Deutsch-indonesische Kontakte im Zeichen stetiger Spurensuche und beharrlichen Brückenbaus

Deutsch-indonesische Kontakte im Zeichen stetiger Spurensuche und beharrlichen Brückenbaus

Deutsch-indonesische Kontakte im Zeichen stetiger Spurensuche und beharrlichen Brückenbaus

Rainer Werning
Ein Artikel von Rainer Werning

Mit annähernd 280 Millionen Einwohnern ist der weltgrößte Inselstaat Indonesien zugleich das Land mit dem höchsten Anteil von Muslimen – fast 90 Prozent – an der Bevölkerung. Am 14. Februar sind auf diesem südostasiatischen Archipel 205 Millionen Menschen aufgerufen, an die Urnen zu gehen, um u.a. einen neuen Präsidenten und Vizepräsidenten zu wählen. Der noch amtierende Präsident Joko Widodo, besser bekannt unter seinem Spitznamen Jokowi, darf sich nach zweimaligem Sieg nicht ein drittes Mal zur Wahl stellen. Gute Erfolgsaussichten auf das höchste Staatsamt hat mit Ex-General Prabowo Subianto ausgerechnet eine Galionsfigur der Suharto-Diktatur (1966 bis 1998). So bedeutsam die politischen Geschehnisse in diesem viertbevölkerungsreichsten Staat der Erde sind, so vergleichsweise wenig erfährt man in hiesigen Medien über Land und Leute – und dann meist nur im Falle neuerlicher Vulkanausbrüche oder anderer Naturkatastrophen. Karl Mertes (75) zählt im deutschsprachigen Raum zu den bestinformierten und herausragenden Landeskennern. Zusammen mit seiner Frau Lena Simanjuntak, einer indonesischen Künstlerin, versteht er sich als interkultureller Brückenbauer. Um ihn ausführlich zu Wort kommen zu lassen, führte unser Südost- und Ostasienexperte Rainer Werning für die NachDenkSeiten nachfolgendes Interview mit Karl Mertes.

Rainer Werning: Was bewog einen Rheinländer wie Sie, sich über fünf Jahrzehnte lang ausgerechnet und intensiv mit Indonesien zu befassen?

Karl Mertes: Als Schüler habe ich schon versucht, mit meinen überschaubaren Interessen die Welt zu erkunden. Gullivers Reisen gehörten ebenso dazu wie die legendären Karl-May-Romane und die Comic-Heftchen von Sigurd. Von Indonesien hatte ich bloß im Ohr „Der Elefant von Celebes hat hinten etwas Gelebes, der Elefant von Borneo der hat dasselbe vorneo“. Und dank Vaters Rauchgewohnheiten hatte ich etwas von Sumatra-Zigarren aufgeschnappt.

Das trug allerdings nicht zu einem konkreten Bild über Indonesien bei, anders als mein späteres Engagement in Studienzeiten. Ende der 1960er-Jahre hatte ich mich in entwicklungspolitischen Gruppen umgetan und so auch oberflächlich etwas von der Bandung Konferenz 1955 und den Massakern 1965/66 gehört. Ein spezielles Interesse an Indonesien entstand dadurch jedoch noch nicht. Das war ja so weit weg und eigentlich unerreichbar.

1972 begann ich als Diplom-Pädagoge beim Westdeutschen Rundfunk (WDR) als Redakteur im Schulfernsehen und bei anderen Bildungsprogrammen. Auf der Suche nach weiteren beruflichen oder auch alternativen Aktivitäten und Herausforderungen nahm ich nach gut zwei Jahren Kontakt zu Kollegen in unterschiedlichen Medienprojekten in der „Dritten Welt“ auf. Zufällig kam eine Reaktion aus Jakarta, wo ein Team von WDR-Mitarbeitern bereits in einer Fernsehausbildungsstätte tätig war. Dort sollte – als entwicklungspolitische Initiative – ein Bildungsfernsehen aufgebaut werden. „Aha, das könnte ja interessant sein“, dachte ich und ließ mich vom Sender beurlauben, um ab 1976 für knapp fünf Jahre als Dozent und Berater – Consultant genannt – für das indonesische Informationsministerium im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) zu arbeiten. Dabei musste ich mich darauf einstellen, dass dort Rundfunk im staatlichen Auftrag und Interesse realisiert wurde, wenngleich mein Hintergrund das am Gemeinwohl orientierte öffentlich-rechtliche System war.

Immerhin: Der Brückenschlag war getan. Zur Vorbereitung hatte ich in Köln bei der Deutsch-Indonesischen Gesellschaft (DIG) einen kurzen Sprachkurs absolviert und mehr über Land und Leute erfahren.

Nelkenzigaretten und andere speziellen Düfte

Wann reisten Sie das erste Mal nach Indonesien, und was beeindruckte Sie dort am meisten?

Im Herbst 1976 flog ich nach Indonesien, meine erste Reise nach Asien. Der bekannte Effekt nach der Landung in Jakarta, beim Verlassen des Flugzeugs: Du denkst, ein nasses Handtuch fliegt dir ins Gesicht. Die Umstellung auf die feuchte tropische Atmosphäre war sehr gewöhnungsbedürftig, auch weil Klimaanlagen in vielen Gebäuden oder Autos noch nicht verbreitet waren. Als „Expatriate“ stand mir ein eigenes Haus zu, das ich mit Unterstützung des BMZ für zunächst zwei Jahre im Voraus – bar bezahlt – anmieten konnte.

