Luftschläge im Jemen – wo bleibt da eigentlich unsere neu entdeckte Liebe für das Völkerrecht?

Luftschläge im Jemen – wo bleibt da eigentlich unsere neu entdeckte Liebe für das Völkerrecht?

Luftschläge im Jemen – wo bleibt da eigentlich unsere neu entdeckte Liebe für das Völkerrecht?

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Die USA und Großbritannien bombardieren seit dem Wochenende Ziele im Jemen. Dabei berufen sie sich auf das Recht zur Selbstverteidigung. Das ist absurd. Es gibt kein völkerrechtliches Mandat für Gewaltakte auf dem Gebiet des souveränen Staates Jemen. Auch fuhr keines der Schiffe, die in den letzten Wochen von den jemenitischen Huthi-Rebellen angegriffen wurden, unter britischer oder US-amerikanischer Flagge. Hinzu kommt, dass die Sicherheit der Schifffahrtswege durch das UN-Seerechtsübereinkommen geregelt wird. Das haben fast alle Staaten der Welt ratifiziert, die USA haben es noch nicht einmal unterschrieben. Die USA treten einmal mehr das Völkerrecht mit Springerstiefeln und weder die Bundesregierung noch die Kommentatoren in den Leitmedien interessiert dies. Das Völkerrecht ist offenbar nur dann ein Thema, wenn man es gegen Russland ins Feld führen kann. Von Jens Berger.

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Welche Schiffe wurden eigentlich von den Huthi-Rebellen angegriffen? Die Liste der Flaggenstaaten der nachweislich attackierten Schiffe liest sich wie eine Liste der letzten Steueroasen. Dreimal Liberia, zweimal Panama, Malta sowie die Marshall-Inseln und jeweils einmal Cayman Islands, Bahamas und Gabun. Nur Norwegen bildet hier eine Ausnahme. Oberflächlich betrachtet hätten die hier genannten Staaten also Grund, von „Selbstverteidigung“ zu sprechen, auch wenn dies völkerrechtlich streng auf die Abwehr von Angriffen beschränkt ist und auf gar keinen Fall Gewalt gegen einen anderen Staat rechtfertigen würde.

Dass die Angriffe die Regierungen von Liberia oder Panama nicht großartig interessieren, versteht sich von selbst. Internationale Schifffahrtsregister werden seit vielen Jahrzehnten nur betrieben, um Steuern zu sparen und die arbeitsrechtlichen Regulierungen in den größeren Staaten zu umgehen, in denen meist die Besitzer und Betreiber dieser Schiffe sitzen. Wer steckt also hinter den angegriffenen Schiffen? Der Antwort sind unter anderem die israelische Zeitung Haaretz und das Fachmagazin Freight Waves nachgegangen und zumindest für deutsche Ohren mag das Ergebnis überraschend sein. Mit Ausnahme des unter panamaischer Flagge fahrenden Containerschiffs „Number 9“ waren sämtliche angegriffenen Schiffe im Besitz israelischer Reeder oder hatten Fracht für Israel geladen. Zahlreiche Schiffe gehören übrigens den Brüdern Idan und Eyal Ofer, die mit einem Vermögen von 14 bzw. 19 Milliarden US-Dollar die beiden reichsten Männer Israels sind. Weitere Schiffe gehören der Ungar-Familie, die ebenfalls zu den israelischen Milliardären gehört.

Das entspricht den Verlautbarungen der Huthi-Rebellen, die ihre Attacken auf israelische Schiffe als Solidarität mit den Palästinensern bezeichnen – auch dies ist natürlich nicht durch das Völkerrecht gedeckt. Zynisch könnte man sagen, der Jemen hat Sanktionen gegen Israel verhängt und setzt diese nun mit Gewalt durch. Im Grunde machen die Huthi also nichts anderes als der Westen. Der Angriff auf das Containerschiff „Number 9“ war übrigens wahrscheinlich Folge veralteter Daten. Bis zum November 2021 wurde das Schiff von der israelischen Firma Zim Shipping betrieben.

