Im November 2019 wurde bekannt, dass der damalige und heutige israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu wegen Korruption vor Gericht muss. Dass Justizministerium hatte mitgeteilt, dass Netanjahu wegen Betrugs, Untreue und Bestechlichkeit angeklagt werde. Seine damaligen Regierungspartner standen geschlossen hinter ihm. „Er ist der Ministerpräsident des Staates Israel, und es gilt für ihn die Unschuldsvermutung“, sagte Verteidigungsminister Naftali Bennett. Für das UN-Hilfswerk zur Unterstützung und für Arbeit palästinensischer Flüchtlinge (UNRWA) gilt Artikel 11 der Internationalen Menschenrechtskonvention in Sachen Unschuldsvermutung offensichtlich nicht. Von Karin Leukefeld.
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Die israelische Kriegsregierung beschuldigt die UNWRA, „von der Hamas unterwandert“ zu sein. Deutsche Medien übernehmen weitgehend diese Darstellung des israelischen Inlandsgeheimdienstes Shin Bet und des Netanyahu-Büros. Die Bundesregierung hat – ohne eine sofort eingeleitete Untersuchung der UNRWA abzuwarten – in artiger Gefolgschaft der US-Administration die Zahlungen an die UNWRA eingestellt.
Das Ganze geschieht vor dem Hintergrund der Eilentscheidung des Internationalen Gerichtshofes (IGH, Den Haag, 26. Januar 2024), die Klage von Südafrika gegen Israel wegen Völkermordes im Gazastreifen anzunehmen. Gleichzeitig fordert der IGH Israel auf, völkermörderisches Vorgehen (der israelischen Armee) gegen die Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu unterbinden und humanitäre Hilfe für die Menschen dort zuzulassen. Die Eilentscheidung wurde mit großer Mehrheit der IGH-Richter getroffen. Lediglich einer oder zwei von 16 Richtern stimmten den einzeln abgestimmten Forderungen an Israel nicht zu
Israel hat das IGH-Statut nicht unterzeichnet und tut das Gegenteil von dem, wozu es vom IGH aufgefordert wird. Die Angriffe gegen die Palästinenser im Gazastreifen und im von Israel besetzten Westjordanland wurden verschärft und ausgeweitet. Dazu gehört die Kampagne gegen die UNWRA, die Israel seit seiner Gründung (1948) bekämpft.
Die Unterstützung der westlichen Staaten (USA, Deutschland, Großbritannien u.a.m.) für Israel könnte den Straftatbestand der Beihilfe zum Völkermord erfüllen, sagt der ehemalige Direktor des Büros des Hochkommissariats für Menschenrechte in New York, Craig Mokhiber, im Gespräch mit dem Journalisten Chris Hedges. Mokhiber, der seit 1992 für die UN u.a. als UN-Menschenrechtsbeauftragter in Afghanistan, Palästina und Sudan gearbeitet hat, trat Ende Oktober 2023 unter Protest von seinem Posten zurück, weil die Vereinten Nationen nicht in der Lage waren, die Palästinenser zu schützen.
Israel will die UNRWA ausschalten
„Palästinenserhilfswerk UNRWA „von Hamas infiltriert“ meldeten deutsche Medien am Donnerstagmorgen (1. Februar 2024) unter Verweis auf eine Präsentation des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu vor Diplomaten in Jerusalem am Vorabend (31. Januar 2024). Das Hilfswerk sei „komplett von der Hamas infiltriert“, hatte dieser erklärt. Die UNRWA habe der Hamas gedient, unter anderem in Schulen. Ja, es werde eine Hilfsorganisation in Gaza gebraucht, sagte Netanyahu. Doch die UNRWA könne und werde das nicht sein. Die Medien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland gaben die Botschaft aus dem israelischen Kriegskabinett unisono mit der Schlagzeile „Netanyahu fordert Ende der UNRWA-Mission“ an die Öffentlichkeit in Deutschland weiter.
Angefangen hat die neue israelische Kampagne gegen die UNRWA am vergangenen Freitag (26. Januar 2024) mit der Erklärung des IGH zur Klage von Südafrika gegen Israel wegen möglichen Völkermordes gegen die Palästinenser.
