Die Massenmedien als Konsensfabrik für die Gesellschaft

Die Massenmedien als Konsensfabrik für die Gesellschaft

Die Massenmedien als Konsensfabrik für die Gesellschaft

Lutz Hausstein
Ein Artikel von Lutz Hausstein

Für das Funktionieren der Demokratie haben investigative und kritische Medien eine elementare Bedeutung. Nicht ohne Grund werden sie als die „Vierte Gewalt“ im Staat bezeichnet. Sollen sie doch die eigentlichen drei Gewalten des Rechtsstaates – die Gesetzgebung (Legislative), die ausführende Gewalt (Exekutive) und die Rechtsprechung (Judikative) – kritisch begleiten, hinterfragen und Missstände aufdecken, um die Macht dieser drei Gewalten zu begrenzen und demokratie-untergrabende Verquickungen zwischen diesen zu enthüllen. Dieser Funktion kommen die Massenmedien jedoch zunehmend immer weniger nach. Den Ursachen für diese Deformierung sind Edward S. Herman und Noam Chomsky in ihrem 1988 erschienenen Buch „Manufacturing Consent“ nachgegangen. Nun liegt zum ersten Mal dessen deutsche Übersetzung „Die Konsensfabrik – Die politische Ökonomie der Massenmedien“ vor. Eine Rezension von Lutz Hausstein.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Es ist schon erstaunlich. Auf nur wenige Bücher wurde in den vergangenen Jahrzehnten auch hierzulande so häufig Bezug genommen wie auf „Manufacturing Consent“, obwohl es bislang noch gar nicht in deutscher Sprache erschienen war. Dabei widmen sich die beiden Autoren, der 2017 verstorbene US-amerikanische Ökonom und Medienanalyst Edward S. Herman und der US-amerikanische Linguist und Kognitionswissenschaftler Noam Chomsky, der kürzlich seinen 95. Geburtstag feierte, doch einem Kernproblem der Demokratie: der systematischen Aushebelung eines funktionierenden Mediensystems. Und zuzugeben, dass es Probleme bei der uneingeschränkten Umsetzung ihrer Kernaufgabe gibt, kommen selbst die Massenmedien nicht mehr umhin. Zwar verweigern sie sich nach wie vor der grundlegenden Feststellung ihres Versagens, dennoch sehen sie sich neben kritischen Eigenberichten zu strukturellen Verwerfungen zunehmend auch dazu gezwungen, dem öffentlichen Protest gegen die Art ihrer Berichterstattung hin und wieder Raum einzuräumen. Auch wenn dies häufig mit einem Framing wie beispielsweise „Verschwörungstheorie“ verbunden wird, so können sie dennoch den zunehmenden Widerstand gegen ihre Verweigerungshaltung nicht mehr einfach so unter den Tisch kehren.

Das sehr ausführliche Vorwort von Krüger, Pötzsch und Zollmann ist äußerst bemerkenswert, bildet es doch eine Art Metaebene, die das Buch von Herman und Chomsky und seine Inhalte um weitere, teils aktuelle Facetten erweitert sowie punktuell Konkretisierungen und zusätzliche Kontexte hinzufügt. Man ist als Leser fast versucht, sich dieses Vorwort vielmehr als Nachwort zu wünschen, da es nicht nur auf den Inhalten des Buches aufbaut, sondern diese sogar noch maßgeblich fachlich erweitert.

In diesem Vorwort wird u.a. auch der Begriff „Propaganda“, der für das Buch wie auch das in ihm aufgestellte Propagandamodell fundamental ist, hergeleitet und beschrieben (S. 20 ff.). Es geht hierbei um Propaganda im Sinne von PR/Öffentlichkeitsarbeit, wie sie erstmals 1922 in Walter Lippmanns „Public Opinion“, im Deutschen „Die öffentliche Meinung“, dargelegt wurde. Dort redet Lippmann einer Elitendemokratie das Wort, da „die Gemeininteressen […] nur von einer spezialisierten Schicht wahrgenommen werden“ könnten. Dieses Werk hatte wiederum maßgeblichen Einfluss auf die Arbeiten eines der Begründer der Propaganda, Edward Bernays, welche später in Public Relations umbenannt wurde, um sie vom inzwischen negativ konnotierten Begriff der Propaganda abzugrenzen.