Ungewohnt war für mich die auffällige Freundlichkeit der Menschen, die Neugierde an Begegnungen. Auf der einen Seite erfuhr ich das gewiss allein aufgrund meiner Körpergröße, meines fremden Aussehens – auf der anderen Seite bestätigte sich jedoch fortlaufend, wie unkompliziert Indonesier um Kontakte bemüht sind. Überraschend waren manchmal die Gesprächsanlässe. Nicht nur nach dem Woher und Wohin wurde gefragt, sondern auch nach dem Familienstatus, „wie viele Kinder hast du?“ beispielsweise.

Meine Aufgabe bestand darin, den Studierenden am TV-Trainingcentre in Jakarta Grundlagen des Erziehungsfernsehens, Fragen der Konzeption, Zielsetzung und Umsetzung zu vermitteln. Der Unterricht sollte auf Englisch erfolgen, wobei rasch klar wurde, dass die jungen Leute damit nicht recht klarkamen. Was blieb mir übrig? Ich begann also, zunächst mit einem Wörterbuch in der Hand und dann zunehmend sicherer, die Lehrgänge auf Indonesisch zu halten. Dabei waren verschiedentlich merkwürdige und lustige Versprecher nicht zu vermeiden. Das legte sich aber mit der Zeit.

Eindrucksvoll waren natürlich auch die Erfahrungen in der schon damals dicht bevölkerten Millionen-Metropole Jakarta, der größten Stadt im weltgrößten Archipel. Die Infrastruktur, der Verkehr, das Menschengewimmel auf den Straßen, die vielfältigen Einkaufsmöglichkeiten auf den Märkten und dem seinerzeit einzigen großen Kaufhaus Sarina. Und die Gerüche, der Duft der Nelkenzigaretten – Gewürze, Abfall, Blumen und Pflanzen verströmten allerorten spezielle Düfte. Monumente und Dokumente der Kolonialzeiten sowie der feudalen regionalen Herrschaften weckten zudem oft genug meine Aufmerksamkeit.

Auch kulturell gab’s viel zu erkunden. Bauten eben aus der Kolonialzeit, Museen, Moscheen, Kirchen – und insbesondere die unterschiedlichen Vorstellungen von Wayang. Dieses jahrhundertealte Puppenspiel in unterschiedlichen Formen und Stilen prägt insbesondere die javanische und balinesische darstellende Kunst. Vornehmlich sind es überlieferte Legenden und Volksepen aus den frühen indischen Verbindungen, wie Mahabharata oder Ramayana, jeweils regional oder lokal adaptiert und angepasst. Faszinierend erlebte ich, dass an Samstagabenden Scharen von Zuhörern sich um ein Radio versammelten, um die stundenlangen Übertragungen der Schattenspiele der Wayang Kulit-Aufführungen aus dem Nationalmuseum zu verfolgen. Die Leute konnten sozusagen am Radio die Spiele sehen, weil ihnen die Geschichten von Kind an vertraut waren. Und das damals noch nicht so weit verbreitete Fernsehen wurde umgangssprachlich auch Wayang-Hidup genannt – „lebendiges Wayang“.

Klassische Tänze, ausgefeilte Handwerksprodukte, Gesänge übten einen besonderen Reiz aus, weil für unseren kulturellen westlichen Hintergrund so anders, so fremd, so herausfordernd.

Dienstliche und vor allem auch private Reisen machten mir im Laufe der Jahre viele Regionen bekannt. Aus beruflichen Gründen musste ich zu Fernseh- und Radiostationen Kontakt aufnehmen und lernte dabei natürlich Neues über Land und Leute. Das ergänzte ich durch viele private Touren – von Sumatra bis Papua.

Langjähriger Austausch

Seit wann lässt sich füglich von deutsch-indonesischen beziehungsweise indonesisch-deutschen Beziehungen reden? Was prägte sie oder kennzeichnete diese in besonderer Weise?

Eine Rückschau auf die bilateralen Beziehungen: Indonesien und Deutschland gab es noch nicht als eigenständige Länder oder Nationen, als sich Menschen aus beiden Regionen begegneten. Da waren zunächst ab dem 15./16. Jahrhundert Seeleute, Abenteurer, Söldner aus deutschen Landen, die zur Zeit der Erkundung bzw. Eroberung Südostasiens mit den Portugiesen, Spaniern, Engländern, Holländern auf den Meeren unterwegs waren. Auf der Suche nach den legendären Gewürzinseln waren Mitglieder der vom Portugiesen Magellan geleiteten Expedition um 1520 in spanischen Diensten auch auf den Molukken. Zur Bordmannschaft der Segelschiffe zählte den Überlieferungen zufolge auch ein deutschstämmiger Kanonier mit Namen Hannes aus Aachen. Den machtpolitischen Interessen der Kolonialmächte folgten seinerzeit neben Kaufleuten und Militärs auch Missionare und Wissenschaftler.

Im Verlauf der holländischen Kolonialzeit waren zigtausend Deutsche in der Verwaltung von Niederländisch-Indien tätig, u.a. auf Plantagen, beim Militär oder in der Verwaltung. Als Ingenieure, Techniker, in medizinischen Diensten oder der Administration des Archipels taten sie ihren Dienst.