Nahezu zeitgleich berichteten Medien, dass zwölf UNRWA-Mitarbeitern vom israelischen Geheimdienst vorgeworfen werde, an „Gräueltaten der Hamas (7. Oktober 2023) beteiligt“ gewesen zu sein. Das Internetportal Axios hatte zuvor einen israelischen Beamten ohne Namensnennung mit der Aussage zitiert, der israelische Inlandsgeheimdienst Shin Bet und die israelischen Streitkräfte (IDF) hätten Informationen über die „aktive Beteiligung“ von UNRWA-Mitarbeitern „größtenteils aus Verhören mit Kämpfern“ erhalten, die am 7. Oktober von den israelischen Streitkräften festgenommen worden waren. Diese UN-Mitarbeiter hätten demnach Fahrzeuge und Einrichtungen der Organisation für den Angriff am 7. Oktober benutzt. Belege für die Beschuldigung legte der israelische Beamte dem Medium nicht vor, das offenbar auch nicht danach fragte.
Unmittelbar nach Bekanntwerden des Axios-Berichts, der von CNN und Agenturen verbreitet und auch von deutschen Medien übernommen wurde, setzten die USA, Deutschland, Großbritannien, Kanada, Australien, Italien, die Niederlande, Finnland, Schottland, Japan und Österreich ihre Zahlungen an das wichtigste UN-Hilfswerk für die bedrängten Palästinenser im Gazastreifen, die UNRWA, aus. Deutsche Politiker forderten die EU auf, ihre Zahlungen an UNRWA einzustellen. Das US-Außenministerium forderte neben einer Untersuchung die Neuordnung der Arbeitsweise von UNRWA.
Die UNRWA leitete umgehend eine Untersuchung ein und entließ neun der zwölf von Israel Beschuldigten, um die Fortsetzung der Arbeit im Gazastreifen sicherzustellen, wie die Organisation mitteilte. Nach Angaben aus palästinensischen Kreisen sollen drei der Beschuldigten bei israelischen Angriffen auf den Gazastreifen, teilweise mit ihren Familien, getötet worden sein.
UNRWA war so sehr unter Druck, dass die Entlassung der UNRWA-Mitarbeiter erfolgte, obwohl sie nicht von einem Gericht angeklagt, sondern von einem interessierten Geheimdienst beschuldigt worden waren. Die eingeleitete Untersuchung hatte nicht einmal begonnen, und die Betroffenen konnten sich nicht verteidigen oder überhaupt zu den Anschuldigungen äußern.
Am 29. Januar 2024 legte der israelische Inlandsgeheimdienst nach und präsentierte – dieses Mal der Nachrichtenagentur Reuters – ein sechsseitiges Dossier, in dem 190 UNRWA-Mitarbeiter, darunter auch Lehrer, als „abgebrühte Kämpfer, Mörder“ von Hamas oder dem Islamischen Jihad dargestellt werden.
Politisches Manöver
Dass es bei den Anschuldigungen gegen die UNRWA-Mitarbeiter nicht um Aufklärung und Wahrheitsfindung, sondern um politische Interessen Israels ging, wurde noch am gleichen Tag deutlich. Der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant bedankte sich bei der Biden-Administration für den „wichtigen Schritt, UNRWA zur Rechenschaft zu ziehen“. Der israelische Außenminister Israel Katz forderte die Entlassung von Philippe Lazzarini, dem UNRWA-Kommissar. Er werde in den USA, Europa und bei anderen Partnern Israels dafür werben und sicherstellen, dass UNRWA am Ende des Gaza-Krieges „keine Rolle“ mehr spielen werde, so Katz.
Dass es sich um ein politisches Manöver Israels handelt, macht auch der Zeitpunkt klar, zu dem die Anschuldigung gegen die UNRWA – von einem „anonymen israelischen Beamten“ über ein ausgewähltes Nachrichtenportal – bekannt wurde. Es war nahezu zeitgleich, als der Internationale Gerichtshofes (IGH) in Den Haag bekannt gab, dass er die Klage von Südafrika gegen Israel annehmen werde. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu wies die IGH-Stellungnahme umgehend zurück. Israel halte sich an das internationale Recht und ebenso an die „heilige Verpflichtung“, Israel und das israelische Volk zu verteidigen, so Netanyahu in einer kurzen Video-Erklärung. Der Vorwurf gegen Israel, einen „Völkermord“ zu begehen, sei nicht nur falsch, sondern ungeheuerlich und diskriminierend gegen den „jüdischen Staat“. Am Vorabend des internationalen Holocaust-Gedenktages (27. Januar 2024) fordere er „Nie wieder“. Hamas sei eine „völkermörderische Terrororganisation“, gegen die Israel sich verteidige. Palästinensische Zivilisten würden von den israelischen Streitkräften geschützt, obwohl die Hamas sie als „menschliche Schutzschilde“ benutze. Israel werde humanitäre Hilfe für die Menschen ermöglichen.
