Zu Jahresanfang ging die neue DB-Infrastruktursparte InfraGO an den Start. Mit ihr werden die Schiene flott gemacht und die Verkehrswende unumkehrbar, lautet das Versprechen. Von wegen: Die neue Netzgesellschaft wird weiter von Profitinteressen dominiert, das Sagen hat wie gehabt die Konzernführung, und wirksame Steuerungsbefugnisse des Bundes gibt auch es nicht. Dazu fährt die Ampel den Laden mit Milliardenkürzungen und Karacho vor die Wand. Das alles erscheint wie abgekartet, und die Rufe nach einer echten Bahn-Zerschlagung dürften bald schon wieder lauter werden. Von Ralf Wurzbacher.
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Schon gemerkt? Die Deutsche Bahn (DB) ist nicht mehr die alte. Seit 1. Januar 2024 fährt sie in anderer Verfassung – ob in besserer, ist allerdings nicht ausgemacht. Mit dem erklärten Ziel, das marode Schienennetz nach Jahrzehnten des Niedergangs endlich wieder auf Vordermann zu bringen, wurde am 27. Dezember per Eintrag ins Handelsregister die Infrastrukturgesellschaft InfraGO aufs Gleis gesetzt. Mit der Fusion der DB-Töchter Netz und Station & Service bläst der Staatskonzern zur „Generalmobilmachung“. Die Zukunft ist nach Unternehmensangaben ein Dreigespann: 1. „Verdopplung der Verkehrsleistung“ im Personenverkehr. 2. Ausbau des Marktanteils im „Güterverkehr von 19 Prozent auf 25 Prozent“. 3. „Umsetzung des Deutschlandtakts“ für einen landesweit optimal synchronisierten Fahrplan. Zu diesem Zweck sollen fast 30.000 Streckenkilometer und 1.800 Bahnhöfe in Schuss gebracht, mehr Überleit- und Überholstellen, Signale und Abstellgleise errichtet und die Elektrifizierung und Digitalisierung vorangetrieben werden.
Zu all dem will die Bundesregierung in den kommenden vier Jahren über 40 Milliarden Euro beisteuern, und langfristig noch viel mehr. Das zumindest war die Ansage vor dem fatalen Karlsruher Haushaltsurteil. Nach der neuesten Etatplanung für 2024 wird speziell das Verkehrsressort von Volker Wissing (FDP) mit harten Einschnitten belegt. Drei Viertel der Kürzungen gehen dabei zu Lasten der Schiene. Das nimmt den hochfliegenden Plänen noch vor Fahrtantritt irgendwie den Wind aus den Segeln und provoziert prompt Proteste von Klimaschützern und Bahnverbänden. Wobei dies längst nicht der einzige Haken an der sogenannten Mission ist, die nichts weniger als „historisch“ sein soll.
AG statt GmbH
Geld soll natürlich auch die InfraGO beischaffen. Das schöne Versprechen der Ampel besagt, dass alle ihre Einnahmen – im Wesentlichen die von der Konkurrenz kassierten Netzentgelte – vollumfänglich der Ertüchtigung der Infrastruktur zugutekommen würden. Das Zauberwörtchen heißt „Gemeinwohlorientierung“, deshalb das Anhängsel „GO“. Die Gesellschaft solle demnach keine Gewinne erzielen dürfen und, obwohl weiterhin zu 100 Prozent DB-Eigentum, unter die Hoheit des mit weitreichenden Kontroll- und Steuerungsbefugnissen ausgestatteten Bundes gestellt werden. So jedenfalls wurde das Projekt in der Frühphase kommuniziert.