Es gibt einige herausragende Forscher und Akademiker. Caspar Georg Karl Reinwardt beispielsweise gründete 1817 den Botanischen Garten in Bogor und initiierte damit fortwährende internationale Kontakte in der Botanik. Franz Wilhelm Junghuhn war im 19. Jahrhundert als vielseitiger Wissenschaftler tätig, vornehmlich auf Java und Sumatra. U.a. erkannte und förderte er den Chinarinden-Baum zur Entwicklung von Chinin. Junghuhn ist als der „Humboldt von Java“ benannt worden, weil er auf Expeditionen als Naturforscher bedeutende Entdeckungen und Dokumentationen überlieferte. Etwa zeitgleich war auf dem umgekehrten Wege Raden Saleh Syarif Bustaman in Deutschland aktiv – er hatte in Europa u.a. Malerei studiert und lebte lange Jahre in Dresden und Coburg. Er trug zur Einführung neuerer Sehweisen und Malstile bei und wird oft als der Begründer „moderner indonesischer Malerei“ bezeichnet. Ernst Heinrich Haeckel, Zoologe aus Jena, der den Darwinismus populär machte, berichtete 1901 über seine wissenschaftlichen Java-Reisen in „Aus Insulinde“. Im 20. Jahrhundert siedelte und wirkte zwischen den Weltkriegen der Musiker, Maler, Ethnologe, Historiker Walter Spies zunächst auf Java und dann lange Jahre auf Bali, wo er die kulturelle Begegnung, den Austausch zwischen Europa und Asien auf eine besondere Manier förderte.

Im Verlaufe der Jahrhunderte trugen auch Missionare zu einer bemerkenswerten Bereicherung der Kontakte bei. Neben ihrer Christianisierung verfassten viele ethnologische Beiträge und vor allem sprachwissenschaftliche Werke. Darüber hinaus unterstützten sie auch das Gesundheitswesen und Bildungseinrichtungen. Aus unserer Zeit sei noch verwiesen auf den deutschstämmigen – mittlerweile indonesischen – Philosophen und Theologen Franz Magnis Suseno. Er trägt auf eine spezifische Art und Weise zum interkulturellen gesellschaftskritischen Dialog bei.

Zahlen und Namen gäbe es noch viele zu benennen. Wer mehr über die Einflüsse „Indonesiens in der deutschen Geisteswelt“ wissen möchte, dem sei als Lektüre die Publikation von Heinrich Seemann (Botschafter in Jakarta von 1994 bis 2000) „Von Goethe bis Emil Nolde“ empfohlen. Journalistischen Input erfuhr ich übrigens vom Leiter des indonesischen Programms der Deutschen Welle, Rüdiger Siebert. Er war einer der fleißigsten und originellsten Publizisten zu Indonesien und den bilateralen Beziehungen.

Während der Nazi-Zeit und im Zweiten Weltkrieg gab es ausgesprochen intensive Verbindungen, namentlich der deutschen Marine, nach Indonesien. U-Boot-Stationen in Sumatra und Java sorgten für einen regen Austausch. Horst Geerken warf mit seinen Publikationen „Hitlers Griff nach Asien“ einen hochinteressanten Blick auf diese militärischen Kontakte. Übrigens hört man auch heute oft noch den vorgeblich freundlich gemeinten Gruß „Heil Hitler“ von Indonesiern gegenüber Deutschen, wodurch die Anerkennung der Besetzung und Besiegung der Niederlande durch die Wehrmacht ausgedrückt werden soll – denn die verhasste Kolonialmacht war damit in ihre Grenzen verwiesen worden.

Diplomatische Beziehungen zwischen der 1945 neu ausgerufenen Republik Indonesien und der Bundesrepublik Deutschland wurden 1952 beschlossen, später auch – trotz der Hallstein-Doktrin – mit der DDR. 2022 hat die Deutsch-Indonesische Gesellschaft / DIG aus Anlass dieser 70-jährigen zwischenstaatlichen Verbindungen in Bali eine Konferenz „Kultur im Dialog“ durchgeführt.

Blinde Flecken im Geschichtsbild

Wie erfuhren Sie über die turbulenten innenpolitischen Entwicklungen, die schließlich zur Jahreswende 1965/66 zum Machtantritt von General Suharto führten? War das eigentlich ein Thema, das in der alten Bundesrepublik größere mediale Beachtung fand?

Nein, der Staatsstreich im September 1965 war seinerzeit hier kein bestimmendes Thema. Der Vietnamkrieg beherrschte Meldungen über Südostasien. Gewiss gab es vereinzelt Nachrichten über die Massaker und den Sturz von dem in Westdeutschland bekannten ersten indonesischen Präsidenten Sukarno. Der hatte 1956 einen Besuch in der Bundesrepublik absolviert, mit damals wohlwollender und anerkennender Berichterstattung. Immerhin war er 1955 Gastgeber der Bandung-Konferenz, auf der die Bewegung der „Blockfreien“ ins Leben gerufen wurde, eine antiwestliche und antikapitalistische Initiative während des Kalten Krieges.

Indonesien war seinerzeit ein weitgehend weißer Fleck. Die wirtschaftlichen Beziehungen waren zwar ausgebaut, touristisch war der Archipel jedoch noch kein Ziel.

Anfang der 1970er-Jahre habe ich dann jedoch mehr über den Staatsstreich erfahren, weil sich – beispielsweise in Aachen und Köln – Protestgruppen etabliert hatten, die auf die Gewaltexzesse und die willkürliche Machtausübung unter Suharto aufmerksam machten. IMBAS war beispielsweise eine Solidaritätsgruppe, die mit Hintergrundinformationen Fakten lieferte.

In Indonesien selbst war das Thema des Machtwechsels 1965/66 hin zur sogenannten Neuen Ordnung unter Suharto (in Abgrenzung zur Alten Ordnung unter Sukarno) absolutes Tabu.

