen und niedergeschrien – auch hier waren wohl Bauern unter den Störern. Habeck zeigt sich nun schockiert – „Das ist nicht gut, das ist keine gute Entwicklung“, so der Grünen-Politiker. In den vergangenen Monaten sei etwas ins Rutschen geraten. Das ist wohl in der Tat so. Wundern muss sich die Regierung darüber aber nicht. Ein Kommentar von Jens Berger.
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„Bürgerdialog“ – was für ein schönes Wort. Beim Begriff Dialog schwingt schließlich immer mit, dass zwei Parteien auf Augenhöhe respektvoll ihre Argumente austauschen. Im Idealfall ist so ein Dialog sogar ergebnisoffen. Davon kann bei der Kommunikation der Regierung freilich nicht die Rede sein. Man kungelt Entscheidungen, die für die Bürger gravierende Folgen haben, im Ampel-Kreis aus und setzt die Bürger dann vor vollendete Tatsachen. Sicher, auf Veranstaltungen wie der in Nürnberg hören sich die Regierenden dann auch schon mal mit gravitätischer Miene die Klagen der Regierten an – Folgen hat dies freilich nicht. Ebenso gut könnte man im Netz einen Beschwerde-Bot zutexten.
Dass den Bürgern da irgendwann einmal der Kragen platzt, ist nur allzu verständlich. Sicher, auch das Abladen von Misthaufen und das Niederbrüllen eines Ministers gehören nicht unbedingt zu den gepflegten Umgangsformen des politischen Dialogs – aber wie soll man sich als gemeiner Bürger sonst Aufmerksamkeit verschaffen? Wenn Robert Habeck nun erkennt, dass da „etwas ins Rutschen geraten ist“, so hat er natürlich recht. Nur dass dieser Prozess nicht, wie Habeck es wahrnimmt, erst in den vergangenen Monaten stattfand. Die Entfremdung von Regierenden und Regierten findet schon länger statt. Neu ist jedoch, dass sie sich mehr und mehr auch auf die Straße verlagert hat und nicht nur im virtuellen Raum stattfindet, wo sie – quod erat demonstrandum – von den Regierenden gar nicht wahrgenommen wurde.
Das „Rutschen“ kam freilich auch nicht aus heiterem Himmel und es zeugt schon von unglaublicher Ignoranz, nun urplötzlich davon überrascht zu sein. Auch diese Ignoranz hat System. Während Vizekanzler Habeck sich wegen der Kürzungen vom Volk auspfeifen lassen muss, fordert seine Kollegin Baerbock zeitgleich eine Erhöhung des ohnehin schon absurd erhöhten Militäretats und ruft dabei das „Generationenprojekt der europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion“ aus. Wem sie das Geld wegnehmen will, mit dem sie ihr „Rüstungs-Generationenprojekt“ finanzieren will, sagt sie freilich nicht. Sonst gäbe es sicher noch mehr Pfiffe.
Diese zwei Meldungen stehen auf der heutigen Startseite von SPIEGEL.de untereinander. Dass es zwischen ihnen einen Zusammenhang gibt, verstehen sicher weder Habeck und Baerbock, noch die Verantwortlichen von SPIEGEL.de.
Dass es zurzeit immer noch „nur“ die Bauern sind, die ihrer Enttäuschung und Wut freien Lauf lassen und ihren Protest aus dem virtuellen Raum auf die Straße tragen, ist die eigentliche Überraschung. Die Regierung muss sich überhaupt nicht wundern, dass die Bereitschaft zu einem Dialog, der keiner ist, immer weiter sinkt und der Protest rauer wird. Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.
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