Das Propagandamodell im Einzelnen

Ein Kernsatz steht schon im Vorwort der Ausgabe von 1988:

„Zensur ist hier weitgehend Selbstzensur […]“

Die soziale Herkunft wirkt für Medienschaffende schon mit dem Eintritt ins Journalismusstudium als ein Filter. Und je höher es die Karriereleiter zu erklimmen gilt, desto stärker wirkt dieser Filter. So stark, dass in den Führungspositionen fast durchgängig genau die Mitglieder der oberen Mittelschicht sowie der Oberschicht übrig bleiben. Und diese haben natürlich die Werte der Schicht, der sie selbst entstammen, im wahrsten Sinne des Wortes „mit der Muttermilch aufgesaugt“ und vertreten diese Interessen nun ganz selbstverständlich auch in ihrer beruflichen Tätigkeit – auch ganz ohne Anweisung „von oben“. Denn auch hier gilt wie andernorts eine zentrale Aussage der Marx’schen Philosophie: Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Die Sozialisation der Journalisten bestimmt, wie sie die Welt wahrnehmen und interpretieren.

Gleichzeitig existierte schon auf dem Weg bis zur Universität ein erheblicher Konformitätsdruck, der andernfalls zur Selektion führt. Noam Chomsky beschrieb das in einem Interview 2010 folgendermaßen:

„Es wird erwartet, dass man bestimmte Glaubenssätze, Ausdrucksweisen, Verhaltensmuster und so weiter akzeptiert. Wenn Sie diese nicht akzeptieren, wird man Sie vielleicht als verhaltensauffällig bezeichnen und aussortieren. Und so geht das den gesamten Weg bis hinauf zur Universität. Es gibt ein verborgenes Filtersystem …, das eine starke Neigung zur Konformität erzeugt.“

Als weiterer Aspekt kommt die Tatsache hinzu, dass Journalisten in der Regel ein Hochschulstudium absolviert haben. In den USA beispielsweise schnellte deren Anteil von 58,2 Prozent im Jahr 1971 auf 92,1 Prozent im Jahr 2013 hoch (siehe Artikel von Caitlin Johnstone). Dieser an und für sich positive Fakt führt jedoch dazu, dass die damit verbundene Verschuldung durch die Studienkredite die Journalisten besonders anfällig für ein redaktionskonformes Verhalten macht. Denn andernfalls droht die Gefahr eines Jobverlustes und damit die Unfähigkeit zur Schuldentilgung.

Dass die allzu häufig unausgewogene Berichterstattung der Massenmedien eben gerade nicht auf Verschwörungstheorien basiert, sondern strukturell bedingt ist, haben sich Herman und Chomsky zur Aufgabe gemacht, in ihrem gemeinsamen Buch zu belegen. Im ersten Abschnitt des Buches sowie in der Zusammenfassung am Buchende haben sie ihre als „Propagandamodell“ bezeichnete Theorie aufgestellt, in der sie die Ursachen und Mechanismen zusammentragen, die privatwirtschaftlich organisierte Medien strukturell dazu bringen, bei gesellschaftlich grundlegenden Themen generell die Auffassungen der wirtschaftlichen sowie politischen Eliten zu rezipieren – zwar nicht vollkommen uniform, aber stets nur innerhalb eines eng abgesteckten Rahmens, der die offizielle Agenda nicht infrage stellt. Das von ihnen aufgestellte Propagandamodell von 1988 besteht aus den folgenden Komponenten, welche die Berichterstattung der Massenmedien mit einem Filter ausstatten (S. 130):

  1. Größe, Eigentumskonzentration, Eigentümervermögen und Profitorientierung der dominanten Firmen im Sektor Massenmedien
  2. Werbung als Haupteinnahmequelle der Massenmedien
  3. Die Abhängigkeit der Medien von Informationen, die ihnen von Staat, Unternehmen und „Experten“ (die von Staat und Unternehmen finanziert und für gut befunden sind) geliefert werden
  4. „Flak“ als Mittel zur Disziplinierung
  5. „Antikommunismus“ als nationale Religion und als Kontrollmechanismus

Zu Filter 1:

Bei den Leitmedien handelt es sich um Großunternehmen, die „fest in die politische Ökonomie des herrschenden wirtschaftlichen Systems integriert sind“ (S. 60).