Von Haus aus waren Sie Journalist und langjährig beim Westdeutschen Rundfunk (WDR) in Köln tätig. Konnten Sie dort Möglichkeiten nutzen, sich auch publizistisch über politische Geschehnisse in Indonesien zu äußern?

Ja. Nach meiner Ankunft in Indonesien hatte ich auch Kontakte zu Opfern der Massaker und erfuhr mehr über die Vorfälle, vor allem über die als „Ex-Tapol“ gekennzeichneten entlassenen Häftlinge, deren bürgerliche Rechte weiterhin eingeschränkt waren. Natürlich gab es eine illegale Opposition, Widerstände und Auseinandersetzungen im Umgang mit der Regierung der sogenannten Neuen Ordnung. Gewerkschaften, Kirchen, internationale Organisationen förderten entsprechende Kontakte.

Auf der einen Seite verfasste ich gelegentlich Beiträge über die bilateralen Beziehungen für den damals neu gegründeten deutschsprachigen Kanal des indonesischen Radio-Auslandsprogramms von Radio Republik Indonesien/RRI. Die waren allerdings ausgesprochen unpolitisch und schilderten Alltäglichkeiten. Andererseits konnte ich eine Reihe von Hörfunkbeiträgen und auch Artikel unter Pseudonym verfassen. Aufgrund meines Status als Mitarbeiter in staatlichen Diensten musste ich achtsam sein, um mich, aber vor allem meine Informanten und Gesprächspartner keinem Risiko auszusetzen. Immerhin konnte ich auch klandestine Kontakte zu dem mit Auftritts- und Publikationsverboten isolierten Schriftsteller Pramoedya Ananta Toer aufnehmen. Dadurch gelang es, die erste Übersetzung seines Romans „Garten der Menschheit / Bumi Manusia“ in Deutschland mit in die Wege zu leiten – und später auch weiterer Folgen der sogenannten Buru-Tetralogie. Übrigens konnte die DIG ihn 1999 auch zu einem Besuch nach Köln einladen.

Im WDR gab es in den 1970er-/80er-Jahren eine Vielzahl an Hörfunk- und Fernsehsendungen, die sich ausgesprochen intensiv mit Auslandsberichterstattung befassten. Dies ermöglichte es mir, selbst weitere Berichte zu publizieren – von Reisereportagen bis hin zu wirtschafts- und entwicklungspolitischen Themen.

Im Rahmen der Programme der Deutsch-Indonesischen Gesellschaft haben wir in den zurückliegenden Jahren ein differenziertes und breites Spektrum an kritischen Veranstaltungen organisieren können – bis zum Abtritt von Suharto im Mai 1998 übrigens oft genug zum Missfallen der indonesischen Botschaft. Inzwischen ist eine offene und unbedenkliche Auseinandersetzung auch um die Aufarbeitung der Ereignisse um 1965/66 möglich.

Warum wird in Deutschland versucht, die Geschehnisse, die zum Machtantritt von Suharto führten, bis heute wie ein Staatsgeheimnis der alten Bundesrepublik zu hüten und mit allen Mitteln eine diesbezügliche Aufklärung zu verhindern?

Das kann ich nicht erklären. Als „Staatsgeheimnis“ wird zwar gehütet, dass offensichtlich noch nicht sämtliche Akten zugänglich sind und Handlungsmotive der seinerzeitigen Regierungen nicht offengelegt werden. Dennoch haben wir ein ziemlich realistisches und transparentes Bild der Vorgänge Mitte der 1960er-Jahre. Zahlreiche Augenzeugenberichte, offizielle sowie private Dokumente, journalistische Recherchen und Filmdokumentationen legen die Situation vor rund sechs Jahrzehnten dar. Die damals anfangs gegenüber den Putschisten zurückhaltende, aber dann fraglos wohlwollende und positive Position der Bundesrepublik spiegelt natürlich die Großwetterlage: Der Kalte Krieg hatte eine klare Grenzziehung Ost-West geschaffen. Und dieser Logik schloss sich auch Bonn an.

Interessant ist dabei, dass neun Jahre zuvor mit Sukarno der erste Präsident Indonesiens im Juni 1956 einen Staatsbesuch in der Bundesrepublik absolvierte. Die Reise rief viel Aufmerksamkeit und Neugierde hervor. Der Mann galt als Repräsentant für die ein Jahr zuvor ins Leben gerufene Gruppe der unabhängigen Staaten im konkurrierenden Ost-West System. In Bandung hatten sich 1955 frühere Kolonien als die Blockfreien identifiziert, die den Dritten Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus suchten. In Heidelberg hielt Sukarno eine weit beachtete Rede gemäß dem Motto die geistigen Strömungen in Asien könnten die moralische Kraft der Welt sein“ … und nun das, zehn Jahre später!

Die Bundesrepublik richtete sich rasch auf die neuen Verhältnisse ein, vorrangig mit Blick auf wirtschaftliche Kooperationen. Dabei konnte Deutschland auf Tradition setzen: Hatte Siemens doch schon im 19. Jahrhundert den Sultanspalast in Yogyakarta elektrifiziert – viele Plantagen waren erfolgreich von Deutschen geleitet worden – Telefunken-Sendeanlagen und Radios sorgten für reibungslose Hörfunkversorgung – das Gesundheitswesen war in den 1950er-Jahren durch entsandte deutsche Ärzte geregelt worden – der VW-Käfer gewährleistete Mobilität – und so fort. Außerdem hatte Nazi-Deutschland – wie bereits erwähnt – die verhassten Holländer im Zweiten Weltkrieg in ihre Grenzen verwiesen.

Im Reformsog?

