Vor der sogenannten Sicherheitskonferenz in München ist festzustellen: Die gefährliche Meinungsmache für militärische Eskalation und Hochrüstung wird immer intensiver. Bei der „geistigen Mobilmachung“ werden Wörter ihres Inhalts beraubt und reihenweise Tabus gebrochen. Ein Kommentar von Bernhard Trautvetter.
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Ein Aufschrei muss durch dieses Land, durch die Welt gehen! Wir stehen vor der sogenannten „Sicherheitskonferenz“ in München dieses Wochenende. Dort wird die westliche Elite der Militärs und ihrer Unterstützer über ihre Strategie beraten, während immer mehr Nachrichten einer Nuklearisierung der gesamten EU den Boden bereiten. Dies wird in Deutschland von der Debatte über Kriegstüchtigkeit flankiert. Genauer sagt das Generalinspekteur Breuer: Die Bundeswehr muss in fünf Jahren kriegstüchtig sein.
Dies bedeutet schon angesichts der circa 170 Atomreaktoren in Europa – davon ca. 110 in der EU: Schon ohne Atomschläge ist das ein verantwortungsloses Risiko. Eine Schwelle nach der anderen wird hier in Richtung Untergang Europas überschritten. Ähnlich wie vor dem Ersten Weltkrieg vor 110 Jahren taumelt die Welt in die Richtung des für die Menschheit finalen Infernos. Und die geistige Mobilmachung erfasst auch einst auf den Frieden ausgerichtete Kräfte. Davor macht auch eine Sprachmanipulation keinen Halt, die in einer ökologisch immer anfälligeren Welt Sicherheit mit einer militärisch ausgerichtete Politik und die Existenz von nuklearen Arsenalen mit dem Schutz eines Regenschirms verbindet.
Der einstige Kriegsdienstverweigerer und renommierte Politologe Herfried Münkler … sagte dem Magazin Stern, Europa müsse atomare Fähigkeiten aufbauen. Die Briten hätten zwar Atom-U-Boote und Frankreich Atombomben. Aus Sicht des Kremls dürfe man aber bezweifeln, dass sie diese auch wirklich einsetzen würden, um Litauen oder Polen zu schützen. Wörtlich wird Münkler weiter mit den Worten zitiert: „Wir brauchen einen gemeinsamen Koffer mit rotem Knopf, der zwischen großen EU-Ländern wandert.“ Es sei längst eine Aufrüstungsspirale in Gang gesetzt, der sich Europa nicht entziehen könne. Ins gleiche Horn stoßen Spitzenpolitiker der Ampel-Regierung. All diese Äußerungen folgen auf den Dammbruch, den der bündnisgrüne Ex-Außenminister Josef Fischer mit der Forderung nach einer „atomaren Abschreckung“ der EU initiierte. Die aktuelle Steigerung erfährt das brandgefährliche Risiko durch die Forderung des CDU-Außenpolitikers Kiesewetter, der dazu auffordert, den Krieg nach Russland zu tragen, und flankierend dazu die Forderung der Bundestagsvizepräsidentin Göring-Eckardt, der Ukraine Taurus-Marschflugkörper zu liefern. Diese Lenkraketen erreichen von der ukrainischen Ostgrenze aus das gesamte Gebiet Russlands bis Moskau, und ihre Gefechtsköpfe Multiple Warhead, Modular Payload können auch nuklear bestückt werden, was im Falle eines Angriffs, der vor dem Ziel nur schwer zu entdecken ist, die Gefahr gegnerischer Fehlentscheidungen an der Schwelle zum Nuklearkrieg unverantwortlich steigert.
Die Nuklearrüstung verstößt gegen die Haager Landkriegsordnung – Zitat: „Die Kriegsparteien haben kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Mittel zur Schädigung des Feindes.“ Und: Abgesehen von den Verboten in weiteren Verträgen gilt: „Kriegsparteien haben kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Mittel zur Schädigung des Feindes. … untersagt (ist): … die meuchlerische Tötung oder Verwundung eines … wehrlosen Feindes … der Gebrauch von Waffen, Geschossen oder Stoffen, die geeignet sind, unnötigerweise Leiden zu verursachen… Es ist verboten, unverteidigte Städte, Dörfer, Wohnungen oder Gebäude anzugreifen … “
Desinformation betreibt nur die Gegenseite
Das alles macht die Propaganda der Militärs, die allein der Gegenseite Desinformation zuschreiben, vergessen.
