Am 12. Januar hatte der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag den israelischen Staat völkerrechtlich verbindlich dazu verpflichtet, die Gewalt gegen palästinensische Zivilisten einzudämmen und diese besser zu schützen. Mittlerweile ist über ein Monat vergangen und die Zahl der getöteten Zivilisten steigt weiter an. Sie liegt laut UN-Angaben mit Stand 15. Februar bei über 28.600. Erst kürzlich hat die israelische Armee Flüchtlingslager in Rafah bombardiert. 378.000 Zivilisten im Gazastreifen werden von UN-OCHA derzeit der Phase 5 bei einer Hungersnot zugeordnet, d.h. Katastrophenlevel. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund wissen, auf Grundlage welcher konkreten Erkenntnisse die Bundesregierung nach wie vor behauptet, Israel halte sich an die IGH-Vorgaben und würde die Gewalt gegen Zivilisten eindämmen. Von Florian Warweg.
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Hintergrund
Am 7. Februar erklärte die Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, Susanne Baumann, gegenüber dem Bundestag, dass sich Israel aus Sicht der Bundesregierung an die völkerrechtlich verbindliche Anordnung des IGH halte:
„Die Bundesregierung geht daher davon aus, dass Israel sich an die Anordnung hält.“
Vorausgegangen war eine sogenannte schriftliche Frage des BSW-Abgeordneten Andrej Hunko. Dieser wollte unter anderem von der Bundesregierung wissen:
„Inwieweit hält die Bundesregierung auch nach der Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs (IGH), welcher die Klage gegen Israel wegen Verstößen gegen die Völkermordkonvention für grundsätzlich zulässig erklärt und Israel u. a. dazu verpflichtet hat, Gewalt gegen palästinensische Zivilisten einzudämmen, auch weiterhin an ihrer Nebenintervention vor dem IGH fest, die von Regierungssprecher Steffen Hebestreit u. a. mit der Äußerung begründet wurde, der Vorwurf eines Genozids im Gaza-Streifen „entbehrt jeder Grundlage“ und welche konkreten Schritte wird die Bundesregierung unternehmen, um der Forderung des IGH nach einem besseren Schutz von Palästinensern zur Umsetzung zu verhelfen?“
Doch die UN-Berichte zeigen ein anderes Bild auf. Laut UN-OCHA, dem Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten, befinden sich aktuell 2,2 Millionen palästinensischer Zivilisten „in unmittelbarer Gefahr einer Hungersnot“. 378.000 werden von den UN bereits der Phase 5 bei einer Hungersnot zugeordnet. Das heißt in der UN-Definition: „Katastrohen-Level, extremer Nahrungsmittelmangel, Hunger und Erschöpfung der Bewältigungskapazitäten“.
Ebenso steigen unablässig die Opferzahlen durch die Bombardierung ziviler Ziele im Gazastreifen, zuletzt verstärkt auf Flüchtlingslager in Rafah, im Süden Gazas. Ein Gebiet, das zuvor von der israelischen Regierung zum sicheren Fluchtgebiet erklärt worden war.
Angesichts dieser Zahlen und Entwicklungen lässt sich die Haltung der Bundesregierung, Israel halte sich an die IGH-Vorgaben, mit dem Begriff „Zynismus“ wohl nur noch unzureichend umschreiben.
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 14. Februar 2024
Frage Warweg
Der IGH hat am 12. Januar Israel dazu verpflichtet, Gewalt gegen Zivilisten im Gazastreifen oder allgemein in palästinensischen Gebieten einzudämmen und diese auch besser zu schützen. Jetzt ist über ein Monat ins Land gegangen und wir sind mittlerweile bei über 28.000 Toten. Erst kürzlich hat Israel in Rafah auch palästinensische Flüchtlingslager bombardiert, und laut UNOCHA werden 400 000 Palästinenser im Gazastreifen der Phase 5 bei Hungersnöten zugeordnet, das heißt: Katastrophenlevel und vom Hungertod bedroht.
Vor diesem Hintergrund würde mich interessieren, auf welchen konkreten Erkenntnissen die Bundesregierung nach wie vor behauptet das letzte Mal im Namen der Bundesregierung durch Staatssekretärin Susanne Baumann vor dem Bundestag am 7. Februar, dass Israel sich an diese Vorgaben des IGH hält und palästinensische Zivilisten besser beschützt.
Wagner (AA)
Um das vielleicht einmal zu sortieren, Herr Warweg: Der Internationale Gerichtshof hat am 26. Januar, wie Sie richtig sagen, einstweilige Maßnahmen erlassen, die völkerrechtlich verbindlich sind und die für Israel gelten. Der IGH hat Israel auch aufgetragen, innerhalb eines Monats dazu zu berichten, wie diese Vorgaben umgesetzt werden. Insofern würde ich diesen Bericht jetzt erst einmal abwarten.
Zur generellen Lage kann ich Sie auf die Aussagen der Ministerin verweisen. Erst gestern hat sie sich in einer Pressekonferenz mit ihrem palästinensischen Amtskollegen hinreichend zur Lage eingelassen. Die Ministerin ist heute auch noch einmal im Nahen Osten unterwegs und wird in Israel Gespräche mit verschiedenen Gesprächspartnern führen. Insofern ist, glaube ich, unsere Haltung klar bekannt. Sie wissen sehr genau, dass wir einerseits unterstreichen: Israel hat das Recht, sich zu verteidigen, gegen die Hamas vorzugehen und entsprechende Operationen zu führen. Gleichzeitig gilt aber eben auch, dass bei diesen Operationen der Schutz der Zivilbevölkerung, so wie es das humanitäre Völkerrecht auch vorgibt, prioritär sein muss und Israel die Menschen dort im Gazastreifen schützen muss. Wir sind auch der Auffassung, dass sie sie besser schützen muss, und das sagen wir unseren israelischen Gesprächspartnern auch.
Es ist aber weiterhin eine extrem komplexe Situation, in der noch über 100 Menschen in der Geiselhaft der Hamas sind. Erst kürzlich sind, Gott sei Dank, wieder zwei befreit worden. Diese Menschen müssen freigelassen werden. Darüber hinaus operiert die Hamas weiter aus Gaza gegen Israel. Insofern, glaube ich, habe ich jetzt in sehr vielen Worten das dargestellt, was sie ohnehin als Position der Bundesregierung kennen.
Zusatzfrage Warweg
Ihre Staatssekretärin Frau Baumann hat am 7. Februar auf Nachfrage eines BSW-Abgeordneten erklärt, die Bundesregierung gehe davon aus, dass sich Israel an diese Anordnung des IGH halte. Das war ja eine klare Parteinahme, da man sagt: Israel hält sich daran. Ich würde auch angesichts der geschilderten Vorfälle der letzten Wochen gerne wissen, auf der Basis welcher konkreter Erkenntnisse die Bundesregierung sagt: Israel hält sich an diese Anordnung des IGH. Das hat sich mir aus Ihrer Antwort nicht erschlossen.
Wagner (AA)
Israel ist ja Partei in diesem Verfahren, hat sich ja in dem Verfahren auch eingelassen und wird sicherlich auch der Berichtspflicht nachkommen. Insofern sehe ich nicht, dass sich Israel sozusagen nicht an das Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof hält. Wie Israel diese Vorgaben umsetzt und wie es auch die Vorgaben des humanitären Völkerrechts im Rahmen der Operation umsetzt, müssten Sie jetzt schon Israel fragen.
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 14.02.2024
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