„Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit“ setzt sich für ein Ende der Waffenlieferungen in die Ukraine und eine diplomatische Lösung des Konflikts ein. Die Abgeordneten der neuen Partei treten geschlossen für einen sofortigen bedingungslosen Waffenstillstand, für ein Ende der Waffenlieferungen und für ein Ende des Wirtschaftskrieges ein. Das muss aber nicht heißen, dass sie deshalb im Bundestag automatisch einen knapp ein Jahr alten, schlecht gemachten AfD-Antrag zu diesem Themenfeld unterstützen, dessen Abstimmung auch wohl weniger auf eine ernstgemeinte Friedensinitiative für die Ukraine abzielte als vielmehr auf eine Frontstellung gegen die ernstzunehmende politische Konkurrenz, gegen das BSW. Von Manaf Hasan, Journalist aus Berlin.
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Der Deutsche Bundestag hat in seiner ersten Sitzungswoche im neuen Jahr in gleich zwei Tagesordnungspunkten den Ukraine-Konflikt zum Thema gehabt. Im Rahmen der Debatte über den Jahresbericht 2022 der Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages (Drs. 20/5700) hat CDU-Chef Friedrich Merz kurzfristig einen Entschließungsantrag (Drs. 20/10053) einbringen lassen. Die Unionsfraktion forderte darin – den „heroischen Abwehrkampf“ der Ukraine beschwörend – die Bundesregierung auf, „endlich und unverzüglich der Ukraine einsatzbereite TAURUS-Marschflugkörper der Bundeswehr in größtmöglichem Umfang bereitzustellen und unmittelbar nachzubeschaffen“.
Die Vorlage wurde am 17. Januar 2024 in namentlicher Abstimmung mit 485 Nein-Stimmen bei 178 Ja-Stimmen und drei Enthaltungen zurückgewiesen – Merz hat am Ende für seinen Antrag nicht einmal alle Stimmen der eigenen Fraktion bekommen. Die anwesenden Abgeordneten von „Bündnis Sahra Wagenknecht“, deren Anerkennung als Gruppe im Bundestag aussteht, stimmten gegen diesen brandgefährlichen Vorstoß der Union aus dezidiert politischen Gründen und nicht parteitaktischen Erwägungen wie etwa bei den Ampel-Fraktionen, in denen ja ebenfalls für die Taurus-Lieferungen irrlichternd getrommelt wird.
BSW-Außenpolitikerin Sevim Dagdelen kritisierte in ihrer Rede den Merz’schen „Wahnsinn“ und den Glauben, „mit der deutschen Wunderwaffe die Wende in einem nicht gewinnbaren Krieg gegen die Atommacht Russland herbeizwingen zu können“, ausdrücklich. Die Abgeordnete verwies dabei insbesondere auf die Warnung des ehemaligen höchsten Generals der NATO, Harald Kujat, dass mit diesen Taurus-Marschflugkörpern die Ukraine strategische Ziele in Russland angreifen und die Eskalationsschraube ein großes Stück weiterdrehen könnte.
„Ihre Wunderwaffe für die Ukraine, Herr Merz, bedeutet nichts anderes als eine neue Eskalationsstufe und eine ungeheuerliche Gefährdung unserer Sicherheit hier in Deutschland, aufgesetzt von einem Gernegroß, der den großen Feldherrn spielt.“
Die BSW-Rednerin schloss ihre Rede mit der ausdrücklichen Klarstellung: „Wir brauchen statt Taurus in der Ukraine Diplomaten zur Beendigung dieses Krieges.“
Ebenso vernünftig agierten die BSW-Abgeordneten in der Debatte über den AfD-Antrag „Deutschlands Verantwortung für Frieden in Europa gerecht werden – Eine Friedensinitiative mit Sicherheitsgarantien für die Ukraine und Russland“ (Drs. 20/5551) und der Abstimmung dazu am 18. Januar 2024.
In den Fokus ihrer Rede rückte Sevim Dagdelen erneut die gescheiterte Politik der Bundesregierung im Ukraine-Krieg. „Fatal wird auf die Fortsetzung eines nicht gewinnbaren Krieges gegen die Atommacht Russland gesetzt. Es gibt immer mehr Waffengeschenke und immer größere milliardenschwere Finanzpakete. Die Ampel gleicht hier einem Roulettespieler, der in Reaktion auf immer größere Verluste die eigenen Einsätze erhöht.“ Und während die deutsche Außenministerin Baerbock Russland mit Sanktionen ruinieren wollte, wie sie im Jahr 2022 sagte, steckt Deutschland heute in einer Rezession. Die deutsche Wirtschaft schrumpft, die russische wächst. „Die Ampelpolitik ruiniert hier nur eines, nämlich die eigene Industrie“, sagte Dagdelen an die Adresse der anwesenden deutschen Spitzendiplomatin gerichtet.
