Die szenische Lesung der „Correctiv-Recherchen“ am Theater „Berliner Ensemble“ zu einem Treffen mit Rechtsextremen ist fragwürdig. Dazu kommt noch, dass weite Teile der etablierten Kulturszene in den vergangenen Jahren (bestenfalls) geschwiegen haben, als es darauf angekommen wäre, gegen Corona-Maßnahmen, Sozialabbau oder eine gefährliche Außenpolitik „Haltung zu zeigen“. Auch dieses Schweigen hat die AfD großgemacht. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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Dass die Correctiv-„Recherchen“ zum Treffen mit Rechtsextremen* in Potsdam in einer szenischen Lesung am Theater Berliner Ensemble (BE) aufgeführt wurden, ist einer der merkwürdigen Aspekte in der an merkwürdigen Aspekten reichen Geschichte um das Treffen und die Art und Weise seiner „Aufdeckung“.
Noch merkwürdiger wird es, wenn auf der Bühne nicht nur Bekanntes künstlerisch wiedergegeben wird, sondern die Bühneninszenierung Teil der Investigativ-Inszenierung wird, wie das Portal für Theaterkritiken Nachtkritik beschreibt:
„Kay Voges, Regisseur und Intendant des Wiener Volkstheaters Wien, bringt die Recherche in Form einer szenischen Lesung auf die Bühne des Berliner Ensembles. Gemeinsam mit ‚Correctiv‘ wurden in der Lesung ‚CORRECTIV enthüllt: Rechtsextremer Geheimplan gegen Deutschland‘ am 17. Januar 2024 weitere, bis dahin unveröffentlichte Details live bekannt gegeben.“
Zahlreiche Theater in ganz Deutschland haben dem BE nachgeeifert, etwa in Potsdam. Das Staatsschauspiel Dresden zeigte gemeinsam mit vielen anderen Theatern – u. a. dem Schauspielhaus Bochum, Staatstheater Hannover, Volkstheater Wien, Volkstheater Rostock und dem Theater Oberhausen – den Livestream. Ein „Liveticker“ bei Correctiv zählt zusätzlich zahlreiche teilnehmende Theater auf.
„Denn woher hat Correctiv die hier vermittelten Informationen?“
Ein Artikel in der taz stellt auch Fragen zu der Lesung im BE:
„Es war ein Balanceakt, wohl nicht nur auf Messers Schneide der Kunstfreiheit, wie es im Stück immer wieder ironisiert wurde, sondern auch auf Messers Schneide der journalistischen Sorgfaltspflicht. Denn woher hat Correctiv die hier vermittelten Informationen?“
Anscheinend häufen sich die Fragen zur Verbindung zwischen Correctiv und Theatern, denn das „Recherchezentrum“ hat eine Seite mit „häufig gestellten Fragen“ extra zum Vorgang am BE erstellt. Die „fragwürdige Finanzierung und Zertifizierung“ von Correctiv hat Florian Warweg kürzlich in diesem Artikel thematisiert.
Die taz beschreibt außerdem, „dass sich über 40 Theater, Opernhäuser, Festivals und Kultureinrichtungen aus ganz Deutschland an dem Stream beteiligten“. Ein Fazit der taz:
„So geschlossen zeigte sich Kulturszene schon sehr lange nicht mehr.“
„Kampf gegen Rechts“: Der Beifall ist garantiert
Dieses Engagement der Kulturszene hätte man sich auch zu anderen Gelegenheiten gewünscht – etwa gegen Auswüchse der Corona-Politik, gegen die antirussischen Kampagnen seit 2014, gegen die Unterstützung von Rechtsradikalen in der Ukraine, gegen den neuen Zeitgeist der Militarisierung und sündhaft teure Aufrüstung, gegen auch daraus folgende Kürzungen beim Sozialstaat, gegen die Unterordnung unter US-Interessen, gegen den Nordstream-Terroranschlag, gegen eine Außenpolitik, die voraussehbar Flüchtlingsbewegungen auslöst, gegen einen Wirtschaftskrieg, der vor allem die Bürger hierzulande trifft, und gegen vieles andere mehr. Ein Eintreten gegen diese Entwicklungen hätte tatsächlich Mut erfordert. Und es wäre ein wirksamer Kampf gegen „Rechts“ gewesen.
