Ein Verbändebündnis will der Bundesregierung Beine beim sozialen Wohnungsbau machen. Statt fünf Milliarden brauche es schnellstens 50 Milliarden Euro, um Versäumtes nachzuholen und mittelfristig über 900.000 neue Unterkünfte zu schaffen. Auch müsse eine bessere Balance zwischen Objekt- und Subjektförderung her, weil Letztere vor allem gierigen Hausbesitzern in die Karten spiele. Bauministerin Geywitz findet das nicht witzig und geizt lieber weiter. Von Ralf Wurzbacher.
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Wer ist Miethais liebster Mieter? Antwort: Vater Staat! Der ist zwar in der Regel knapp bei Kasse, aber wenn es das Gesetz verlangt, rückt er heraus wie verlangt – und lässt dabei auch schon einmal Fünfe gerade sein, beziehungsweise ziemlich oft. In München zum Beispiel betrug 2022 die Durchschnittsmiete 12,80 Euro pro Quadratmeter. Die örtlichen Jobcenter allerdings blätterten für ihre Klienten, in der Mehrzahl Bürgergeldempfänger, im Mittel satte 6,60 Euro oder über 51 Prozent mehr hin, also 19,40 Euro. Nicht ganz so üppig, aber immer noch stattlich war der Überhang in Hamburg mit 2,87 Euro oder in Stuttgart mit 2,24 Euro. Das auf die Immobilienwirtschaft spezialisierte Pestel-Institut mit Sitz in Hannover hat bundesweit 124 Regionen unter die Lupe genommen und geprüft, in welcher Bandbreite sich die von Amts wegen bewilligten „Kosten der Unterkunft“ (KdU) bewegen. Ergebnis: In nur 38 Fällen unterschritten die Zahlungen die im Mikrozensus ermittelten ortsüblichen Vergleichsmieten um fünf Prozent oder mehr. Aber 58 Mal lagen sie darüber.
Das ist beachtlich. Nach den Vorgaben des Sozialgesetzbuches (SGB II) finanzieren die Behörden im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitssuchende lediglich Wohnungen einfachen Standards und solche mit begrenzter Größe. Eigentlich sollten derlei Objekte ausnahmslos günstiger zu haben sein als der gängige Durchschnitt. Von wegen! Weil die Nachfrage nach Wohnraum im unteren Preissegment gewaltig ist, aber der Markt komplett leergefegt, steigern sich die Begehrlichkeiten von Hausbesitzern ins Unverschämte – und dies besonders dann, wenn die öffentliche Hand die Miete begleicht und dabei wegen ihrer sozialpolitischen Verpflichtungen leicht über den Tisch zu ziehen ist. Bund, Länder und Kommunen müssen froh sein, die vielen Bedürftigen – Arbeitslose, Sozialhilfe- und Wohngeldbezieher, Flüchtlinge – überhaupt irgendwie unterzubringen. Das macht sie hochgradig erpressbar, mit dem Effekt, dass die staatliche Fürsorge „eher der Förderung von Vermietern dient“, wie das Pestel-Institut befindet.
Staat verhökert Gestaltungsmacht
In Auftrag gegeben wurde besagte Studie „Bauen und Wohnen 2024 in Deutschland“ durch das Verbändebündnis „Soziales Wohnen“, dem unter anderem der Deutsche Mieterbund (DMB), die Gewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt (IG BAU) und die „Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie“ (CBP) angehören. Am Dienstag waren sie damit an die Öffentlichkeit gegangen mit dem Ziel, die Politik zur Umkehr zu bewegen. Der Kern ihrer Forderungen: Statt im Bereich des Wohnens weiterhin einseitig auf Subjektförderung zu setzen, brauche es endlich einen ganz großen Wurf bei der Objektförderung, sprich bei der Schaffung von Sozialwohnungen. Davon fehlen nach Berechnungen der Forscher in Deutschland mindestens 910.000, und bei ausbleibenden Gegenmaßnahmen wird der Mangel mit jedem Jahr größer. Denn die wenigen Wohnungen, die jährlich durch Neubau entstehen, bleiben zahlenmäßig schon lange hinter den Beständen zurück, die alljährlich aus der Sozialbindung herausfallen und damit an den freien Markt verloren gehen. Dies geschieht in der Regel nach 15 bis 30 Jahren, sobald der Bauherr seinen geförderten Kredit abgezahlt hat.