Aber inzwischen ist einiges passiert, was sich mit der netten Erzählung beißt. Ende September 2023 hatte der Bahn-Aufsichtsrat grünes Licht für die Konstruktion gegeben, wobei schon die beschlossene Rechtsform „DB InfraGO AG“ nicht zu den Verheißungen passen wollte. Eine Aktiengesellschaft sei „deutlicher mit einem Gewinnanspruch verbunden als beispielsweise eine GmbH“, konstatierte etwa das Portal DB-Watch.de, hinter dem das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen/Die Güterbahnen steht. Tatsächlich war in der Politik anfänglich die Rede davon, die Sparte als GmbH aufzustellen. Aber es kam anders und noch dicker.
Gewinne werden (weiter) gemacht
Ende November waren der Verschmelzungsvertrag sowie die Satzung der neuen Gesellschaft verabschiedet worden, deren Inhalte sich aber erst zwei Wochen später herumgesprochen hatten. Klartext sprach der Güterbahnverband in einer Stellungnahme vom 13. Dezember. Von einer gelegentlich im Umfeld des Bundesverkehrsministeriums (BMDV) erwähnten Begrenzung des Gewinnanspruchs sei „nichts zu sehen“, befand der Vorstandsvorsitzende Ludolf Kerkeling, und weiter: „Anders als zum Beispiel bei der Autobahn GmbH sollen mit der Schieneninfrastruktur auch in Zukunft Gewinne erwirtschaftet werden können, was in der Vergangenheit ein wesentlicher Treiber der heute beklagten Qualitätsprobleme war.“ Kerkeling packte seine Bedenken in einen Brief ans BMDV und warnte, dass „das zentrale komplementäre Projekt (zur soliden Infrastrukturfinanzierung und Planungsbeschleunigung) zu scheitern droht und beharrende Kräfte trotz der schlechten Performance auch künftig das Sagen haben sollen“.
Wie konnte die Bahn AG das System Schiene so verkommen lassen? Kern der Malaise war eine groteske Regelung, wonach die DB Netz zwar für die Instandhaltung der Infrastruktur zuständig war, aber der Bund stets dann einspringen musste, wenn Gleise, Weichen, Tunnel und Brücken komplett futsch waren und ersetzt gehörten. Diese Einladung an die DB-Führung, das Netz zu Profitzwecken bis zum Gehtnichtmehr zu schleifen und den Schaden auf die Allgemeinheit abzuwälzen, hätte sich sofort erledigt, würde der Bund als Konzerneigner durchgreifen und das DB-Management zu einem verantwortungsvollen Umgang mit den Ressourcen nötigen. Genau das sollte die Reform den Verlautbarungen zufolge leisten, mittels stärkerer Mitsprache- und Durchgriffsrechte für die aktuelle und kommende Bundesregierungen.
Fauler Zauber „Gemeinwohlorientierung“
Pustekuchen! Denn gemäß Satzung liegt die Interpretation, was „Gemeinwohl“ bedeutet und wie dieses umzusetzen ist, bei der Unternehmensführung und unter Umständen noch beim Aufsichtsrat – aber eben nicht bei der Politik. Kurzum „gibt es keine Stärkung des Bundes gegenüber der Infrastrukturgesellschaft der DB“, so Kerkeling. Der Bund könne wie bisher „lediglich zur Einhaltung von einem oder mehreren Gemeinwohlzielen mahnen sowie – eher theoretisch – mit ultimativen personellen Konsequenzen drohen und über die Vergabe und gegebenenfalls Entzug von Ressourcen steuern“. Das Fazit des Verbandschefs: „Gemeinwohlorientierung kommt so nicht zustande.“ Treffend auch die Einordnung durch Verbandsgeschäftsführer Peter Westenberger: „Verkehrsministerium und DB laufen 30 Jahre nach der teilhavarierten Bahnreform Gefahr, nur zu schminken, statt zu reparieren. Man kann das InfraGO-Projekt gar nicht recht als Neuigkeit verkaufen, denn es gibt praktisch keine Veränderungen.“
Er steht mit dieser Meinung nicht allein. „Der Bund hat sich juristisch nicht einen Jota mehr an Einfluss gesichert“, beklagte Carl Waßmuth vom Bündnis „Bahn für alle“ im Gespräch mit den NachDenkSeiten. „Das alte Herrschafts-Knechtschaft-Verhältnis zwischen Mutterkonzern und Unternehmenstöchtern wurde eins zu eins auf die neue ‚InfraGO‘ umgerubelt.“ Die sogenannten gemeinwohlorientierten Ziele seien deshalb „das Papier nicht wert, auf dem sie stehen, weil die DB und nicht der Bund die Einhaltung prüfen wird“. Auch Bundestagsabgeordnete der Union fühlen sich verschaukelt. Wissing habe ein „zentrales Reformprojekt komplett am Parlament vorbei in ‚geheimer Kommandosache‘ über die Bühne gebracht“, monierte Thomas Bareiß Mitte Dezember in einer Medienmitteilung. Parteikollege Michael Donth sekundierte: „Die Gewinnorientierung bleibt den Gemeinwohlzielen weit überlegen. Wir bekommen keine Steuerung und dafür maximale Intransparenz in der neuen ‚InfraGO AG‘.“
Interessenkonflikte – ach was!
