Von der Verheißung der Ampelkoalition, die Bundesausbildungsförderung grundlegend zu reformieren, ist nichts mehr übrig. Nicht Rundumerneuerung, sondern Flickschusterei lautet die neueste Maßgabe. Die dringend nötige Erhöhung der Bedarfssätze spart sich die zuständige Ministerin gleich ganz. Wichtiger als die Zukunft junger Menschen hierzulande ist allemal der Waffennachschub in die Ukraine, wo die Jugend für die Werte des Westens stirbt. Im Regierungssprech läuft so etwas unter „Aufstieg durch Bildung“. Von Ralf Wurzbacher.
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Nun also doch nicht! Eine langersehnte und überfällige Erhöhung der Leistungen der Bundesausbildungsförderung (BAföG) wird auf unbestimmte Zeit verschoben. Statt eines im Koalitionsvertrag der Ampelparteien angekündigten „grundlegend reformierten BAföG“ soll es im kommenden Jahr lediglich eine Kleckerrunde mit kleineren Erleichterungen für einen begrenzten Adressatenkreis geben – aber ohne generelle Aufstockung der Regelsätze. So sieht es ein am Donnerstag vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in Umlauf gebrachter Referentenentwurf für das 29. BAföG-Änderungsgesetz vor, mit dem zu einem so frühen Zeitpunkt gar nicht zu rechnen war.
Hintergrund des Vorstoßes sind die neusten Kürzungsvorgaben durch Bundeskassenwart Christian Lindner (FDP) im Bemühen, der angespannten Finanzlage Herr zu werden. Nach einer Aufstellung des Bundesfinanzministeriums (BMF) vom 9. Januar werden etliche Einzelressorts zur Erfüllung einer „globalen Minderausgabe“ genötigt, die sich im Fall des BMBF auf 200 Millionen Euro extra gegenüber der bisherigen Planung beläuft. In einer „verbindlichen Erläuterung“ sind diverse Posten aufgeführt, die „nicht als Einsparstellen herangezogen werden“ dürften. Das BAföG befindet sich nicht darunter. Ergo sind von den im November vom Haushaltsausschuss des Bundestages bewilligten 150 Millionen Euro mehr für den 2024er-BAföG-Titel plötzlich nur noch 62 Millionen Euro übrig.
Geld verballern, Zukunft abschreiben
Im Klartext: Die versprochene „große Strukturreform“ wird vom durch zweifelhafte und höchstrichterlich untersagte Finanzschiebereien verschuldeten Haushaltsloch der Bundesregierung geschluckt. Damit demonstriert die Koalition einmal mehr, wo und wie sie ihre Prioritäten setzt. Zum Vergleich: Dem Bundesverteidigungsministerium (BMVg), dessen Etat sich davor bereits auf über 71 Milliarden Euro belief (BMBF: rund 20 Milliarden Euro), bleiben nicht nur weitere Sparanstrengungen erspart. Fürs Militärische stehen gemäß besagter Auflistung sogar über 600 Millionen Euro mehr zur Verfügung, im Speziellen zur „Ersatzbeschaffung für an die Ukraine abgegebenes militärisches Material“ (520 Millionen Euro). Die Ampel verpulvert lieber noch und nöcher mehr Geld für einen Krieg, der sich nicht gewinnen lässt und täglich Hunderte mehr Menschen das Leben kostet, als hunderttausenden Studierenden in Deutschland beizustehen, die finanziell am Abgrund wandeln.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamts waren im Jahr 2021 knapp 38 Prozent aller Studierenden „armutsgefährdet“. Das schließt an Befunde des Paritätischen Wohlfahrtsverbands an, wonach 2020 rund 40 Prozent der alleinstehenden Hochschüler unterhalb des soziokulturellen Existenzminimums lebten. Für solche im BAföG-Bezug traf dies auf 45 Prozent zu. Die Erhebungen datieren aus der Zeit vor der seit zwei Jahren grassierenden Rekordinflation. Die Notlage hat sich inzwischen deutlich verschärft. Die im Herbst 2022 wirksam gewordene 27. BAföG-Novelle hatte nicht einmal die Versäumnisse der Vorjahre kompensiert und die Zuschläge von 5,75 Prozent bei den Bedarfssätzen waren schon am Tag der Einführung von der Teuerung aufgefressen. Und die von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) verhießene „Trendumkehr“ bei den Gefördertenzahlen stellte sich auch nicht ein. Zuletzt profitierten bloß noch knapp über elf Prozent aller rund 2,9 Millionen Hochschüler vom BAföG. Viele der eigentlich Förderfähigen lösen ihre Ansprüche gar nicht mehr ein, weil die Zuwendungen oft nicht annähernd die Erfordernisse decken.