Im just vergangenen Jahr jährte sich zum 25. Mal jener Prozess, der in Indonesien als „reformasi” bezeichnet wird – eine Epoche also, die seit dem Ende der Ära Suharto im Mai 1998 einen umfassenden gesellschaftspolitischen Reformprozess auf den Inseln einleiten sollte. Was sind die Ihrer Meinung nach hervorstechenden Merkmale ebendieser „reformasi”? Sind da möglicherweise auch Tendenzen konstatierbar, die ihr entgegenwirken und sie gefährden?

Nach dem erzwungenen Rücktritt Suhartos durch die Proteste im Inland und den internationalen Druck übernahm sein Vizepräsident Bacharuddin Jusuf Habibie das Amt des Staatsoberhauptes, Regierungschefs und Oberbefehlshabers. Er war 1955 als Stipendiat nach Deutschland gekommen, hatte in Aachen Luft- und Raumfahrttechnik studiert, sich promoviert, war in einem deutschen Luftfahrtunternehmen als führender Manager tätig und wurde 1974 von Suharto als Technologieberater berufen, um 1978 Forschungs- und Technologieminister zu werden. Er begründete eine (erfolglose) Luftfahrtindustrie, förderte die Nukleartechnologie und legte Grundsteine für eine stabilere Wirtschaftsentwicklung. Im März 1998 war Habibie zum Vizepräsidenten ernannt worden und löste bereits drei Monate später seinen politischen Ziehvater Suharto als dritter Präsident Indonesiens ab. 517 Tage war er im Amt und hatte bemerkenswerte Initiativen losgetreten. Zwar war er auf der einen Seite Vertreter des nach mehr als 30 Jahren abgehalfterten Systems, auf der anderen Seite aber klug und mutig genug, wesentliche Neuerungen und gesellschaftliche Fortschritte einzuleiten: Presse- und Meinungsfreiheit, Entlassung politischer Gefangener, freie Gewerkschaften und Parteien und sogar ein Unabhängigkeitsreferendum in Osttimor, der 1976 von Indonesien gewaltsam besetzten ehemaligen portugiesischen Kolonie, das dort dann 2002 in die Unabhängigkeit mündete.

Die angesprochene Reformasi kennzeichnet also den Schritt in eine Demokratie, wie sie von Habibie und fortschrittlichen Unterstützern eingeleitet worden war. Da er sich aber einer fortwährenden Anerkennung nicht sicher war, kandidierte er nicht für das Amt in freier Wahl, sodass 1999 mit Abdurrahman Wahid der vierte Präsident Indonesiens die begonnene Liberalisierung und Reformpolitik fortsetzen konnte. Und tatsächlich setzte vor einem Vierteljahrhundert eine ungeahnte gesellschaftliche Dynamik und Vielfältigkeit ein! Die Repräsentanz der Bevölkerung ist durch ein mehrfach geändertes Wahlverfahren gesichert: So steht nun am 14. Februar 2024 die direkte Wahl des Präsidenten und seines Vize an, außerdem werden sämtliche öffentlichen Körperschaften neu gewählt – 18 Parteien für das Landesparlament mit zwei Kammern sowie alle Gouverneure und Regionalparlamente in 38 Provinzen, Landräte und Bürgermeister mit mehr als 20.000 Posten. 240 Millionen Wahlberechtigte richten diese bislang größte demokratische Entscheidung aus.

Die zurückliegenden 25 Jahre sind allerdings nicht nur von positiven Bewegungen geprägt. Abgesehen von schwankenden wirtschaftlichen Zuständen und Entwicklungen haben auch Kräfte an Einfluss gewonnen, die Demokratisierungsprozessen kritisch bis ablehnend gegenüberstehen. Die weltweite Renaissance des Islam – in seiner gewaltbereiten Form des Islamismus – hat natürlich auch in Indonesien, dem Land mit den weltweit meisten Moslems, ihre Spuren gezeigt. Die herausragende Katastrophe war 2002 die „Bali-Bombe“, ein Attentat auf Bali mit mehr als 200 Toten. Es folgten weitere Anschläge und vor allem eine stillere Verbreitung des Wahhabismus, einer puristisch-traditionalistischen Richtung eines aggressiven Islam. Darüber hinaus machen selbstverständlich die weltweit zu verzeichnenden Kampagnen mit populistischen Methoden um autoritärere Herrschaftsformen auch vor Indonesien nicht halt. Die aktuelle Situation ist fragil, die Reformasi steht auf dem Prüfstand, und die anstehende Wahl wird zeigen, wie gefestigt die demokratische Einstellung der Bevölkerung tatsächlich ist, um individuelle wie auch staatliche Freiheit und Unabhängigkeit bewahren zu können.

Beschämende Ignoranz und vertane Chancen in Kassel

Im Sommer 2022 bot sich im Rahmen der internationalen Kunstausstellung documenta15 in Kassel die einzigartige Chance, Indonesien dem hiesigen Publikum näherzubringen, zumal ja von Anfang an das indonesische Künstlerkollektiv Taring Padi in deren Ausrichtung und Gestaltung eingebunden war – neben der federführenden Kuratoriumsarbeit des Kollektivs Ruang Rupa. Stattdessen lief die documenta15 Gefahr, aufgrund immer wieder geäußerter Antisemitismus-Vorwürfe vorzeitig abgebrochen zu werden. Was ist in jenem Kasseler Sommer nur so unsäglich schiefgelaufen?

