Zum fünften Mal ist Antony Blinken durch den Mittleren Osten gereist. Er besuchte Saudi-Arabien, Ägypten, Katar, Israel und die Palästinensische Autonomiebehörde im von Israel besetzten Westjordanland. An- und Abreise waren von Angriffen des US-Militärs in Syrien und Irak begleitet. Als Vergeltung für einen tödlichen Drohnenangriff auf die US-Militärbasis „Tower 22“ im syrisch-jordanischen Grenzgebiet, bei dem drei US-Soldaten getötet worden waren, feuerte die US-Armee 125 Raketen auf 85 Ziele an sieben Orten im syrisch-irakischen Grenzgebiet (2. Februar 2024). Mehr als 30 Zivilisten und Soldaten starben. In Bagdad wurden drei Angehörige von Hascht Schaabi bei einem Drohnenangriff auf ihr Fahrzeug getötet (8. Februar 2024). Von Karin Leukefeld.
Die US-Administration bezeichnet ihre Angriffe als „Selbstverteidigung“ und beruft sich auf Artikel 51 der UN-Charta. Die bewaffneten Gruppen des „Islamischen Widerstandes im Irak“ und Syrien haben seit Beginn des Krieges gegen Gaza mehr als 160 Mal US-Militärbasen im Irak, Syrien und Jordanien angegriffen. Sie fordern den Abzug der US-Truppen aus Syrien und ein Ende der US-geführten „Anti-IS-Allianz“, in deren Rahmen Soldaten aus Dutzenden Staaten u.a. im Irak stationiert sind. Dringlichstes Ziel für die Kampfverbände, die sich „Achse des Widerstandes“ nennen, ist das Ende der US-Unterstützung für den israelischen Krieg gegen Gaza und ein sofortiger Waffenstillstand. Die USA sprechen von „Stellvertretern des Irans“ und machen den Iran für die Angriffe verantwortlich.
Skepsis und Absagen
Noch bevor Blinken wieder nach Washington zurückkehrte, wurde bekannt, dass seine Vermittlungsmission in der Region wenig Zustimmung erhielt. Ägypten drohte, den Friedensvertrag mit Israel (26. März 1979) zu lösen, sollte Israel die Palästinenser aus dem Gazastreifen in die ägyptische Wüste Sinai vertreiben. Saudi-Arabien ließ Blinken wissen, dass eine „Normalisierung“ der Beziehungen mit Israel nur in Frage käme, wenn der Krieg in Gaza beendet sei, die israelische Armee sich aus dem Küstenstreifen zurückgezogen habe und wenn Israel einen unabhängigen Staat Palästina in den Grenzen von 1967 mit Ostjerusalem als Hauptstadt anerkannt habe. In Katar wurde Blinken die „generell positive“ Reaktion der Hamas auf einen Waffenstillstandsplan mitgeteilt, der von den Geheimdiensten der USA (CIA), Israels (Mossad), von Ägypten und Katar vorgelegt worden war. In Tel Aviv allerdings machte Ministerpräsident Benjamin Netanyahu gegenüber Blinken klar, dass die von der Hamas vorgelegten Änderungen an dem Entwurf für ihn unakzeptabel seien. Israel werde „bis zum totalen Sieg“ die Hamas in Gaza bekämpfen, so Netanyahu. Er habe die israelischen Streitkräfte angewiesen, eine Offensive auf die südisraelische Stadt Rafah vorzubereiten.
Die Hamas hatte nach mehrtägigen Beratungen einem Vorschlag für einen Waffenstillstand prinzipiell zugestimmt, hat aber Berichten zufolge eigene Forderungen hinzugefügt. Der ursprüngliche Vorschlag war Ende Januar von Geheimdienstmitarbeitern des israelischen Mossad, der US-amerikanischen CIA, von Ägypten und Katar in Paris ausgehandelt worden. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters, die nach eigenen Angaben das Papier „eingesehen“ habe, soll die Hamas einen dreistufigen Waffenstillstand über 135 Tage (jeweils 45 Tage) vorgeschlagen haben, der zum Ende des Krieges führen solle.
Gaza in der Schwebe
Internationale und UN-Hilfsorganisationen warnen seit Tagen vor einem israelischen Großangriff auf Rafah, wo aktuell mehr als eine Million Menschen auf engstem Raum, in einfachen Zelten, in Regen und Wind versuchen, sich zu schützen. Neben Kämpfen zwischen israelischen Truppen und palästinensischen Kämpfern sind die Menschen ungebremsten Bombardierungen der israelischen Streitkräfte aus der Luft, von Land und vom Wasser ausgesetzt. Hilfslieferungen warten am Grenzübergang Rafah, weil die israelische Seite ihre Durchfahrt mit unübersichtlichen Kontrollen der Waren verzögert und verschleppt. Krankenhäuser werden von der israelischen Armee belagert und alle Zugänge gesperrt, bevor die Ärzte aufgefordert werden, die Einrichtung zu evakuieren.
