Ein Konfliktforscher untersucht die Ursprünge von Kriegen und erfolgreichen Friedensprozessen in aller Welt. „Kriege sind die Ausnahme, nicht die Regel“, schreibt Christopher Blattman in seinem fesselnden und faktenreichen Meisterstück „Warum wir Kriege führen“. Der Konfliktforscher von der Universität Chicago hat bei gefährlichen Forschungsarbeiten in Liberia, Uganda, Kolumbien und Chicago erlebt, wie schockierende Gewalt die ganze Aufmerksamkeit fesselt. Doch seiner Ansicht nach enden die meisten Konflikte nicht im Krieg, weil alle Beteiligten die hohen menschlichen und finanziellen Kosten fürchten. Von Michael Holmes.
In Afrika kommt es etwa Studien zufolge in nur einem von 2.000 potenziellen Fällen zu ethnischer Gewalt. „Wir übersehen den unscheinbaren Frieden überall.“
Blattman unterscheidet fünf Kriegsursachen, die meist „ein toxisches Gebräu bilden, das den Frieden nach und nach vergiftet“. Oft profitieren oligarchische Führungsriegen eines Landes von Kriegen, deren Kosten sie auf die Bevölkerung abwälzen. Der Autor schildert, wie liberianische Warlords am grausamen Krieg verdienten, dem fast jeder zehnte Liberianer zum Opfer fiel. Ein wirksames Friedensprogramm bot vielen Kriegern Arbeitsplätze und Bildung. Zudem können immaterielle Anreize wie Ruhmsucht, ideologischer Eifer und gerechter Zorn die Friedensbereitschaft untergraben. Blattman zitiert linke Guerillas in El Salvador, die trotz niedrigem Sold und Lebensgefahr für Würde und Stolz kämpften.
Auch die Unsicherheit über die militärische Stärke und Motive des Gegners ist Studien zufolge eine häufige Kriegsursache. Blattman schildert, wie unklare Kräfteverhältnisse die Gewalt zwischen Chicagoer Gangs befeuerte. Zudem lassen sich Kriege schwer vermeiden, wenn die Konfliktparteien keine Wege finden, sich überzeugend an Friedensverträge und Versprechen zu binden. Dieses Selbstbindungsproblem untergräbt das Vertrauen. Blattman erläutert, warum es den Großmächten vor dem Ersten Weltkrieg sowie Athen und Sparta vor dem Peloponnesischen Krieg nicht gelang, glaubhafte Friedensbereitschaft zu signalisieren.
Schließlich spielen Wahrnehmungsfehler in vielen Kriegen eine entscheidende Rolle. Blattman analysiert, wie die Konflikte in Nordirland und Israel-Palästina zu dramatischen Fehleinschätzungen der Motive und Ziele der anderen Seite führen. Im Kalten Krieg erhöhten Missverständnisse die Gefahr eines atomaren Holocausts.
Blattman zeigt viele Wege zum Frieden auf. Wirtschaftliche und soziale Verflechtungen sowie geteilte Werte wirken nachweislich friedensförderlich. So kommt es etwa in indischen Städten, in denen Hindus und Muslime täglich interagieren, sehr viel seltener zu religiöser Gewalt. Auch internationale Organisationen, Bündnisse, Mediatoren und Blauhelmeinsätze fördern Studien zufolge den Frieden.
Überzeugend legt Blattman dar, dass staatliche Ordnungen mit Gewaltkontrollen kriminelle Gewalt und Bürgerkriege verhindern. Er unterstreicht, dass viele Arme unter staatlicher Repression und mangelnder Staatlichkeit zugleich leiden. Für seine These, dass Demokratien „selten einen Krieg vom Zaun brechen“, bietet er jedoch keine Belege. Er selbst schreibt, dass die Stellvertreterkriege der Supermächte „einen Großteil der Bürgerkriege des 20. Jahrhunderts“ erklären: „Die Betroffenen besaßen keine Möglichkeit, die USA und die UDSSR zur Rechenschaft zu ziehen“. Auch in der Kolonialära, dem Zeitalter der Weltkriege sowie im 21. Jahrhundert haben Demokratien wie Großbritannien, die USA, Frankreich, Holland, Belgien und Israel zahlreiche imperiale Kriege in aller Welt geführt und Gräueltaten gegen Zivilisten verübt. Meine eigene Studie zu den 74 größten Massenverbrechen seit 1796 belegt sogar, dass die demokratischen Pioniere eine höhere staatliche Mordrate als diktatorische Regime aufweisen, obwohl sie nur selten eigene Bürger töten.
Dieses bahnbrechende Buch läßt hoffen, dass wir in vielen tastenden Schritten eine Welt ohne Krieg erreichen können.
Christopher Blattman: „Warum wir Kriege führen – Und wie wir sie beenden können“, Ch. Links, Berlin 2023, 544 Seiten, 26 Euro
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