Der aktuelle „Kampf gegen Rechts“ in Form von Großdemos und Lesungen an zum Teil öffentlich subventionierten Theatern erfordert diesen Mut meiner Meinung nach nicht in vergleichbarer Weise: In diesem Fall ist der tosende Applaus von fast allen Politikern und Journalisten garantiert. Ich möchte aber weder die Theatermacher noch die zahlreichen Bürger aus diesem Grund diffamieren: Ein voraussehbarer Applaus entwertet nicht automatisch ein Engagement, auch wenn er von allzu heroischen Posen abhalten sollte. Man könnte zusätzlich sagen: besser spät als nie. Viele der Demonstranten gehen momentan sicherlich aus ehrlichem Engagement und gutem Glauben auf die Straße.
Wie die etablierte Kulturszene sich angepasst hat
Trotzdem entsteht momentan ein schaler Beigeschmack. Und das ist meiner Meinung nach vor allem durch den Kontrast begründet, wenn man das jetzige Engagement Kulturschaffender mit dem (bestenfalls) dröhnenden Schweigen von weiten Teilen der etablierten Kulturlandschaft zu den oben genannten Themen vergleicht.
Die NachDenkSeiten haben das angepasste Verhalten vieler Akteure aus dem Kulturbetrieb in zahlreichen Artikeln thematisiert: Die Anbiederung der Filmszene an die NATO-Propaganda wurde in den Artikeln Berlinale huldigt Selenski: Roter Teppich für die NATO und Roter Teppich für Hillary: Clinton-Propaganda auf der Berlinale aufgegriffen. Wie mit kulturellen Preisverleihungen politische Meinungsmache betrieben wird, ist im Artikel Kulturpropaganda und Preisverleihungen thematisiert. Auf konkrete Preisverleihungen wird auch in den Artikeln Karlspreis für das Kriegs-Maskottchen (und noch mehr Preis-Propaganda …) oder Die Russen sind „Unrat“: Pamphlet erhält den „Friedenspreis“ des Buchhandels oder Kulturpropaganda bei Leipziger Buchmesse: Wenn Spaltung zu „Verständigung“ erklärt wird eingegangen. Wie sich das auf eine allgemeine Verrohung auswirkt, ist Thema im Artikel Die Hasssprache im Mainstream: Menschen sind „Ratten“, „Dünger“, „Schweine“. Wie „Kulturstaatsministerin“ Claudia Roth zum Boykott eines unbequemen Künstlers aufruft, steht hier, mehr zu Cancel Culture etwa im Artikel Ganser, Netrebko, Waters: Säubert die Bühnen!. Die von manchen Medien vorgenommene Einteilung der Kulturszene während der Corona-Politik wurde im Artikel Gute Künstler, böse Künstler beschrieben. In diesem Artikel wurde gefragt: Künstler und Corona-Kritik: Wo seid ihr alle hin? Das opportunistische Verhalten vieler TV-„Kabarettisten“ ist Thema im Artikel Jämmerliches „Kabarett“: TV-Satiriker schützen die Kriegspolitik.
Die Verwirrung um die Begriffe
Außerdem ist ein „Kampf gegen Rechts“ aller Ehren wert – aber man sollte sich darüber einig sein, was „Rechts“ und „Links“ inzwischen eigentlich bedeutet. Begriffsumdeutungen (etwa zu „linksgrün“ oder „pseudo-links“) machen diese Verständigung kompliziert.
Das, was momentan unter dem Label „Verteidigung der Demokratie“ auf den Straßen und auf den Theaterbühnen passiert, ist meiner Meinung nach kein Kampf gegen rechte Politik. Rechte Politik ist verantwortlich dafür, dass die AfD so groß werden konnte: Der Erfolg der AfD war absolut voraussehbar.