Seit Jahrzehnten findet eine permanente Medienkonzentration statt, bei der immer mehr familiengeführte Medienunternehmen durch Großunternehmen abgelöst wurden, die durch professionelle Manager geführt werden und welche einer Vielzahl von Eigentümern zu dienen haben, wobei die Gewinnerzielung eine immer zentralere Rolle einnimmt. Hierbei kam es schon in den Achtzigerjahren zu einem enormen Konzentrationsprozess, durch den die Zahl der großen Medienunternehmen von etwa 50 (1983) auf nur noch 23 (1990) schrumpfte, die demzufolge eine noch größere marktbeherrschende Stellung als einzelne Unternehmen erlangten. Bis 2002 nahm diese Konzentration noch weiter zu, sodass zu diesem Zeitpunkt weltweit nur noch neun riesige Medienunternehmen „alle bedeutenden Filmstudios, Fernsehnetze und Musikunternehmen der Welt sowie einen beträchtlichen Anteil der Kabelkanäle, Kabelsysteme, Zeitschriften und Buchverlage“ beherrschten (S. 61).

Wenngleich der erste Filter in Bezug auf die finanziellen Voraussetzungen der Gründung und des Betriebs eines Zeitungsverlags zunehmend an Bedeutung verliert, da der Anteil klassischer Offline-Medien kontinuierlich geringer wird, so gibt es andererseits gesteigerte Eingriffe in freie Berichterstattung der sie langsam verdrängenden Online-Medien (direkte Zensur, Einschränkung der Finanzierungswege, Einschränkung der Reichweite über Einflussnahme auf Drittanbieter). Der finanzielle Druck auf die klassischen Medien mit ihren Druckerzeugnissen hat hingegen noch weiter zugenommen, wodurch eine noch stärkere Medienkonzentration befördert wird.

Parallel hierzu ändern sich die Eigentümerstrukturen der großen Medienunternehmen noch stärker weg von den ursprünglichen Einzelbesitzern und Besitzerfamilien in Richtung institutionelle Anleger wie Banken oder Investmentgesellschaften. Die von diesen vertretene Unternehmensausrichtung auf eine Gewinnmaximierung zwingt das Leitungspersonal – und damit auch die Belegschaft der Journalisten –, ihr gesamtes Handeln ebenfalls unter diese Maxime zu stellen. Die durch Firmenaufkäufe und -beteiligungen mit medienfremden Branchen verbundenen Medien geraten durch diese intersektoralen Verquickungen zunehmend in die Gefahr, nicht mehr neutral oder gar kritisch über bestimmte gesellschaftliche Bereiche berichten zu können, da dies die wirtschaftlichen Belange der verbundenen Unternehmen negativ beeinflussen würde.

In den ersten Filter des Propagandamodells spielt auch noch die immer häufiger zu verzeichnende Drehtürpolitik zwischen Politik und Medien eine wichtige Rolle. Führende Journalisten und bekannte Gesichter wechseln in wichtige Ämter in der Politik, vornehmlich der Regierung, und andererseits wechseln wichtige Öffentlichkeitsarbeiter der Politik in Leitungsfunktionen von großen Medien.

Zu (un)guter Letzt führte und führt die immer stärkere Ökonomisierung und Gewinnorientierung der Medien zu beständigen Einsparungen an Personal, also der Basis für einen soliden, auch investigativen, Journalismus, sodass zunehmend gern auf vorgefertigte PR-Meldungen von Politik, Wirtschaft sowie Lobbyistenvereinigungen zurückgegriffen wurde und wird. So wird immer mehr auf die für einen unabhängigen Journalismus notwendige Distanz zu den Objekten der Berichterstattung verzichtet.

Zu Filter 2:

Werbung in Medien erhöht deren Einnahmen, wodurch diese nun bessere Voraussetzungen für niedrigere Preise ihrer Produkte, verstärkte Werbung für ihre Produkte oder sonstige Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität ihres Produktes haben. Dadurch steigt jedoch die Abhängigkeit dieser Medien von den Werbepartnern, was sich sowohl durch direkte Einflussnahme dieser auf die Medieninhalte oder – der weitaus häufigeren Form – eine freiwillige „Schere im Kopf“ der Medienschaffenden, angefangen bei den Redakteuren bis hin zur Leitungsebene, niederschlägt. Die Berichterstattung der Medien bekommt so eine erhebliche Schlagseite, die sich nicht nur in Richtung Wirtschaftsunternehmen neigt. Sie kann und wird auch in Richtung Staat/staatliche Institutionen beeinflusst, wie anhand der massiven Werbekampagnen der Bundesregierung im Rahmen der Coronamaßnahmen sowie -impfung in Erinnerung sein dürfte. Denn auch diese so erzielten Einnahmen waren wesentlich für den wirtschaftlichen Erfolg vieler Medienunternehmen und beeinflussten so deren Berichterstattung zu den staatlichen Maßnahmen.

