Im heute journal werden Kriege „gewonnen“

Im heute journal werden Kriege „gewonnen“

Im heute journal werden Kriege „gewonnen“

Ein Artikel von Marcus Klöckner

Eine Bankrotterklärung für die Nachrichten-Redaktion: Über sieben Minuten interviewt Dunja Hayali vom ZDF den „Militärexperten“ Carlo Masala im heute journal. Thema: Der Ukraine-Krieg. Sieben Minuten lang spielen sich die beiden die Bälle zu. Sieben Minuten, in denen Hayali und Masala im Gleichklang von einer „Allianz der Willigen“ sprechen. Mehr Waffen für die Ukraine? Selbstverständlich. Zweifel? Keine. Kritischer Journalismus? Unter den Rädern. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.

Das Interview, das das ZDF am Dienstag den Gebührenzahlern vorgesetzt hat, könnte inhaltlich direkt aus der NATO-Pressestelle kommen. Carlo Masala, Politikwissenschaftler von der Bundeswehr-Universität in München, ist im Hinblick auf den Ukraine-Krieg als Hardliner bekannt. Ginge es nach dem Spezialisten für Internationale Politik, würde die NATO die Ukraine mit maximaler Kraft „unterstützen“. Wer als Journalist Masala interviewt, weiß: Geliefert wird, was der Bestellung entspricht. Differenzierung, Grautöne, kritische Hinterfragung westlicher Tiefenpolitik und NATO-Märchen zum Krieg? Fehlanzeige! Dafür: Ein klar strukturiertes Feindbild.

Wer als Journalist für eines der Nachrichtenflaggschiffe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einen Experten wie Masala interviewen will, muss sich die Frage gefallen lassen: Warum solch ein Interview? Welchen Neuigkeitswert haben die in dem Interview getätigten Aussagen Masalas? Zusammengefasst hört sich das so an: Wenn die USA ihre „Unterstützung“ für die Ukraine zurückziehen, muss Europa mit genügend Kraft einspringen. Aber: Europa ist gespalten, „es muss Bewegung da reinkommen“, auf dem Schlachtfeld fehlt der Ukraine Munition.

Neuigkeitswert? Null. Das wurde alles schon von zahlreichen, den NATO-Erzählungen nahestehenden Experten, Journalisten und Publizisten gesagt. Nur: Vielleicht wurde es noch nicht von allen Bürgern gehört. Vielleicht hat die heute-journal-Redaktion deshalb Masala zum Interview gebeten. Doch wenn das die Motivation war, dann stinkt es nach Propaganda – die bekanntlich jeden Bürger erreichen will.

„Es braucht eine Allianz der Willigen“

Was auch immer die Motivation der verantwortlichen Redakteure war: Aus journalistischer Sicht wäre eine kritische Auseinandersetzung mit Masalas Standpunkt eine zwingend gebotene Notwendigkeit gewesen. Mehr Waffen? Warum? Sind hunderttausende tote, verstümmelte, schwer traumatisierte ukrainische und russische Soldaten noch nicht genug? Was bewirken mehr Waffen? Ist es nicht so, dass die „Eskalationsdominanz“ bei Russland liegt? Kann Russland nicht immer härter gegen eine durch Waffen stärker gemachte Ukraine vorgehen und durchgreifen – bis gegebenenfalls hin zum Einsatz von Atomwaffen? Wie viel Blut soll noch fließen, bevor die Waffen schweigen? Warum soll sich Deutschland überhaupt an einem Stellvertreterkrieg beteiligen? Oder handelt es sich etwa nicht um einen Stellvertreterkrieg? Welche Begründung würde der Experte anführen? Und vor allem: Wie würde so eine „Begründung“ aussehen, wenn man sich dabei nicht bis auf die Knochen blamieren möchte?

Nichts von alledem ist in Hayalis Interview zu hören. Stattdessen fragt die Journalistin:

Bräuchte es dann eine Allianz der Willigen (…)?

Masala antwortet:

Es braucht eine Allianz der Willigen (…).

Zwei Mal im Gleichklang die einprägsame Formulierung angeführt. Käme dieses Wortkonstrukt von einem NATO-PR-Berater: Er hätte zufrieden genickt. Und: „Allianz“ – der Begriff erinnert an Krieg der Sterne. Die „Allianz“, das waren „die Guten“. Irgendwo schwingt bei einem, vielleicht der Werbung nicht abgeneigten Zuschauer im Hinterkopf der Werbespruch mit: „Hoffentlich Allianz versichert“, schließlich: Versichert zu sein, das ist schon etwas Feines.

Anders gesagt: Auch in der Wahl der Formulierungen bestand Einigkeit. Genauso wie Aussagen, die in ihrer Banalität und ihrer beschönigenden Wirkung eigentlich nicht in eine seriöse Nachrichtensendung gehören: „Also ohne Material und ohne Mensch, also ohne Soldaten, kann man natürlich auch keinen Krieg gewinnen“, so die erfahrene Moderatorin.

Wo waren, so darf man fragen, die kritischen Redakteure im Hintergrund der Sendung, die Hayali wenigstens nach zwei Jahren Krieg vor der Sendung erklärt haben, dass Kriege nicht gewonnen werden können? Wenn erst einmal tausende, zehntausende und hunderttausende Soldaten blutgetränkt auf dem Schlachtfeld getötet wurden, dann sprechen allenfalls noch unverbesserliche Diplom-Euphemisten von einem „Gewinnen“. Mit „Gewinnen“ hat die Situation in der Ukraine schon lange nichts mehr zu tun. Verlierer sind alle. Doch es ist genau diese Sicht, der das heute journal Raum geben müsste.

Journalisten, die ihren Auftrag ernst nehmen, sind zur Abbildung der Realität verpflichtet. Die direkte oder indirekte Kriegstreiberei, sei es aus Unwissenheit oder welchen Gründen auch immer, gehört, allgemein gesprochen, nicht zur Aufgabe von Journalisten. Stattdessen tropft in diesem Interview aus allen Poren, was der US-amerikanische Soziologe Charles Wright Mills einmal als „militärische Metaphysik“ benannt hat. Das heißt: Die Logik des Kampfes und des Krieges hat die Wahrnehmung auf die Realität übernommen. Die Worte „Frieden“ und „Friedensverhandlungen“ kommen in dem gesamten Interview übrigens genau null mal vor. Das heute journal hat mit der Ausstrahlung dieses Interviews eine journalistische Bankrotterklärung abgegeben.

Titelbild: Screenshot ZDF.de

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