Da muss man genau hinsehen: Die Documenta in Kassel sollte mitnichten eine Schau indonesischer Künste sein, es waren ja auch nur ein paar als Teilnehmer aus dem weltgrößten Archipel und Vielvölkerstaat eingeladen. Die spezifisch indonesische Komponente lag in der Berufung der Kuratoren. Das Documenta-Auswahlkomitee hatte entschieden, erstmals nicht wie üblich einen einzelnen Kurator mit der Ausrichtung der Weltkunstausstellung zu beauftragen, sondern ein Kollektiv. Es sollte also bewusst eine andere, eine alternative Auffassung von Kunstwerken und den damit im Zusammenhang stehenden Initiativen gezeigt werden – mehr Prozess als Produkt. Das Stichwort für die aus Indonesien stammende Gruppe Ruang Rupa lautete denn auch Lumbung: Zunächst ist der Begriff dem indonesischen Wort für (Reis-)Speicher entlehnt, meint aber nach Definition von Ruang Rupa eine Philosophie, die Folgendes im Blick hat und anstrebt:

Das Praktizieren von lumbung ermöglicht eine alternative Ökonomie der Kollektivität, des gemeinsamen Ressourcenaufbaus und der gerechten Verteilung. Lumbung basiert auf den Werten wie lokaler Verankerung, Humor, Großzügigkeit Unabhängigkeit, Transparenz, Genügsamkeit und Regeneration.“

Ungehörte, neue Töne einer neuen Welt?! Irritationen machten sich breit – vor allem im Rahmen des Kunsthandels. Ließ sich da etwas einkaufen oder verkaufen? Konnten einzelne Künstler als Alleinschaffende und vielleicht Stars vermarktet werden? Denn die Einladung zur Ausstellung in Kassel ging mehrheitlich an Kollektive, die nicht unbedingt mit fertigen Produkten anreisen wollten, sondern Kommunikation suchten, Prozesse im Rahmen der 100 Tage dauernden Ausstellung und darüber hinaus in Gang setzen wollten. Sobald erste Teilnehmer bekannt wurden, tauchten Vermutungen und Verdächtigungen auf, dass hier oder da israelkritischen Motiven oder anderen anti-kolonialistischen Themen Raum gegeben werden könnte. Und so setzte schon lange vor der Eröffnung eine Kampagne ein, in Kassel werde einem Antisemitismus Tor und Tür geöffnet. Diese Sorge und die Ungewissheit sowie Unerfahrenheit mit einem derart offenen Konzept beflügelten sodann eine kritische bzw. eher ablehnende Haltung gegenüber der Documenta.

Am 19. Juni 2022 platzte dann nach der offiziellen Eröffnung der Knoten: Auf einem riesigen Banner vor dem Hauptgebäude Fridericianum am Friedrichsplatz hatte das indonesische Kollektiv Taring Padi das Unrechtssystem unter Suharto thematisiert – „People’s Justice“. Auf diesem Wimmelbild waren Motive und Figuren abgebildet, die die Machtverhältnisse und das Unterdrückungssystem der Suharto-Ära verkörpern sollten. Darunter waren einige Figuren zu erkennen, die Symbole, Kostüme trugen, die sich als antisemitische Kennzeichen interpretieren lassen konnten. Vermeintlich sachkundige Beobachter identifizierten dieses Protest-Poster als Beleg für eine zweifelsfrei antisemitische Konnotation und Darstellung – und das in Deutschland, dem Land der Täter! Zunächst ist dann das Bild für einen Tag zu- und schließlich abgehängt worden. Der Skandal war da, und zwar auf mehreren Ebenen!

Eine Auseinandersetzung mit den Künstlern, ein Bemühen um eine Interpretation der Motive fand zunächst gar nicht statt. Warum auch? Hier konnten doch alle sehen – wenn auch nur durch die selektive Teildokumentation von drei oder vier ausgewählten Figuren –, dass eine antisemitische Provokation platziert werden sollte. Der Bannstrahl traf alle, nämlich diejenigen, die sich durch diese Motive verwirrt, irritiert, empört fühlten – diejenigen, die das differenzierter hatten sehen und interpretieren wollen – diejenigen, die das Gesamtbild als kreativen und gelungenen Protest gegen das System ansahen – und schließlich auch das Künstlerkollektiv, das sich zunächst nicht hatte erklären können – und natürlich die Kuratoren, die Derartiges hatten aufhängen lassen.

Diese – in meinen Augen merkwürdige – Reaktion prägte in den folgenden Monaten die oft unsachliche und voreingenommene Diskussion um die Documenta. Eine Schließung wurde sogar in Erwägung gezogen. Es hagelte Proteste, Köpfe rollten, Strukturen wurden infrage gestellt. Unterschiedliche Bemühungen um eine nüchterne, sachgerechte, kritische Analyse waren wenig erfolgreich. Immerhin war das allgemeine, das „normale“ Publikum nicht wirklich verschreckt, denn die Besucherzahlen spiegelten keine breite Empörung oder Ablehnung wider. Eine konstruktive Konfliktlösung kam nur oberflächlich zustande, weil auch nach der Ausstellung weitere berufliche Engagements der Kuratoren beeinträchtigt bzw. beschränkt wurden.

Ich habe die ganze Geschichte als peinlich und höchst unangemessen empfunden. Selbst wenn einzelne Motive des Banners eine vermeintlich antisemitische Interpretation zulassen sollten, habe ich die aufgeheizte und kampagnenhaft angestachelte Empörung als völlig überzogen erlebt. Kunst- und Meinungsfreiheit sind hier sondergleichen verletzt und verhunzt worden – eine erschreckende Erfahrung!