Zu Filter 3:

Da Amtspersonen sowie Vertretern von Unternehmen und Branchenverbänden seitens der Medienschaffenden ein großes Vertrauen entgegengebracht wird, geben diese deren Verlautbarungen allzu häufig ungeprüft als vermeintlich sachliche Information an ihre Leser weiter. Der Kostendruck in den Medien verstärkt diese Tendenz noch, denn aufgrund dieser Tatsache werden die Redaktionen immer mehr ausgedünnt und diese sind immer weniger in der Lage, journalistische Standards einzuhalten. Dem stehen stetig wachsende PR-Abteilungen in Regierung sowie Wirtschaft gegenüber.

Einen besonders markanten Fall einer Verbindung zwischen staatlichen Institutionen und berichtenden Journalisten stellt der sogenannte „eingebettete Journalismus“ (embedded journalism) dar. Ursprünglich als privilegierter und geschützter Zugang von Journalisten in der Nähe der Frontlinie von Kriegen praktiziert, hat sich darüber hinaus die Praxis eingebürgert, einzelnen, ausgewählten Journalisten exklusiven Zugang zu sonst nicht öffentlichen Situationen bestimmter Mandatsträger oder Institutionen zu gewähren. Aufgrund dieses gegenseitigen Gebens und Nehmens ist es natürlich kaum möglich, dass daraus seitens des Journalisten eine objektive, gegebenenfalls sogar kritische Berichterstattung entstehen kann. Ein aktuelles Beispiel ist der ARD-Journalist Stephan Lamby, der in fast schon Riefenstahl’scher Manier ein Heroen-Epos der Ampelkoalitionäre zeichnete, welches den auch nur geringsten Abstand zwischen Journalist und Politikern vermissen ließ.

Diese Abhängigkeit der Medien von Regierungs- und Wirtschaftsvertretern führt in der Folge dazu, dass alternativen Informationen, beispielsweise aus der Zivilgesellschaft, von den Medien noch weniger Raum eingeräumt wird, da sie um ihren privilegierten Zugang zu den Vertretern der Mächtigen fürchten. Durch die Hinzuziehung von strategisch aufgebauten „Experten“ werden darüber hinaus die gewünschten Positionen gestärkt und unliebsame Standpunkte marginalisiert bzw. diffamiert.

Zu Filter 4:

Das von Herman/Chomsky als „Flak“ bezeichnete „Störfeuer“, das gegen eine unliebsame Berichterstattung in Medien gerichtet ist, kann aus unterschiedlichen Quellen stammen. Dies können direkte Anrufe von einflussreichen Politikern, aber auch Wirtschaftsvertretern bei Medien sein, um eine bestimmte Berichterstattung zu unterbinden, es reicht aber auch bis hin zur Finanzierung und Organisierung vermeintlich unabhängiger Institutionen, die eine bestimmte Berichterstattung oder gleich ganze Medien unter Beschuss nehmen. Wem hierbei, auf die aktuellen deutschen Verhältnisse übertragen, nun sogleich die grünennahe Denkfabrik „Zentrum Liberale Moderne“, aber auch die diversen Faktenchecker von Correctiv bis hin zu Volksverpetzer in den Sinn kommen, der dürfte nicht so falsch liegen.

Zu Filter 5:

Der Antikommunismus ist im Kapitalismus die höchste „Religion“, da die Infragestellung der Besitzverhältnisse die größte Bedrohung der Kapitalfraktion darstellt. Ist diese Ideologie erst einmal tief in den Köpfen der Menschen – der Bevölkerung im Allgemeinen und der Journalisten im Besonderen – verankert, ist es nicht mehr schwer, unliebsame Personen, Organisationen, aber auch Denkrichtungen mit einem Bann zu belegen, der überaus wirksam ist. Aus diesem Grund achten auch Medienschaffende von sich aus penibel darauf, nicht in die Kommunismus-Falle zu tappen, und richten ihre journalistische Arbeit darauf aus.

Auch wenn Herman und Chomsky in der Neuauflage des Buches von 2002 – also gegenüber der Erstausgabe von 1988 nach dem Zusammenbruch des realsozialistischen Staatenblocks – den Antikommunismus durch den Neoliberalismus als herrschende Ideologie ersetzt haben, so ist dies meiner Meinung zwar richtig, aber nicht umfassend genug. Denn der Antikommunismus ist nach wie vor existent, in den USA sogar noch fundamentaler als in Deutschland. Gilt es, jemanden mit einem kaum mehr auslöschbaren Stigma zu überziehen, ist nach wie vor die „Kommunismus-Keule“ am wirksamsten und am nachhaltigsten. Und sie wird auch immer wieder gezückt, diesseits und jenseits des Großen Teichs, um unliebsamen Personen oder Gedanken mit nur wenig Aufwand einen vernichtenden Schlag zuzufügen.