Die Al Amal-Klinik in Khan Younis wurde Anfang der Woche (5. Februar 2024) nach einer 14-tägigen Belagerung von den israelischen Streitkräften zur Evakuierung von Kranken und schutzsuchenden Inlandsvertriebenen gezwungen. Rund 8.000 Menschen machten sich auf den Weg nach Rafah, das Israel trotz Markierung als „sicheres Gebiet“ seit Beginn des Krieges bombardiert. UNICEF und andere UN-Hilfsorganisationen sowie der UN-Generalsekretär António Guterres sprechen von katastrophalen, unhaltbaren Zuständen für die Bevölkerung. Für Kinder sei das Leben in Gaza ein „nicht endender Albtraum“, so ein UNICEF-Sprecher.
„Sollen wir alle verhungern?“
Ein Familienvater, der der Autorin bekannt ist, namentlich aber nicht genannt werden möchte, sandte nach langer Pause vor wenigen Tagen an seine Freunde in Deutschland die folgende Nachricht:
„Liebe Freundinnen und Liebe Freunde,
vor einer Woche mussten wir wieder unsere Notunterkunft verlassen, weil sie bombardiert wurde. Zum vierten Mal mussten wir unsere Habseligkeiten irgendwie zusammenpacken und wieder nach einer anderen Unterkunft suchen – und das, während um uns herum in Sichtweite geschossen wurde und Bomben fielen.
Auch wo wir jetzt sind, ist es jetzt eng und menschenunwürdig. Das Dach ist nicht dicht und der Regen kommt durch. Und es hat in letzter Zeit einige Tage ununterbrochen geregnet und es ist kalt. Als hätten wir nicht ohne den Regen schon genug Probleme zu bewältigen.
Der Platz in der Unterkunft reicht nicht für alle, deshalb schlafen die Männer reihum draußen im Zelt. Ich habe keine warmen Socken, keinen warmen Pullover. Nichts. Ich friere wie auch die anderen und kann deshalb nicht schlafen. Und ich kann auch nicht schlafen, weil um uns herum die Bomben zu hören sind und die Krankenwagen. Immer könnten wir auch getroffen werden. Seit vier Monaten ist dieser Gedanke, sind die Ängste, die Sorge um die Familie immer da. Nein, ich habe mich nicht an dieses Leben gewöhnt. Wir alle nicht. Und hinzukommt, dass wir uns von der Welt, von der Weltpolitik total verlassen fühlen.
Wir leben unter unvorstellbaren Bedingungen. Wir haben nichts getan und müssen leiden und die Welt schaut zu. Oder sie hat uns inzwischen vergessen.
Täglich kämpfen wir ums Überleben und sind immer damit beschäftigt, Lebensmittel zu finden. Alle sind wir dünner geworden, denn es gibt nicht genug zu essen. Die Hilfe durch die UNWRA kommt nur sehr langsam an und ist immer zu wenig. In den vergangenen Monaten habe ich kaum etwas davon bekommen.
Ich habe gehört, dass die Welt und auch Deutschland jetzt jede Lebensmittelunterstützung durch die UNWRA gestoppt haben. Ich kann es kaum glauben, denn das bedeutet, dass wir alle verhungern sollen. Wenn wir nicht durch Bomben sterben, sollen wir verhungern. Das will auch Deutschland? Was sagen meine Freundinnen und Freunde dazu? Lasst ihr uns alle verhungern?
Auf dem privaten Markt wird fast nichts mehr angeboten und wenn, dann zu astronomischen Preisen, die wir uns nicht leisten können. Sogar Grundnahrungsmittel sind unerschwinglich. 10 Eier kosten umgerechnet 8 Euro, 1Kg Zwiebeln auch 8 Euro. Babywindeln kosten das Paket mehr als
65 Euro. Gemüse, Salz, Zucker, Öl, das alles können wir uns nicht leisten. Seit Beginn des Krieges werden keine Medikamente für den privaten Markt mehr eingeführt. Unsere Gehälter haben wir seit Oktober nicht bekommen.
Das alles ist der Wahnsinn. Wie soll es weitergehen?
Unser Leben in Gaza ist unerträglich, weil wir
- von Tod und Zerstörung umgeben sind
- kein Dach über dem Kopf haben
- kaum etwas zu essen und zu trinken finden
- weil die Luft, die uns umgibt, durch Bombenexplosionen extrem verschmutzt ist
- weil Krankheiten und Verletzungen nicht behandelt werden können.
Damit uns ein kleines bißchen Hoffnung auf ein menschenwürdiges Leben bleibt, setzt euch bitte dafür ein, dass der Beschluss des Internationalen Gerichtshof für Gerechtigkeit!!! ICJ umgesetzt wird und dieser Wahnsinn mit einem vollständigen Waffenstillstand aufhört.
In der Hoffnung, dass dieser furchtbare Krieg sofort beendet wird, verbleibe ich mit traurigen Grüßen …“.
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