Das IGH-Verfahren der von Südafrika eingereichten Klage, gemäß der UN-Konvention zur Verhinderung und Bestrafung von Völkermord im Gazastreifen, war weltweit mit großer Aufmerksamkeit und vielen Demonstrationen für die Palästinenser begleitet worden. Chile, Mexiko, Brasilien, Bolivien, Iran, Malaysia, die Türkei und Venezuela, die Malediven, Namibia und Pakistan schlossen sich der Klage an oder teilten ihre Unterstützung mit. Algerien, das aktuell die Gruppe der 22 arabischen Staaten bei den Vereinten Nationen im UN-Sicherheitsrat vertritt, beantragte eine Debatte im höchsten UN-Gremium. Der Sicherheitsrat müsse sicherstellen, dass die vorläufige IGH-Entscheidung umgesetzt werde, hieß es in einer Erklärung des Algerischen Außenministeriums.
In Deutschland wurde die IGH-Erklärung von dem „Skandal bei der Terror-Behörde UNRWA“ übertönt, der weiter die Schlagzeilen füllt.
In der Debatte im UN-Sicherheitsrat am vergangenen Mittwoch wurde erneut von zahlreichen Teilnehmern ein sofortiger Waffenstillstand in Gaza gefordert. Israel müsse sich an die vom IGH erlassenen Maßnahmen halten und den Schutz der Zivilbevölkerung und die Verbesserung der humanitären Lage sicherstellen. Mehrheitlich wurde die weitere Unterstützung der UNRWA gefordert, die von UN-Generalsekretär Antonío Guterres und anderen UN-Offiziellen als „Rückgrat der humanitären Hilfe im Gazastreifen“ bezeichnet wurde.
Auch die neu ernannte UN-Koordinatorin für den Gazastreifen, Sigrid Kaag, erklärte, es gebe keine Alternative zur UNRWA und deren lebensrettende Unterstützung für die 2,3 Millionen Palästinenser, die im Gazastreifen seit fast vier Monaten um ihr Überleben kämpfen. Die UNRWA verfüge über die besten Kontakte zur Bevölkerung, habe ein gut ausgebautes Netz und sei mit 13.000 Mitarbeitern im Gazastreifen die wichtigste Organisation, da sie die Menschen erreiche.
Die US-Vertreterin erklärte, der IGH habe keinen Waffenstillstand gefordert und damit das Recht von Israel auf Selbstverteidigung anerkannt. Vorwürfe, dass Israel gegen die Palästinenser einen Völkermord begehe oder gegen die Konvention zum Schutz vor Völkermord verstoße, seien „unbegründet“.
Im Fokus
Seit Israel seinen „Verteidigungskrieg“ gegen die 2,3 Millionen Bewohner des Gazastreifens vor vier Monaten begonnen hat, um die Hamas zu vernichten, werden die Vereinten Nationen und ihre Hilfsorganisationen von Israel attackiert. Im Fokus stehen die Medien und UN-Organisationen, die vom ersten Tag an die massiven israelischen Angriffe auf die Zivilbevölkerung und auf die zivile Infrastruktur dokumentieren.
Nach Angaben des Komitees für den Schutz von Journalisten (CPJ) wurden seit dem 7. Oktober 2023 85 Journalisten und Medienmitarbeiter getötet: 78 Palästinenser, vier Israelis und drei Libanesen. Die Zahl der verletzten Journalisten wird mit 16 angegeben, vier Journalisten werden vermisst und 25 Journalisten wurden verhaftet. Zusätzlich meldet CPJ zahlreiche Übergriffe, Drohungen, Cyperangriffe, Zensur und die Ermordung von Familienangehörigen von Journalisten.