Auswirkungen des Propagandamodells

Aus den fünf Filtern des Propagandamodells folgt, dass „Nachrichten, die aus wichtigen Establishment-Quellen stammen, […] von den Massenmedien bereitwillig in Umlauf gebracht“ werden (S. 171). Dieses Zusammenspiel von inhaltlich ähnlichen oder gleichen Nachrichten in den bedeutenden Massenmedien, verbunden mit unterstützendenden Statements von Autoritätsfiguren, lässt diese Nachrichten in der breiten Öffentlichkeit bald als wahr erscheinen. Nachrichten von Dissidenten oder schwachen Interessengruppen hingegen gelingt es kaum bis gar nicht, die Medienbarriere zu überwinden. „Aufgrund dieses Systems lassen die Massenmedien alle Geschichten, die wichtige Interessen verletzen könnten, rasch im Sand verlaufen, vorausgesetzt, dass sie sie überhaupt je bringen.“ (S. 175) Wenn diese nur schwach oder gar nicht rezipierten Nachrichten mit den etablierten Nachrichten in Konflikt stehen, können Letztere schnell die Oberhand gewinnen. Und sobald diese Nachrichten den medialen Raum ausreichend beherrschen, schafft dies weiteren Freiraum für eine noch weiter übertriebenere Berichterstattung, also ein sich selbst weiter verstärkendes System.

Das Propagandamodell in der Praxis

Ab dem zweiten Buchkapitel greifen Herman und Chomsky eine große Anzahl von Praxisbeispielen auf, mit denen sie ihre Thesen aus dem Propagandamodell nachweisen. Diese Beispiele entnehmen sie vier großen Themenkomplexen: der US-amerikanischen Medienberichterstattung über die Situation in den mittelamerikanischen Ländern El Salvador, Guatemala und Nicaragua im Zeitraum Ende der 1970er-Jahre/Mitte der 1980er-Jahre, der Berichterstattung über Wahlen in den Ländern El Salvador und Guatemala auf der einen und Nicaragua auf der anderen Seite, der medialen Rezeption auf das Attentat auf Papst Johannes Paul II. 1981 sowie der Berichterstattung über die US-amerikanischen Kriege in Vietnam sowie Laos und Kambodscha.

Eine zentrale Kategorie ihrer Analyse bildet dabei die von Herman/Chomsky festgestellte Aufteilung in „werte Opfer“ und „unwerte Opfer“. Über die einen wird in den Medien berichtet, über die anderen nicht. Mit einer Vielzahl an Fallbeispielen wird verdeutlicht, wie doppelte Standards zu einer von den Fakten losgelösten, völlig willkürlichen Einteilung in „werte Opfer“, über die in größter Ausführlichkeit und mit drastischen, teils martialischen Worten berichtet wird, und „unwerte Opfer“, deren Schicksal in der öffentlichen Berichterstattung nur wenig Widerhall findet und zumeist nur mit relativierenden, beschönigenden Begriffen beschrieben wird, führen.

Um die Verbindung zur Gegenwart herzustellen: Während man jahrelang die Bombardierung der Gebiete im Donbass nahezu vollständig ignorierte und somit die auch von der UNO benannten rund 14.000 Todesopfer unsichtbar machte, erfolgten seit 2022 über Monate hinweg tägliche Filmberichte in den Nachrichten über Todesopfer oder über Verletzte, die mit dem russischen Bombardement der Ukraine in Zusammenhang stehen. Die „unwerten Opfer“ in der Ostukraine wurden fast zehn Jahre lang ignoriert, während man den „werten Opfern“ ab 2022 breite Aufmerksamkeit widmete.

Die unterschiedliche Einordnung ein und desselben Vorfalls verdeutlicht sich auch in der Aussage des Sprechers des deutschen Außenministeriums, Christian Wagner, auf eine Frage Florian Warwegs auf der Bundespressekonferenz am 20. September 2023 zum Raketenangriff auf den Marktplatz von Kostjantyniwka: „Dabei wird sich dann herausstellen, ob es sich in diesem konkreten Fall um einen Angriff Russlands oder um einen tragischen Unfall gehandelt hat“. Dieses Wording Wagners entspricht eins zu eins dem Punkt fünf des Ponsonby-Morelli-Modells zu den zehn Prinzipien der Kriegspropaganda: „Der Feind begeht mit Absicht Grausamkeiten; bei uns ist es Versehen“.