„Wir brauchen Vernunft in der Außenpolitik und diplomatische Initiativen für die Beendigung dieses furchtbaren Krieges statt immer weiterer Kriegskredite“, bekräftigte die Abgeordnete und positionierte BSW einmal mehr als politischer Antipode zu den Ampel-Parteien und der Union, die – ungeachtet des gescheiterten Taurus-Vorstoßes von Friedrich Merz – ja weiter immer mehr und immer schwerere Waffen in die Ukraine liefern wollen und auf milliardenschwere finanzielle Unterstützungszahlungen an Kiew setzen. Zum vorliegenden Antrag der AfD bemerkte Sevim Dagdelen knapp: „Hier konkrete Verhandlungsergebnisse vorwegzunehmen, können wir nicht unterstützen.“
Tatsächlich setzt die AfD in ihrem knapp ein Jahr alten Antrag auf eine diplomatische Lösung im Ukraine-Konflikt, was ausdrücklich zu begrüßen ist. Gleichwohl gibt es kritikwürdige inhaltliche Gründe, die gegen eine Unterstützung dieses Antrages durch BSW sprechen.
Am problematischsten ist sicherlich das AfD-Angebot nach einer „privilegierten EU-Partnerschaft für die Ukraine“ als vermeintliche Alternative zu der von der Ampel in Aussicht gestellten NATO- und EU-Mitgliedschaft für Kiew. Denn auch „privilegierte“ EU-Partner können eng in die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik wie auch die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU eingebunden werden. Und was die AfD dabei unter den Tisch fallen lässt: Auch eine „privilegierte EU-Partnerschaft für die Ukraine“ ist verknüpft mit massiven Transferzahlungen Brüssels an die hochkorrupte Ukraine. Fast jeder vierte Euro des Brüsseler Haushalts kommt von den deutschen Steuerzahlern. Sevim Dagdelen hatte in ihrer Kritik der Ampel-Politik diesbezüglich erinnert: „Aus der Europäischen Union sollen jetzt noch einmal 50 Milliarden Euro an die Ukraine fließen, dann noch einmal 186 Milliarden Euro für den versprochenen EU-Beitritt. 24 Prozent der EU-Gelder stammen übrigens von den deutschen Steuerzahlern. Sie pumpen Milliarden Euro in die Ukraine, die sich damit brüstet, Oppositionelle im Ausland zu ermorden, Journalisten im Inland politisch zu verfolgen und in Gefängnissen umkommen zu lassen wie den Amerikaner Gonzalo Lira. Sie belohnen hier Terror – und sonst nichts.“
Das AfD-Angebot einer „privilegierten EU-Partnerschaft für die Ukraine“ wirkt weder durchdacht noch durchgerechnet.
Ohne Not schließlich setzt die AfD Vorschläge in die Welt, die bestenfalls Ergebnis einer Verhandlungslösung zwischen den Konfliktparteien sein können, wie etwa die „Schaffung von VN-Mandatsgebieten in den vier Oblasten Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson“. Diese Vorschläge gehen zudem weit über das hinaus, was von den Konfliktparteien im März/April 2022 bei den Verhandlungen in Istanbul zu einer Beendigung des Krieges vereinbart wurde. Der Vorstoß scheint den angestrebten Verhandlungsprozess hier eher zu erschweren als voranzubringen.
Eine Verkennung der Realität geht schließlich einher, wenn die AfD die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) mit der „Überwachung der Feuerpause und Truppenentflechtung“ beauftragen will. Leider hat sich die OSZE im gesamten Prozess von Minsk diskreditiert und als völlig ohnmächtig erwiesen. Es zeugt von fehlender außen- und friedenspolitischer Analysefähigkeit bei der AfD, nicht zu sehen, dass die OSZE bei den bisherigen Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien nicht als Mittlerin zum Zug gekommen ist.
Der Antrag der AfD nach einer Friedensinitiative mit Sicherheitsgarantien für die Ukraine und Russland trägt übrigens das Datum vom 7. Februar 2023. Die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antragstext datiert auf den 6. März 2023. Dass die AfD ihren Antrag nun jetzt, fast ein Jahr später, im Bundestag namentlich hat abstimmen lassen, dürfte wenig mit ehrlichem Interesse nach einer Beendigung des Krieges in der Ukraine zu tun haben; die „Friedenspartei“ AfD agiert hier nicht anders als die Merz-CDU. Sie wollte auf Kosten der Ukrainer und Russen einen politischen Mitbewerber vorführen mit Blick auf den BSW-Parteitag am kommenden Samstag in Berlin.