Kontinuität zeigt sich auch in der personellen Besetzung des Aufsichtsrats. In dem der „InfraGO“ sitzen bis auf Weiteres dieselben Leute wie im alten der DB Netz. An der Spitze steht ausgerechnet Berthold Huber, im Hauptberuf Gesamtkonzernvorstand für Infrastruktur. Damit beaufsichtigt dieser seine eigene Arbeit, obwohl die neue Gesellschaft im Zweifel gegen die Bahn-Führung agieren müsste. Neben Huber sitzen fünf weitere Abgesandte der DB-Mutter sowie Karin Dannheisig-Lehr, Mitarbeiterin der Bundesfernstraßenabteilung und im Wissing-Ressort für die Autobahn GmbH zuständig. Warum vertritt das Ministerium kein Eisenbahnexperte, sondern eine Fachfrau für den konkurrierenden Verkehrsbereich?
Interessenkonflikte, über die im Dezember die Welt (hinter Bezahlschranke) argwöhnte, wies das Unternehmen auf Anfrage zurück: „Ein genereller Interessenkonflikt ist nicht ersichtlich, da die Interessen der Mutter- und der Tochtergesellschaft in aller Regel gleich sind (Konzerninteresse).“ Mit Matthias Gastel von der Grünen-Partei findet sich ein einziger Parlamentarier in der Runde, und der ist nicht glücklich mit der jüngeren Entwicklung. So sei das BMDV bei der Errichtung der InfraGO „monatelang nicht in die Gänge gekommen“, sagte er dem Springer-Blatt. „Währenddessen hat die DB AG mit großer Wucht ihre Vorstellungen entwickelt, wie diese Reform aussehen soll (…) und das Ministerium hatte lange nichts dagegenzusetzen.“
Nix mit Verkehrswende
Die Frage ist, ob Wissing überhaupt dagegenhalten will. Worin besteht die erste Amtshandlung der neuen Infrastruktur-AG? Kaum installiert hat sie angekündigt, die Trassengebühren – also die Maut zur Nutzung der Schiene – für den Güterverkehr ab 2025 um 13,4 Prozent anzuheben. Zugleich will die Bundesregierung die Trassenentgeltförderung massiv zurückfahren. Der Güterbahnen-Verband läuft Sturm angesichts der Vorhaben. Im Ergebnis drohten eine „Preissteigerung von 113 Prozent“, „Ladungsverluste an den Lkw in großen Mengen“ und ein „weiterer Tiefschlag für den Schienengüterverkehr“. Mit dem Start der InfraGO habe die Branche auf ein Umdenken gehofft, bemerkte dieser Tage Geschäftsführer Westenberger. Stattdessen verschlechterten sich die Wettbewerbsbedingungen für die Schiene „schneller und stärker (…) als je zuvor“.