Die völkerrechtliche Rechtfertigung der Amerikaner und Briten ist damit um so absurder. Selbst wenn man nicht von Flaggenstaaten, sondern vom Betreiber der angegriffenen Schiffe ausgeht, hätte – wenn überhaupt – Israel einen Anspruch darauf, das Recht auf Selbstverteidigung ins Spiel zu bringen. Auch dann bräuchte es jedoch erst einmal ein Mandat des UN-Sicherheitsrats, um Schritte zu ergreifen, die über die reine Abwehr von Angriffen hinausgeht. Die USA und Großbritannien haben weder einen Anspruch noch das Mandat, Angriffe einer Partei im jemenitischen Bürgerkrieg auf Schiffe von Drittstaaten in welcher Form auch immer mit Gewaltmaßnahmen zu beantworten.

Die Bombardierungen auf jemenitischem Gebiet sind vielmehr ein weiteres Beispiel dafür, dass die USA sich nicht um das Völkerrecht scheren und meinen, sie könnten auf der gesamten Welt tun und lassen, was sie wollen. Das hat nichts mit dem Völkerrecht zu tun, sondern ist schlicht eine Ausübung des Rechts des Stärkeren, der sich nicht an Regeln und Gesetze hält, sondern diese selbst in die Hand nimmt, wenn es ihm passt.

Wenig überraschend sieht dies die Bundesregierung mal wieder anders. Man macht sich dabei die US-Sprachregelung von „Präzisionsschlägen“ zu eigen. Unabhängig davon, dass diese Floskel spätestens seit den Bombardierungen Iraks und Afghanistans hohl ist, ist dies auch kein völkerrechtliches Argument. Das Gewaltverbot der Charta der Vereinten Nationen verbietet jede Form von Gewalt – auch „Präzisionsschläge“. Dass die Bundesregierung meint, die Gewaltakte stünden im „Einklang mit dem Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung“, lässt ebenfalls tief blicken.

Diese Formulierung ist übrigens höchst interessant. Die Charta der Vereinten Nationen sieht in der Tat ein Recht auf Selbstverteidigung vor: Dafür müsste ein Staat aber angegriffen worden sein, was hier weder für die USA noch für Großbritannien der Fall ist. Die „kollektive Selbstverteidigung“ ist kein völkerrechtlicher Begriff, sondern stammt 1:1 aus dem Wörterbuch der NATO und bezieht sich hier auf den vielzitierten Bündnisfall. Auch dies ist hier nicht anwendbar. Zwar koordinieren die USA ihre sogenannte Verteidigungspolitik mit Israel, es gibt aber kein System der „kollektiven Selbstverteidigung“ – unabhängig davon, ob ein solches System hier völkerrechtlich überhaupt ein Mandat für irgendwas hätte.

Da weder die USA noch Großbritannien selbst angegriffen wurden, müsste man hier ohnehin nicht von Selbstverteidigung, sondern von Nothilfe sprechen. Eine solche Regelung gibt es im UN-Seerechtsübereinkommen. Jedoch besagt diese Regelung, dass eine Nothilfe ohnehin nur in internationalen Gewässern unter strengen Auflagen erlaubt ist. Eine wie auch immer gestaltete Nothilfe in fremden Hoheitsgebieten ist jedoch ausdrücklich nicht gestattet. Aber die USA haben das UN-Seerechtsabkommen ja ohnehin nicht unterzeichnet.

Hier wäre dann die UN-Charta zuständig und da bräuchte es ein klares Mandat des UN-Sicherheitsrats. Ein solches Mandat gibt es aber nicht. Auch die Bundesregierung hält sich somit nicht an das Völkerrecht und billigt den klaren Völkerrechtsbruch der USA und Großbritanniens.

Und wenn Regierungssprecher Hebestreit unterstreicht, dass „Deutschland und viele weitere Staaten darin übereinstimmen“, ist dies vielsagend. Dass die westlichen Staaten die Sichtweise der USA teilen, ist korrekt, hat aber mit dem Völkerrecht nichts zu tun. Außer den westlichen Staaten verurteilen sämtliche Staaten der UN die Luftangriffe auf den Jemen. Deutschland zeigt einmal mehr, dass der Regierung das Völkerrecht herzlich egal ist, wenn es um Verstöße seitens der USA geht. Dann soll man aber bitte auch künftig schweigen, wenn es um Völkerrechtsverstöße anderer Staaten geht. Alles andere wäre heuchlerisch.

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Titelbild: Sven Hansche/shutterstock.com

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