Seit 2007 ist so die Zahl der Sozialwohnungen von über zwei Millionen auf heutzutage etwas mehr als eine Million eingebrochen. 1987, auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik, waren es sogar über vier Millionen. Das ging vor allem auf die Nachkriegszeit zurück, als mehr als 50 Prozent des Neubaus dem geförderten Wohnungsbau zufielen und Bindungsfristen von bis zu 80 Jahren bestanden. Den in den 1990er-Jahren einsetzenden Niedergang und die Gründe dafür haben die NachDenkSeiten 2020 im Beitrag „Asozialer Wohnungsbau“ nachgezeichnet. Ursächlich waren neben diversen Gesetzeseingriffen vor allem der systematische Abverkauf riesiger öffentlicher Wohnungsbestände im Rahmen der mit „Sparzwängen“ propagierten Privatisierungswellen sowie der weitgehende Rückzug des Bundes aus dem sozialen Wohnungsbau. Unter Länderhoheit und erst recht nach Einführung der sogenannten Schuldenbremse geriet die staatliche Bautätigkeit massiv ins Hintertreffen, während die großen Immobilienkonzerne ihre billigen Neuerwerbungen mit horrend aufgeschlagenen Mieten vergolden konnten. Vonovia sagt Danke.
20 Milliarden Euro Wohnzuschüsse
Die Pestel-Analyse beziffert, wie sehr sich ein weitgehend staatsbefreiter Markt dabei vom Bedarf an bezahlbarem Wohnraum entkoppelt hat. Demnach haben etwa die Hälfte aller Mieterhaushalte oder laut CBP-Caritas-Geschäftsführerin Janina Bessenich „weit über 15 Millionen Menschen“ in Deutschland eigentlich Anspruch auf eine Sozialwohnung. Aber „rechnerisch weniger als ein Zehntel“ kann diesen einlösen. Der große Rest ist entweder dazu verdonnert, über die eigenen finanziellen Verhältnisse zu wohnen oder die Belastungen mittels Wohngeldes – noch so eine Subvention für Hauseigentümer – in Grenzen zu halten. Einen schlechten Schnitt macht bei all dem freilich der Staat selbst, indem er als „Mieter“ wider Willen Unsummen zum Fenster herausschmeißt.
Insgesamt sind im Vorjahr über 20 Milliarden Euro an Sozialausgaben für die Unterstützung bedürftiger Menschen beim Wohnen geflossen. Das ist ein historisches Allzeithoch. So lagen die Auszahlungen im ersten Halbjahr 17 Prozent über dem Vergleichswert von 2015, obwohl es damals noch zwölf Prozent mehr Bedarfsgemeinschaften gab. 15 Milliarden Euro umfassten 2023 die Kosten der Unterkunft, die überwiegend an den Jobcentern hängenbleiben. Dazu kamen fünf Milliarden Euro an Wohngeld, das Bund und Länder gemeinsam stellen. Inbegriffen sind dabei auch die Mehrbeträge, die der Staat als übervorteilter Mieter abdrückt. Gemäß Studie beliefen die sich 2022 auf allein 700 Millionen Euro – bei steigender Tendenz. Dagegen habe das Volumen für den sozialen Wohnungsbau in den Vorjahren bei im Schnitt 2,5 Milliarden Euro gelegen.
Ampel-Ziele klar verfehlt
20 zu 2,5 – bei einer Online-Pressekonferenz nannte Pestel-Institutsleiter Matthias Günther dies ein „deutliches Missverhältnis“. Vor allem dem Bund kreidet er jahrzehntelanges Missmanagement an: „Er hat den Sozialwohnungsbau – also die Objektförderung – bis vor Kurzem auf ein Minimum heruntergefahren und damit drastisch steigende Ausgaben für die Kosten der Unterkunft und für das Wohngeld – also für die Subjektförderung – provoziert.“ Dem könne nur mit einer umfassenden Bauoffensive begegnet werden. Jede einmalige Förderung, durch die eine neue Sozialwohnung entstehe, erspare dem Staat erhebliche Summen, die er sonst auf Dauer für Mietzahlungen ausgeben müsse. „Das ist eine einfache Rechnung, die vor allem der Bund spätestens dann beherrschen muss, wenn die Sozialausgaben durch die Decke gehen: nämlich jetzt“, bekräftigte der Wissenschaftler. Dem Bündnis schweben dabei zwei runde Hausnummern vor: nämlich 50 Milliarden Euro, um damit den Sozialwohnungsbestand bis 2030 auf zwei Millionen zu erweitern.