„Wir entscheiden nicht nach Kassenlage“
Hoffnung machte wenigstens Stark-Watzingers Ansage, in der laufenden Legislaturperiode nachzulegen und die Sozialleistung in „einem zweiten Schritt elternunabhängiger“ zu machen. Zudem sprach sie von Plänen, die Bedarfssätze turnusmäßig entsprechend der Lohn- und Preisentwicklung anzugleichen. Seit der Jahrtausendwende gab es höchst willkürliche Anpassungsschritte, zweimal verstrichen ganze sechs Jahre ohne jeden Nachschlag (2002/2008, 2010/2016). In Zukunft sollte derlei tabu sein, die BMBF-Chefin im O-Ton: „Wir entscheiden nicht nach Kassenlage über die nächste BAföG-Anhebung, sondern es wird einen regelmäßigen Prozess geben.“
Von wegen! Der erste, Anfang Juli 2023 von Lindner präsentierte Haushaltsentwurf sah für 2024 massive Kürzungen beim BAföG-Posten um 25 Prozent vor, was den Schluss nahelegte: Die Förderzahlen sind weiter im freien Fall und eine baldige Reform fällt aus. Dann folgte ein kurzes Aufatmen im November mit dem Beschluss des Haushaltsausschusses, doch besagte 150 Millionen Euro mehr zu mobilisieren. Damit ließe sich zwar längst keine Großreform ins Werk setzen, das Deutsche Studierendenwerk (DSW) hielt aber zumindest einen „mittleren Wurf“ für möglich.
Blutleere Mogelpackung
Jetzt, nach der neuerlichen Kürzung, ist der DSW-Vorstandsvorsitzende Matthias Anbuhl bedient. Stark-Watzingers Vorlage sei eine „herbe Enttäuschung“ und eine „blutleere Kleinnovelle“, teilte er am Freitag mit:
„Wenn das so kommt, dann werden den BAföG-geförderten Studierenden trotz des rasanten Anstiegs der Lebensmittel- und Energiepreise und explodierender Mieten mindestens sechs Semester Stillstand beim BAföG-Grundbedarf und bei der Wohnkostenpauschale zugemutet.“
Was bliebe von der „großen Strukturreform“ übrig? Vorgesehen ist eine „Studienstarthilfe“ von 1.000 Euro für hilfsbedürftige junge Menschen bis 25 Jahren, die Sozialleistungen beziehen. Mit einem „Flexibilitätssemester“ soll die Förderhöchstdauer um ein halbes Jahr über die Regelstudienzeit erweitert werden. Fachwechsel ohne Verlust der Ansprüche sollen bis Anfang des fünften Semesters möglich sein. Der Steuerfreibetrag bei Erwerbstätigkeit wird an die ab 2025 geltende Minijob-Grenze von 556 Euro angepasst. Außerdem sollen die Elternfreibeträge um fünf Prozent angehoben, bei den Zuschüssen zur Kranken- und Pflegeversicherung nachgelegt und Verbesserungen beim sogenannten Vorausleistungsantrag auf den Weg gebracht werden. Das war es!