Die Weltgesundheitsbehörde (WHO), die nahezu täglich über Angriffe auf Krankenhäuser, Ambulanzwagen, Ärzte und medizinisches Personal berichtet, wurde zuletzt der „Absprachen mit der Hamas“ beschuldigt. Hamas habe „den gesamten zivilen Raum des Gazastreifens militarisiert“, sagte die israelische Botschafterin bei den Vereinten Nationen in Genf, Meirav Eilon Shahar (26. Januar 2024). „Jedes einzelne Krankenhaus, das die israelischen Streitkräfte durchsucht haben, wies die militärische Nutzung der Hamas auf.“ Die WHO habe diese „unbestreitbaren Tatsachen ignoriert“, fuhr Shahar fort. „Das ist keine Unfähigkeit, das ist Absprache.“ Die WHO wies die Anschuldigungen zurück.
Der schwerste und folgenschwerste Angriff Israels trifft die UNRWA, die mit Hilfslieferungen wie Zelten, Decken, Matratzen, Lebensmitteln, Wasser und Treibstoff für Generatoren und Stromversorgung die Menschen im Gazastreifen unterstützt. 13.000 Mitarbeiter hat UNRWA im Gazastreifen, die als Lehrer, Ausbilder, Sozialarbeiter, Ärzte und Krankenpflegepersonal arbeiten. Keine andere Organisation ist so lange mit den Palästinensern verbunden, kennt ihre Sorgen und Nöte und kann sie erreichen. 152 Mitarbeiter, teilweise mit ihren Familien, wurden bei israelischen Raketen- und/oder Bombenangriffen seit dem 7. Oktober 2023 getötet. Bei 278 Angriffen auf UNRWA-Schulen und Lager, UNRWA-Kindergärten und Ausbildungszentren wurden 147 ganz oder teilweise von der israelischen Armee zerstört. Dabei wurden nach vorläufigen Angaben 376 Inlandsvertriebene, die in den UNRWA Einrichtungen Schutz gesucht hatten, getötet und 1.365 der Schutzsuchenden wurden verletzt. Von 22 medizinischen Versorgungszentren der UNRWA im Gazastreifen, sind nur noch vier funktionsfähig.
Die jüngste Zahl der getöteten Palästinenser im Krieg gegen Gaza wird mit 27.019 angegeben, die Zahl der Verletzten mit 66.139. Die wiederholt nach unten korrigierte Zahl der Israelis, die bei dem Angriff palästinensischer Kämpfer am 7. Oktober getötet wurden, liegt aktuell bei 1.139. (Stand 1. Februar 2024)
Humanitäre Jahrhundertkatastrophe
Obwohl die UNRWA seit der Gründung 1949 von Israel mit zahlreichen falschen Anschuldigungen denunziert wird, war die israelische Propaganda gegen das Hilfswerk nie so massiv wie aktuell. Israel will die UNRWA vernichten und wird dabei von den größten Geberländern der Hilfsorganisation, von den USA, Deutschland und 14 weiteren Partnerländern Israels unterstützt. 16 Staaten haben ihre Geldzahlungen an UNRWA eingestellt, insgesamt rund 440 Millionen US-Dollar.
Für das Jahr 2022 hatte die UNRWA einen Jahreshaushalt von 1,17 Milliarden US-Dollar sicherstellen können. 89,2 Prozent dieses Betrags wurde durch Spenden von UN-Mitgliedsstaaten und die Europäische Union erbracht. Der Rest kam aus dem regelmäßigen Jahresbudget des UN-Sekretariats. Durch private Spenden und Partnerschaften konnten 2022 weitere 15,4 Millionen US-Dollar eingeworben werden.
Die USA, Deutschland, die Europäische Union und Schweden waren mit 61,4 Prozent die größten Geldgeber 2022. Durch die Entscheidung von 16 israelischen Partnerländer, ihre Unterstützung für UNRWA einzustellen, fehlen der Organisation aktuell 440 Millionen US-Dollar für die Versorgung von mehr als zwei Millionen Menschen im Gazastreifen.