Wer der Politik der vergangenen Jahre nicht entgegengetreten ist, sollte auch nach der eigenen Verantwortung für das Erstarken der Rechten fragen, ebenso, wer sich mit der jetzigen Politik der Ampel identifiziert. Dass die Losung „Die Ampel muss weg!“ voll zutrifft, dass sie aber in der gegenwärtigen verfahrenen Situation auch zu kurz greift, wird in diesem Artikel besprochen. Wenn die jetzigen Demonstranten „für Demokratie“ eigentlich etwas anderes ausdrücken wollen als eine Abschirmung der aktuellen Bundesregierung von Kritik, dann sollten sie an ihrer Kommunikation arbeiten.
Wer „gegen Rechts“ demonstriert, aber nur eine „Haltung“ einfordert und keine ganz konkreten politischen Maßnahmen, die den Alltag der Bürger schnell und merklich verbessern, macht sich indirekt zum Anwalt der aktuellen kriegstreiberischen und unsozialen Politik, die wiederum die AfD stark macht. Dass man mit dieser Position nicht die AfD inhaltlich in Schutz nimmt, ist selbstverständlich, dass die AfD für mich keine politische Alternative darstellt, habe ich oft geschrieben. Ob die Proteste einen „Aufstand der Anständigen oder doch eher Doppelmoral“ darstellen, hat Jens Berger gerade in diesem Artikel thematisiert.
Schönwetter-Demokraten und mutige Ausnahmen
Wichtig: Die hier formulierte Kritik richtet sich an etablierte Künstler und TV-„Kabarettisten”, die zum Teil von staatlichen oder öffentlich-rechtlichen Geldern abhängig sind (hier wird aber keine Kürzung bei Kultur-Budgets gefordert!). Und auch unter diesen etablierten Künstlern gab es etwa während der Corona-Zeit Ausnahmen wie unter anderem die Aktion „Allesdichtmachen“. Wenn es aus der hier thematisierten etablierten Theaterszene vergleichbare Beispiele für angemessene Kritik an der Regierungspolitik der letzten Jahre gibt, wäre ich für Hinweise dankbar. Außerdem gibt es zahlreiche engagierte Künstler, die auf eher kleineren Bühnen wirken, wie etwa jene auf diesem Festival. Zusätzlich gibt es viele weitere unangepasste Ausnahmen in der hiesigen Kulturszene, die hier nicht erwähnt werden, ihr Mut ist umso mehr zu würdigen. Einige Beispiele haben wir etwa in der Liste „Musik und Politik“ verlinkt.
Für weite Teile der etablierten Kulturlandschaft in Deutschland trifft das aber eben leider nicht zu. Was ich im Artikel „Wer solche Künstler hat, braucht keine Mitläufer mehr“ geschrieben habe, ist darum noch gültig:
„Mir fällt es angesichts des Wegduckens zusätzlich schwer, zu vergessen, dass viele Kultureinrichtungen und die dort auftretenden Künstler die Kampagne für eine schockierende Politik der Ausgrenzung mitgemacht haben. Das hat auch inhaltliche Auswirkungen, etwa auf die Rezeption aktueller Inszenierungen „kritischer“ Theaterstücke: Die „mutigen“ Phrasen von Demokratie, Grundrechten und Widerstand, die bis 2019 von deutschen Bühnen schallten, klingen plötzlich ganz schal nach Schönwetter-Demokraten – auch und gerade wegen des schwachen Verhaltens vieler Kulturschaffender in den Momenten, in denen es gesellschaftlich wirklich darauf ankam.“
* Aktualisierung 2.2.2024 12:15 Uhr: Der Ausdruck wurde ergänzt. Zuvor hieß es „ein Treffen Rechtsextremer“.
Titelbild: sirtravelalot / Shutterstock
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