Treue Parteisoldatin
Die Reaktion der Leidtragenden fiel heftig aus: „BAföG ist das Sparschwein des BMBF“, kommentierte der studentische Dachverband FZS. Es sei ein fatales Signal, dass das Ministerium nicht die vom Haushaltsausschuss gegebenen Möglichkeiten wahrnimmt und 88 Millionen Euro einfach liegenlasse. Tatsächlich hatten die Haushaltspolitiker mit einem Sperrvermerk dafür gesorgt, dass die fraglichen 150 Millionen erst bei Vorliegen der Novelle fließen sollten. Ihre Befürchtung war die, das Geld könnte sonst im Rahmen einer „globalen Minderausgabe“ verschwinden. Bloß haben sie offenbar nicht mit einer derart rückgratlosen Ministerin gerechnet, die ihre Möglichkeiten gar nicht ausschöpft und ihr Reformprojekt einfach eigenhändig zerfleddert.
Dazu lässt das Tempo, mit dem Stark-Watzinger mit ihrem Gesetzentwurf herausgerückt ist, vermuten, dass sie bereits vor der Maßgabe des Ausschusses daran gearbeitet hatte – und ihr die Mittelaufstockung mithin gar nicht in den Kram passte. Auch der bestens vernetzte Wissenschaftsjournalist Jan-Martin Wiarda hält dieses Szenario für denkbar. Ihm gegenüber gab das BMBF zu verstehen, die aktuellen Bedarfssätze seien ausreichend. Als erklärte Anhängerin der sogenannten Schuldenbremse weiß Stark-Watzinger ihrem Parteichef Lindner jedenfalls zu gefallen. Wer angesichts des neuesten Kürzungsdiktats nur zwei Tage nach dessen Bekanntgabe Vollzug meldet, beweist sich wahrlich als treue Parteisoldatin. Das Ganze dann auch noch als große Errungenschaft zu verkaufen, macht das Schmierenstück perfekt. Auf Anfrage verkündete ihr Ministerium:
„Mit strukturellen Änderungen und dem Abbau von bürokratischen Hürden werden wir nachhaltige Verbesserungen erreichen, die das BAföG noch stärker an die Lebensrealitäten der Empfängerinnen und Empfänger anpasst.“
Karlsruhe prüft Regelsatz
Das ist eine steile These: Der BAföG-Grundbedarf liegt mittlerweile 100 Euro unter dem des Bürgergelds (452 Euro / 563 Euro) und seit Jahresbeginn auch unter dem Grundbedarf des Asylbewerberleistungsgesetzes (460 Euro). Von der Wohnpauschale von aktuell 360 Euro kann man sich in nur einer Handvoll Studentenstädten eine Bleibe leisten. Selbst der Haushaltsausschuss hatte auf ein demnächst anstehendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts hingewiesen, das aufgerufen ist, die Regelleistungen beim BAföG auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz zu prüfen. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass Karlsruhe das Bemessungsverfahren kippen wird. Vor genau diesem Hintergrund empfahlen die Haushälter, die Bedarfssätze auf das Niveau des Existenzminimums zu erhöhen.
Nicht mit dieser Regierung. Die Sorge des DSW-Chefs Anbuhl, die Leistungen könnten drei Jahre nicht steigen, erscheint sogar noch „optimistisch“. 2025 ist Bundestagswahl und in Wahlkampfzeiten erscheint eine Verständigung der Koalition auf eine Zugabe sehr unwahrscheinlich. Zumal die fürs Wintersemester 2024/25 avisierte neueste Reform gerade einmal ein paar Monate alt wäre. Realistischerweise könnte es die nächste Novelle frühestens im Herbst 2026 geben, falls die kommende Regierung umgehend zur Tat schreitet. Bis dahin kämen dann vier BAföG-Nullrunden zusammen, während die Preise im selben Zeitraum um womöglich 20 Prozent und mehr angestiegen sind. Noch einmal die BMBF-Pressestelle im Wortlaut:
„Aufstieg durch Bildung ist eines unserer zentralen Anliegen. Ein Studium darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen.“
Alle mal weinen!
Titelbild: Stefan Werner / Shutterstock