„Während der Krieg in Gaza ungebremst fortgesetzt wird und der Internationale Gerichtshof mehr humanitäre Unterstützung einfordert, muss die UNRWA gestärkt und nicht geschwächt werden“, erkärte UNRWA-Kommissar Philippe Lazzarini. Er forderte wie zahlreiche UN- und private Hilfsorganisationen, ehemalige und aktive Staatschefs, Hunderttausende von Menschen in der ganzen Welt und UN-Generalsekretär António Guterres die Länder, die ihre Hilfen eingestellt haben auf, ihre Entscheidung rückgängig zu machen. Falls die finanzielle Hilfe für die Arbeit von UNRWA ausbliebe, „werden wir voraussichtlich gezwungen sein, unsere Arbeit Ende Februar einzustellen – nicht nur in Gaza, sondern in der ganzen Region“.
Die UNRWA inmitten der schwersten humanitären Jahrhundertkatastrophe mit dem Entzug von Geldzahlungen zu bestrafen, sei kollektive Bestrafung der (palästinensischen) Flüchtlinge, erklärte Luna AbuSuwaireh, Leiterin des Zentrums für die Studien der Arabischen Einheit (Beirut). Im Gespräch mit der Autorin gab sie zu bedenken, dass die palästinensischen Mitarbeiter von UNRWA in erster Linie Palästinenser seien. In zweiter Linie seien sie Flüchtlinge oder Nachfahren von Flüchtlingen, die 1948 aus ihrer Heimat fliehen mußten, und drittens seien es Menschen, die in den vergangenen 17 Jahren im belagerten Gazastreifen gelebt hätten. Sollten sie – was ihnen vorgehalten werde – in sozialen Medien ihre Gefühle oder ihre Meinung zu einem Geschehen ausgedrückt haben, das für sie „die Möglichkeit von Freiheit“ bedeute, müsse man das in einem größeren Zusammenhang verstehen. Dieser Zusammenhang seien „Jahrzehnte der Unterdrückung, der Enteignung, von Morden, Festnahmen und kollektiver Bestrafung“, so Abu Suwaireh. „Warum werden nicht israelische Politiker bestraft, die Palästinenser entmenschlichen und sie „Tiermenschen“ nennen, die zum Mord aller Palästinenser aufrufen? Die eine Atombombe auf Gaza fordern?“ Stattdessen würden sie unterstützt, finanziert und für ihre völkermörderischen Taten und Absichten bewaffnet.
PLO-Generalsekretär Hussein al-Sheikh erklärte, die humanitäre Hilfe für die Bevölkerung in Gaza sei dringend notwendig und dürfe nicht eingestellt werden. Die Staaten, die ihre Hilfszahlungen an die UNRWA eingestellt hätten, sollten „ihre Entscheidung rückgängig machen“.
Die Demokratische Front für die Befreiung Palästinas (DFLP) warf den USA und Israel einen „direkten Angriff auf die palästinensischen Flüchtlinge und ihr Recht auf Rückkehr“ vor. UNRWA sei „die wichtigste Quelle für Bildung, Gesundheit und andere soziale Dienste für Millionen von Flüchtlingen, die im Gazastreifen, im Westjordanland, Jordanien, Libanon und Syrien leben“, hieß es in einer Erklärung. Die Vorwürfe Israels gegen die UNRWA seien „inkorrekt“, so die DFLP. Tatsächlich gehe es darum, dass UNRWA – nach dem Willen Israels und seiner Partner – (nach dem Krieg in Gaza) ausgeschaltet werden solle.