Ihre Begründung ist eine rund um die Uhr durch die Medien verbreitete, von Russland ausgehende und in der Ukraine sichtbar gewordene Gefahr, die ganz Europa betreffe und gegen die die Nato mit ihrer ‚regelbasierten Ordnung‘ stehe. Vergessen nicht nur die völkerrechtswidrigen Kriege (jeder eröffnete Krieg ist ein Angriffskrieg) von NATO-Staaten gegen Jugoslawien, Libyen, den Irak und weitere, vergessen auch die Annexion der syrischen Golan-Höhen durch Israel oder auch der prowestliche Staatsstreich in Kiew vor der Krim-Krise. Der Westen ist der Gute, er rettet die Welt vor der Achse des Bösen im Osten. Dieses Narrativ kursiert auch durch alle Ampel-Parteien sowie durch die Bundestagsopposition. Sie haben es geschafft, auszublenden, dass Russland unter Bezug auf die europäischen Sicherheitsvereinbarungen der OSZE und auch des Zwei-plus-Vier-Vertrages eine Friedensordnung in Europa forderte, die die Sicherheitsinteressen auch Russlands respektiert und deshalb die Neutralität der Ukraine verlangte. Nato-Generalsekretär Stoltenberg unterlief in einer Rede im EU-Parlament im September 2023 der Fauxpas, dass er diese Wahrheit aussprach: „Präsident Putin erklärte im Herbst 2021, die NATO solle versprechen, sich nicht mehr zu erweitern. Er schickte dazu einen Vertragsentwurf. Es war seine Bedingung, um nicht in die Ukraine einzumarschieren. Natürlich haben wir das nicht unterschrieben. … Also zog er in den Krieg, um die NATO an seinen Grenzen zu verhindern.“
Mit der Desinformation in der Meinungsmache des politischen Westens, der zufolge Russland aus rein imperialen Machtinteressen heraus die Ukraine überfallen hat, verbinden sich demzufolge viele brisante Gefahren:
- Die Bevölkerung wird auf ein Feindbild ausgerichtet, das im Wesenskern von den eigenen Anteilen der NATO an der Eskalation der Spannungen ablenkt. Mit diesem falschen Weltbild werden viele Menschen, auch einstige friedensbewegte Kritiker der Atom- und Hochrüstung sowie ökologisch ausgerichtete Kräfte, auf den NATO-Kurs gebracht. Dazu gehört die Desinformation, dass die Rüstung Russlands die NATO zu ‚Verteidigung‘ genannten höheren Militärausgaben zwinge, obwohl Russland einen Bruchteil der Weltrüstungsausgaben verantwortet und die NATO dabei mit über 55 Prozent zu Buche schlägt
- Die Hoch- und Atomrüstung der NATO stößt in der Bevölkerung auf viel mehr Zustimmung als in den zurückliegenden Jahrzehnten: „Eine Mehrheit der Bevölkerung unterstützt den … Ausbau der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands. Nach einer Studie der Unternehmensberatung PwC stehen 68 Prozent der Deutschen hinter dem Vorhaben, … 57 Prozent befürworten die Absicht, zwei Prozent oder mehr des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung zu investieren. 31 Prozent sehen dies kritisch.
- Wertvolle Zeit zur Abwendung ökologischer Risiken verstreicht somit ungenutzt, stattdessen werden diese Gefahren befeuert.
- Soziale, ökologische und weitere Anforderungen an eine Politik, die Schaden von den Menschen abwendet, die die UNO-Ziele zur nachhaltigen Entwicklung erfüllt, fallen gegenüber der Militarisierung immer weiter zurück, und das in einer Zeit, in der sich immer mehr irreversible Kipppunkte der Ökologie abzeichnen.
- Stattdessen verbreitet die Militarisierung der Gesellschaft ein Schwarz-Weiß-Denken, das jeder realitätstauglichen Differenzierung und Reflexion entgegensteht. Sie führt nicht zu einem langfristig ausgedehnten Planen und Handeln, das auf ein Gleichgewicht im Ressourcenverbrauch und das Nachwachsen von Ressourcen ausgerichtet ist, sie verhindert eine weltweite Kooperation und ersetzt diese durch Abschreckung und direkte Gewalt.
Demgegenüber sagte der damalige UNO-Generalsekretär Sithu Uthant vor 55 Jahren:
„… nach den Informationen, die mir als Generalsekretär der Vereinten Nationen zugehen, haben nach meiner Schätzung die Mitglieder dieses Gremiums noch etwa ein Jahrzehnt zur Verfügung, ihre alten Streitigkeiten zu vergessen und eine weltweite Zusammenarbeit zu beginnen, um das Wettrüsten zu stoppen, den menschlichen Lebensraum zu verbessern, die Bevölkerungsexplosion niedrig zu halten und den notwendigen Impuls zur Entwicklung zu geben. Wenn eine solche weltweite Partnerschaft innerhalb der nächsten zehn Jahre nicht zustande kommt, so werden, fürchte ich, die erwähnten Probleme derartige Ausmaße erreicht haben, dass ihre Bewältigung menschliche Fähigkeiten übersteigt.“
Nur eine Politik, die das ernst nimmt und umsetzt, ist sozial, zukunftsverträglich und grün.
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