Die AfD mag sich das Etikett „Friedenspartei“ anheften. In der politischen Realität ist sie eine NATO-Partei durch und durch, ja die „Alternative“ klebt hier dicht an den von ihr sonst gescholtenen „Altparteien“. Die AfD bekannte sich nach der „Zeitenwende“-Rede von Kanzler Olaf Scholz vom 27. Februar 2022 und der damals aufs Gleis gesetzten Sonderverschuldung für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro im März 2022 ausdrücklich zur Erhöhung der Ausgaben für Waffen und Militär. Bei der namentlichen Abstimmung zur Errichtung eines „Sondervermögens Bundeswehr“, dem sogenannten Bundeswehrsondervermögensgesetz – BwSVermG – votierten die Abgeordneten der AfD am 3. Juni 2022 mehrheitlich eben nicht gegen die Ampel-Gesetzesvorlage, wie übrigens auch nicht die Merz-CDU. Ihr Redner seinerzeit, Gerold Otten, kumpelte damals mit den anderen Kriegsparteien im Plenum: „In einem Punkt sind wir uns aber einig: 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr sind dringend notwendig.“
Allein, der militaristischen AfD reicht all das nicht, sie will noch mehr. Die von der Ampel veranschlagten Mittel würden „zunächst einmal nur die drängendsten Probleme bei Ausrüstung, Material und Munition lösen können“, so der Redner der „Friedenspartei“ mit Hochrüstungsprogramm. „Wenn Sie aber den Wiederaufbau unserer Streitkräfte ernsthaft betreiben wollen, braucht die Bundeswehr deutlich mehr Geld, und das auch über einen längeren Zeitraum.“ Einziger Kritikpunkt der AfD: Die Bereitstellung der gigantischen Geldmittel „hätte ohne Grundgesetzänderung zur Schuldenfinanzierung und zur Umgehung der grundgesetzlich verankerten Schuldenbremse erreicht werden können“, d.h. ginge es nach der AfD, dann würde den Leuten noch mehr das Geld aus der Tasche gezogen und fürs Militär ausgegeben, eben bei sozialstaatlichen Aufgaben zusammengestrichen, wie es die Ampel jetzt auch macht. Immerhin, die AfD ist hier dahingehend konsequent, als die Fraktion schon in der vergangenen Legislaturperiode immer wieder eine Erhöhung des Verteidigungshaushaltes gemäß des Zwei-Prozent-Zieles der NATO gefordert hat. Das sollte man wissen, wenn man meint, die AfD sei eine „Friedenspartei“.
Die AfD will nicht nur noch mehr Milliarden fürs Militär, sie ist auch für die Ausweitung der NATO an die Grenze zu Russland. Die „Alternative“ hat dem Beitritt der Republik Finnland und des Königreichs Schweden zur NATO zugestimmt und am 8. Juli 2022 im Bundestag den entsprechenden Gesetzesentwurf in großer Gemeinsamkeit mit den Fraktionen, SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP beschlossen. AfD-Redner Rüdiger Lucassen feuerte in der Plenardebatte seinerzeit eine große Begrüßungssalve ab: „Mit Schweden und Finnland treten zwei europäische Nationen der NATO bei, auf die sich Deutschland und das Bündnis verlassen können. Beide Länder unterhalten hochwertige Streitkräfte. Schweden reaktivierte 2018 die Wehrpflicht. Finnland hat ein Reservistenkorps, das sogar vielen europäischen regulären Armeen überlegen ist.“ (Seite 5106 im Protokoll)
„Friedenspartei“ ist im Fall der AfD Etikettenschwindel, nicht Überzeugung. Die AfD ist eine NATO-Aufrüstungs- und -Ausweitungspartei, die auch für Interventionskriege steht. Wenig Wunder, dass sie von den anderen Fraktionen im Bundestag in diesen Punkten nicht angegangen oder ausgegrenzt wird.
Die BSW-Abgeordneten im Bundestag haben den jüngsten Ukraine-Antrag der AfD also offensichtlich genau gelesen. Ihr Abstimmungsverhalten jedenfalls zeugt von politischer Vernunft, ihr Auftreten von ehrlichem Einsatz für Frieden. Aus dem Votum abzuleiten, wie es nun kampagnenhaft durch die sozialen Medien wabert, „BSW stimmt gegen Friedensverhandlungen“, ist so falsch wie bösartig. Wer dann noch vom „Sündenfall“ wetternd hasspostet, das Abstimmungsverhalten habe die BSW-Abgeordneten, namentlich Sevim Dagdelen und Andrej Hunko, „zu allergrößten Arschlöchern von allen allergrößten Arschlöchern werden“ (Alexej Danckwardt) lassen, ist politisch nicht ernst zu nehmen und liefert selbst Beleg ab dafür, wie wichtig es ist, dass die neue Partei sorgsam prüft, wer Mitglied wird und wer es niemals werden sollte.