„Die Zerstörung der UNRWA muß sofort beginnen“
Tatsächlich hatte es Anfang Januar 2024 im israelischen Parlament (Knesset) eine Sitzung des Unterkomitees für Außenpolitik und öffentliche Diplomatie gegeben, bei der es auch um die UNRWA ging. Aus Erklärungen von einigen der Teilnehmerinnen geht hervor, dass der Entzug der Gelder für die UNRWA nichts mit Vorhaltungen gegen Mitarbeiter der Organisation zu tun hat
Einige der Argumente, die von den Teilnehmern gegen die UNRWA vorgebracht wurden, wurden von der israelischen Menschenrechtsaktivistin Ghada Majadli über Twitter der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Demnach hatte Noga Arbel, Forscherin des Kohalet-Forums, bei der Sitzung erklärt, dass „das palästinensische Bildungssystem die schwerste Bedrohung für die Sicherheit von Israel sei. Die UNRWA sei „der Kern des Problems“, so Arbel. Wenn man es UNRWA erlaube, das Problem des palästinensischen Exodus fortzusetzen, werde die Gefahr wachsen. Es werde unmöglich sein, den Krieg zu gewinnen, wenn „wir UNRWA nicht zerstören“, so die Forscherin weiter. „Und die Zerstörung muss sofort beginnen.“
Ein anderer Teilnehmer hatte erklärt, dass UNRWA in den 1960er-Jahren von den palästinensischen Flüchtlingen übernommen (Original: hijacked) worden sei. UNRWA sei eine palästinensische Organisation geworden, die ständig die Idee der Flüchtlinge und das Recht auf Rückkehr betone, mit dem Ziel, den Konflikt aufrechtzuerhalten.“
Palästina lebt
Die UNRWA wurde 1949 von der UN-Generalversammlung gegründet, um die 750.000 Palästinenser zu unterstützen, die vor und nach der gewaltsamen Gründung des Staates Israel (1947-1949) aus ihren Wohnungen und Häusern vertrieben worden waren. Anfangs unterstützte die UNRWA auch noch einige der 150.000 Palästinenser, die in dem Gebiet blieben, das von Israel (1949) besetzt worden war. Dabei handelte es sich um 78 Prozent des Gebietes, das 1947 im UN-Teilungsplan in einen jüdischen Staat (rund 56 Prozent des britischen Mandatsgebiets) und einen arabischen Staat (rund 43 Prozent) aufgeteilt worden war.
Die von Israel gewaltsam vertriebenen Palästinenser suchten Zuflucht in Jordanien, Syrien, Irak und in Gaza, das damals unter ägyptischer Kontrolle stand. UNWRA versorgte die Flüchtlinge mit Nahrungsmitteln, Zelten, medizinischer Hilfe, mit Schulunterricht und Ausbildungskursen. Mit der Zeit wurden Palästinenser für diese Dienste und Arbeiten angestellt, das Angebot wurde von Tausenden Palästinensern angenommen, die ihr Land, ihre Geschäfte, ihre Arbeit durch die Vertreibung verloren hatten.
UNRWA verfügt heute über rund 30.000 palästinensische Angestellte und versorgt 5,7 Millionen palästinensische Flüchtlinge und ihre Nachfahren in Ost-Jerusalem, im Westjordanland und Gaza sowie in Jordanien, Libanon und Syrien. Mit ihrem Bildungs- und Ausbildungsprogramm hat UNRWA unter den palästinensischen Flüchtlingen einen wachsenden Kern von gut ausgebildeten Fachkräften und Lehrpersonal geschaffen, das beim Aufbau eines palästinensischen Staates ohne Weiteres wichtige Aufgaben übernehmen kann.
Die „Zweistaatenlösung“ allerdings, an die viele Palästinenser in den 1990er-Jahren noch glauben wollten, ist angesichts der 17-jährigen Abriegelung des Gazastreifens, der anhaltenden Verhinderung ökonomischer Entwicklung Palästinas und der massiven Landnahme durch extremistische Siedler im Westjordanland in weite Ferne gerückt. Israel ist nicht an einem gleichberechtigten Staat Palästina interessiert, wie die jüngsten Äußerungen von Politikern und Militärs in Israel zeigen, die eine Vertreibung der Menschen aus Gaza in die Sinai-Wüste und aus dem Westjordanland nach Jordanien propagieren. Das israelische Kriegskabinett billigt die Zerstörung jeglicher ziviler Infrastruktur im Gazastreifen, und Minister der Netanyahu-Regierung präsentieren öffentliche Pläne, den Gazastreifen neu zu besiedeln. Die Staaten, die Israel angesichts dieser Politik weiter unterstützen, haben seit Jahrzehnten nichts für die Durchsetzung eines Staates Palästina getan.
Israel verweigert den Palästinensern ihr Recht auf Rückkehr nach Palästina, und es verweigert das Recht auf Kompensation für ihre verlorenen Lebensgrundlagen, wie es die UN-Generalversammlung 1948 mit der UNGA-Resolution 194 festgelegt hatte. Das UN-Hilfswerk für die Unterstützung und für Arbeit der palästinensischen Flüchtlinge (UNRWA) erinnert nicht nur Israel, sondern die Welt ständig daran, dass es ein palästinensisches Volk gibt, auf dessen rechtmäßigem Boden – gegen jedes internationale Recht – Israel errichtet wurde.
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