Die Deutsch-Indonesische Gesellschaft hatte einen Appell zur sachbezogenen und historisch-einordnenden Beschäftigung veröffentlicht. Henry Urmann und Hans-Jürgen Weißbach publizierten eine Analyse mit dem Titel „Poetic Justice des Globalen Südens“, in der sie die Ikonografie des Skandalbildes aufschlüsseln.

Bedeutsame politische Weichenstellung

Bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 14. Februar darf der amtierende Präsident Joko Widodo – kurz „Jokowi“ genannt – nach zwei Amtszeiten laut Verfassung nicht erneut kandidieren. Wie ist dieser Wahlkampf bis dato verlaufen, und wie viele Parteien nehmen daran teil?

Jokowi hat 2014 und 2019 zweimal gegen den damaligen Mitbewerber Prabowo die Wahlen zum Präsidentenamt gewonnen. Der Forstwirt und Möbelhändler Joko Widodo war zunächst Bürgermeister seiner Heimatstadt Solo und anschließend Gouverneur der Hauptstadt Jakarta. Er hat sich einen guten Namen im Kampf gegen die Korruption, als Initiator weitreichender Infrastrukturentwicklungen gemacht, hat die Rolle des Militärs zurückgefahren und fand landesweit viel Zustimmung und Sympathie – unter anderem, weil er frei von einer Gefolgschaft der Suharto-Ära war.

Kritisch betrachtet und umstritten sind eine Reihe von Gesetzen zum Arbeitsrecht und zur Sexualmoral, die den Ruf Jokowis infrage gestellt haben. Außerdem wird dem amtierenden Präsidenten nachgesagt, er habe sich zu weit zugunsten seiner Söhne im Wahlkampf positioniert. Zudem berief er Prabowo, den unterlegenen Gegner der früheren Wahlkämpfe, als Verteidigungsminister in sein Kabinett. Dessen Biografie belegt nicht nur eine Ausbildung bei der Eliteeinheit GSG-9 in Deutschland, sondern auch fragwürdige und umstrittene militärische Operationen und Menschenrechtsverletzungen im Verlauf innenpolitischer Auseinandersetzungen bis Ende der 1990er–Jahre. Er war zudem mit einer Tochter von Suharto verheiratet.

Für die nun anstehenden Wahlen, bei denen der Kandidat für das Präsidentenamt zugleich jeweils seinen Vize mit angeben muss, haben sich drei Konstellationen gebildet: [1] Das Gespann Anies Baswedan (ehemaliger Kulturminister und Gouverneur von Jakarta) mit Muhaimin Iskandar (früherer Arbeitsminister und stellvertretender Sprecher des Volksvertretungsrates – RW) [2] Prabowo Subianto (Verteidigungsminister, Ex-General und zweimal Gegenkandidat von Jokowi) mit Gibran Rakabuming (Bürgermeister von Solo und Sohn von Jokowi) [3] Ganjar Pranowo (Ex-Gouverneur Zentral-Javas) mit Mahfud MD (bis zu seinem Rücktritt am 31. Januar 2024 fungierte er als Koordinierender Minister für politische, rechtliche und sicherheitspolitische Angelegenheiten – RW).

Die aktuell veröffentlichten Befragungen und Wahlprognosen zeigen das Team Prabowo als die möglichen Gewinner. Falls keine absolute Mehrheit erreicht wird, folgt eine Stichwahl. Der Wahlkampf wird über weite Strecken hybrid geführt, die sogenannten sozialen Medien spielen eine große Rolle, wie auch Fernsehdebatten. Die Kandidaten betonen weitgehend, die derzeit erfolgreiche Politik fortsetzen zu wollen. Im internationalen Kontext kommen Fragen zu der Rolle des „Globalen Südens“ auf – gegenwärtig fokussiert auf die Entwicklung der BRICS-Staaten – und der Position Indonesiens. Die Entscheidung zur Verlegung der Hauptstadt von Jakarta nach Nusantara, einer gänzlich neu zu errichtenden Stadt auf Kalimantan, ist ein wichtiges Thema. Bemerkenswert ist, dass religiöse Themen bislang keine besondere Bedeutung hatten. Außerdem verlaufen die politischen Kontroversen wenig spektakulär und friedlich. Die maßgeblichen Stimmungs- und Meinungsmacher sind wohl den Eliten zuzurechnen, die sich in den zurückliegenden Jahrzehnten gehalten bzw. gebildet haben. Image und Charisma der Kandidaten dürften den Ausschlag geben, weniger politische Szenarien oder Parteiprogramme. Die tatsächlichen Herausforderungen für die kommende Präsidentschaft liegen nicht nur im wirtschaftlichen Wachstum, sondern auch im Umweltschutz, in der Gesundheits- und Bildungspolitik und eben auch in der Stabilisierung der zivilgesellschaftlichen demokratischen Prozesse.

Es scheint, als habe der Ex-General und Ex-Schwiegersohn Suhartos, Prabowo Subianto, die besten Chancen, nach zwei vergeblichen Anläufen nunmehr das höchste Staatsamt zu ergattern. Zeichnet sich da so etwas wie die indonesische Variante eines Polit-Schauspiels wie im nördlichen Nachbarland Philippinen ab, wo der Sohn des im Frühjahr 1986 mit Schimpf und Schande aus dem Amt gejagten Despoten Ferdinand E. Marcos im Mai 2022 als strahlender Sieger aus der Präsidentenwahl hervorging?

