Philippinen: Dr. José P. Rizal – der Mönchsorden ideeller Gesamt„aufrührer“ (Teil II)

Philippinen: Dr. José P. Rizal – der Mönchsorden ideeller Gesamt„aufrührer“ (Teil II)

Philippinen: Dr. José P. Rizal – der Mönchsorden ideeller Gesamt„aufrührer“ (Teil II)

Rainer Werning
Ein Artikel von Rainer Werning

Die Philippinen sind das einzige Land in Asien, das nach einem westeuropäischen Herrscher, Philipp II., benannt ist. Zudem war der südostasiatische Inselstaat die einstige und einzige Kolonie der Vereinigten Staaten von Amerika in Asien, was den bekannten, in mehrere Sprachen übersetzten und im Januar 2022 97-jährig verstorbenen philippinischen Schriftsteller und Autor Francisco Sionil José einst zu der trefflichen Bemerkung veranlasste: „Unsere Landsleute hatten das historische Pech, etwa 350 Jahre im spanischen Konventsmief und ein halbes Jahrhundert unter Hollywood-Herrschaft leben zu müssen, von einem dreijährigen Intermezzo unter japanischer Knute einmal abgesehen.“ Jahrhunderte kolonialer Herrschaft haben in den Philippinen tiefe Spuren hinterlassen, die bis heute auf Schritt und Tritt spürbar sind. Diese fünfteilige Serie aus der Feder unseres Südost- und Ostasienexperten Rainer Werning versteht sich als Spurensuche in einem Land, das während der Internationalen Buchmesse in Frankfurt am Main im Jahre 2025 Gastland sein wird. Den ersten Teil können Sie hier nachlesen.

Der Filipino Dr. José Protacio Rizal (19. Juni 1861, † 30. Dezember 1896) war, was man füglich ein Naturtalent nennen könnte. Er stammte aus begütertem Hause, erhielt eine gediegene Ausbildung im In- wie Ausland, lernte spielerisch Fremdsprachen, war Arzt, Schriftsteller und Nationalist. Letzteres wurde dem begabten Rizal, zumal unter kolonialen Verhältnissen, zum Verhängnis, denn in den Philippinen herrschten seit 1571 die Spanier als Kolonialmacht. Erst 1898 zogen die letzten Spanier aus dem fernöstlichen Inselreich ab und überließen das Land neuen Herren – den Vereinigten Staaten von Amerika.

Zwei Jahre zuvor, genau am 30. Dezember 1896 – also vor 127 Jahren – richtete die spanische Soldateska Dr. José Protacio Rizal hin. Damit entledigten sie sich eines scharfen Kritikers, der mit spitzer Feder, ätzender Kritik und eleganter Rhetorik in seinen beiden Hauptwerken „Noli me tangere“ und „El Filibusterismo“ die Willkürherrschaft der zivilen Kolonialbeamten und geistlichen Orden sowie deren bleiernen Obskurantismus ins Visier genommen hatte.

Wer war dieser Rizal, was machte ihn in den Augen der Kolonialisten zum „gefährlichen Aufrührer“? Und warum stieg ausgerechnet Rizal nach seinem Tode zum Nationalhelden auf, was bis heute jedes Schulkind in den Philippinen pflichtbewusst anzuerkennen hat? Selbst in den abgelegensten Winkeln des Inselstaates wird man eine Plaza Rizal finden, die den zentralen Ort dörflichen oder ländlichen Geschehens markiert.

Aufgrund seiner Herkunft und seiner Bildung gehörte José Rizal zu den „ilustrados”, den „Erleuchteten”. Diese sprachen fließend die Sprache der Kolonialisten, waren vertraut mit den Ideen der europäischen Aufklärung und den Idealen der Französischen Revolution – nämlich Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Obgleich betucht und kosmopolitisch gebildet, blieben diese „ilustrados“ dennoch sozial geächtet und politisch ausgegrenzt. Denn die spanische, streng katholische Kolonialordnung war strikt hierarchisch verfasst. Die absoluten Herren waren die „Peninsulares”, jene Spanier, die auf der Iberischen Halbinsel geboren worden waren. Nach ihnen rangierten die „Filipinos“, in jenen Tagen eine Bezeichnung für die Spanier, die in den Philippinen das Licht der Welt erblickt hatten. Und diejenigen, die sich heute Filipinos und Filipinas nennen, galten als Bodensatz der Gesellschaft – von den Spaniern abschätzig „Indios“ genannt.

Reform oder Revolution?

Diese Diskriminierung auf friedlichem Wege zu beenden und die Philippinen angemessen in der spanischen Nationalversammlung, der Cortéz, repräsentiert zu sehen – das waren die eigentlichen Ideale, für die sich Rizal und die von ihm 1892 gegründete Liga Filipina eingesetzt hatten. Andere philippinische Nationalisten, wie beispielsweise Andres Bonifacio, gingen da weiter und schrieben sich gar die Revolution und den bewaffneten Unabhängigkeitskampf auf ihre Fahnen.