Doch zurück zum Buch. Die Analysen zu El Salvador, Guatemala und Nicaragua stellen die grundverschiedene Berichterstattung der großen, einflussreichen US-Medien (New York Times, Time, Newsweek, CBS News) über die „werten Opfer“ und die „unwerten Opfer“ bezüglich Quantität und Qualität direkt gegenüber. Da ist zum einen der Mord am polnischen Priester Jerzy Popieluszko 1984, der ihn aufgrund der Systemkonkurrenz von Kapitalismus/Sozialismus automatisch zu einem werten Opfer macht. Dem wird eine Vielzahl an Morden in mit den USA verbündeten Staaten gegenübergestellt, so beispielsweise der Mord am Erzbischof von San Salvador, Oscar Romero, 1980, die Morde an 23 Priestern in Guatemala zwischen 1980 und 1985 sowie die Ermordung von vier US-amerikanischen Nonnen in El Salvador 1980. Allen gemein ist, dass sie allesamt aufgrund der staatlichen Verbindungen zwischen den USA und dem jeweiligen Land zu unwerten Opfern wurden, über welche in der US-Presse zurückhaltend und in ungleich geringerem Ausmaß berichtet wurde. Anschließend wird von den beiden Autoren ausführlich dokumentiert, mit welcher Schlagseite die US-amerikanische Berichterstattung erfolgte, indem, wie im Propagandamodell dargestellt, den Verlautbarungen von Regierungsvertretern nicht nur breiter Raum eingeräumt wurde, sondern diese auch vorbehaltslos als einzige Wahrheit übernommen wurden, wohingegen abweichende Berichte keinerlei Erwähnung fanden.

Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit der möglichen Umsetzung des Propagandamodells, die anhand der Berichterstattung über die Wahlen in den Ländern El Salvador und Guatemala auf der einen und Nicaragua auf der anderen Seite betrachtet werden. Die einen werden von der US-Regierung massiv protegiert, obwohl sie äußerst repressiv und undemokratisch gegen ihre eigenen Bevölkerungen vorgehen, da die USA damit ihre eigenen außenpolitischen Interessen verfolgt. Nicaragua hingegen, dessen Befreiungsbewegung den USA ein großer Dorn im Auge war, da sie die Interessen der dort aktiven US-Industrie bedrohten, wurde von den US-Regierungen als Feind identifiziert. Anhand der Analyse der Berichterstattung der US-Hauptmedien über die jeweiligen Wahlen in diesen Ländern weisen Herman und Chomsky nach, dass auch hier die von ihnen erwarteten Maßnahmen der Meinungsmache von diesen Medien gezielt umgesetzt wurden, indem die einen Wahlen als demokratisch und legitimierend und die anderen als Farce und nicht legitimierend dargestellt werden. Immer wieder wird an Beispielen beschrieben, wie die US-amerikanischen Medien den jeweiligen Standpunkten der US-Regierungen folgten, selbst in den Fällen, wenn diese ihren eigenen, zuvor verkündeten Standpunkten diametral widersprachen. Dabei wendeten die Medien nicht nur doppelte Standards an, indem sie Gleiches ungleich darstellten, sondern sie beschrieben häufig tendenziell Positives negativ, während sie für negative Umstände eine positive oder zumindest lückenhafte Berichterstattung nutzten.

Auch wenn die im Buch beschriebenen Mechanismen nicht eins zu eins übertragbar sind, so lassen sich doch gewisse Parallelen zum Fall des venezolanischen Oppositionspolitikers Juan Guaidó ziehen, um nur ein aktuelles Beispiel herauszugreifen. Im Januar 2019 organisierte Guaido einen Putsch gegen den damals gerade wiedergewählten Präsidenten Venezuelas, Nicolas Maduro. Den US-Interessen entsprechend wurde Guaidó umgehend vom damaligen US-Präsidenten als offizieller Präsident Venezuelas anerkannt. Ihm folgten die rechtsgerichteten Staaten Lateinamerikas. Selbst die Europäische Union sowie die deutsche Bundesregierung und führende deutsche Politiker stellten sich mit ihrer Anerkennung als Präsident mehr oder minder offen auf die Seite des Putschisten Guaidó. Anstatt dieses undemokratische Verhalten anzuprangern, unterstützten es die deutschen Hauptmedien und forderten sogar noch ein schärferes Vorgehen gegen den gewählten Präsidenten Maduro. Auch in diesem Fall, absolut vergleichbar mit den Beispielen im Buch Hermans und Chomskys, bestimmen also die außen- und wirtschaftspolitischen Interessen der USA den Umgang mit Wahlen in Drittländern. Und die einflussreichen großen Medien unterstützen sie aus Leibeskräften mit einer gezielt selektiven, interessensgeleiteten Berichterstattung.