Wenn schon ein Vergleich, dann noch andere: Ähnlich der Entwicklung in den Philippinen bilden familiäre Verbindungen in Indien, Thailand, Kambodscha ein Sprungbrett für politische Ämter. In Indonesien zieht nach wie vor die frühere Präsidentin und Sukarno-Tochter Megawati als Vorsitzende der größten Partei die Fäden; deren Tochter ist Parlamentspräsidentin, und es gibt Ideen für höhere Ämter. Jokowi selbst hat mit dazu beigetragen, dass seine Söhne in aussichtsreiche Positionen gekommen sind. Diese Schritte kosten ihn allerdings Sympathien, denn es ist offensichtlich, wie vorteilhaft sich doch ein familiärer Hintergrund auswirkt. Uns mag das wie die Etablierung von Adelsgeschlechtern erscheinen, eine andere Sichtweise kann allerdings Vertrauen in bekannte Persönlichkeiten sein. Entsprechende Berichterstattung sieht die Demokratie gefährdet. Spekulationen und Interpretationen ist ansonsten im Moment viel Raum gegeben.

Brückenbauer und Grenzgänger

Sie sind langjähriger Präsident der Deutsch-Indonesischen Gesellschaft (DIG) in Köln. Da muss denn wohl viel Herzblut im Spiel sein: Was zeichnet diese Gesellschaft im Besonderen aus, und welcher Stellenwert kommt ihr in der interkulturellen Kommunikation in der Bundesrepublik zu?

Tja, seit mehr als 30 Jahren stehe ich dieser altehrwürdigen Gesellschaft vor. 1950 wurde sie im Umfeld der Universitäten Bonn und Köln und des Rautenstrauch-Joest-Museums gegründet – ein damals weitsichtiger und mutiger Schritt. Es war die erste bilaterale Verbindung zu der jungen Republik Indonesien, zu der es noch keine diplomatischen Beziehungen gab. Das erste indonesisch-deutsche Wörterbuch wurde von der DIG mitherausgegeben, Exkursionen wurden organsiert, die Schulbuchentwicklung unterstützt, und natürlich gab es Vorträge, Diskussionen und gesellschaftliche Veranstaltungen. Die 1952 in Bonn eingerichtete Botschaft stand in enger Verbindung zur DIG.

Lange Jahre waren die Programme der DIG von akademischen Interessen und Themen geprägt. Köln ist über Jahrzehnte ein Zentrum der Südostasien-Wissenschaften gewesen mit der Malaiologie, der Ethnologie, Musikologie, Geografie und den Tropen-Technologien an der Fachhochschule. Dieses Umfeld hat sich zwischenzeitlich stark verändert. Die Hochschulkontakte sind nicht mehr vergleichbar. Die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen veränderten sich ebenso. Tourismus ist – neben den wirtschaftlichen Verbindungen – das Bindeglied zwischen den Ländern.

Schwerpunkt der DIG ist der kulturelle Brückenschlag. Wir geben das einzige deutschsprachige Periodikum zu speziell indonesischen Themen heraus: „kita“ im Titel, was mitnichten etwas mit Kindertagesstätten zu tun hat, sondern der indonesische Begriff für „wir“ im inklusiven Sinne ist. Zu jeweils einem Schwerpunkt werden Originalbeiträge, übersetzte Artikel, viel Lyrik, Rezensionen und Sachthemen veröffentlicht. In Zusammenarbeit mit der Stiftung Asienhaus in Köln bieten wir Sprachkurse an. Jeweils im Herbst wird dort ein großer und populärer Indonesientag organisiert, auf dem neben einem Sachthema vor allem kulinarische Angebote viele Besucher anlocken. Ausstellungen, Filmabende, Vorträge, Diskussionen und auch informelle Unterstützung und Kontakte werden seitens des Vereins gegeben. Wir versammeln eine Reihe von Fachleuten und verfügen über Expertise im kulturellen Verbund zwischen Deutschland und Indonesien. Unsere Homepage www.dig-koeln.de und Facebook geben Auskunft über unsere Aktivitäten. Wir verstehen uns als Brückenbauer und Grenzgänger, um den Kontakt zwischen den Menschen, den Kulturen zu befördern, indem wir Begegnungen organisieren.

Diese „Kultur im Dialog“ wird von Ehrenamtlichen getragen. Lena Simanjuntak ist eine verlässliche Stütze für den Verein und mir eine Weggefährtin und Ehepartnerin, was wir durch eine traditionelle Hochzeit nach den Riten und Traditionen der Batak besiegelt haben.

Einige Vorhaben der DIG sind in Zusammenarbeit mit indonesischen Organisationen entstanden und zum Teil auch dort realisiert worden. Ansonsten suchen wir auch hier immer Partner für die gemeinsame Durchführung bestimmter Programme. Die Vernetzung ist der Schlüssel, um wirksame Kontakte in Gang setzen und auch umsetzen zu können. Neben unserer DIG, der ersten und somit ältesten, gibt es gegenwärtig noch fünf andere, nachdem vor etwa 30 Jahren mehr als zehn solcher Verbände existierten.

Ob sich eine derartige Organisation wie ein eingetragener Verein noch lange zu halten vermag, ist sowohl eine Generationenfrage – uns fehlt jüngerer Nachwuchs – als auch eine systemische Herausforderung: Jahresbeiträge, Rundbriefe, Mitgliederversammlungen, Amtsübernahme, etc. stellen sich als zunehmend schwierig dar. Es gibt derzeit andere, alternative Formen der Kommunikation und Verfahren, um Interessen und Interessenten zu bündeln. Damit müssen wir uns auseinandersetzen – auch eine Art von Kulturarbeit.

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