Als „ilustrado“ genoss José Rizal auch das Privileg, ausgedehnte Weltreisen zu unternehmen, die ihn u.a. nach Europa und selbst in die schon damals unter Weltenbummlern so beliebte Neckarstadt Heidelberg führten. In Heidelberg und im nahe gelegenen Wilhelmsfeld verbrachte er die Monate von Februar bis zum Juni 1886. Hier entstand unter anderem sein Gedicht „A las Flores de Heidelberg” – An die Blumen von Heidelberg”, in dem sich Rizal – in Hochstimmung und voller Emotionen beseelt vom deutschen Frühling – inspirieren und an seine Verwandten daheim in den Philippinen schreiben ließ:

Tragt meine Liebe in die Heimat,
bringt ihrer Erde, die so reich an Früchten,
Frieden,
Vernunft den Männern,
Klugheit ihren Frauen,
Gesundheit allen guten Menschen,
die der Geborgenheit des Vaterhauses sicher sind.“

Rizal war alles andere als ein Anhänger der Subversion. Ganz im Gegenteil: Er war, was wir heute einen Reformer oder Reformisten par excellence nennen würden. Denn seine Landsleute hielt er politisch noch nicht für reif genug, um zu den Waffen zu greifen und militärisch die Unabhängigkeit zu erstreiten. Ja, nachdem die spanischen Behörden ihn in den Süden der Philippinen verbannt hatten und seine Haftzeit abgelaufen war, meldete sich Rizal freiwillig, im Dienste der Spanier in Kuba als Arzt zu praktizieren. Dort bahnte sich bereits der Spanisch-Amerikanische Krieg an, und auf dem Wege dorthin befand sich Rizal bereits an Bord eines spanischen Schiffes, als dieses im Pazifik zur Rückkehr aufgefordert wurde.

Der Grund: Rizal war zwischenzeitlich des Hochverrats angeklagt und für schuldig befunden worden. Dieses fatale Missverständnis kostete ihn das Leben. Am 30. Dezember 1896 wurde er in Manilas Stadtpark, der heute Rizals Namen trägt, erschossen.

Der von den Spaniern zu seinen Lebzeiten so gehasste Rizal wurde nach seinem Tod zum Darling der neuen US-amerikanischen Machthaber auf den Inseln, die 1898 die Spanier beerbten und die Philippinen erst 1946 in die Unabhängigkeit entließen. Die USA betonten den gewaltlosen Aspekt Rizals und seiner Liga Filipina, während die Revolutionäre um Andres Bonifacio, die tatsächlich gegen die Spanier 1896 zu den Waffen gegriffen hatten, geächtet und lange aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt wurden. Zweifellos war Dr. José Rizal eine herausragende Gestalt in der philippinischen Geschichte, doch seine Erhöhung zum Nationalhelden der Filipinos geschah durch die neue Kolonialmacht USA – ein Erbe, das die Regierungen in Manila bis heute pflegen.

Eingesperrt im Kerker des am Pasig-Fluss gelegenen Fort Santiago und im Angesicht des nahenden Todes verfasste der 35-jährige Rizal sein bewegendes Abschiedsgedicht Mi Ultimo Adiós, sein in zig Sprachen übersetztes Letztes Lebewohl:

Lebe denn wohl, Vaterland, liebes, Kind du der Sonne”,

so beginnt dieses Gedicht:

Perle des östlichen Meeres, du unser verlorenes Eden!
Freudig will ich mein düsteres, trauriges Dasein dir opfern!
Auch wenn es strahlender, frischer oder blühender wäre,
Ja, ich gäb’ es für dich, für deine Würde und Größe!“

Und das Gedicht schließt mit den Zeilen:

Lebe du wohl, süße Fremde, Freundin du mir, meine Freude,
lebt alle wohl, geliebteste Wesen: Sterben heißt schlafen!“

* * *

Als weiterführende, erhellende Lektüre in dieser in mehrfacher Hinsicht dunklen Zeit seien folgende Schriften empfohlen, deren Autoren allesamt hervorragende Rizal-Forscher und -Kenner sind:

  • Bernhard Dahm: José Rizal: Der Nationalheld der Filipinos (Persönlichkeit und Geschichte, 134). Göttingen/Zürich: Muster-Schmidt Verlag, 1988.
  • Epifanio San Juan, Jr.: Rizal in Our Time: Essays in Interpretation. Mandaluyong City, Philippines: Anvil Publishing, 1997.
  • Ambeth R. Ocampo: Rizal without the Overcoat (New Edition). Mandaluyong City, Philippines: Anvil Publishing, 2018.
  • Dietrich Harth: José Rizals Kampf um Leben und Tod: Facetten einer kolonialismuskritischen Biografie. Heidelberg: heiBOOKS, 2021. doi.org

Abschließend ein kleiner Ausflugstipp für NDS-Leser in und um Heidelberg: Eine Statue Rizals und die Bronze-Porträts für ihn bedeutsamer Zeitgenossen befinden sich im 1978 eingeweihten Rizal-Park in Wilhelmsfeld. Ein Uferabschnitt des Neckars in Heidelberg ist nach Rizal benannt, wo im Jahre 2014 auch ein Gedenkstein enthüllt wurde.

Titelbild: hyotographics/shutterstock.com

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