Im vierten Kapitel, das sich mit dem Attentat auf Papst Johannes Paul II. 1981 beschäftigt, wird die Medienberichterstattung der US-amerikanischen Hauptmedien von Herman/Chomsky nicht nur als den Kurs der US-Regierung unterstützend beschrieben wie in den beiden Kapiteln zu Mittelamerika zuvor, sondern als viel stärker aktivistisch, da sie sogar eine eigene Verschwörungstheorie zur Urheberschaft des Attentats aufstellte, die sie beständig am Köcheln hielt. Hier kamen dennoch wieder dieselben Muster der Meinungsmache zum Tragen, die schon zuvor von den beiden Autoren festgestellt wurden: der Aufbau eines Narrativs, welches durch beständige Wiederholung sowie gezielte Nichtberichterstattung abweichender Fakten und Quellen als einzig gültige Version behauptet wurde. Selbst nach dem Zusammenbruch ihrer Geschichte, die u.a. Bulgarien als einen Urheber des Attentats darstellte, wurde diese grundlegende Wendung einfach nur totgeschwiegen. Dass diese Medien mit ihrer Story das Grundmotiv der Systemkonkurrenz zwischen Kapitalismus und Sozialismus bedienten, sollte man hierbei unbedingt berücksichtigen. Denn die behauptete Täterschaft des sowjetischen Geheimdienstes und Bulgariens war der vermeintliche Beweis dafür, dass die Sowjetunion und die sozialistischen Länder für das Schlechte stehen, was die kapitalistischen Länder inklusive der USA in umso hellerem Licht erstrahlen lässt. Dies bestätigte der damalige US-Präsident Reagan nur zwei Jahre später, als er die Sowjetunion als „Reich des Bösen“ titulierte. So besteht also auch hier die Verbindung zum Propagandamodell, das als fünften Punkt „Antikommunismus“ als nationale Religion anführt. Wer mit der behaupteten Lenkung des Papst-Attentäters Ali Agca durch die Sowjetunion und Bulgarien ein Déjà-vu zu angeblichen Verbindungen des Attentäters von John F. Kennedy, Lee Harvey Oswald, zu Kuba und der Sowjetunion zu erleben glaubt, dem dürfte nur schwer zu widersprechen sein. Denn beiden ist gemein, dass umgehend und ohne weitere Beweise dem Systemgegner die Schuld zugesprochen wurde, als Drahtzieher hinter dem jeweiligen Attentat zu stecken.

In den Kapiteln fünf und sechs des Buches setzen Herman und Chomsky sich mit der Berichterstattung über die US-amerikanischen Kriege in Vietnam sowie Laos und Kambodscha auseinander. Dabei konstatieren beide, dass es zwar Kritik an den US-Massenmedien gab. Diese seitens der „Falken“ (Kriegsbefürworter) geäußerte Kritik prangerte jedoch vielmehr die „unpatriotische“ Berichterstattung an, der sie die Hauptschuld an der Niederlage der US-Armee zuwiesen. Prinzipielle Kriegsgegner hingegen fanden in den großen Medien keinen Widerhall. Es fand also eine lebhafte Debatte über die Kriegsstrategie statt, ohne den Krieg selbst infrage zu stellen, die sich in einem eng begrenzten und zudem nach rechts verschobenen Meinungskorridor abspielte – eine Beschreibung, die auch Rainer Mausfeld immer wieder in seinen Vorträgen und Büchern darlegt.