Mit der Ampel wird das nicht zu machen sein. Zugegeben – Rot-Grün-Gelb hat die Förderung zuletzt erst wieder erhöht, womit laut Studie im laufenden Jahr mehr als fünf Milliarden Euro aus Bundes- und Landesmitteln zur Verfügung stehen würden. Aber selbst ohne Berücksichtigung gestiegener Baukosten, Grundstückspreise und Zinsen reiche das nicht, das regierungsamtlich ausgerufene Ziel, 100.000 Sozialwohnungen jährlich zu errichten, umzusetzen. Wahrscheinlich seien Förderzusagen im Neubau „von eher zwischen 20.000 und 30.000 Wohnungen“. 2022 waren es gerade einmal 22.500. Bei gleichbleibenden Verlusten – im Schnitt fielen in den Vorjahren zwischen 70.000 und 80.000 Unterkünfte aus der Sozialbindung – würde der Bestand auch bei leicht anziehender Bautätigkeit weiter beträchtlich schrumpfen. Ebenso verhält es sich mit dem anderen großen wohnungspolitischen Versprechen der Koalition, per anno insgesamt 400.000 zusätzliche Wohnungen zu schaffen. Die Latte hat sie schon zweimal gerissen. 2022 waren es rund 294.000, 2023 dürften es schätzungsweise 271.000 gewesen sein, und für 2024 wird bei gleichbleibend schlechten Rahmenbedingungen von einem Rückgang auf 235.000 Wohnungen ausgegangen.
Sonderbudget und Verfassungsrang
Hier zeigt sich der ganze Widersinn der Austeritätspolitik im Zeichen von „schwarzer Null“ und „Schuldenbremse“. Über ein Jahrzehnt lang hätte der Staat praktisch zu Nullzinsen in Eigenregie beim Wohnungsbau klotzen und für die Zukunft vorbauen können, was er jedoch mit künstlich erzeugten Haushaltsrestriktionen unterließ. Und jetzt, da die Not förmlich zum Himmel schreit, will er Versäumtes um ein Vielfaches teurer nachholen, was aber den Erfordernissen nicht annähernd genügt. Das kann man unter „dumm gelaufen“ verzeichnen oder aus Sicht der Profiteure als Musterbeispiel geglückter Umverteilungspolitik. Man stelle sich vor, die Kommunen hätten ihre Wohnungsgesellschaften nicht mehrheitlich verscherbelt. Dann wären heute Millionen Menschen mehr in einer erschwinglichen Bleibe zu Hause und die Immobilienspekulanten um viele Milliarden Euro „ärmer“, weil ein öffentlich dominierter Markt keine Wuchermieten gestattet. Leider läuft es heute anders und richtig irre: Der deutsche Staat treibt das allgemeine Mietniveau sogar in die Höhe, indem er sich für eigentlich „soziale Unterkünfte“ Mondpreise abjagen lässt. Vonovia sagt noch einmal Danke.
Was muss geschehen? „Die Krise mit immer höheren staatlichen Zuschüssen fürs Wohnen zu lösen, führt ins Leere“, bemerkte DMB-Präsident Lukas Siebenkotten. Stattdessen fordern die Bündnispartner „endlich eine effektive Begrenzung von Mieterhöhungsspielräumen und deutlich mehr Ausgaben für den Bau von Sozialwohnungen“. Ein „Sonderbudget ‚Sozialer Wohnungsbau‘“ müsse gezielt dort eingesetzt werden, wo der Mangel am größten ist – vorneweg in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin und Niedersachsen. Vonnöten seien auch kostengünstige Darlehen für Genossenschaften, deren Wohnungen nicht schon nach 30 Jahren aus der Sozialbindung fallen, und die Senkung der Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent für den Neubau von Sozialwohnungen. Die Notlage sei „kein Übermorgenproblem“, die frühestens für 2026 und 2027 eingeplanten Mittel brauche es „unbedingt jetzt“. Und schließlich müsse der soziale Wohnungsbau als gesamtgesellschaftliche Aufgabe „grundgesetzlich abgesichert und von der ‚Schuldenbremse‘ ausgenommen werden“.
Geywitz beleidigt
Und was meint die zuständige Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) dazu? „Also, die Pestel-Studie (…) halte ich persönlich für hochgradig unseriös. Das sind Zahlen, die sich die Kollegen ausgedacht haben. Das kommt dann auch zu relativ absurden Ergebnissen“, beschied sie gegenüber der ARD. Wie „ausgedacht“ wirken bisher auch Geywitz‘ Ambitionen und so richtig „absurd“ im Licht der Realität. Entsprechend fiel die Replik der Attackierten aus: „Es spricht für sich, wenn die Bundesministerin, die von dem Erreichen der selbst gesteckten Ziele meilenweit entfernt ist, unliebsame Wahrheiten bei nicht genehmen Studienergebnissen als ‚hochgradig unseriös‘ abqualifiziert“.
Titelbild: Bjoern Wylezich/shutterstock.com