Ziemlich zügig haben sich auch die bahnpolitischen Ambitionen der Ampel verzogen. Es ist nicht lange her, da hatte Wissing den Investitionstau mit 88 Milliarden Euro beziffert, wovon die Regierung 43 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt stemmen wollte. Dann tauchte das durch zweifelhafte Finanzschiebereien verschuldete Haushaltsloch auf, und eigentlich für die Bahn vorgesehene Mittel aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) waren plötzlich futsch. Dazu kommen nun weitere Kürzungen, wodurch nach Berechnungen des Verbands der Bahnindustrie in Deutschland (VDB) nur noch 16 Milliarden Euro übrig bleiben. Davon sollen allein 13 Milliarden als Eigenkapitalerhöhung an die klamme DB fließen. So wird das sicher nichts mit der versprochenen „Mobilitätswende“.
Vorlage für Bahn-Zerschlagung
Das Ganze hat etwas von Scheitern mit Ansage. Maßgebliche Kräfte wollten ohnehin eine „große Bahnreform“ durchsetzen, also eine materielle Zerschlagung der Bahn mittels Privatisierung. Auch FDP und Grüne hatten ursprünglich darauf gesetzt, die Netzsparte komplett aus dem Konzern herauszulösen, um so noch mehr Konkurrenz auf die Schiene zu lotsen. Eine Demontage nach demselben Muster fordern mit der Monopolkommission, dem Bundeskartellamt und dem Bundesrechnungshof mal eben drei Bundesbehörden mit Rang. Die Lösung mit der vermeintlich gemeinwohlorientierten InfraGO war vor allem ein Zugeständnis an die SPD mit ihrer Nähe zur Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG).
Gleichwohl bleibt es der ausdrückliche Wille der Koalition, den Wettbewerb auf der Schiene weiter zu forcieren – auch oder gerade auf Grundlage eines Netzes unter quasi Bundeshoheit. Unter den Bedingungen der InfraGO könnte beispielsweise auch der Fernverkehr im Ausschreibungsverfahren vergeben und so das DB-Monopol geknackt werden. Die Bahn AG wäre dann nur noch ein Nutzer von Netz und Bahnhöfen unter vielen und würde absehbar geschrumpft. Damit fiele am Ende auch ihre Privatisierung leichter. Beschleunigen dürfte den Prozess aber fraglos das Szenario einer verpatzten „kleinen Bahnreform“. Die Weichen dafür sind auf alle Fälle gestellt. Güterbahnen-Chef Kerkeling prophezeite jedenfalls schon Mitte Dezember: „Die Diskussion um eine unternehmerische Trennung von Netz und Betrieb bei der Deutschen Bahn AG wird durch die Gründung der DB InfraGO AG nicht verstummen, sondern wieder richtig an Fahrt gewinnen!“
Bevölkerung für Gemeinnützigkeit
Vielleicht sollte man die Menschen im Land fragen, welche Bahn sie sich wünschen. „Bahn für alle“ hat dies im Rahmen einer repräsentativen Erhebung getan. Ergebnis: 70 Prozent der Bevölkerung sind der Auffassung, die DB müsse „gemeinnützig“ ausgerichtet sein, bloß 14,6 Prozent heißen eine Gewinnorientierung gut. Auch Verbandssprecher Waßmuth vertraut der InfraGO-Konstruktion nicht. „Das größte Bahnreformprojekt der Ampel prallt voll gegen den Prellbock“, sagte er, wobei das neue Haushaltsloch die wahren Interessen aufdecke. „Die DB soll Puffer und Bad Bank sein. Statt Geld zum Ausbau der Schiene zu bekommen, darf sie noch mehr Schulden machen und Teile verkaufen, angefangen mit DB Schenker.“ Waßmuths Sorge: „Wenn der Verkauf des Fernverkehrs folgt, steht uns ein Chaos bevor, das wir noch nicht erlebt haben – selbst bei der Bahn nicht.“
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