Ganz en passant wird den Buchlesern dabei in Erinnerung gerufen, mit welcher Radikalität und Brutalität seitens der US-Armee diese Indochina-Kriege geführt wurden, mit am Ende zigtausenden teils vollständig zerstörten Dörfern und Städten, über vier Millionen toten Menschen, Millionen von getöteten Nutztieren und einer auf Generationen hin vernichteten und vergifteten Natur. Die Gründe für die US-Regierung, überhaupt in Indochina zu intervenieren, nämlich einem schrittweisen Übergang von Staaten in dieser Region zum kommunistischen System gemäß ihrer Domino-Theorie militärisch entgegenzuwirken, wurden in den US-Medien nie infrage gestellt bzw. erst gar nicht erfragt. Gerade am Beispiel Vietnam führen Herman/Chomsky vor, mit welcher Selbstverständlichkeit sich die USA in Vietnam als Interventionsmacht berechtigt fühlten, während die vietnamesischen Kämpfer als „Aggressoren“ dargestellt wurden. Anhand einer großen Anzahl von Einzelbeispielen, so auch dem sogenannten „Tonkin-Zwischenfall“, belegen Chomsky/Herman, dass sich die großen US-Medien ausschließlich als Sprachrohr der US-Regierung betätigten und divergierende Darstellungen entweder ganz wegließen oder uminterpretierten. Diverse Volten der US-Regierung, so zum Beispiel im Verhältnis zu den Roten Khmer und Pol Pot, trugen sie widerspruchslos mit und passten ihre jeweilige Berichterstattung an die jeweils aktuelle geostrategische Ausrichtung der US-Politik an.

Die detailreichen Berichte Hermans und Chomskys über die Abläufe der miteinander verwobenen Kriege in Vietnam, Kambodscha und Laos wecken bei den einen Lesern sicherlich längst vergessene Erinnerungen, während sie bei einer Vielzahl der Jüngeren erstmaligen Kontakt mit den Fakten der damaligen US-Interventionen darstellen. Und mittendrin stets die verzerrende Berichterstattung der damaligen US-Presse, die – jederzeit auf US-Regierungskurs – über einzelne Fakten und Vorgänge wahlweise entweder gar nicht oder verfälschend oder so lückenhaft berichtete, dass dadurch ein völlig anderes Bild in der US- und Weltöffentlichkeit entstand. Resümierend schreiben Herman/Chomsky über die Rolle der Medien als Vierte Gewalt (S. 630):

„Es geht keineswegs darum, der Öffentlichkeit zu ermöglichen, „eine wirksame Kontrolle über den politischen Prozess auszuüben“, sondern um die Abwendung der Gefahr, dass dieser Fall eintritt.“

Fazit

„Die Konsensfabrik“ kann mit Fug und Recht mit dem in ihm vorgestellten Propagandamodell als eines der Standardwerke der Medienanalyse bezeichnet werden. Herman und Chomsky legen bis in kleinste Details dar, dass und wie privatwirtschaftlich organisierte Medien strukturell dazu neigen, die Auffassungen und Interessen der Regierung sowie großer Unternehmen kritiklos zu übernehmen und alternative Meinungen kontinuierlich zu negieren. Dafür wird keine Verschwörungstheorie benötigt, die persönliche Anrufe eines Regierungschefs in Redaktionen oder sonstige absurde Verhaltensweisen insinuiert, nur um die gezielte Einflussnahme damit ins Lächerliche zu ziehen. Die Aufgabe, die sich den Medien als sogenannte Vierte Gewalt stellt, ist damit nicht nur nicht erfüllt, sondern wird von ihnen durch regierungskonforme Berichterstattung und größtenteils eine Negierung alternativer Meldungen ins Gegenteil verkehrt.

Das Buch stellt für viele Leser sicherlich eine gewisse Herausforderung dar – nicht nur, was den Umfang des Buches betrifft. Auch die Themen, die es im Zuge der Nachweise des Propagandamodells behandelt, liegen zeitlich wie räumlich für die meisten von uns weit entfernt und sind daher für einen Teil der Leserinnen und Leser der erste detaillierte Kontakt damit. Doch gerade dies weitet den persönlichen Blick und zeigt, dass nicht erst im Zuge von Flüchtlings-, Corona-, Ukraine- und Gazakrise die großen Medien das öffentliche Meinungsbild beeinflussen, lenken und diesem Diskurs gezielt Grenzen setzen. All dies geschieht – und das ist ja der Ausgangspunkt des Buches und stets wiederkehrender Aspekt –, weil die Mainstreammedien strukturell so vermachtet sind, dass sie sich bei den für die jeweilige Regierung grundlegenden, entscheidenden Themen als Megaphon selbiger betätigen und so gemeinsam einen gesamtgesellschaftlichen Konsens im Sinne der Herrschenden zu fabrizieren versuchen. Allzu häufig mit Erfolg. Erst das Wissen darum schafft die Möglichkeit, sich dem bewusst entgegenzustellen. Und das ist das große Verdienst der „Konsensfabrik“ von Herman/Chomsky.

Edward S. Herman, Noam Chomsky, Die Konsensfabrik – Die politische Ökonomie der Massenmedien, Westend Verlag, Frankfurt, 2023, 700 Seiten, 44 Euro